Wie viele unter Ihnen wissen, bin ich gerade erst von einer Reise nach Deutschland zurueckgekehrt. Das war zum Teil Urlaub, aber dann verbrachte ich auch eine Woche auf Einladung der Evanglischen Kirche in Deutschland in Wittenberg bei der Weltaustellung zum Reformationsjubilӓum, um über die Gemeindearbeit der Matthӓuskirche zu referieren. Und es war schon eine tolle Sache! Da waren wirklich Menschen aus aller Welt, ich schloβ neue Freundschaften, und es war so schön, zu sehen, wie sehr sich die Idee der Gnade und der Vergebung für alle weit über die Grenzen einer Kleinstadt im Herzen Deutschlands in alle Welt verbreitet hatte.

 

Nun hatte die Reformation Auswirkungen auf alle möglichen Lebensbereiche: Soziologie, Wirtschaft, Musik, Erziehung und Spiritualitӓt. Doch für uns als Christinnen und Christen ist die Entdeckung Martin Luthers, daβ es in unserem Leben als Nachfolgende Chrsti nicht um unsere Verdienste geht, sondern um Gottes Gnade, die allen frei angeboten wird, das Herzstück der Reformation. Als Menschen sind wir dafür anfӓllig, Fehler zu machen – doch Gott vergibt uns und umfӓngt uns trotz allem. Ich weiss nicht, wie es Ihnen damit geht, aber ich finde diesen Gedanken unheimlich befreiend.

 

Doch was bedeutet Gnade eigentlich so richtig? Wie sieht das konkret aus?

 

Lassen Sie mich dazu etwas ausholen. Als ich in Wittenberg und an anderen Stӓtten der Reformation war, die sich auf dem Gebiet der ehemaligen DDR befinden, dachte ich darüber nach, wie wunderbar es doch ist, daβ Deutschland nun wiedervereint ist und alle Deutschen frei denken, reden und reisen können. Das war ja nun nicht immer so.

 

Mehrere Male überquerte ich die vormals deutsch-deutsche Grenze, die es heute nicht mehr gibt, und mir erschien es immer noch wie ein Wunder, daβ man heute frei reisen kann, wo vor noch nicht allzu langer Zeit eine fast undurchdringliche Grenze war.

 

Doch obwohl es heute theoretisch keine Unterschiede zwischen den Deutschen mehr gibt, ist doch die Erinnerung an die zwei deutschen Staaten noch lebendig. Man kann vielleicht auch sagen, daβ die Wiedervereinigung heute immer noch anhӓlt, obwohl die Mauer bereits vor fast 30 Jahren fiel. Es ist nicht ganz einfach gewesen, Deutschland wieder zusammenzubringen – und, ob Sie’s glauben oder nicht, das hat z.T. auch mit der Akzeptanz von Gnade zu tun.

 

Lassen Sie uns dazu in das Jahr 1989 zurückgehen. Die Grenze, die Deutschland mehr als 40 Jahre geteilt hatte, bröckelte, die Mauer fiel. Vielleicht erinnern Sie sich noch an die Bilder, die damals über die Medien ausgestrahlt wurden. Menschen feierten, Fremde umarmten sich. David Hasselhoff sang ‚I’ve been looking for freedom‘ von der Berliner Mauer herunter. Menschen freuten sich, tanzten und tranken. Deutschland war im Freudentaumel.

 

Doch dann setzte die Realitӓt ein; was als sanfte Revolution von untern begonnen hatte, muβte nun formalisiert, organisiert und regiert werden. Und das war doch schwieriger als erwartet. Die Bewohner der DDR hatten die Ostmark, die natürlich nicht so stark wie die D-Mark war. Eine der ersten Reformen war die Einführung der D-Mark in den neuen östlichen Bundeslӓndern. Die neuen Bundesbürger konnten einen Groβteil ihres Geldes zu einem 1:1 Wechselkurs eintauschen. Nun war es aber so, daβ es, so wie auch in vielen anderen sozialistischen Lӓndern, mehr als 40 Jahre lang wenig zu kaufen gab. Menschen verdienten ihr Geld, aber konnten es nicht ausgeben. Selbst auf die Autos, die es zu kaufen gab, muβten Menschen manchmal jahrelang warten.

 

Und was macht man mit Geld, das man nicht ausgeben kann? Es geht auf die Bank. Und so hatten viele DDR Bürger und Bürgerinnen ganz ordentliche Ersparnisse auf ihren Konten. Und somit hatten sie nun nach der Wende nicht nur ein schönes D-Mark Kapital, sondern sie konnten es auch ausgeben – für West Autos, neu natürlich, und andere Luxusgüter, z.B.

 

Und es ging ein Schrei der Empörung durch den Westen Deutschlands: das ist nicht fair! Ich habe 40 Jahre lang hart für mein Geld gearbeitet, und ich habe mir nie ein neues Auto leisten können. Und nun bekommen die Ostdeutschen, die nicht in die Rentenkasse eingezahlt und zu unserem Bruttosozialprodukt beigetragen haben, das gleiche, was wir bekommen – denen geht’s besser als uns! Natürlich verschwiegen jene Deutschen es, daβ sie 40 Jahre lang das hatten, was ihren Brüdern und Schwestern im Osten fehlte: Freiheit.

 

Ich denke mir das alles nicht aus, ich komme aus einer Arbeiterfamilie im Westen, da gab’s viel Neid und Gemeckere. 

 

Der Freudentaumel endete mit einem rüden Erwachen. Die Mauer aus Beton war gefallen, doch neue Mauern wurden in den Köpfen und den Herzen der Menschen errichtet. Da gab es soviel Neid und Miβgunst und Bitterkeit anstelle des Gefühls von Danbarkeit und Groβzügigkeit. Und es ging nur darum, wer was verdient. So lӓuft’s in der Welt, richtig? Es geht um Fairness und Gerechtigkeit, und jeder bekommt, was er verdient. So definieren wir Gerechtigkeit, und wenn wir nicht bekommen, was wir denken das wir verdient haben, werden wir bitter und gnatschig. 

 

Die Menschen in Ninive sollen das bekommen, was sie verdienen – so denkt jedenfalls Jona. Diese Menschen haben versagt, sie sind so übel, daβ Gott sie ausrotten will. Jona bekommt die undankbare Aufgabe, dies den Menschen von Ninive zu verkünden. Ich denke, die moisten unter uns erinnern uns an die Geschichte aus dem Kindergottesdienst, wie Jona erst nicht gehen will und versucht, vor Gott wegzurennen, auf ein Schiff geht, dann aber über Bord geworfen wird, als ein Sturm braust, dann wird er von einem riesigen Fisch verschlungen, bereut seinen Ungehorsam gegenüber Gott, wird nach drei Tagen auspespuckt, und geht dann doch nach Ninive. Jona hat also viel durchgestanden. Und dann passiert das erstaunliche: die Menschen von Ninive bereuen ihre Wege, als Jona ihnen Gottes Strafe ankündigt. Sie kehren um. Und Gott Gott das Übel, das er ihnen angekündigt hatte, und tat’s nicht, so lessen wir. Anscheinend geht es bei Gott nicht um das, was jemand verdient. Gottes Sinn der Gerechtigkeit ist nicht das, was wir als fair bezeichnen würde. Gott hat andere Maβstäbe.

 

Jona ist sauer. Warum hat er alles durchgemacht, wenn Gott dann doch nicht das macht, was Gott gesagt hat? Jona ist so in seiner eigenen kleinen Welt gefangen, und in seinem Stolz, daβ er denkt, daβ es wichtiger ist, daβ er sein Gesicht nicht verliert, als daβ eine ganze groβe Stadt mit allem Leben darin gerettet wird. Und Jona vergiβt dabei auch geflissentlich, daβ Gott auch ihm Gnade erwiesen hatte, als er im Bauch des Fisches war.

 

Und können wir uns nicht alle zu einem gewissen Punkt mit Jona identifizieren? Kennen wir nicht alle das Gefühl, unfair behandelt zu warden? Kennen wir nicht alle das Gefühl, daβ wir nicht das bekommen, was wir verdienen, und auf der anderen Seite bekommen andere mehr, als das sie verdienen?

 

Die Letzten warden die Ersten, und die Ersten warden die Letzten sein. Wunderschöne Worte, doch wenn Sie genauer darüber nachdenken, so stellen diese Worte Jesu unsere Weltsicht, unser Verständnis von Gerechtigkeit auf den Kopf. Dann das heiβt, daβ es sehr wohl jene gibt, die, unserer Meinung nach, mehr bekommen, als sie verdienen, und wir, die wir so lange versucht haben, gute Christen zu sein und zur Kirche zu gehen, nicht das bekommen, was uns zusteht. Den Preis für das ‘Kirchenmitglied des Monats’ z.B. Die Versicherung, daβ wir doch soviel besser sin dals andere Menschen. Einen besonderen Platz am Tisch im Gottesreich.

 

Nein. Jesus betont im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg, daβ letzlich alle dasselbe bekommen, egal, wie engagiert und pflichtbewuβt, egal, wie talentiert, egal, wie alt, egal, wir lange wir schon glauben. Das Geschenk ist für alle dasselbe, das, was Gott uns verheiβen, versprochen hat: Gnade und Vegebung, und ein Friedensreich, zu dem alle eingeladen sind. Was also, wenn jemand ‘mehr’ Vergebung bekommt als wir, weil sie sie vielleicht viel mehr brauchen, aber vielleicht nicht verdienen? Freuen wir uns daran? Oder warden wir darüber gnatschig, so wie die, die früh zur Arbeit im Weinberg erschienen sind, oder wie Jona, oder wie einige Westdeutsche nach der Wiedervereinigung?

 

Sehen wir unseren Gottesdienst in dieser Welt als eine Pfilcht an, etwas, für das wir am Ende vergütet warden sollten, oder al sein Geschenk, das uns Erfüllung und Sinn und das Gefühl von Frieden auf Erden gibt?

 

Der Neutestamentler Robert Smith bringt es auf den Punkt. Er sagt: “Es ist einfach eine Tatsache, daβ Menschen regelmäβig Gottes eigenartige Gnade als etwas verstehen und schätzen, solange sie sie selbst betrifft,  aber sie fürchten undsich über sie ärgern, wenn sie auf andere angewendet wird.”

 

Doch Gnade ist nicht nur individuelle Gnade. Es geht nicht nur um Ihre oder meine persönliche Errettung. Wenn Sie die Bibel durchlesen, und wenn Sie die Lehren Martin Luthers studieren, dann warden Sie feststellen, daβ es immer um eine universal Gnade geht, die für alle gilt. Und, ja, diese Gnade wird manchen mehr zuteilen, als sie, so wie wir meinen, verdienen.

 

Aber, wie Luther auch feststellt: am Ende verdient niemand Gottes Gnade. Wir alle sind auf Gottes Vergebung und Barmherzigkeit angewiesen. Wir sind halt alle nur Menschen. Darum sollten wir uns freuen, wenn unsere Schwester oder unser Bruder ebenfalls durch diese Gnade errettet wird. Dafür starb Chritus und erstand Christus von den Toten. Das Endziel ist schlieβlich das Reich Gottes, in dem all emit Gott und  miteinander versöhnt sind. Ein Reich des Friedens. Ein Ort, an dem sich alle in einem ewigen Freudentaumel befinden. Wir können nicht dahin gelangen, wenn wir Neid und Miβgunst in unseren Herzen tragen.