Pfingsten – das Fest des Kommens des Heiligen Geistes unter die Jünger Jesu – ist einer der der christlichen Hauptfeiertage. Doch irgendwie scheint dieser Feiertag selbst unter Christen nicht den gleichen Stellenwert zu haben als beispielsweise Weihnachten oder Ostern – da müssen Sie sich nur einmal hier und heute umschauen. Da ziehen wir nicht soviele Menschen an wie an anderen Feiertagen.

Vielleicht hat das etwas damit zu tun, dass Gottes Heiliger Geist doch irgendwie ein schwieriges Konzept ist. Wer oder was ist der Heilige Geist? Selbst die Bibel gibt uns da keine klare und eindeutige Antwort und bleibt vage. In der Taufe Jesu kommt der Geist Gottes WIE eine Taube auf ihn hinab. In der Pfingstgeschichte gibt es Wind und Feuer – doch der Geist bleibt eine recht abstrakte Gewalt und kann nur schwer definiert werden.

Wir mögen den Geist selbst nicht erfahren, doch was wir dann erleben, ist der Effekt, den der Heilige Geist hat, das, was der Heilige Geist bewirkt. In der Schöpfungsgeschichte haucht der Geist der Welt das Leben ein. Politische und militärische Führer im Alten Testament empfangen durch den Geist entweder übernatürliche Kräfte oder geniale militärische Strategien oder Beharrlichkeit. Propheten haben göttliche inspirierte Visionen. Maria, die Mutter Jesu, wird schwanger. Galiläer sprechen in den Sprachen aller Herren Länder von der Liebe Gottes, wie sie im Leben, Sterben und der Auferstehung Christi sichtbar wurde.

Der Apostel Paulus dann spricht von allen möglichen Geistesgaben: von Gastfreundschaft über Predigen, Lehren, die Zungenrede  bis hin zu milden Gaben für Hilfsbedürftige. Übrigens sind alle Geistesgaben gleich viel wert, da sie alle für das Zusammenleben in der Gemeinde nötig sind. Dies sind die Auswirkungen, durch die der Heilige Geist erfahrbar ist, wenn der Geist auch selbst vielleicht mysteriös bleibt. Aber all diese Auswirkunken sind dazu da, um eine Gemeinschaft in Jesus Christus – und darüber hinaus – zu schaffen.

In der wohlbekannten Pfingsterzählung aus der Apostelgeschichte geht es vorrangig darum, wie Gottes Heiliger Geist Gemeinschaft ins Leben ruft. Am Pfingsttag und auch danach, bringt der Geist Menschen zusammen: Menschen, die bisher durch Sprache, ethnischem Hintergrund, Geschlecht, soziale Normen und Klasse voneinander getrennt waren. Das faszinierende an der christlichen Urgemeinde ist, dass sie schnell alle Unterscheidungen und Klassifizierungen überwand – und das fing am Pfingsttag an. Durch Paulus und andere Missionare und Missionarinnen gab es bald christliche Gemeinden in allen Teilen des Römischen Reiches, vom Nahen Osten über Südeuropa bis nach Nordafrika – und darüber hinaus. Der Heilige Geist treibt Menschen aus ihrer Sicherheit und an recht abenteuerliche und vielleicht auch beunruhigenge Orte, an denen Liebe geübt wird und alle mit Respekt behandelt werden. Denn alle sind eins in Christus.

Am Anfang nahmen sich die Anhänger und Anhängerinnen Jesus sich sehr zu Herzen, was Jesus sie gelehrt hatte: Freund und Feind zu lieben und mit allen Menschen im Frieden des Herrn zu leben. Es hat seinen Grund, warum soviele Christen den Martyrertod starben, bevor das Christentum die offizielle Religion des Römischen Reiches wurde: Christen und Christinnen folgten dem gewaltlosen Beispiel ihres Herren, sogar bis in den Tod. Sie wehrten sich nicht gegen Gewalt.

Und doch war ihre Hingabe an friedliches Leben und den Gott des Friedens und der Liebe für jene Gewalten bedrohlich, die ihre Macht nur durch Unterdrückung zu halten wussten. Die berühmte ‘Pax Romana’, der ‘Römische Frieden’, war nur durch die brutale Unterdrückung all dessen und all derer, die römischen Ideen und römischer Herrschaft im Wege standen, möglich. Die Herrschaft Christi bedeutete – und bedeutet noch immer – eine neue Art der Herrschaft.

Und diese Herrschaft ist eine Auswirkung der – oft subtilen – Macht des Heiligen Geistes. Es ist eine Macht des Friedens, eines Macht, die Menschen zusammenbringt, die ein Ziel haben: das Reich Gottes. Der Heilige Geist hat die Macht, Gemeinschaften und die Welt zu verwandeln; nicht durch physiche Gewalt, sondern durch die Liebe.

Ich denke, es ist sehr interessant, sich die heutige Lesung aus dem Johannesevangelium in diesem Lichte zu betrachten. Hier spricht Jesus über den Tröster, den Geist der Wahrheit, der da nach seinem Tod und seiner Auferstehung den Jüngern beistehen wird. ‘Wahrheit’.

‘Was ist Wahrheit?’ Diese Frage stellt Pontius Pilatus dem Johannesevangelium zufolge, als er Jesus verhört. Und in einer Zeit der Partisanpolitik, der selektiven Berichterstattung, und dem Internet und weiterer Medien, die uns mit Information  – und Misinformationen – überschütten – in einer Welt, in der ‘alternative Fakten’ eine Entschuldigung dafür geworden sind, ganz offensichtliche Sachverhältnisse zu ignorieren und auf die eigene Meinung zu pochen, könnten wir dieselbe Frage stellen: was, um Gotttes willen, ist Wahrheit?

Nun ist Wahrheit ein wichtiges Konzept im Johannesevangelium. Hier spricht Jesus: “Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.” Doch wenn Jesus über den ‘Geist der Wahrheit’ spricht, dann meint er nicht Fakten oder Gesetze, Dogmen, die man jemanden entgegenschleudern kann nach dem Motto: dies ist die Wahrheit, und du glaubst besser daran! Wahrheit ist mit dem Leben und dem Wirken Jesu Christi verbunden; in jenem Geist sind wir berufen, einander und der Welt in Liebe zu dienen. Wahrheit trägt die Früchte der Liebe. Wahrheit wird an den Früchten der Liebe erkannt.

Das griechische Wort, das im Neuen Testament und vor allem bei Johannes verwendet für ‘Wahrheit’ verwendet wird, ‘Aletheia’, betont dies. ‘Aletheia’ bedeutet Wahrheit im Sinne von Wahrhaftigkeit, Authenzitität, Verlässlichkeit, und Aufrichtigkeit von Gednaken, Worten und Werken, kurzum: Integrität. Wahrheit muss gelebt werden – Wahrheit muss von uns gelebt werden – und wie alles, was gelebt wird, wie alles, was lebendig ist, so ist Wahrheit flexibel und im Fluss und braucht Raum zum Wachsen.

Wie wir die Wahrheit leben, mag so vielfältig sein wie die Geistesgaben, von denen Paulus spricht – doch ist das Herzstück der Wahrheit Jesus Christus, dessen Mission in dieser Welt es war und ist, das Reich Gottes des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit nahezubringen. Nun können Frieden, Liebe und Gerechtigkeit nur gedeihen, wenn wir in Gemeinschaft miteinander leben, wenn wir einander respektieren. Wenn wir einander lieben, auch, wenn diese Liebe manchmal schwierig ist.

Nun sind die Tage der frühen Christenheit lange vorbei. Wir haben nicht mehr diese Einheit, die damals in den Gemeinden herrschte, nicht einmal in der Kirche. Und wir leben in einer Welt, in der so einige Geister am Wirken sind: Geister, die zwar Menschen zusammenbringen – meist um ein gemeinsames Ziel herum oder zu einem bestimmten Zweck – doch dann immer in Opposition (und manchmal recht leidenschaftliche und gar gewaltsame) Opposition zu Menschen mit anderen Anschauungen und Werten. Dies sind nicht Geister, die Menschen in Liebe vereinen und Unterschiede überwinden, sondern Geister, die die Flammen der Furcht, der Ignoranz, der Verachtung und des Hasses schüren.

Wir sehen, wie diese Geister im Mittleren Osten wüten, und vor allem im Heiligen Land, und wie der Hass auch von aussen noch geschürt wird – wird es dort je Frieden geben?

Doch selbst in diesem Land herrschen die Geister der Zertrennung: wir sind uns nicht eins in vielen Dingen; Erneut kam es in dieser Woche zu einer sinnlosen Massenschiesserei in einer Schule. 10 Menschen, darunter 10 Schüler und Schülerinnen, starben, und unzӓhlige mehr wurden an Körper, Geist oder Seele verletzt. Dieses Land ist sich uneins darüber, ob unregulierter Waffengebrauch und –missbrauch wichtiger ist als das Leben seiner eigenen Kinder.

Aber auch über viele andere Dinge streiten wir uns auf abscheulichste Weise mit denen, die nicht unserer Meinung sind, und wir leben in einem Zustand der ständigen Empörung. Viele von uns, wenn nicht gar alle, haben etwas an jemandem oder an einer bestimmten Gruppe von Menschen auszusetzen, die wir als uniforme Masse von Gegnern empfinden. Im Extremfall werden solchen Menschen dann gar ihre Menschlichkeit abgesprochen.

Ja, um Himmels willen, geht es uns denn noch gut? Wir merken gar nicht, dass wir von Geistern besessen sind, die uns dazu verführen, dass wir natürlich recht haben, dass wir die Weisheit – und die Wahrheit – gepachtet haben. Und so werden wir unbeugsam und unfähig, in wahrer Gemeinschaft mit denen zu leben, deren Anschauungen sich nicht hundertprozentig mit den unseren decken.

Immer wieder hat es sich erwiesen, dass, selbst wenn Sie rechthaben und Fakten beweisen können, Sie es höchstwahrscheinlich nicht schaffen werden, jemanden, der vom Gegenteil überzeugt ist, auf Ihre Seite zu bringen. Das einzige, was jemanden eventuell dazu bringt, seine Meinung zu ändern, ist, eine Beziehung zu diesem Menschen aufzubauen. Wenn wir uns die Mühe machen, mit jemandem in Gespräch zu kommen, der oder die eine andere Meinung hat, und zwar mit Respekt; wenn wir die Idee überwinden, dass jemand irgendwie ‘anders’ ist oder gar ein Gegner, dann gibt es da eine Chance, die Kluft, die uns trennt, zu überwinden. Nicht, dass dies automatisch zu Verständnis und Überzeugung führt, aber es ist zumindest einen Versuch wert.

Wenn alle nur auf ihrem Standpunkt beharren und keine Kompromisse eingehen, dann wird jegliches Handeln sabotiert, und letztendlich leidet die Gemeinschaft – und vor allem jene, die sowieso schon am Rande der Gesellschaft stehen. Und wir entfernen un simmer mehr von der Art von Gemeinschaft, die Gott für uns und alle im Sinn hat, ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit für alle, eine Gesellschaft, in der die Würde des Menschen unantastbar ist.

Lassen Sie uns heute also für Gottes Heiligen Geist beten, und dass dieser Geist uns erfüllen möge; uns zwar nicht so, dass wir irgendwie in einem ekstatischen Erlebnis dieser Welt entrückt werden, sondern dass der Geist der Wahrheit über uns kommen möge und uns wahrhaftig, verlässlich, authentisch und aufrichtig in Wort und Tat macht. Lassen Sie uns dafür beten, dass die Wahrheit – Christus – in allem, was wir sagen und tun, erfahrbar wird. Und Christus, der die Wahrheit ist, kam, um un smit Gott und miteinander zu versöhnen. Christus kam, um die Zertrennung unter den Menschen zu überwinden. Christus kam, um sich für die Schwächsten einzusetzen. Christus kam, um bedingungslos zu lieben – und zu vergeben. Wir gehören diesem Christus an, dessen Geist am Pfingsttag eine Gemeinschaft schuf, wo es vorher keine gab, eine Gemeinschaft aus Menschen verschiedener Sprachen und Volksgruppen und Kulturen und Klassen, eine Gemeinschaft aus Männern und Frauen. Christi Geist hat auch heute noch die Macht, solch eine Gemeinschaft unter uns heute zu schaffen – wenn wir ihn nur lassen.

Es kann gut sein, dass wir Gottes Geist der Wahrheit, der die Früchte der Liebe trӓgt, heute mehr brauchen denn je. Und so lassen Sie uns beten: Ja, komm, Heiliger Geist.

Amen

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