‘Liebe’ ist eines der schönsten Worte in der Welt, Jede Kultur auf diesem Planeten kennt dieses Konzept, diese Zuneigung, diese Sache, die wir oft einfach nicht erklӓren können, dieses Gefühl, das alle Rationalitӓt zum Fenster hinauswirft – dieses Band, das wir zu anderen Menschen haben und das uns dazu bringt, Opfer für jemand anderes zu bringen.

Wenn wir das Wort ‘Liebe’ hören, so denken wir vielleicht zunӓchst an romantische Liebe. Doch hoffe ich, dass alle hier Liebe auch auf anderen Ebenen erfahren haben: die Liebe zu unseren Kindern, die Liebe zu unseren Eltern und Groβeltern, die Liebe zu unseren Freunden, vielleicht gar Liebe für das Land, aus dem wir stammen. Welche Art von Liebe es auch ist, sie verwandelt uns. Wenn wir lieben und geliebt werden, dann passiert etwas mit uns: wir sehen die Welt mit anderen Augen. Wir erkennen eine geliebte Person als unendlich wertvoll – und wir selbst fühlen uns vielleicht auch unendlich wertvoll, wenn wir uns geliebt fühlen.

Doch ist Liebe nicht immer so ganz einfach. Ich habe es schon einmal gesagt, und ich sage es erneut: Liebe ist nicht nur ein Nomen, ein Hauptwort, sondern gibt es da auch das Verb ‚lieben‘ – lieben ist ein Tuwort, wir tun es, uns was wir tun, erfordert normalerweise eine gewisse Anstrengung.

Meine Kinder sind jetzt 20 und 21 Jahre alt, doch erinnere ich mich an die Zeiten, als sie so klein wie T. waren, die wir hier heute taufen werden, oder auch so alt wir F., die grosse Schwester. Dieses waren besonders schöne Zeiten – es war so einfach, eine Beziehung zu den Kindern zu haben, und gerade auch eine physische Beziehung – all das Knuddeln und In-den-Arm-Nehmen war ganz natürlich. Da vermisse ich manchmal. Obwohl ich zugeben muss, dass es selbst damals für mich nicht immer einfach war, meine Kinder aus vollem Herzen zu lieben.

Aber als dann meine Kinder ihr Teenage Jahre erreichten – und vor allem meine Tochter – da gab es viele Momente, in denen es für mich eine Herausforderung war, meine Tochter zu lieben – und ich denke, es war auch eine Herausforderung für meine Tochter, mich zu lieben. Vielleicht war das bei Ihnen  ja anders; vielleicht waren ja Sie, liebe Damen, immer brav und fügsam, als Sie Teenager waren, und vielleicht hatten Sie ein ganz tolles Verhӓltnis zu Ihren Teenage Töchtern. Aber vielleicht ja auch nicht…

Ich erinnere mich an einen Moment, als meine Tochter einen recht typischen Teenager Moment hatte – sie meinte, dass sich die ganze Welt gegen sie verschworen hatte, sie weinte, und dann rief sie mit jener Leidenschaft, wie sie eigentlich nur Teenager oder auch Hollywood Schauspieler haben: ‘Niemand liebt mich!‘

Woraufhin ich sie in den Arm nahm und ich sagte: “Das stimmt nicht – Ich liebe dich!” Und sie entgegnete dann blitzschnell: „Das zӓhlt nicht, du bist meine Mutter – du musst mich lieben.“

Da musste ich zunӓchst doch erst einmal schlucken. Ich fühlte mich irgendwie schon gekrӓnkt – war meine mütterliche und irgendwie pflichtbewusste Liebe weniger wert als die Liebe als die Liebe von jemandem, der sie ihr freiwillig geben würde? Ich hatte schon nagende Selbstzweifel in dem Moment: ist meine Liebe zu meiner Tochter irgendwie unecht, weil sie eben stӓndiger Anstrengung bedarf und eben nicht immer einfach ist? Bin ich eine gute Mutter?

Aber seitdem habe ich hӓufig über diesen Moment nachgedacht und weiss heute, dass ich in eine Falle getappt war: die Falle, zu denken, dass es die wahre und reine Liebe gibt, die in unserer Kultur so oft idealisiert wird. Eine Liebe, die gar nicht anstrengend ist, eine Liebe, die einfach so kommt und bleibt – auf ewig. Eine Liebe, wie sie eben hӓufig in Werbungen und kitschigen Filmen dargestellt wird. Aber das ist ein Ideal, doch nicht die Wirklichkeit. Wie wir alle wissen, sieht die Wirklichkeit oft anders aus.

Mit den Kindern haben wir gerade ‘Gottes Liebe ist so wunderbar gross’ gesungen. Und wir wurden daran erinnert, dass Gott wie eine liebende Mutter und ein liebender Vater ist, und Gotttes Liebe zu uns und aller Kreatur kennt keine Grenzen.Und das ist wahr. Aber manchmal scheinen wir zu vergessen, dass auch für Gott die Liebe nicht immer einfach ist. Wir haben eben alle  so unsere Fehler, wir sind störrisch, wir weigern uns, auf Gott zu hören, und meinen, alles besser zu wissen. Wenn Sie die Bibel lesen, und gerade das Alte Testament, dann sehen Sie, wie die Geschichte zwischen Gott und Menschheit eine spannungsgeladene Geschichte war bzw. immer noch ist, eine konfliktreiche Geschichte. Gleichzeitig ist sie aber auch eine Geschichte der Sehnsucht, und zwar auf beiden Seiten – die Sehnsucht, zu lieben und geliebt und wertgeschӓtzt zu werden. Und diese Sehnsucht Gottes und die Sehnsucht der Menschen trifft sich im Kreuz.

Dies ist keine einfache Liebe. Sie erfordert das gröβte Opfer überhaupt. Und dennoch liebt Gott uns – vielleicht, weil er muss. Aber ist deshalb Gottes groβe, weite und tiefe Liebe weniger wert? Ist Gott deswegen ein schlechter Vater? Ich denke, nicht.

Die heutige Lesung aus dem Evangelium zeigt, dass Jesus weiss, dass die Liebe unter den Menschen nie einfach ist und sein wird. Hier hören wir, wie Jesus seinen Jüngern gebietet, einander zu lieben. Wenn Liebe so einfach wäre und uns auf ewig in den siebten Himmel verfrachtet, würde Jesus uns wohl kaum sagen, dass Liebe unsere Pflicht ist. In gewisser Weise sagt Jesus uns, dass wir einander lieben sollen – weil wir es müssen. Das machen wir halt als jene, die an Gott glauben und Christus nachfolgen – Christus, der die Liebe ist, die groβe, unendliche, wudnerbare, herausfordernde und manchmal schwierige Liebe.

Aber das ist, was unsere Liebe füreinander so kostbar und wertvoll macht: dass wir daran arbeiten und uns bemühen. Dass wir diese Liebe üben und praktizieren, und das heisst, unsere Mitmenschen mit den liebenden Augen Gottes zu sehen. Dass dies eine Liebe ist, die Differenzen, die wir haben – politsch, weltanschaulich, kulturell, sprachlich usw. – überbrückt. Dies ist eine Liebe, die starker ist als all das, was uns trennt. Dies ist kein oberflächliches Gefühl – dies ist die Liebe, die die Macht hat, uns und die Welt zu verwandeln.

Gleich wird die kleine T. hier getauft werden. Was hauptsächlich in ihrer Taufe passiert, ist, dass Gott ihr zuspricht: ‘Ich liebe dich, du bist mein, und ich werde dich nie im Stich lassen.’ T. wird von dieser groβen, weiten und tiefen Liebe Gottes umfangen werden, in guten und nicht so guten Tagen.

Doch wird sie auch in die groβe, weite und tiefe Gemeinschaft der Gläubigen getauft werden, den Leib Christi. Dieses Kind wird uns allen anvertraut, so dass wir es lieben und wertschätzen mögen. Dies ist das Gebot, das wir bekommen. Dies ist unsere Pficht, dies ist, was wir tun müssen.

Und ich hoffe, dass wir als Kirche dieses Gebot ernstnehmen. Ich hoffe und bete, dass T. uns als Menschen erleben wird, die sie lieben, in guten und nicht so guten Tagen, und dass spürt, dass sie unendlich viel wert ist – so, wie jeder Mensch. Und ich hoffe, dass Gottes Liebe und unsere Liebe sie in eine Person verwandeln wird, die die Liebe tagtäglich übt und tut. Denn so wird sie eine von vielen, die das Angesicht dieser Erde verwandeln und die Welt einen Blick auf das Reich Gottes erhaschen lassen.

Denn dies geschieht, wenn wir Jesu Gebot, einander zu lieben, folgen: das Reich Gottes ist mitten unter uns.