Was sucht ihr?

Wir alle suchen nach etwas. Ganz egal, wie alt wir sind und in welchem Lebensstadium wir gerade sind, da gibt es immer etwas, wonach wir suchen, wonach wir uns sehnen und streben. Wir suchen nach Liebe, nach Akzeptanz, nach Erfolg, Abenteuer, Ruhe, nach dem Sinn des Lebens. Vielleicht suchen wir sogar nach Gott.

Ganz egal, wonach wir suchen – wir haben normalerweise gewisse Erwartungen, wie das denn aussehen soll, wonach wir suchen. Wenn wir z. B. nach Abenteuer suchen und eine Reise planen, dann haben wir schon gewisse Vorstellungen: was wir sehen wollen, was wir tun wollen, was wir essen und trinken wollen.

Die Bürger dieses Landes suchen derzeit nach einem Präsidenten oder einer Präsidentin, der oder die sie durch die nächsten 4 Jahre führt, und sie wählen die Person, die ihren Hoffnungen und Wünschen am meisten entspricht – oder wählen eben auch nicht, wenn unter den Kandidaten niemand ihren Vorstellungen entspricht.

In der Regel haben wir ganz genaue Vorstellungen darüber, wonach wir suchen. Das birgt natürlich auch Gefahren: wenn wir nich ganz genau das finden, wonach wir suchen, werden wir womöglich enttäuscht oder frustriert – und verpassen da womöglich etwas, das da genau vor unserer Nase ist.

‘Was sucht ihr?’ Wir hören diese Frage im heutigen Evangelium, das bei Johannes geschrieben steht. Hier haben wir eine etwas andere Geschichte über die Berufung der ersten Jünger Jesu. Jesus sucht nicht gezielt nach Jüngern, so wie in den anderen Evangelien – nein, hier wartet Jesus darauf, dass potentielle Jünger nach ihm suchen, neugierig auf ihn sind.

Das fängt alles mit Johannes dem Täufer an. Johannes verkündigt den Menschen am Jordan, als er Jesus erspäht: ‘Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!’ Schaut hin, schaut euch das an, macht euch ein Bild darüber!

Nicht jeder reagiert darauf. Manche schauen anscheinend hin, sehen lediglich einen recht unscheinbaren Typen, zucken mit den Schultern, und suchen weiter nach einem Messias, der ihren Vorstellungen entspricht.

Aber zwei von Johannes’ Jüngern werden neugierig. Sie wollen sich das anschauen, sie wollen es für sich herausfinden, und so folgen sie Jesus – oder besser, sie verfolgen ihn.

Jesus merkt irgendwann, dass er verfolgt wird. Und so dreht er sich um. Und sagt eben nicht: ‘Kommt, folgt mir nach – da ihr mir ja eh schon hinterherschleicht.’ Nein, er will mehr über diese zwei Männer erfahren, über ihre Erwartungen, über ihre Motive. Was sucht ihr?

Die Johannesjünger schauen sich Jesus genauer an – ist dieser vielleicht der, dem wir folgen sollen? Aber gleichzeitig schaut sich Jesus diese Männer an – sind diese vielleicht jene, die mir folgen könnten?

Ich finde es interessant, dass die zwei keine Antwort auf Jesu Frage ‘Was sucht ihr’ geben, obwohl sie höchstwahrscheinlich so ihre Vorstellungen haben. Anstatt kommen die mit einer Gegenfrage: ‘Rabbi, wo wirst du bleiben?’

Das klingt vielleicht etwas merkwürdig für unsere Ohren, aber was sie eigentlich fragen ist: ‘Rabbi, können wir mit dir gehen und Zeit mit dir verbringen?’ Diese Offenheit scheint Jesus zu gefallen – es scheint Jesus zu gefallen, dass diese zwei anscheinend keine Antwort haben, nocht festgelegt sind. Und er lädt sie ein: ‘Kommt und seht.’ Kommt und seht euch das an. Und sie gehen. Und sie sehen.

Nun finde ich es faszinierend, dass wir nicht erfahren, wo Jesus sich aufhält oder worüber er und die zwei Männer sich für den Rest des Tages unterhalten. All das bleibt ein Geheimnis. Was wir erfahren, ist, dass am Ende dieses Besuchs, dieses Gesprächs, dieses Bewerbungsgesprächs, die zwei wissen, dass sie gefunden haben, wonach sie gesucht haben. Und Jesus scheint von ihnen auch ganz angetan  zu sein.

Und so wie Johannes der Täufer seine Erkenntnis allen mitteilen musste, dass Jesus der Christus, der Messias, das Lamm Gottes für die Welt ist, so können sich auch die zwei nicht halten und müssen diese frohe Botschaft weitererzählen. Und so hören wir, dass einer von ihnen, Andreas, als erstes seinen Bruder Simon trifft. ‘Mensch, du wirst es kaum glauben, aber wir haben den Messias gefunden!’

Also wird Simon neugierig, und Andreas bringt ihn zu Jesus, der sich Simon gut anschaut und sofort erklärt: ‘Du sollst Kephas, Petrus, heissen.’

Und im ganzen Johannesevangelium geht es um die Einladung: ‘Kommt und seht, schaut euch das ganze selber an.’ Und so haben wir dann diese fortlaufende Geschichte über die, die sich Jesus genauer anschauen. Einige finden, wonach sie suchen, worauf sie hoffen, wonach sie sich sehnen – obwohl sie manchmal selbst nicht so genau zu wissen scheinen, wonach sie eigentlich suchen: die Samariterin am Brunnen, der Blinde, der von Jesus geheilt wird, Maria Magdalena.

Andere sind enttäuscht. Jesus entspricht nicht ihren Erwartungen von einem Messias.

Letzlich sind alle eingeladen, ans Fuss des Kreuzes zu kommen und den Messias, das Lamm Gottes, zu sehen, hingegeben für dich und mich, hingegeben zum Heil der Welt und zur Versöhnung aller Menschheit mit Gott. Und dann auch ans leere Grab und in ein neues Leben. Aber, wie wir alle wissen, macht dieser leidende Gott, der sich selbst entleert und opfert, der zum Wohl anderer lebt und stirbt und aufersteht und die Menschen aufruft, in wahrer Gemeinschaft mit Gott und mit anderen zu leben, keinen Sinn und gibt ihnen nicht, was sie wollen.

Nun behaupte ich einmal, dass wir alle hier, obwohl wir alle Christen und Christinnen sind und sogar vom gleichen konfessionellen Holz geschnitzt, nach etwas anderem in Christus suchen. Einige suchen nach Trost, andere nach Vergebung und Akzeptanz. Andere wieder suchen nach Heilung, wieder andere nach Schönheit und Majestät. Andere wieder suchen nach Ordnung in einer chaotischen Welt. Einige suchen nach überirdischen Erfahrungen, andere nach der Durchsetzung von Gerechtigkeit. Einige wollen von Christus und seiner Botschaft herausgefordert werden. Und dann gibt es die, die nach Dingen suchen, die mir gar nicht einfallen.

Und so möchte ich Sie einladen, einen Moment darüber nachzudenken: was suchen Sie?

Wonach Sie auch suchen – es gibt dafür Raum in Gott. Ich denke, dass dies das Schöne an der Passage im heutigen Evangelium ist, in der die Jünger einige Zeit mit Jesus dort verbringen, wo er sich aufhält. Wir wissen nicht, was Jesus ihnen da erzählt, was Jesus ihnen zeigt. Wir wissen nicht, was letztendlich die Jünger davon überzeugt, dass Jesus der ist, nach dem sie gesucht haben. Sie suchten wahrscheinlich nach etwas ganz anderem als wir heute.

Und das ist in Ordnung und ganz legitim. ‘Im meines Vaters Haus sind viele Wohnungen’ hören wir an anderer Stelle im Johannesevangelium. Sie alle bieten ein Zuhause mit Gott und in Gott. Was immer es auch ist, wonach wir suchen und worauf wir hoffen, Christus lädt uns ein, zu kommen und zu sehen und zu empfangen – und womöglich auch etwas zu finden, von dem wir gar nicht wussten, dass wir danach suchen.

Diese Einladung beginnt in unserer Taufe. Heute wird diese Einladung ganz besonders an C ausgesprochen, die hier und heute ihren Weg mit Christus beginnt. Komm und sieh. Entdecke, was Christus dir bieten kann. Und diese Einladung wird dann immer wieder kommen. Sieh, was Christus dir in diesem Lebensabschnitt, in dieser Situation, in diesem Leid, in dieser Freude, bieten kann. Und sie gilt nicht nur Cornelia, sondern uns allen.

Im Laufe unseres Lebens suchen wir nicht immer nach demselben. Dinge ändern sich, unsere Lebensumstände ändern sich, wir ändern uns.

Die, die mit uns auf dem Weg sind, suchen nicht immer nach dem, wonach wir uns sehnen. Wir müssen dem Raum geben. Wir müssen da womöglich auch Gnade üben, wenn das, wonach jemand anderes sucht, so anders ist als das, was wir gerade brauchen.

Nun wandelt Christus heute nicht mehr auf Erden, wie er es vor ca. 2000 Jahren tat. Heute wird die Kirche – und ich rede nicht nur von unserer Kirche, unserer Gemeinde, sondern die Universalkirche – der ‘Leib Christi’ genannt. Wir alle sind ein Teil des Leibs Christi.

Und so sind wir in der spannenden Situation, dass wir nicht nur die sind, die nach etwas in Christus suchen, sondern auch jene, zu denen andere kommen, die nach Sinn für ihr Leben, die nach Gott suchen.

Und ich sage gleich – natürlich können wir nicht allen das bieten, wonach sie suchen. Das ist in Ordnung. Als eine Gemeinde sind wir lediglich ein Teil des riesigen und kunterbunten Leibs Christi; wir können und sollen nicht alles bieten. Aber etwas bieten sollten wir schon.

Denn wir bestehen nicht nur für uns selbst. Wir können nicht nur das bieten, wonach wir suchen. Heute sind wir diejenigen, die Jesus Christus bezeugen, das Lamm Gottes, den Messias, in Wort und Tat. Wir sind diejenigen, die heute auf Jesus zeigen und anderen die offene Einladung aussprechen: Kommt und seht. Und da müssen wir gnädig sein – wir müssen es Menschen, die eben nicht so wie wir aussehen oder denken oder sich so benehmen wie wir ermöglichen, eine Heimat in Gott zu finden.

Das heisst auch, dass wir nicht vorgeben dürfen, dass wir die göttliche Weisheit mit Löffeln gefressen haben und alle Antworten wissen – und diese Antworten geben, bevor überhaupt eine Frage gestellt wurde. Wir dürfen nicht vergessen, die Frage heute an die zu stellen, denen wir begegnen, die Frage, die seinerzeit Jesus stellte: ‘Was sucht ihr?’ Und wir werden dann vielleicht überrascht, denken über Christus frisch und neu nach, entdecken Christus für uns selbst ganz neu – und lernen dabei, wie wir anders der Leib Christi für die sein können, die nach ihm suchen.

Gleichzeitig finden wir womöglich Christus auch in ganz überraschenden und unerwarteten Situationen.  Christi Einladung gilt uns auch heute noch: Kommt – und seht. 

 

Foto von Adam Gong via unsplash.com

 

 

 

 

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