Wieder einmal hat die Passionszeit begonnen, eine Zeit, die doch recht merkwürdig ist so ganz gegen das, was in unserer Kultur wichtig ist: Erfolg, Stӓrke, Macht. Dies ist die Zeit, in der wir als Glӓubige unserer Sterblichkeit gedenken, unserer Sünde – und was ist Sünde anderes als unsere Selbstsucht, die dann unser Tun uns Lassen bestimmt? Dies ist die Zeit, in der wir des Leidens und Sterbens Christi gedenken. Und hӓufig wird die Passionszeit als eine Reise durch die Wildnis oder die Wüste bezeichnet – Situationen, die eben wüst sind, Trockenphasen, beӓngstigende, schwere und vielleicht gar unertrӓgliche Zeiten in unserem Leben als Individuen oder als Gesellschaft.

Letzte Woche wurden wir wieder daran erinnert, daβ wir in wüsten Zeiten und an einem wüsten Ort leben. Am letzten Mittwoch war Aschermittwoch – und dies ist ein Tag, an dem wir als Christen und Christinnen über unsere Sterblichkeit und Endlichkeit nachdenken. Viele lieβen sich mit dem Aschenkreuz bezeichnen.

Am letzten Mittwoch betrat auch wieder einmal ein junger weiβer Mann eine Schule mit einer Waffe und genug Munition, um hunderte zu töten – diesmal war eine eine High School in Parkland, Florida. Am Ende tötete dieser junge Mann 17 Menschen und verletzte viele weitere.

Da gab es ein Bild in den Medien, das die Runde machte. Es zeigt mehrere Eltern, wie sie vor der Schule angespannt warten. Ein Vater ist auf seinem Mobiltelefon – vielleicht versucht er, mit seinem Kind zu kommunizieren. Mehrere Frauen weinen und halten einander fest. Aber das gibt es eine Sache in diesem Bild, das den Blick fast magisch auf sich zieht. Im Mittelpunkt dieses Bildes ist das Kreuz: das Aschenkreuz auf der Stirn einer der Frauen.

Und dieses Bild haute mich einfach um. Das ӓscherne Kreuz, das diese Frau auf ihrer Stirn trӓgt, ist auf einmal soviel mehr als lediglich ein abstraktes Symbol – hier geht’s um was Echtes und Wahrhaftiges. Dieses ӓscherne Kreuz schreit geradezu heraus, daβ es da grausame Realitӓten in unserem Leben gibt – daβ Sünde und und Gewalt und Macht und Habgier und Selbstsucht – und die Akzeptanz all dieser Dinge – diese Welt bestimmen. Dieses ӓscherne Kreuz zeugt hautnah davon, daβ der Tod eine brutale Wirklichkeit ist. Gedenke, daβ du Staub bist und wieder zum Staub zurückkehrst. Und wir leben in einer Gesellschaft, in der viele – zuviele – lange vor ihrer Zeit wieder zum Staub zurückkehren, in der viele einen sinnlosen und gewaltsamen Tod sterben. Und zwar sind das in diesem Land um ein Vielfaches mehr als in anderen westlichen Lӓndern.

Wahrlich, wir leben in wüsten Zeiten und an einem wüsten Ort. Und irgendwie müssen wir da durch, irgendwie müssen wir unsere Reise fortsetzen. Aber: wir haben die Wahl, wie wir das angehen.

Im Evangelium des heutigen Tages erfahren wir etwas über die Ereignisse, die ganz am Anfang Jesu Wirksamkeit stehen: da ist zum einen die Taufe Jesu, in der Gott ihn als seinen Sohn proklamiert und in der Jesus Gottes Heiliger Geist verliehen wird. Und derselbe Heilige Geist treibt Jesus dann sofort hinaus in die Wüste, wo er 40 Tage lang von Satan versucht wird. Nun gibt uns Markus keine Details, wie das denn nun genau geschieht – da sind die anderen Evangelien doch etwas  ausführlicher und dramatischer. Doch ich denke, daβ wir uns auch ohne diese Details vorstellen können, daβ dies keine einfache Zeit für Jesus ist: es ist eine lange und  schwere Zeit, eine beӓngstigende Zeit, eine einsame Zeit ohne die Unterstützung und den Schutz der Gemeinschaft.

Wie einfach es doch für Jesus wӓre, einfach aufzugeben. Wie einfach es für ihn wӓre, unter dem Motto ‘Augen zu und durch’ einfach um sein Überleben zu kӓmpfen. Wie einfach es für ihn wӓre, nach allem zu greifen, was irgendwie Linderung bringt. Wie einfach es für Jesus wӓre, auf Satan zu hören und seinen Verprechen Glauben zu schenken, was auch immer diese Versprechen sind. Wie einfach es für Jesus wӓre, Gott zu verleugnen, aber auch seinen Auftrag: das Reich Gottes, das nahegekommen ist, zu verkünden, Kranke zu heilen, Gefangene zu befreien, den Armen frohe Botschaft zu bringen, und das Leben in aller Fülle und das ewige Leben für alle zu eröffnen. Wie einfach es für Jesus wӓre, den einfachen Ausweg zu wӓhlen anstatt um aller Keatur willen zu leben – und zu sterben.

Doch Jesus weiβ, daβ dies nicht der Weg ist, der ihm bestimmt ist. Und so kӓmpft er da drauβen in der Wüste, er kӓmpft gegen die Versuchung an, und verliert Gottes Willen nicht aus den Augen. Und so wird die Wüste zum Paradies, zum Garten Eden – ich weiβ nicht, ob es Ihnen aufgefallen ist, bei Markus geht ja alles ruckzuck, aber Jesus ist von wilden Tieren umgeben, und die Engel dienen ihm – und das ist so, wie es ganz am Anfang war, als das Verhӓltnis zwischen Gott und Mensch noch in Ordnung war. Hier in der Wüste sehen wir, wie dieses Verhӓltnis wieder hergestellt ist. In der Wüste kommt das Reich Gottes nahe herbei. Tut Buβe und glaubt an das Evangelium.

Wir haben die Wahl, wie wir die Reise durch die wüsten Zeiten und an den wüsten Orten, in und an denen wir uns befinden, angehen – die Reise durch all jene Situationen, die schwer, beӓngstigend und einsam sind, Situationen, in denen wir uns verletzlich und bedroht fühlen. Natürlich können wir einfach aufgeben, wenn alles zu schwer erscheint. Wir können um das nackte Überleben kӓmpfen. Wir können einfach verleugnen, daβ wir uns in wüsten Umstӓnden befinden – solange es uns nicht direkt betrifft, warum sollte ich mir darum einen Kopf machen? Oder wir können einen Elfenbeinturm aus unserem Glauben machen, in dem wir irgendwie von den Geschehnissen dieser Welt entrückt sind.

Wir könnten einfach den Mӓchten dieser Welt, die uns in Versuchung führen, lauschen und ihren Versprechen glauben schenken: z.B., daβ es Gottes Wille ist, daβ sich jeder selbst am Schopfe aus dem Sumpf zieht. Daβ Geld uns glücklich macht. Daβ nur ein guter Typ mit einer Waffe einen schlechten Typen mit einer Waffe stoppen kann und wir darum mehr Waffen brauchen. Daβ Waffenkontrolle sowieso nichts bewirken würde. Daβ das Recht, Waffen zu haben, das Recht unserer Kinder und Enkel, zu leben und zu gedeihen, übertrumpft. Daβ es gar Gottes mysteriöser Wille und Gottes mysteriöser Plan ist, daβ Menschen grausame und sinnlose Tode sterben. Daβ das beste und das einzige, das wir tun können, ist, für Opfer von Gewalt zu beten und ihrer zu gedenken.

Daβ wir uns irgendwie in dem Chaos der Wüsten in unserem Leben und unserer Gesellschaft selbst erlösen können, sei es durch Wohlstand, Macht, Fortschritt, oder noch mehr Gewalt.

Kommt Ihnen dieses biblisch vor?

Gott spricht in unseren heiligen Schriften immer wieder ein entschiedenes ‚Nein‘ zu solchen verführerischen Gedanken. Der Gott, den wir in der Bibel finden, der Gott, der uns in Jesus Christus begegnet, ist ein Gott des Lebens, ein Gott, der der gegen die Mӓchte des Bösen und des Todes protestiert. Gott weiβ, daβ wir uns nicht selbst erlösen können, egal, wie sehr wir es versuchen. Schauen Sie sich doch einmal die Welt an und wie es um uns als die Menschheit steht. Da gibt es immer mehr Fortschritt – und geichzeitig werden wir rückstӓndiger. Wir entdecken jeden Tag mehr, wie wir Krankheiten besiegen und das Leben verlӓngern können – und sind gleichzeitig das zerstörerischte Geschöpf auf Erden.

Wir haben also die Wahl, uns auf unserer Reise durch die Wüste nur um uns selbst zu kümmern und zu versuchen, uns selbst zu erlösen; oder wir können uns daran erinnern, daβ Gott uns dazu berufen hat, Gottes Volk, Gottes Kinder hier auf Erden zu sein, die Gott, den Nӓchsten, die Schöfung und das Leben selbst mit Leidenschaft lieben. Wr sind dazu berufen, der Leib Christi in unseren Zeiten zu sein und auch als solcher zu handeln: zu heilen, zu vergeben, die Gefangenen zu befreien, die gute Nachricht vom Reich Gottes, das nahegekommen ist, in Wort und Tat zu verkündigen, und dies vor allem den Armen und Verletzlichen. Wir haben die Wahl, unser Leben Gott und unseren Nӓchsten zu widmen, anstelle nur für uns selbst zu leben. Wir haben die Wahl, gegen die Mӓchte, die das Leben verachten, und die Versuchungen, die uns weismachen wollen, daβ das Leben nun einmal so ist, anzukӓmpfen.

Natürlich sind wir nicht Christus. Natürlich wird es uns nicht immer gelingen, ein wahrlich selbstloses Leben zu führen und allen Versuchungen zu widerstehen. Natürlich sind unsere Beweggründe für unser Handeln nicht immer so selbstlos, wie wir es gerne darstellen. Schlieβlich sind wir alle nur Menschen. Doch wenn wir durch die Wüste mit offenen Augen, Ohren und Herzen ziehen – wenn wir Gottes guten Kampf gegen alle Mӓchte unterstützen, die gegen das Leben sind – wenn wir gerecht handeln, Liebe üben und demütig vor unserem Gott sind – wenn wir glauben, hoffen und vor allem lieben – dann, dann wird auch unter uns die Wüste hier und da zum Paradies: zu einem Ort, an dem alle Kreatur Gerechtigkeit und Frieden erfӓhrt, zu einer Welt, in der Gott und Mensch und Mensch und Mensch, eine Welt, in der das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist und in der alle Kreatur durch die Liebe und Gnade Gottes erlöst werden. Dies ist die groβe Vision Gottes, dies ist die Hoffnung, der wir entgegenleben.

Noch ein abschlieβender Gedanke: wir reisen durch die Wüste und tragen dabei das Kreuz. Vielleicht nicht so sichtbar wie am Aschmittwoch, als die schwarze Asche uns ganz deutlich zeichnete, doch ist uns das Kreuz doch auf die Stirn geschrieben – denn dies geschah, als wir am Tag unserer Taufe und auch vielleicht bei anderen Gelegenheiten mit dem unsichtbaren Kreuz bezeichnet wurden, dem Bundeszeichen zwischen Gott und Mensch. Wir tragen das Kreuz: ein Denkmal daran, daβ wir inmitten der brutalen Realitӓt von unsagbarem Leid und Tod stehen, doch ist es auch ein Symbol für Hoffnung und Widerstand gegen die Mӓchte des Bösen und des Todes. Das Kreuz befindet sich im Mittelpunkt aller Wüsten unseres Lebens, und es vergewissert uns, daβ der Tod nicht das letzte Wort haben wird – daβ der Tod nicht Gottes Wille ist. Und wo das Kreuz ist, da ist auch Christus, der uns begleitet.

Gott gebe uns die Kraft und die Gnade, Leben zu beschützen und zu bewahren, und , ja, leidenschaftlich für das Leben zu kӓmpfen. Gott gebe uns den Mut, uns gegen alle Mӓchte, die Tod und Zerstörung bringen, aufzubegehren. Möge Gott uns den Mut geben, das Reich Gottes, das nahegekommen ist, in Wort und Tat zu verkündigen – in allen wüsten Zeiten und an allen wüsten Orten, in und an denen wir uns finden.

 

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