Ich weiβ nicht, wie es Ihnen geht, doch fühle ich mich gerade dieses Jahr zu Weihnachten etwas bedrückt. Und, ach, wie sehr würde ich an diesem heiligen Abend vorgeben, daβ die Welt in Ordnung ist. Und wie gerne würde ich mich und meine Lieben wie durch Zauberei in eine dieser lieblichen Landschaften versetzen, die wir so hӓufig auf Weihnachtskarten finden: in einen friedlichen Stall, der unter Palmen steht, die sich sachte im warmen Wind bewegen. Oder in ein gemütliches Haus, das inmitten einer weiβen Winterpracht steht, aus dessen Fenstern warmes Licht scheint und aus dessen Schornstein lustiger Rauch steigt. Wie wundervoll es wӓre, wenn wir den oft recht dunklen Realitӓten dieser Welt einfach entfliehen kӧnnten, und wenn auch nur für eine heilige Nacht.
Aber da gibt es keine Ausflucht, und wir kӧnnen nicht vorgeben, daβ die Welt in Ordnung ist. Diese Welt ist eben kein ruhiger, friedlicher, gemütlicher Ort. Erst in der vergangenen Woche wurden wir an diese Tatsache erinnert, als Besucher eines Weihnachtsmarktes in Berlin Opfer eines gewaltsamen Anschlages wurden. Das traf uns Deutsche besonders hart. Und dieser Anschlag war nur einer in einer Reihe unzӓhliger sinnloser Gewalttaten in der Welt im vergangenen Jahr, die von Ignoranz und Haβ motiviert waren.
Dies ist nicht die Welt, in der wir leben und unsere Kinder groβziehen wollen. Dies ist nicht die Welt, wie Gott sie sich vorstellt. Eine Welt, in der Unschuldige leiden und sterben und Ignoranz, Habsucht und Haβ oft das letzte Wort zu haben scheinen. Eine Welt, in der wir trauern. Eine Welt, in der wir uns fürchten. Eine Welt, in der es doch manchmal recht schwer zu seins scheint, Weihnachten mit ungezügelter Freude zu feiern.
Doch auch wenn diese heilige Nacht keine Nacht ist, vorzugeben, daβ Friede und Wohlgefallen unter uns herrschen; auch wenn dies keine Nacht der Flucht in eine Utopie ist, so passiert doch in dieser Nacht etwas besonderes: Ein Kind wird geboren. Ein Kind ist uns gegeben. Und wer mal eine Geburt miterlebt hat, oder auch nur ein frischgeborenes Kind gesehen hat, weiβ, welch ein Wunder dies ist. Das Wunder der Geburt. Das Wunder des Lebens. Menschen, und alle lebendigen Geschӧpfe, haben hartnӓckig neues Leben in diese Welt gesetz, selbst unter den schrecklichsten Umstӓnden. Und solange es neues Leben gibt, gibt es Hoffnung; eine Hoffnung, die uns durch alle schweren Umstӓnde trӓgt.
Nun mӧgen so einige Weihnachtskarten oder Bilderbücher uns vorgaukeln, daβ die Geburt Jesu eine friedliche und vielleicht gar romantische Affӓre war – aber das war sie keineswegs. Jesus Christus wurde in einer Behelfsunterkunft geboren, mehr oder weniger auf der Straβe, unter Fremden. Er wurde in eine Umwelt geboren, die unter der politischen Unterdrückung einer Besatzungsmacht litt. Er wurde in eine Gesellschaft geboren, die sich nach dem Kommen eines Messias sehnte, der sein Volk befreien und Frieden geben würde. Gott wird in die dunklen Realitӓten dieser Welt geboren.
Und diese Realitӓten ӓndern sich nicht auf magische Weise, als Jesus dann geboren wird. Die Rӧmer haben immer noch das Sagen im Lande. Es gibt immer noch arm und reich. Menschliches Leiden und menschliche Mühsal hӧren nicht einfach auf. Jesus wird schlieβlich auch leiden und am Kreuz sterben müssen. Die Welt hat noch einen weiten Weg vor sich, bevor Frieden und Wohlgefallen realisiert werden. Unsere Bedrücktheit, die wir vielleicht wӓhrend der heiligen Nacht empfinden, zeigt uns, daβ wir uns nach etwas sehnen, daβ da etwas fehlt in unserem Leben und in unserer Welt. Wir müssen uns immer noch mit dem, was eben nicht in Ordnung ist, entweder in unserem Leben oder dieser Welt, auseinandersetzen. Wir erleben diese Welt immer noch als einen unvollommenen und hӓufig auch dunklen Ort.
Aber vielleicht ist es ja das Sehnen nach etwas besserem, das wir an diesem Tag empfinden, das Herzstück des Weihnachtswunders. Im Kind in der Krippe sehen wir Gottes Sehnsucht nach einer Verbindung mit der Menschheit, die Sehnsucht nach Versӧhnung. Und unter der Oberflӓche unserer Feier der Weihnacht gibt es da auch die Sehnsucht nach einer besseren Welt, in der die Menschen gerechter, mitfühlender, liebevoller, friedvoller sind. Wo die Sehnsucht ist, da wissen wir, daβ es die Mӧglichkeit auf etwas besseres gibt. Und das führt zur Hoffnung. Und wo es Hoffnung gibt, da scheint das Licht in der Finsternis, das denen den Weg weist, die im Finstern wandeln.
Und all unsere Sehnsucht und Hoffnung wird Fleisch im Kind in der Krippe. Und so kӧnnen wir uns freuen – trotz allem.
Bischof Heinrich Bedford-Strohm der Vorsitzende des Rates des EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, der übrigens erst im September die Bay Area und die Matthӓusgemeinde besuchte, brachte seine Hoffnung nach dem Anschlag in Berlin in einer eindrucksvollen Rede zum Ausdruck. Nachdem er den Opfern und ihren Angehӧrigen sein Beileid aussprach, sagte er: “Ich sage es in aller Klarheit: Wir werden uns unsere Kultur der Mitmenschlichkeit und der Zuversicht nicht zerstören lassen. Wir werden nicht zulassen, dass sich in unserem Land eine Atmosphäre der Angst, des Hasses und des Misstrauen ausbreitet. Diesen Triumph werden wir den Gewalttӓtern nicht gӧnnen. In diesen Tagen hӧren wir vielleicht besonders genau auf die Weihnachtsbotschaft. Die Weihnachtsbotschaft erzӓhlt von einem Kind in der Krippe, das als erwachsener Mann, Jesus von Nazareth, den Tod als Gewaltopfer am Kreuz stirbt – und wieder auferweckt wird. Die Gewalt hat nicht das letzte Wort. Das Leben siegt. Und deswegen werden wir in diesen Tagen in unseren Kirchen die Weihnachtslieder mit groβer Kraft singen, mit besonderer, vielleicht auch mit trotziger Kraft singen. Wir werden nicht zulassen, daβ uns die Zuvericht verlorengeht. Denn wir wissen, daβ das Licht in der Dunkelheit scheint, und am Ende das Licht bleiben wird.”
Es gibt Hoffnung. Es gibt Liebe. Es gibt Frieden. Es gibt Freude. Sie alle leuchten in der Dunkelheit und vertreiben sie. Mӧgen diese Geschenke der Weihnachten uns nie genommen werden. Und mӧge dieses Licht Gottes durch uns in diese Welt hinausleuchten, da wir die frohe Bothschaft von Frieden und Wohlgefallen unter allen Menschen in Wort und Tat in die Welt hinaustragen. Amen