Ansprache zu Ps 98; Mt 21, 14-17 ; Trinitatis / Sonntag der Musik – 22. Mai 2016

Organ-St-Matts

 

Gnade sei mit euch und Frieden von unserem dreieinigen Gott, Vater, Sohn, und heiliger Geist. Amen

‘Wo man singt, da laß dich ruhig nieder – böse Menschen haben keine Lieder’ – wer kennt dieses alte Sprichwort nicht? Und dieses Sprichwort ist mir besonders ans Herz gewachsen, da diese Worte unter den letzten waren, die Julius Beisel zu mir sagte, wenige Tage bevor er starb. Da war bis zum Schluss diese besondere Lebensfreude, und die Dankbarkeit für die Musik im Leben dieses Mannes.

Nun mögen wir uns darüber streiten, ob wirklich nur gute Menschen singen. Doch denke ich, daß wir es hier doch mit einer fundamentalen Wahrheit zu tun haben: am Gesang und an der Musik ist schon etwas besonderes dran. Seit Menschengedenken haben Menschen durch Musik und Tanz ihre Lebensfreude und ihren Lebenswillen ausgedrückt. Auch heute noch haben wir an etwas besonderem teil, wenn wir zusammenkommen, um unsere Stimmen zu erheben, unsere Instrumente zu spielen, oder vielleicht nur den Takt mitzuklatschen – wir werden Teil von etwas größerem. Wir werden Teil von Gemeinschaft.

Und Musik hat eine besondere Macht. Musik kann uns aufmuntern und Energie geben, sie kann uns bedächtig machen, sie hilft uns, wenn wir trauern, und bringt Erinnerungen zurück. Einige der allerersten Dinge, die wir hier auf Erden hören, sind die Schlaflieder und Kinderlieder, die uns unsere Eltern und Großeltern singen. Musik trägt Worte und Wissen und Gefühle auf eine ganz besondere Weise.

Und Musik ist oft auch das letzte, das uns begleitet. Als wir in den vergangenen zwei Wochen an der Ostküste auf Urlaub waren, haben mein Mann und ich auch seine 91 jährige Mutter besucht, die stark an Demenz leidet und in einem Pflegeheim etwas nördlich von New York City lebt. Mein Schwiegermutter kann sich wirklich kaum noch an etwas erinnern – sie erkennt sogar ihre eigenen Kinder nicht mehr – doch hat sie zumindest eine heitere Natur und sieht alle Menschen, die sich mit ihr beschäftigen, als ihre Familie an. Während unseres Besuches bei ihr war ein Gespräch nicht möglich. Und dann fingen wir an, Kirchenlieder mit ihre zu singen. Und das Wunder geschah – an die alten Weisen konnte sie sich erinnern, und sie sang glücklich mit. Nun waren es zumeist Weihnachtslieder, sie wir sangen, da wir diese auswendig können, doch was macht das schon? Wann immer wir ein neues Lied anstimmten, erhellte sich ihre Mine, und sie wurde so richtig lebendig. Und so sangen wir eine gute Stunde lang und hatten eine wunderschöne Zeit miteinander.

Der britische Wissenschaftler und Neurologe Oliver Sacks sagte einmal: ‘Musik prägt sich tiefer in unserem Gehirn ein als jede andere menschliche Erfahrung…Musik bringt uns das Gefühl des Lebens zurück, wenn alles andere scheitert.‘ Und das Erlebnis mit meiner Schwiegermutter ist ein lebender Beweis für diese Aussage.

Also ist es wissenschaftlich bewiesen – aber dann wußten wir es doch auch sowieso, oder? Musik ist eine Macht, die ‚ja‘ zum Leben sagt, und zwar zum Leben mit all seinen Aspekten. Denn nicht nur muntere Weisen sagen etwas über das Leben aus. Sehen Sie sich nur einmal die Psalmen an, diese uralten Lieder, die wir auch heute noch beten. Hier findet man jedes menschliche Gefühl: Wut, Trauer, Angst, Verzweiflung, aber dann auch Freude, Liebe, Hoffnung und Zuversicht. All diese Gefühle gehören nun einmal zum Leben dazu, und all diese Gefühle machen unser Leben zu dem, was es ist: eine wunderbare, tiefgehende, vielschichtige und vielgesichtige Erfahrung.

Musik ist eine Macht, die ‘ja’ zum Leben sagt. Es soltle uns nicht überaschen, daß in vielen, wenn nicht sogar allen, Glaubenstraditionen Musik eine große Rolle spielt. In vielen Glaubenstraditionen ist das meditative Singen z.B. eine Methode, um das Göttliche einzuladen, in die Mitte der Gläubigen zu kommen. Man könnte fast sagen, daß sich das Göttliche in der Musik materialisiert.

Und so abwegig ist das ja auch gar nicht. Schließlich ist in vielen Glaubenstraditionen das Göttliche eine lebensspendende und lebenserhaltende Kraft. In unserer christlichen Tradition ist Gott ganz gewiß ein Gott des Lebens, und Jesus Christus wird dann auch manchmal der ‚Lord of the Dance‘, der Herr des Tanzes, genannt. Gott- Musik – Leben – all dieses Dinge können einfach nicht coneinander getrennt werden. Und das drückt sich dann z.B. darin aus, daß viele, wenn sie vom Himmel sprechen, sich auch vorstellen, daß sde Engel und wir mit ihnen auf unseren Harfen spielen und himmlische Musik machen. Wo Gott ist, ist Musik. Es kann gar nicht anders sein.

Und wir bekommen einen Vorgeschmack darauf immer dann, wenn wir hier und heute wunderschöne Musik hören oder selber machen. Nun weiß ich, daß die Geschmäcker verschieden sind, wenn es sich um Musik handelt; doch für mich persönlich ist die Orgel ein ganz besonderes Instrument, das, wenn es von einer begabten Person gespielt wird, wie von unserem David, uns dabei hilft, unsere Freude, unsere Hoffnung, aber auch unseren Schmerz auszudrücken.

Doch lassen Sie uns heute auf die Freude konzentrieren, den heute haben wir allen Grund, zu feiern: unsere Orgel wir heute nach einigen Wochen der Restaurierung wieder eingeweiht. Und an dieser Stelle möchte ich mich bei allen herzlich im Namen der Matthäusgemeinde bedanken, die durch ihre Gaben dazu beigetragen haben, daß wir dies tun konnten.

Dies ist ein Tag, an dem wir feiern, daß wir die Stimme dieses Instruments und unsere Stimmen in das Lied einstimmen lassen können, das die Natur dem Schöpfer zu allen Zeiten singt, im Brausen des Meeres und all dessen, das darinnen ist, im Frohlocken der Ströme und der Fröhlichkeit der Berge.

Dies ist ein Tag, Gottes Geschenk der Musik zu feiern. Dies ist ein Tag, die lebensspendende und heilende Macht der Musik zu feiern. Dies ist ein Tag, den Gott zu feiern, der sich uns in der Dreifaltigkeit offenbart und sich uns auf viele Arten und weisen nähert – und eine der schönsten Weisen schönste ist die Musik.

So singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder – für uns, und alle Kreatur.