“Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?”

Unzählige Menschen in der ganzen Welt, Menschen vieler Religionen, haben mit dieser Frage gerungen. Wir bekomme ich das ewige Leben? Die Vorstellung ist, dass es da doch einen Himmel geben muss, ein Leben nach dem Tode, das ewige Leben – etwas, auf das wir hoffen können und uns freuen können, während wir noch in diesem irdischen Jammertal mit all seinen Herausforderungen und Problemen unsere Tage verbringen. Wenn es einen Gott gibt, der gütig und gerecht ist, dann muss es da noch etwas Besseres geben als das, was wir im Moment erleben. Schlieβlich ist das Leben oft ziemlich unfair.

Nun mögen wir in diesem Teil der Welt und zu diesem Zeitpunkt der Geschichte denken, dass das Leben hier auf Erden nicht so übel ist. Wir haben in der Regel alles, was wir brauchen, und oftmals sogar viel mehr. Doch im Laufe der Geschichte war das Leben für einen Groβteil der Weltbevölkerung doch schwer und gefährlich – und dies ist auch heute noch der Fall für die Mehrheit der Menschen, die diesen Planeten bewohnen.

Menschen hatten schon immer mit widrigen Umständen zu kämpfen: Hungersnöte, Epidemien, harte Arbeit, Kriege, Unterdrückung, Genozid, despotische Führer – das alles gab schon immer und gibt es auch heute noch, und so macht es Sinn, dass die Weltreligionen diesen Traum, diese Vision eines besseren Jenseits haben – die Sehnsucht danach, diese Welt mit allem Leiden zurückzulassen und eine Sphäre zu erreichen, wo es kein Weinen und keinen Tod mehr gibt.

Wenn Sie unser Gesangbuch durchblӓttern, dann werden Sie da so einige Lieder finden, die über die Hoffnung und die Freude sprechen, das Leben hier auf Erden zurückzulassen und von Gott im Himmelreich umarmt zu werden – ewigen Frieden zu finden. Das gibt es ja auch auf vielen Grabsteinen: ‚Rest in Peace’, ‘Ruhe in Frieden.’ Endlich.

Und diese Hoffnung und Vorfreude finden wir vor allem in den afro-amerikanischen Spirituals, wo ‘den Jordan überqueren’ und ‘das gelobte Land erreichen’ Code Worte dafür sind, einer brutalen Existenz in Sklaverei zu entfliehen und bei Gott als Gottes geliebte Kinder endlich Freiheit und Frieden zu finden.

Auch heute gibt es noch diejenigen in der Welt, die willens ihr Erdendasein aufgeben, da sie daran glauben, dass das Paradies sie im Jenseits erwartet. Christliche Martyrer, wie es sie vor allem in den ersten Jahrhunderten der christlichen Bewegung gab, starben oft freudig einen Martertod – und legten dadurch auch ein starkes Zeugnis für den Glauben an Jesus Christus ab – denn sie hofften auf das ewige Leben im Jenseits.

Und so können wir diese Frage vielleicht etwas besser verstehen: guter Meister, was soll ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?

Im heutigen Evangelium wird diese Frage von einem jungen Mann gestellt, der, wie sich herausstellt, reich an Gütern ist. Nun ist der Herbst das, was hier in den USA ‚Stewardship Season‘ genannt wird – die Zeit des Jahres, in der die Ernte eingefahren wird und wir Gott für alles, was wir empfangen haben, danken. Und dieser Dank drückt sich eben nicht nur dadurch aus, dass wir Dank sagen, sondern auch dadurch, dass wir in unseren Herzen bewegen, wie wir Gott etwas von dem zurückgeben, was wir von ihm empfangen haben. Und da wir ja nun Gott nicht direkt etwas zurückgeben können, so geben wir an die etwas weiter, die Gott in unser Leben sendet: unsere Nӓchsten. Dies, so Paulus, Johannes und Martin Luther, neben vielen anderen, ist die rechte Art, unseren Dank aus vollem Herzen auszudrücken.

Und so könnte ich die heutige Predigt kurz und bündig halten: wenn Ihr das ewige Leben ererben wollt, verkauft alles, was ihr habt, und gebt den Erlös den Armen – naja, vielleicht nicht ganz so radikal, aber zumindest versucht, das, was Ihr an die Kirche oder auch an andere Organisationen spendet, etwas aufzustocken. Und, ja, das ist wichtig – ohne Ihre Spenden kann die Arbeit dieser Kirche nicht aufrechterhalten werden. Amen.

Aber da geht es um mehr im heutigen Evangelium. Jesus weiss ganz genau, dass Menschen auf das Jenseits hoffen, und er selbst sagt, dass es ein Paradies gibt. Als er am Kreuz stirbt, verspricht er dem Kriminellen, der neben ihm am Kreuz hӓngt und um Vergebung bittet: ‚Wahrlich, ich sage dir, noch heute wirst du mit mir im Paradies sein.

Darüber hinaus redet Jesus stӓndig über das Reich Gottes, oder das Himmelreich. Nun ist das Reich Gottes – oder das Himmelreich – im Laufe der Kirchengeschichte hӓufig als etwas beschrieben worden, auf das wir noch warten – und oft als der Himmel, dessen Tore Petrus eifersüchtig bewacht. Und so wird heute noch das Reich Gottes als ein Ort irgendwo über den Wolken verstanden.

Wenn wir uns aber das, was Jesus sagt, genauer anschauen – und da vor allem seine Gleichnisse, die uns etwas über das Reich Gottes, das mitten unter uns wӓchst, erzӓhlen – dann erkennen wir, dass Jesus über etwas redet, das uns schon hier und jetzt betrifft. Jesus ist da recht radikal – anstatt uns einfach einen Trostpreis für ein miserable Leben hier auf Erden mit Aussicht auf ein gutes Leben in einem Himmel zu versprechen, der irgendwie ganz weit weg und unerreichbar ist – so, wie es viele andere Religionen machten – wagt Jesus es, uns etwas Neues anzubieten: die Erkenntnis, dass die Wirklichkeit Gottes schon hier und jetzt in unser Leben einbricht.

Frieden, Gerechtigkeit, die gerechte Verteilung von Essen und Gütern, heute – dies ist die Vision, die Gott für alle Kreatur hat.

Natürlich gibt es da einen kleinen Haken: wir erkennen dies nicht, wenn wir der Einladung Jesu nicht nachkommen. Und übrigens ist dies diesselbe Einladung, die Jesus dem reichen Jüngling ausspricht. Und nein, ich spreche nicht darüber, alles zu verkaufen und es den Armen zu geben, sondern es geht hier um etwas, das noch wichtiger ist: Komm, folge mir nach!

Die Kurzfassung des heutigen Evangelium könnte wie folgt sein: guter Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu ererben? Komm, folge mir nach – und sieh dir an, was da passiert.

Das ewige Leben ist nicht etwas, wonach wir uns sehnen sollen, wӓhrend wir ganz übersehen, dass unser Leben – und das Leben aller – schon heute zӓhlt. Das ewige Leben beginnt hier und heute! Wir erfahren das ewige Leben, wenn wir Jesus Christus nachfolgen, und, indem wir seinen Spuren folgen, sehen, wie das Reich Gottes, das Himmelreich, unter uns und um uns herum wӓchst.

Was die urchristliche Bewegung so erfolgreich machte, ist, dass jene, die Jesus Christus als ihren Heiland und Erretter bezeugten, so anders als alle anderen in Staat und Gesellschaft waren. Da gab es zu Beginn des Christentums eine Zeit, in der alle in der Gemeinschaft angenommen wurden, als gӓbe es weder Freie noch Sklaven, weder mӓnnlich noch weiblich, weder Jude noch Heide, weder schwarz noch weiss. Und übrigens war diese Lebensweise eine Bedrohung für die herschenden Mächte – es hat schon seinen Grund, warum es zunächst soviele Märtyrer gab.

Auch der ӓthiopische Kӓmmerer, ein Eunuche, der eine sehr komplizierte geschlechtliche und sexuelle Identitӓt hatte, fand seinen Platz in der frühen christlichen Gemeinde – und hat sehr wahrscheinlich die Kirche in Äthiopien begründet, die auch heute noch existiert.

Die meisten urchristlichen Gemeinden legten ganz bewusst einen Fastentag in der Woche ein und hungerten, um mit dem so gesparten Essen die Bedürftigen in ihren Kommunen speisen. Christen in den ersten Jahrhunderten lebten friedlich, gewaltlos, und hielten die andere Wange hin. Durch sie erfuhren die Menschen um sie herum etwas, das neu war, etwas ganz Besonderes – das Himmelreich schon hier auf Erden.

Das besondere an der Lehre Christi und christlichem Leben ist, dass das Augenmerk eben nicht darauf gerichtet ist, wieviel besser das Leben nach dem Tode sein wird – das Leben ist bereits besser – für uns und unsere Nӓchsten – wenn wir es Gott erlauben, unter uns zu wohnen und zu wirken.

Nun mӧgen Sie denken, dass dies nur schӧne Worte sind. Aber es gibt handfeste Beweise dafür. Vielleicht wissen Sie, dass unsere Landeskirche, die Sierra Pacific Synod, eine Partnerschaft mit der Lutherischen Kirche in Ruanda hat. Jӓhrlich besuchen Delegationen von hier Ruanda, ein Land, das vor fast 25 Jahren einen fürchterlichen Bürgerkrieg und Genozid durchlebte. Auch heute noch sind die Wunden dieses Schreckens zu spüren. Darüber hinaus hat Ruanda unter anderem mit Hungersnӧten, AIDS und Malaria zu kӓmpfen.

Die Schwestern und Brüder aus unserer Landeskirche, die von ihren Reisen nach Ruanda zurückkehren, sind immer wieder von der Lebensfreude und dem festen Glauben und der Zuversicht der Menschen in Ruanda überrascht – ja, das Reich Gottes, das Himmelreich, ist dort, obwohl wir die Lebensumstӓnde in jenem Land als schrecklich bezeichnen würden. Das Leben IST besser, wenn wir es Gott erlauben, unter uns zu wohnen und zu wirken. Das Leben IST besser, wenn wir Jesus Christus nachfolgen. Das ewige Leben beginnt hier und jetzt.

Und es wird uns im Himmelreich reich belohnt werden – in dem Reich, das schon mitten uns ist. Wir empfangen unseren Lohn, wenn wir mit anderen das teilen, was Gott uns so groβzügig hat zukommen lassen. Wir empfangen unseren Lohn, wenn wir für Gerechtigkeit jedweder Art kӓmpfen. Wir empfangen unseren Lohn, wenn wir unser Bestes tun, zu lieben uns zu vergeben – gerade dort, wo wir Hass, Ignoranz und Gleichgültigkeit erfahren. Und dies ist der Lohn, der unbezahlbar ist.

Je mehr wir uns selbst mit anderen teilen – uns mitteilen -, umso mehr empfangen wir. Manche bezeichnen das als ein gutes Gefühl. Manche bezeichnen das als einen Segen. Ich gehe so weit, zu sagen, dass dies das Reich Gottes ist. Es ist hier. Es ist jetzt.

Wir sind nicht nur die, die weise und groβzügig mit materiellen Gütern umgehen sollen. Wir sind die, die dazu berufen sind, das Reich Gottes mit anderen zu teilen, indem wir es verkӧrpern – mit unserem Leben, das – Gott sei Dank – ewig ist.

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