“Love is in the air, everywhere I look around
Love is in the air, every sight and every sound
And I don’t know if I’m being foolish
Don’t know if I’m being wise
But it’s something that I must believe in
And it’s there when I look in your eyes”, sang John Paul Young 1978. Es ist eines dieser Lieder,
die sofort zum Ohrwurm mutieren und mich lächeln lassen. Während ich diese Predigt
schrieb, hörte ich das Lied rauf und runter. Die armen Bauarbeiter nebenan wurden
wahrscheinlich halb wahnsinnig, bis ich endlich meine Kopfhörer aufsetzte.
Je länger ich das Lied hörte, desto mehr wurde es zu einem Kirchenlied. Nicht ein Lied über
eine kitschige Romanze. Sondern ein Lied über mich und mein Leben als Gottes geliebtes
Kind in seiner geliebten Welt.
Liebt einander. Das ist Jesu neues Gebot. Kurz und knapp. Liebt einander. Wie ich euch
geliebt habe, liebt einander. Klingt vertraut? Klang es vermutlich schon zur Zeit Jesu. Liebt
eure Familie, Nachbarn, Freunde – das ist die natürlichste Art und Weise, den eigenen
Stamm am Leben zu erhalten. Diese Art der unmittelbaren Nächstenliebe sichert das
Überleben. Du fühlst dich stark innerhalb deiner Gruppe und wirkst stark gegenüber deinen
Feinden.
Liebt einander. Was ist daran also neu?
Jesus fordert uns nicht einfach dazu auf, zueinander ne zu sein um des Überlebens willen.
Die Liebe, die er fordert, kennt keine Bedingungen. Normalerweise umgeben wir uns mit
Menschen, die uns ähneln. Die aussehen wie wir, reden wie wir, sich kleiden wie wir,
ungefähr so alt sind wie wir. In solchen Gruppen fühlen wir uns sicher. Die Gefahr
unangenehmer Überraschungen ist gering. Deshalb teilen wir Menschen gern in Kategorien
ein nach Rasse und Geschlecht, Alter und Klasse, Einkommen und politischer Überzeugung,
körperlicher Fitness usw. Jesu Kategorien sind das nicht. Er sprach mit den Außenseitern und
Andersgläubigen. Er liebte die, die von allen anderen gemieden wurden.
Liebt einander. Alle. Egal, ob sie euch ähnlich oder sympathisch sind. Und es kommt noch
besser: Diese Liebe ist untrennbar mit der Liebe und der Ehre Gottes verbunden. Gott wird
durch unsere Nächstenliebe geehrt. Was für eine unglaubliche Behauptung für jeden
Gläubigen. Liebe deinen Nächsten genauso, wie du Gott liebst. Liebe Gott genauso, wie du
deinen Nächsten liebst. Das erhöht all unsere Mitmenschen quasi in den Stand Gottes.
Gottesliebe und Menschenliebe sind dasselbe.
Und so lautet unser höchstes Gebot: Liebt! Das ist unsere Aufgabe. Liebe ist nicht nur ein
schönes Gefühl irgendwo im Bauch, mit Schmetterlingen und Herzrasen. Liebe ist die
Aufgabe, jedermann das Gefühl zu geben: Du bist wertvoll. Jeder ist wertvoll. Egal, welcher
Rasse, Klasse oder Partei, egal welchen Alters, Geschlechts oder Einkommens, egal wie fit.
Wir Jünger Jesu sind die Liebes-Einsatztruppe. Von Jesus höchstpersönlich ausgesandt. Weil,
dank Jesus, die Luft vor Liebe schwirrt.
Auf so viele verschiedene Weisen versuchen Menschen, der Welt zu zeigen: Ich bin Christ. Sie
tragen Kreuzkettchen und Fisch-Ohrringe. Sie kleben christliche Symbol-auleber auf ihre
Autos. Sie teilen fromme Posts auf Facebook und Twitter. Jesus bittet uns nur um eins: Liebt.

Sichtbar. Sodass sich niemand fragen muss: „Wieso sind die denn so freundlich und
hilfsbereit? Wieso helfen die den Armen und Kranken, den Obdachlosen und Immigranten, den
Kindern und Alten. Wieso kümmern die sich nicht nur um sich selbst?“ Damit alle Welt
erkennt, dass die Quelle unserer Liebe kein Geringerer ist als Jesus Christus.
Vielleicht bin ich nicht ganz dicht, wenn ich behaupte, dass wir Christen nunmal so leben und
lieben. Aber ich muss es glauben. Weil ich es in deinen Augen sehe. Ja, in deinen. In deinen
fröhlichen Augen sehe ich heute all die Liebe, die du geben kannst. Und in deinen traurigen
Augen sehe ich heute all die Liebe, die du brauchst. Und in deinen besorgten Augen sehe ich
all die Liebe, die du verschenken möchtest. In den traurigen und besorgten und liebenden
Augen Jesu am Kreuz.
Ist Liebe blind? O ja! Im Licht der Liebe ist alles rosa – rot. Fehler gibt es nicht. Wenn die erste
Phase der Verliebtheit vorbei ist und der rosarote Filter weg, kann es ein böses Erwachen
geben. Der Freund oder gar Ehemann ist dann nicht mehr perfekt, die Beziehung ist
gefährdet oder gar zerstört.
Jesu universales Liebesgebot ist durchaus blind, aber nicht romansch. Es geht nicht um ein
liebevolles, abgeschottetes Familienleben oder kleine gemütliche Gemeinden. Schön, wenn
sie das ihr Eigen nennen können. Aber Jesu Ziel ist es gerade nicht, sich in einer
handverlesenen Gemeinscha einzukuscheln, gut bewacht gegen störende und verstörende
Fremde.
“Love is in the air, in the whisper of the tree
Love is in the air, in the thunder of the sea
And I don’t know if I’m just dreaming
Don’t know if I feel safe
But it’s something that I must believe in
And it’s there when you call out my name.”
Ein weltweites Netz der Liebe sollte uns Sicherheit geben. Stattdessen übersteigt es unsere
Vorstellungskraft. In dem Moment, in dem ich wirklich wahrnehme, wieviel Liebe in der Luft
herumschwirrt, fühle ich mich nicht mehr sicher. Denn ich muss doch wissen, wem ich
vertrauen kann und wem nicht und vor allem muss ich wissen, wie ich zwischen Feind und
Freund unterscheide. Solcherlei Kategorien sind überlebenswichtig. Also sehe ich die Welt
mit Augen voller Erfahrungen und Erwartungen. Sta mit liebenden Augen, wie Jesus es uns
lehrt.
Jesus sagt: Liebt einander, wie ich euch geliebt habe. Wie liebt Jesus uns denn?
In der Person Jesu tritt Gtto in unsere menschlichen Fußstapfen. Und jemand, der in meine
Fußstapfen tritt, kann mir nicht gleichzeitig auf die Füße treten. Logisch. Go begann in Jesus
als einer von uns zu leben und zu laufen. Er steckt in unserer Haut. Das ist wahre Liebe! Klar,
Gott sieht und hört immer noch, was ich mache und es ist ihm nicht egal. Aber er wird mir
nicht mehr strafend auf die Füße treten, sondern mich lieben. Immer mit diesem typisch
göttlichen Blick: Ich sehe dich, ich kenne dich, ich liebe dich. Hör auf, Mist zu bauen.“

In der Person Jesu begann Gott, die Welt aus unserer menschlichen Perspektive zu sehen.
Zum Glück nahm er dabei die göttliche, rosarote Liebes-Brille nicht ab. Wahre Liebe ist blind.
Gottes Liebe zu uns ist blind. Er liebt uns so sehr und so blind, dass es seinen Sohn das Leben
kostete. Dass es bis heute täglich seine Kinder das Leben kostet. Denn Liebe macht dich und
mich stark und verletzlich zugleich. Aus Liebe wurde unser starker Gott verletzlich. Er wurde
sterblich, wurde verletzt, gehasst, getötet. Wir haben einen verletzlichen Gott. Verletzlich
heißt nicht schwach. Verletzlich bedeutet: zugänglich, ansprechbar.
Ich habe gerade das Buch „Just Listen“ von Mark Gouldston gelesen. Mark ist Psychiater und
ein Experte darin, Menschen zu erreichen. Wenn er mit besonders unsicheren Menschen
zusammenarbeitet, die aus ihrer Unsicherheit heraus alle Hilfsangebote verweigern, rät er:
Halt dem anderen deinen Kopf hin. Erzähle von deinen eigenen Unsicherheiten und
Schwächen. Dann werden sie sich dir gegenüber öffnen. Zeig dich verletzlich, sei menschlich.
Dann wird auch dein Gegenüber nicht mehr so tun, als ob er der Herrgott persönlich wäre,
sondern sich als Mensch zeigen.
Als ich das Buch las, dachte ich: Wow, Gott ist echt ein super Psychiater. Denn das ist es ja
genau, was er gemacht hat in Jesus Christus. Er wurde Mensch und verletzlich und dadurch
erreichbar und ansprechbar für uns. Endlich konnten wir Menschen ihn sehen, ihm zuhören,
ihn berühren, unsere Geschichten mit ihm teilen. Denn unserem Gott ist nichts Menschliches
fremd.
In Jesus hat sich unser Go als ein mitfühlender, mitleidender Go offenbart, dem kein
Mensch egal ist. Und dies gerade nicht, indem er seine Allmacht demonstrierte. Sondern
indem er sich so vollkommen in uns hinein fühlte, dass er selbst Mensch wurde. Er lebte wie
wir, litt wie wir, starb wie wir. Und war dabei verloren und allein.
Wäre Jesus einfach ein besonderer Mensch gewesen, wäre das das Ende der Geschichte der
gewesen. Verloren und allein hätte er uns in der Welt zurückgelassen. Stadessen kam er
zurück. Rief die trauernde Maria aus ihrer Einsamkeit heraus. Besuchte seine verlassenen
Freunde. Versprach uns, immer bei uns zu sein, bis an der Welt Ende.
Wahre Liebe fragt nicht: „Was bringt mir das?“ Jesus fragte das nicht seine Jünger. Und selbst,
wenn er es getan hätte, wäre die Antwort unangenehm ausgefallen: Sein Lohn war die
Kreuzigung. Weil Gott lieber sterben würde, als damit aufzuhören, uns zu lieben und zu
vergeben. Gottes Liebe stellte die Welt auf den Kopf. Gott wurde Mensch. Menschen spielten
Gott, indem sie Gott töteten. Hass schien gesiegt zu haben. Einsamkeit schien gesiegt zu
haben. Bis Jesus auferstanden ist. Um die Trauernden zu trösten. Um uns allen zu versichern,
dass es nie wieder einen Tag auf dieser Welt gibt ohne Jesus in unserer Nähe. Love is in the
air!
Wahre Liebe fragt: „Wer bist du?“ Immer wieder. Liebe kennt nicht, Liebe erkennt.
Wahrscheinlich wissen wir deshalb so erstaunlich wenig von Jesus. Weil er vor allem
interessiert war an den Menschen, die zu ihm kamen. Statt interessant zu sein. Jesus fragte
und ließ die Menschen erzählen und hörte wirklich zu. Allen. Seinen Freunden, seinen
Feinden und den vielen Menschen, die ihm egal hätten sein können. Das ist vielleicht das
Schwierigste: Interesse an jemandem zu zeigen, der einem eigentlich ziemlich egal ist.

Hier in der Gemeinde kennen sich viele schon seit Jahren, teilweise seit Jahrzehnten. Oder
meinen, sich zu kennen. Hören wir einander wirklich zu? Oder schalten wir spätestens beim
3. Satz ab und denken „Ach, die schon wieder mit…“ „Jaja, die Geschichte muss jetzt
kommen…“ Liebe hört immer wieder neu zu und sucht nach Neuem im Alten. Wer weiß, was
dabei rauskommt? Vielleicht müssen manche Geschichten so o wiederholt werden, bis
endlich einer wirklich zugehört hat?
In unserer Gesellschaft wird so viel über eine Kultur der Sprachlosigkeit geklagt. Über
mangelnde Streitkultur. Jeder lebe in seiner eigenen Blase. Niemand mehr rede wirklich mit
dem Anderen. Wir können das beklagen. Oder wir fangen einfach an: im Kleinen, in unserer
Gemeinde.
Vielleicht haben Sie nachher beim Kirchencafé Lust, mal mit jemandem zu reden, der Sie in
letzter Zeit genervt hat oder den Sie mitunter langweilig finden oder von der Sie meinen,
schon alles zu wissen.
Und dann hören wir einander wirklich zu.
Mit liebenden Gottesohren.
Vorwarnung: es könnte überraschend wunderbar sein! Amen.