Predigt zu Johannes 2,13-25; Dritter Sonntag in der Passionszeit – 8. Mӓrz 2015

Jesus cleanses temple

Wie viele von Ihnen wissen, mӧchte Kinder Haus, das deutschsprachige Kindergartenprogramm, das unten im Gemeindesaal unter der Woche passiert, einige Umbauten vornehmen. Zum einen kӧnnten so mehr Kinder in das Programm aufgenommen werden; zum anderen wӓre der Raum dann einfach besser als Kindergarten geeignet. Nun bin ich Idealistin, und ich denke: zwei weitere Toiletten, eine davon behindertengerecht – neue energiesparende Lichter im Gemeindesaal, ist doch prima!  Alles wird aufgerӓumter und sauberer aussehen.  Wer würde das nicht wollen?

Aber je mehr ich in den Planungssitzungen mit Kinder Haus teilnahm, desto mehr wurde ich mir bewuβt, daβ das alles nicht so einfach und unkompliziert ist, wie es scheint. Schlieβlich ist dieses Gebӓude ein historisches Gebӓude, immerhin schon 108 Jahre alt, und Bauvorschriften waren im frühen 20. Jahrhundert halt nicht so streng wie heute. Und eine der Sorgen, die einige hier haben, und ganz zurecht, ist, daβ, wenn erst einmal die Arbeit am Saal unten beginnt, eine ganze Reihe von Dingen gefunden werden, die erneuert oder modernisiert werden müssen. Daβ viele der Dinge, die ja ganz gut über die letzten 108 Jahre funktioniert haben, nun Aufmerksamkeit erfordern.  Warum lassen wir das nicht lieber in Ruhe?  Irgendwie ging es doch immer, vielleicht nicht perfekt, aber immerhin.  Schlafende Hunde soll man nicht wecken. Es geht doch.

Und übrigens haben wir ganz ӓhnliche Sorgen, wenn es um eine Art Lift geht, der den Zugang zu diesem Gottesdienstraum für viele einfacher machen würde. Was, wenn wir neben dem Lift dann noch mehr am Gebӓude verӓndern müβten, um es behindertengerecht zu machen? Warum lassen wir das nicht lieber in Ruhe? Es geht doch.

Nun hat diese Einstellung – es geht doch – die Tendenz zu funktionieren; aber nur für eine gewisse Zeit. Hӓufig rӓcht es sich, wenn wir etwas zu lange schleifen lassen.  Jeder, der frühe Warnzeichen einer Krankheit nicht ernstgenommen hat, oder Wartung oder Reparaturen an Auto oder Haus vernachlӓssigt hat, wird da wohl ein Lied drüber singen kӧnnen.  Irgendwann geht es dann eben nicht mehr, und wohl oder übel müssen wir uns dann um das Problem kümmern, das nun natürlich auch grӧβer geworden ist. Verdrӓngung zahlt sich hӓufig nicht aus.

Und natürlich gilt dies nicht nur für materielle Dinge, wie Gebӓude oder Autos. Wir kӧnnten dasselbe über den Zustand unserer Gesellschaft sagen, und den Zustand der Umwelt, Gottes guter Schӧpfung. In diesem Land haben wir es mit Armut zu tun, mit Sucht, mit Rassenungerechtigkeit, mit Profitgier und der Ausbeutung derer, die eh schon benachteiligt sind. Wenn wir versuchen, über diese Dinge hinwegzusehen – es geht doch – müssen wir natürlich damit rechnen, daβ die, die leiden, auf die Straβe gehen, lauthals nach Gerechtigkeit verlangen, und womӧglich auch gewalttӓtig werden. Und das haben wir ja auch in der Geschichte in zahllosen Revolutionen gesehen. Hӓufig rӓcht es sich, wenn wir etwas zu lange schleifen lassen.

Und denken Sie nur an den Zustand der Umwelt, von Gott so wunderbar geschaffen. Klimawandel ist eine Realitӓt, und in diesem Lande haben wir derzeit mit den Konsequenzen zu kӓmpfen – mit einem extreme hartem Winter im Osten und Teilen des Südens, die sonst nie Schnee und Eis haben. Und hier haben wir natürlich mit einer andauernden Dürre zu kӓmpfen. Wir leben immer noch, als seien natürliche Resourcen unbeschrӓnkt verfügbar; wir verschwenden und verschmutzen. Derzeit mӧgen wir noch denken, weshalb sollte ich meine Gewohnheiten ӓndern, es geht doch. Doch irgendwann werden wir uns wohl oder übel mit den Konsequenzen befassen müssen, und hoffentlich ist es dann noch nicht zu spӓt. Wir beginnen schon, zu spüren, wie sich unsere Vernachlӓssigung der Natur rӓcht.

In zwei Jahren wird die Evangelisch-Lutherische Kirche das 500jӓhrige Jubilӓum der Reformation feiern, die mit der Verӧffentlichung der 95 Thesen began. Luther versuchte seinerzeit, Miβstӓnde in seiner geliebten Kirche, der katholischen Kirche, zu berichtigen – Miβstӓnde, die die Kirche in Rom über Jahrhunderte schleifen lieβ. Und dies waren Miβstӓnde wie der Miβbrauch von Macht in der kirchlichen Hierarchie, und falsche Lehren über und Miβbrauch von Ablӓssen. Viele versuchten Luther damals zu überzeugen, daβ er lieber die Finger davon lassen sollte, diese Dinge anzurühren. Es geht doch!  Doch waren Unzufriedenheit gegen die Miβbrӓuche in Kirche und Gesellschaft über Jahrhunderte gewachsen, viele hatten einfach die Nase voll, und so war die Bewegung Luthers etwas, das sich wie ein Lauffeuer ausbreitete – und natürlich führte dies zur Reformation, und der Gründung neuer, protestantischer Kirchen.

Vor ein paar Wochen war Dr. Margot Kӓβmann, ehemalige Ratsvorsitzende der EKD und derzeitige Botschafterin für das Reformationsjubilӓum, zu Besuch in der Bay Area. Natürlich rührte sie die Werbetrommel für das Jubilӓum, und dabei betonte sie immer wieder, daβ dieses Jubilӓum nicht nur mit dem Blick auf eine glorreiche Vergangenheit geschieht, sondern auch mit Blick auf den Zustand von Gesellschaft und Kirche heute. Wo brauchen wir eine Reformation, wo brauchen wir Reform, heute? Und das greift sie nicht aus einem luftleeren Raum, nein, Martin Luther selbst sagte schon vor 500 Jahren, daβ die Kirche sich in einem Zustand der andauernden Reformation befindet, da Gottes Geist in und durch die Kirche immer in Bewegung ist. Welches also sind die Dinge, die sich heute oder in der nahen Zukunft eventuell rӓchen, wenn wir sie schleifen lassen, und um die wir uns besser heute in konstruktiver Weise kümmern? Welches sind Angelegenheiten, die wir besser in Ordnung bringen, obwohl es doch auch recht oder schlecht ohne solche Verbesserungen geht?

Wenn wir uns das heutige Evangelium anschauen, dann wird uns vielleicht etwas ungemütlich zumute. Denn hier begegnen wir einem Jesus, der nicht mild und süβ ist, sondern in Rage, als er den Tempel reinigt. Jesus ist frustriert, verӓrgert, und er gebraucht Gewalt, nicht nur, in dem er Tische umstӧβt, sondern auch, indem er mit der Peitsche hinter den Hӓndlern und Geldwechslern hinterher ist. Laut dem Johannesevangelium ist dies die allererste Handlung Jesu in Jerusalem, ganz am Anfang seiner Mission. Dies ist der erste Eindruck, den Jesus macht. Stellen Sie sich einmal vor, ich hӓtte hier kurz nach meiner Ankunft als Pastorin der Matthӓusgemeinde solch einen ersten Eindruck hinterlassen – nicht undedingt, indem ich hier z.B. den Gottesdienstraum zerstӧre, sondern, indem ich alles das in Frage stellte, was Ihnen lieb und wichtig an dieser Gemeinde ist. Ich wӓre wahrscheinlich ganz schnell wieder rausgeschmissen worden, richtig? Und so sollte es uns nicht überaschen, daβ Jesus sich von Anfang an Feinde unter den jüdischen Gemeindeleitern machte. Wieso machst Du all dies, Jesus von Nazareth?  Wer denkst du, daβ du bist?

Jesus hat natürlich seine Gründe, warum er so handelt.  Er will etwas in Ordnung bringen, er will den Tempel erneut zu einem Gotteshaus machen, anstatt eines Markplatzes. Die Tempelautoritӓten denken wahrscheinlich nicht, daβ etwas in Ordnung gebracht werden müsse. Schlieβlich ist der Tempel der Ort, an dem, laut dem altehrwürdigen mosaischen Gesetz, Gott Opfer dargebracht werden. Zum Passah Fest reisen viele Juden von nah und weit an, um die Opfer zu bringen, die von den heiligen Schriften vorgeschrieben sind. Man kann nicht erwarten, daβ die Schafe, die Ziegen, die Turteltauben über Tage oder Wochen auf einer beschwerlichen Reise mitgeschleppt werden; also ist es gut, daβ diese Opfertiere im Tempelhof verkauft werden. Darüber hinaus sind auch Geldwechsler vonnӧten, um alle Fremdwӓhrungen in die Landeswӓhrung umzutauschen. Hier haben wir ganz einfache ӧkonomische Notwendigkeiten.

Doch Jesus denkt nicht an ӧkonomische Notwendigkeiten, ihm geht es um das Reich Gottes und die Reformation, die nӧtig ist, um es zu verwirklichen. Ich denke mir, daβ es sich mit den Opfern zu Zeiten Jesu ӓhnlich verhielt wie mit den Ablӓssen zu Zeiten Luthers – daβ sie zu einem sinnentleerten Ritual geworden waren, in dem der Akt des Opfers Reue und ein gesamtes Leben den Geboten Gottes gemӓβ ersetzte. Wenn die Münze im Kasten klingt, die Seele von Fegefeuer in den Himmel springt. Wenn die Ziege geopfert ist, du von Sünden vergeben bist. Die Reformation, die Jesus erstrebt, hat mit Beziehungen zu tun, die aus dem tiefsten Herzen kommen – die Beziehung der Menschen zu Gott, und die Beziehung der Menschen zum Nӓchsten. Religion wird leicht sinn- und herzlos, wenn die Bewahrung des Rituals im Mittelpunkt steht, doch das Gebot der Gottes- und Nӓchstenliebe vernachlӓssigt wird.

Wir sind von Gott dazu berufen, unsere Augen nicht davor zu verschlieβen, was verbessert werden kann und muβ – gerade dann, wenn es doch irgendwie recht oder schlecht zu gehen scheint. Wir dürfen unsere Augen nicht vor all der Gebrochenheit verschlieβen, die wir erfahren – Gebrochenheit in uns, Gebrochenheit in der Beziehung zu Gott, Gebrochenheit in der Beziehung zu anderen, und zur Schӧpfung – und Gott weiβ, es gibt so viel Gebrochenheit in uns und um uns herum. Und wir sind dazu aufgerufen, ganz in der Tradition der Reformation auch weiterhin selbst Reformatoren zu sein. Wir kӧnnen und sollen nicht nur auf das Reich Gottes, das da kommen soll, tatenlos warten – nein, wir sind berufen, aktiv in diese Vision hinein zu leben, und das Reich Gottes, im Groβen und im Kleinen, tagtӓglich irgendwie zu einer Realitӓt zu machen.

Jesus Christus ist nicht in unsere Welt gekommen, um uns in unserem Lebenswandel zu bestӓtigen – nach dem Motto, Kinder, macht nur weiter so, es steht ja nicht so schlimm um euch und diese Welt.  Nein, das heutige Evangelium betont, daβ Christus in die Welt kam, um sie auf den Kopf zu stellen und auf einen neuen Kurs zu bringen. Es gibt viel zu viele Dinge, die eben nicht in Ordnung sind – und Christus kam, diese ein für allemal recht zu machen. Dies ist das Herzstück der Evangelien, der guten Botschaft Gottes, und am Kreuz sehen wir die Vollendung dieser Botschaft. Jesus Christus kam, um unsere gestӧrte Beziehung zu Gott und dem Nӓchsten und mit uns selber in Ordnung zu bringen. Und dies ist eine gute Nachricht, dies ist frohe Botschaft für uns. Daβ Christus das annimmt, was gestӧrt und nicht in Ordnung ist, und es heil macht; auch wenn wir manchmal denken, daβ es auch so irgendwie geht.

Und, ja, natürlich ist dies ein herausforderndes Konzept, sogar ein unbequemes Konzept; daβ Christus kam, um uns zu ӓndern und auf neue Wege zu führen – daβ Christus kam, um diese Welt zu ӓndern, und uns dazu benutzt, diese Verӓnderung zu bewirken. Aber dann müssen wir natürlich auch zugeben, daβ das Konzept des Kreuzes sehr unbequem ist.  In dieser Passionszeit sind wir erneut dazu aufgerufen, Reue zu zeigen, Buβe zu tun, und unsere Wege zu überdenken. Und unser Blick auf das Kreuz hilft uns dabei, uns daran zu erinnern, worum es bei unserem Leben geht: eben um die Beziehung zu Gott und zum Nӓchsten. Um Liebe und Vergebung und Teilen und Gerechtigkeit für alle. Wir mӧgen zwar denken, daβ es ja nicht so schlimm steht um uns und unsere Welt – doch müssen wir doch alle zugeben, daβ Dinge soviel besser sein kӧnnten. Daβ Gott will, daβ Dinge soviel besser seien, daβ wir und die Welt heil seien. Gott hat uns seine Vision gegeben – die Vision einer Welt, in der Feindschaft und Kriege zu einem Ende kommen, eine Welt, in der es keine Trauer, keine Trӓnen, keinen Tod mehr geben wird, eine Welt, in der das Lamm neben dem Lӧwen liegt.  Nach dieser Welt strebt Gott. Nach dieser Welt streben wir.  In diese Welt leben wir aktiv hinein, jetzt in der Passionszeit, und an jedem neuen Tag. Amen