Ich lese gerade ein faszinierendes Buch: ‘Eine kurze Geschichte der Menschheit’, geschrieben von Yuval Noah Harari, einem Historiker aus Israel.

Harari hat eine Methode, Geschichte zu betrachten, die mich schon überrascht hat. Das Kapitel, das sich mit der Entwicklung der Landwirtschaft beschäftigt, betitelt er ‘Der gröβte Betrug der Geschichte’. Häh?

Nun denke ich, dass viele, wenn nicht sogar alle von uns, irgendwann einmal gelernt haben, dass die Landwirtschaft, die menschliche Gesellschaften vor ca. 10.000 Jahren zu verändern began, eine tolle Sache ist. Menschen muβten nun nicht mehr mühsam jagen und sammeln, sie waren nicht mehr von den Launen der Natur abhängig, sondern konnten nun sesshaft werden, reichlich ernten und einfach eines der domestizierten Tiere schlachten, wenn Fleisch gebraucht wurde.

Vereinfacht gesagt führte Landwirtschaft zu Bevölkerungswachstum, die Gründung gröβerer Ortschaften und später auch von Städten, zur Entwicklung der Schrift, wirtschaftlicher Strukturen, Politik, und all dem, was wir ‘Kultur’ nennen. Wir Menschen wären nicht dieselben, die wir heute sind, wenn es nicht einigen userer Vorfahren in den Sinn gekommen wäre, etwas von der wilden Saat, die die sammelten, aufzubewahren und ganz geplant auszusäen.

Wir haben gelernt, dass dies ein Geniestreich war. Und dass die ‘Zähmung’ oder Domestizierung von Weizen im fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens die menschliche Geschichte zum Besseren verändert hat. Mit der Landwirtschaft began der Fortschritt.

Nun behauptet Harari aber, dass nicht die Menschheit den Weizen ‘gezähmt’ hat, sondern umgekehrt: der Weizen hat den Menschen gezähmt, domestiziert. Wir denken, dass wir die Kontrolle haben – doch die Landwirtschaft – und Wirtschaft im weiteren Sinne – hat von jeher unser Leben kontrolliert und bestimmt unser Leben auch heute noch.

Wie kommt Harari dazu, dies zu behaupten? Er argumentiert, dass, solange Menschen Jäger und Sammler waren, sie eigentlich ein ganz gutes Leben hatten. Sie lebten in kleinen, aber starken Familienverbänden; sie waren gelenkig, fit und gesund. Sie waren flexibel – sie hatten gelernt, dass gewisse Nahrungsquellen nicht immer verfügbar waren, und suchten nach Alternativen, oft an anderen Orten. Sie waren extrem anpassbar.

Jäger und Sammler wussten bereits, wie man Nahrung durch Trocknen haltbar macht und somit durch magere Jahreszeiten kommt. Sie jagten und sammelten, bis es genug war – und hatten dann Zeit, sich auszuruhen und sich anderen Dingen zu widmen. Sie erzählten Geschichten um das Lagerfeuer herum, schufen die erste Kunst, komponierten Lieder und beteten die Gottheiten an, die sie um sich herum erfuhren.

Menschen jener Periode starben selten an Hunger, doch recht häufig an Gewalt – da wurden Menschen von Tieren angefallen oder gerissen, oder kriegerische Banden brachten sich gegenseitig um. Archäologische Funde zeigen, dass Jäger und Sammler durchaus 70 Jahre alt werden konnten.

Die menschliche Bevölkerung wurde durch die begrenzte Menge an Nahrung im Schach gehalten. Auch wurden aufgrund der doch recht unsteten Lebensweise der frühen Menschen nicht soviele Kinder geboren wie in späteren Jahren. Harari nennt dies das Zeitalter von ‘Genug’.

Dies änderte sich dramatisch mit der Entwicklung der Landwirtschaft. Auf einmal gab es mehr Nahrung – und ‘mehr’ führte zu mehr: mehr Geburten, mehr Mäulern, die gestopft werden mussten – und dies wiederum führte dazu, dass mehr Nahrung produziert werden musste.

Menschen arbeiteten viel härter als zu Jäger-und-Sammler Zeiten: fast das ganze Jahr über mussten die Felder bearbeitet werden. Menschen begannen, ihr Brot im Schweiβe ihres Angesichts zu essen, wie die Bibel es so schön ausdrückt.

Nun war aber die Landwirtschaft durchaus keine Garantie dafür, dass es ständig genug Nahrung gab: die Ernte konnte durch Überflutungen, Dürre, Ungeziefer oder auch kriegerische Banden zerstört werden. Solch eine Katastrophe führte dann zu Hungersnöten, die ganze Massen betrafen und auch viele Todesopfer forderten.

Es hat schon seinen Grund, warum frühe landwitschaftliche Gesellschaften die Götter um Beistand für eine gute Ernte baten – und auch nach jeder Ernte den Göttern dankten, häufig durch Opfergaben.

Wir sind Sklaven des Kreislaufes von ‘Mehr’ geworden. Viele sind heute in dem gefangen, was hier als ‘Rat Race’ bezeichnet wird: ein Rattenrennen, der ewige Wettbewerb im Überlebenskampf. Und deshalb nennt Harari die Entwicklung der Landwirtschaft als den ‘gröβten Betrug der Geschichte’. Wir als Menschheit sind um eine einfachere und auch gerechtere Lebensweise betrogen worden.

Nun kann über diese Ansicht durchaus diskutiert werden. Aber ich denke, Harari ist doch einem Phänomen auf der Spur, das uns als Menschheit bereits seit Jahrtausenden geplagt hat: das ständig wachsende Bedürfnis – und Verlangen – nach ‘Mehr’.

Mit der Entwicklung der Landwirtschaft und den wirtschaftlichen Systemen, die folgten, war das Zeitalter von ‘Genug’ vorbei. Das Zeitalter von ‘Mehr’ began. Und wir spüren immer noch die Konsequenzen des Zeitalters, in dem mehr und mehr verlangt wird: viele Tierarten sind ausgestorben, sei es durch direkten oder indirekten menschlichen Einfluss. Böden, die einst fruchtbar waren, sind ausgelaugt und unbrauchbar. Düngemittel, Insektizide und Unkrautvertilger vergiften unser Wasser – und alles, was darinnen ist. Der exzessive Gebrauch von fossilen Brennstoffen hat dazu beigetragen, dass sich dieser Planet wahnsinnig schnell erwärmt. Ja, dieser Planet hat schon mehrere Erwärmungen hinter sich – doch fanden diese über zehntausende von Jahren statt, also allmählich, und nicht über Jahrzehnte.

Und es sieht so aus, als seien wir als menschliche Rasse so der Wirtschaft und dem Wachstum versklavt, dass wir einfach nicht damit aufhören können, mehr und mehr zu brauchen und zu wollen. Wir nennen das ‘Fortschritt’ – doch schreiten wir immer mehr der Auslöschung von Leben aller Art entgegen. Wir sind versucht, zu denken, dass wir nie genug haben werden – und dies führt zum Gegenteil von Leben, und besonders Leben in aller Fülle, wir Gott es dereinst erschuf; ein Leben in aller Fülle, wie Gott es sich für alle Menschheit erträumt.

Der Prophet Jesaja, der vor ungefährt 2800 Jahren lebte, hatte darüber bereits etwas zu sagen. Es gab schon damals die Reichen, die, die mehr hatten und immer mehr anhäuften auf Kosten der Armen. Es gab damals schon die, die ihren Brüdern und Schwestern das Leben in aller Fülle verweigerten. Und so mahnt der Prophet: ‘Wenn du den Hungrigen dein Herz finden lässt und den Elenden sättigst, dann wird dein Licht in der Finsternis aufgehen, und dein Dunkel wird sein wie der Mittag…Und du wirst sein wie ein bewässerter Garten und wie eine Wasserquelle, der es nie an Wasser fehlt.”

Gott will, dass alle das Leben in aller Fülle haben – doch klappt das nur, wenn die, die mehr haben, erkennen, dass sie genug haben und mit denen in Not teilen.

Auch der Apostel Paulus warnt gegen Geiz. Gottes Segen, so Paulus, ist auf denen, die zufrieden sind – denen, die wissen, dass sie genug haben und so frei mit denen teilen können, die weniger haben. Das Bewuβtsein, dass ich alles habe, was ich brauche, ist an sich schon ein Segen. Denn ich muss nicht nach dem nächsten Ding lechzen, besessen von dem Gedanken, dass ich irgendwie zu kurz komme und etwas in meinem Leben fehlt. Besorgt darum, dass ich irgendwie mit meinen Freunden, Verwandten und Nachbarn nicht mithalten kann.

Im heutigen Evangelium benutzt Jesus das Beispiel der Lilien des Feldes und der Vögel unter dem Himmel dafür, um uns zu zeigen, dass Gott da ist und sich um uns kümmert und uns mit allem versorgt, was wir brauchen. Es gibt genug.

Sorgt euch nicht, sagt Jesus. Und diese Sorge, von der Jesus spricht, ist eine selbstsüchtige Sorge, die Sorge um meine Bedürfnisse, mein Verlangen, die Sorge, dass ich irgendwie nicht genug habe. Und diese Sorge um mich selbst lenkt mich davon ab, nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zu streben.

Und was wissen wir vom Reich Gottes? Wann immer die Propheten oder Jesus über das Reich Gottes reden, dann hören wir von einer Party, einem Festessen, zu dem alle eingeladen sind und in dem es mehr als genug für alle gibt. Ein Reich, in dem es kein Leiden und keinen Schmerz mehr gibt – ein Reich, in dem Gott und das ewige Leben in aller Fülle regieren.

Und dies ist nicht nur eine Vision für das Jenseits: Jesus sagt an anderer Stelle, dass das Reich Gottes schon jetzt unter uns wächst, wie ein Senfkorn. Leben in aller Fülle – für alle Kreatur – ist etwas, nach dem wir schon hier und jetzt streben sollen. Und dies bedeutet auch, dass wir erkennen müssen, das wir genug haben. Genug ist genug! Dankbar für das zu sein, was uns gegeben ist. Und mit denen, die Not leiden, zu teilen.

Dann sind wir gesegnet. Dann sind wir wie eine Wasserquelle, die nie versiegt und alles Leben um uns herum erfrischt. Dann werden wir ein Teil des Reiches Gottes und seiner Gerechtigkeit.