Es gibt Momente, in denen wir ganz bewusst die Luft anhalten. Wenn wir tauchen, z.B. Dann halten wir die Luft an, weil es uns gesagt wird, z.B. beim Röntgen oder bei einer Computertomographie.

 

Aber dann halten wir machnmal auch ganz unbewusst die Luft an – mir geht das manchmal so bei einem spannenden Film. Da ist die Spannung einfach so gross, dass ich das Atmen einfach vergesse. Aber dann halten wir häufig auch unwillkürlich die Luft an wenn wir sehen, wie sich eine schlimme Situation entwickelt – oh nein, das darf doch nicht wahr sein! – oder wir selber dabei sind, in eine dumme Situation zu greaten; wir verpassen eine Stufe und wissen ganz genau, dass der Fall unvermeidlich ist. Wir halten die Luft an. Das scheint eine ganz natürliche Reaktion unseres Körpers zu sein, wenn wir in einer spannungsgeladenen oder auch stressigen Situation sind.

 

Nun passieren da noch mehr Dinge, wenn wir die Luft anhalten, ob gewollt oder unwillkürlich: unser Blutdruck steigt, unsere Muskeln spannen sich an, und wir sind auf ‘Fight oder Flight’ eingestellt, Kampf oder Flucht. Es mag nicht besonders intuitive erscheinen, doch scheint es, als sei womöglich das Anhelten des Atems in stressigen Situation ein Lebensretter. Denn unser gesamter Körper ist in einer solchen Situation ganz auf die drohende Gefahr eingestellt und vergeudet dabei keine weitere Energie.

 

Doch irgendwann beginnen wir natürlich wieder, zu atmen. Und insgesamt ist gute Atmung auch wichtig, wie Ihnen eine Yoga Lehrerin oder ein Gesangslehrer erzählen wird.

 

Ich möchte Sie jetzt dazu einladen, einmal tief Luft zu holen, ganz bewuβt. Wie fühlt sich das an? Das ist schon ein gutes Gefühl, nicht wahr, die Luft so richtig in unseren Lungen zu spüren, in unserem Körper – so schön erfrischend.

 

Nun schenken wir unsrer Atmung normalerweise ja nicht soviel Achtung. Das machen wir halt, atmen, ein und aus, aus und ein. Vom Moment unserer Geburt bis zum Moment unseres Todes nehmen wir einen Atemzug nach dem anderen, ungefähr 673 Millionen Atemzüge während einer Lebensspanne. Ist das nicht erstaunlich? Unser Körper, diese so wunderbar erschaffene Maschine, weiss ganz genau, was zu tun ist, selbst im Schlaf. Ich denke nicht darüber nach, ich vergesse häufig, dass ich am atmen bin – bis mir dann das Atmen aus irgendeinem Grunde schwerfällt oder gar unterbrochen wird. Atmen ist Leben.

 

Ich bin mir sicher, dass fast alle hier schon einmal in einer Situation waren, in der sie um den Atmen ringen mussten – sei es aufgrund einer Allergie oder Asthma, sei es durch Rauch, sei es aufgrund einer gefährlichen Situation im Wasser oder weil man sich verschluckt. Das ist ein ganz beängstigendes , manchmal gar panisches Gefühl, wenn einem die Luft wegbleibt – denn man weiss, dass es um Leben oder Tod geht. Atmen ist Leben.

 

Ganz am Anfang, als Gott Adam erschuf, war dieser Mensch nichts weiter als ein lebloser Erdenkloβ – bis Gott ihm den Lebensodem einhauchte. Atem ist Leben.

 

Doch dann bedeutet Leben soviel mehr, als lediglich zu atmen und zu trinken und zu essen und sich fortzupflanzen. Ja, Gott gibt dem ersten Menschen den Atem, aber auch viel mehr: das hebräische Wort für Atem ist ‘Ruach’; aber dann auch Wind, Hauch, und Geist. Gott haucht Adam nicht nur Atem ein, sondern auch Gottes Geist. Und so wie der Körper den Atem braucht, braucht die Seele den Geist, der dem Leben erst so richtig Sinn gibt. Durch den Geist haben wir eine Beziehung zu Gott, zum Nächsten und zu aller Kreatur.

 

Also könnten wir vielleicht sagen, dass wir nicht nur ohne Atem dem Ersticken nahe sind, sondern auch ohne den Geist Gottes – zumindest im übertragenen Sinne. Ohne den Geist Gottes wirklich tief in uns aufzunehmen, sind wir zumeist recht gestresst, genervt, und orientierungslos.

 

Dazu müssen wir uns nur einmal das heutige Evangelium ansehen – und, nein, heute möchte ich einmal nicht über den ungläubigen Thomas reden, sondern über die anderen zehn Jünger. Die Geschichte beginnt am Ostertag, am Tag der Auferstehung. Maria Magdalena kommt vom leeren Grab und erzählt den Jüngern ganz aufgeregt, dass sie den auferstandenen Christus gesehen hat. Er ist auferstanden! Glaubt mir und freut euch!

 

Aber was machen die Jünger? Sie schliessen sich im Haus ein, weil sie immer noch Angst haben. Sie wollen um Himmels willen keine Aufmerksamkeit erregen, nicht so kurz nach der Kreuzigung Jesu. Christus ist auferstanden, doch sind die Jünger voller Furcht, geistlos, leblos, begraben in ihrer Trauer und ihrer Angst, von Mauern eingeschlossen, die schützen, aber gleichzeitig auch ausschliessen. Ich würde mal sagen, dass die Jünger ganz schön unter Stress stehen. Ich kann mir vorstellen, dass sie um jeden Atemzug ringen, nun, da Jesus nicht mehr bei ihnen ist. Sie sind panisch: was machen wir denn jetzt? Wir stecken hier in Jerusalem fest, fern von der Heimat, jeder weiss, was mit Jesus passiert ist, und die Autoritäten sind wahrscheinlich auch hinter uns her. Jesus hat uns hierhergeführt, aber er kann uns aus diesem Schlamassel nicht heraushelfen.

 

Wie geht es weiter? Mit Jesus ist auch unsere Berufung, unsere Bestimmung gestorben. Unser Leben ist vorbei. So denken zumindest die Jünger.

 

Doch die verschlossenen Türen sind kein Problem für Jesus. Jesus bricht zu den Jüngern durch, in ihre Grabhöhle, in ihre Angst, in ihre Panik. Und seine ersten Worte sind: Friede sei mit euch. Nun ist das hebräische Wort für Frieden ‘Schalom’. Und so, wie ‘Ruach’ nicht nur eine Bedeutung hat, so ist auch Schalom vieldeutig: Schalom ist nicht nur Frieden, sondern auch Heilung und Heil. Jesus sagt zu den Jüngern: werdet wieder heil. Friede sei mit euch.

 

Dann zeigt er ihnen seine Wunden, und ‘da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen’. Doch spürt Jesus wohl, dass die Jünger noch nicht hundertprozentig überzeugt sind, denn er spricht erneut: Friede, Schalom, sei mit euch! Es ist nötig, dass ihr wiederhergestellt und heil seid, denn: wie der Vater mich gesandt hat, so sende ich euch.

 

Und so, wie Gott am Anfang den Atem in Adam blies und ihn zum Leben erweckte, so bläst Christus seinen Atem in die Jünger und erweckt sie erneut zum Leben. Christus erweckt die Jünger zum Leben, die unter Trauer und Enttäuschung und Verzweiflung und Furcht begraben sind. Sein Geist bringt sie aus der Verstarrung in das Leben zurück. Die Jünger können wieder atmen, befreit leben und die Arbeit fortführen, die Jesus begonnen hat.

 

Die frohe Botschaft der Ostern ist, dass Jesus Christus den Tod besiegt hat. Seinen eigenen Tod, aber dann auch den Tod aller Kreatur. Ihren Tod. Meinen Tod. Christus hat auch all die Dinge und Empfindungen überwunden, die wir mit dem Tod verbinden: Angst. Absolute Dnkelheit. Absolute Stille. Die Trennung von denen, die wir lieben. Die Trennung von Gott. Das Gefühl, verlassen zu sein.

 

Ich glaube fest daran, dass wir nicht auf das, was wir den Himmel nennen, warten müssen, um die Erneuerung des Lebens zu erfahren, welche Christus uns verspricht, nein: das neue Leben beginnt schon hier und jetzt. Christus kam zu den Jüngern zu einem Zeitpunkt, an dem wie tot waren, ausgelaugt, verzagt, atemlos, alles andere als begeistert, und gibt ihnen einen neuen, gewissen Geist. Christus bereitete sie dadurch auf ein neues Leben vor, ein Leben der Berufung, ein Leben, das sie Gott und dem Nächsten zugute leben sollten. Und so kommt Christus noch zu uns heute – er durchdringt jegliche Mauer, die wir um uns herum aufbauen, durch unsere Furcht, unsere Verzweiflung, unser Leiden hindurch – all das, was uns zu ersticken droht -in unsere Herzen und hilft uns dabei, Atem zu schöpfen und erneuert ins Leben zu gehen.

 

Das heutige Evangelium erinnert uns daran, wie wichtig es ist, ab und zu ganz tief Atem zu holen – und auch den Geist einzusaugen, den Gott uns gibt – so dass Gottes Frieden und Heil, Gottes Schalom, uns umfangen kann und uns neue Kraft und neuen Mut gibt.

 

Vielleicht geschieht dies ja an einem Tag mit einer steifen Brise an der See. Vielleicht geschieht dies in Ihrem stillen Kämmerlein, wenn Sie ganz bewuβt ein- und ausatmen. Vielleicht geschiet dies, wenn Sie einen tiefen Atemzug holen, bevor Sie zu einem Loblied anstimmen – oder einem Klagelied.

 

Doch wenn es passiert – saugen Sie ihn ein, diesen Hauch, diesen Wind, diesen Geist Gottes, und lassen Sie es zu, dass er Sie erfrischt und erneuert. DIese Welt, und die Kirche Gottes, brauchen diesen erneuernden Geist Gottes jeden Tag, um die Herausforderungen, denen wir begegnen, zu bewältigen. Wir brauchen diesen Atem, diesen Geist Gottes, um uns darauf zu konzentrieren, was von uns erwartet wird: dass wir Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig vor unserem Gott sind. Dies ist das Herzstück der Osterzeit: ein neues Leben aus Gott und in Gott.

 

Mögen Gottes Friede und Gottes lebensspendender Geist immer mit Ihnen sein.