––– Erklingendes Wasser ––––
Predigt zu Joh 4,1–42

Move 1: Zwischen den Zeilen
Einsam – abseits – anonym. Wir begegnen heute einer Frau,
die wir nicht kennen, von der wir nicht einmal einen Namen
wissen. Im Großen und Ganzen wissen wir nicht viel über sie.
Die Informationen, die uns die Geschichte liefert, sind rar.
Zur Mittagszeit, wenn die Sonne am heißesten vom Himmel
brennt und sich niemand aus dem Schatten der Häuser in Samarien herauswagt, bricht sie auf und kommt zum Brunnen.
Herausgenommen aus dem Rhythmus der Menge, geht sie allein und abseits der anderen.
Verspottet – schief angeschaut – verlästert. Zu einer Zeit, zu
der sie hofft, niemandem zu begegnen, macht sie sich auf den
Weg zum Wasserschöpfen. Die anderen Frauen sind längst
schon wieder zurückgekehrt oder noch gar nicht aufgebrochen. Keiner soll sie sehen, niemand soll ihr über den Weg
laufen. Zu groß ist die Angst vor Begegnungen. Zu groß die
Angst vor den Blicken der Männer und Frauen, die manchmal
mehr sagen und tiefer treffen als die Worte und Urteile,
die hinter vorgehaltener Hand über sie und ihr Leben gesprochen werden.
Verbittert – in sich gefangen – verbarrikadiert. Ihr Leben, ihre
Geschichte, ihre Vergangenheit lasten auf ihren Schultern
und halten sie gefangen. Gefühle kommen in dieser Geschichte nicht aktiv zur Sprache, Emotionen werden nicht direkt benannt. Dennoch gewinnt die Erzählung alsbald an
Tiefe, sprechen die Emotionen zwischen den Zeilen eine immer lautere Sprache, wird die Begegnung mit dieser unbekannten Frau zu einer der intimsten und persönlichsten JesusGeschichten im Neuen Testament.
Ich lade Sie ein, sich mit dieser Frau auf die Reise zu machen,
sich auf ihre Geschichte einzulassen und sich womöglich in
ihr wiederzufinden – auf Ihre ganz persönliche und eigene
Weise.
––– Musik –––
Joh 4,1–7a
1 Als nun Jesus erfuhr, dass den Pharisäern zu Ohren gekommen war,
dass Jesus mehr zu Jüngern machte und taufte als Johannes – 2 obwohl
Jesus nicht selber taufte, sondern seine Jünger –, 3 verließ er Judäa
und zog wieder nach Galiläa. 4 Er musste aber durch Samarien reisen.
5 Da kam er in eine Stadt Samariens, die heißt Sychar, nahe bei dem
Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gegeben hatte. 6 Es war aber dort
Jakobs Brunnen. Weil nun Jesus müde war von der Reise, setzte er sich
an den Brunnen; es war um die sechste Stunde. 7 Da kommt eine Frau
aus Samarien, um Wasser zu schöpfen.
Move 2: Begegnung
Zur rechten Zeit am rechten Ort. Manchmal stimmt das Timing einfach – und ob das nun Zufall ist oder doch Gottes
Fügung bleibt dabei oft ein Rätsel. Hier jedenfalls stimmt es.
Eine Frau und ein Mann, eine Samariterin und ein Jude,
Mensch und Gott begegnen sich an diesem bedeutungsvollen
Ort, der Jakobsbrunnen genannt wird. Der Mann, der dort am
Brunnen sitzt, ist Jesus. Müde von der Reise aus dem südlichen Jerusalem in Richtung Galiläa machen er und seine Jünger Halt in Samarien nahe Sychar. Er bleibt dort am Brunnen,
während seine Jünger sich auf den Weg in die Stadt machen.
Kaum sind sie verschwunden, taucht eine einheimische Frau
auf. Es entwickelt sich ein Gespräch:
Joh 4,7b–15
Jesus spricht zu ihr: Gib mir zu trinken! 8 Denn seine Jünger waren in
die Stadt gegangen, um Speise zu kaufen. 9 Da spricht die samaritische
Frau zu ihm: Wie, du, ein Jude, erbittest etwas zu trinken von mir, einer
samaritischen Frau? Denn die Juden haben keine Gemeinschaft mit den
Samaritern. – 10 Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wenn du erkenntest die Gabe Gottes und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!,
du bätest ihn, und er gäbe dir lebendiges Wasser. 11 Spricht zu ihm
die Frau: Herr, du hast doch nichts, womit du schöpfen könntest, und
der Brunnen ist tief; woher hast du denn lebendiges Wasser? 12 Bist
du etwa mehr als unser Vater Jakob, der uns diesen Brunnen gegeben
hat? Und er hat daraus getrunken und seine Söhne und sein Vieh. 13
Jesus antwortete und sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, den
wird wieder dürsten; 14 wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm
gebe, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich
ihm geben werde, das wird in ihm eine Quelle des Wassers werden, das
in das ewige Leben quillt. 15 Spricht die Frau zu ihm: Herr, gib mir
dieses Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muss,
um zu schöpfen!
––– Musik –––
Move 3: Lebenselixier
„Der blaue Planet“ sagen wir, wenn wir unsere Erde beschreiben, der Regenwald ist bekannt für seine vielfältige Flora und
Fauna, selbst der menschliche Körper wäre ohne es nicht einmal die Hälfte seiner selbst. Auch wenn es für uns manchmal
alltäglich erscheint (Wasserhahn auf, Wasser läuft, Wasserhahn zu): Wasser ist Lebenselixier! Wo es fehlt, stirbt Leben,
herrscht Dürre und Wüste. Doch wo es zu Tage tritt, erblüht
die Welt, kommt Leben ans Licht und erstrahlt in den unterschiedlichsten Farben und Formen. Menschen, Tiere und
Pflanzen sammeln sich seit jeher um die Orte herum, an denen es Wasser gibt. Und gerade an den trockenen und dürren
Plätzen dieser Erde, ist frisches Wasser umso kostbarer.
Das lebendige Wasser, das ich geben werde, das wird eine Quelle des
Wassers werden, das in das ewige Leben quillt. Um dieses lebenswichtige Nass dreht sich der Dialog zwischen der Frau und
Jesus. Beide wissen um die Kostbarkeit und Notwendigkeit
von „normalem“ Wasser. Doch das, was Jesus ihr hier anbietet, ist anders. Es ist ein Wasser, das die Frau nicht kennt und
noch nie geschöpft hat: Wasser, das auf eine ganz andere
Weise lebendig und lebensstiftend ist, das man nicht in diesem Brunnen schöpfen kann und das den Durst dauerhaft
stillt.
Gib mir dieses Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht zum
Brunnen kommen muss! Die Bitte der Frau im Verlauf dieses
Gespräches klingt zunächst wie eine ironische Antwort, so als
ob sich die beiden missverstehen würden: Wasser, das für immer den Durst stillt?! Gibt es sowas überhaupt?! Vielleicht
aber weiß sie nicht anders zu bitten als auf diese Weise. Vielleicht ist das ihr Versuch, nach Hilfe zu rufen, ohne genau zu
wissen, wonach sie eigentlich fragt. Wenn wir versuchen, hinter ihre Barrikaden zu schauen und versuchen, die Antwort
dieser Frau ernst zu nehmen, kommt eine tiefe Sehnsucht
zum Ausdruck. Sehnsucht nach einem Neustart, Sehnsucht
nach Luft zum Atmen, Sehnsucht nach diesem lebendigen
Wasser, das ihren Durst nach echtem Leben zu stillen vermag.
Jesus beginnt, ihr Herz zu berühren und eine neue Sehnsucht
zu entfachen.

––– Musik –––
Joh 4, 16–19
16 Spricht er [Jesus] zu ihr: Geh hin, ruf deinen Mann und komm wieder
her! 17 Die Frau antwortete und sprach zu ihm: Ich habe keinen Mann.
Jesus spricht zu ihr: Du hast richtig gesagt: »Ich habe keinen Mann.« 18
Denn fünf Männer hast du gehabt, und der, den du jetzt hast, ist nicht
dein Mann; das hast du recht gesagt. 19 Die Frau spricht zu ihm: Herr,
ich sehe, dass du ein Prophet bist.
Move 4: Gott durchbricht die Barrieren
Jesus nimmt die Frau beim Wort. Er weiß um ihre Lebenssituation. Er nimmt sie darin ernst, stellt sie nicht bloß. Er lässt
sich auf ihre Situation ein, ohne sofort zu urteilen. Und dennoch – trotz aller Augenhöhe – spricht er an, was auf ihr lastet.
Er trifft den Kern, den wunden Punkt! Indem er das tut, nämlich gerade nicht verschweigt, worüber nicht gesprochen werden soll, sondern benennt, was zwischen ihr und Gott steht
und sie am Leben hindert, öffnet er für sie die Quelle zu echtem Leben. Die Mauern, die die Frau um sich und ihr Leben
gebaut hat, bekommen Risse. Gott durchbricht die Barrieren,
reißt sie ein. Die Gier nach Leben, die nie genug bekommen
kann, soll ein Ende haben. Es soll Schluss sein mit den ständigen Lebensenttäuschungen, die es nicht zulassen, dass sich
wirkliches Leben vollziehen kann.
Durch Ansprechen und Aussprechen der Probleme und Mauern, die mich am echten Leben hindern, geschieht Veränderung. Sich offen ohne Maske dem auszusetzen, was in meinem Leben schiefläuft, was mich von anderen und von Gott
trennt, ist keine leichte Aufgabe. Es kann ungemütlich sein
und weh tun. Aber es ist der Weg, auf dem Heilung beginnen
kann und Loslösung und Befreiung aus den bisherigen Lebenszusammenhängen einen Anfang nimmt.
Die Barrieren sind durchbrochen. Noch liegen sie da, sind
nicht vergessen. Heilung ist ein Prozess, der nicht von heute
auf morgen abgeschlossen ist. Aber der Blick wird frei auf
den, der mich ruft und mich anspricht. Der Weg wird frei zu
der Quelle des Lebens, zu einer neuen Beziehung mit mir
selbst, den anderen und mit Gott. Herr, ich sehe, dass du ein
Prophet bist.
––– Musik –––
Joh 4,20–30
20 [Die Frau spricht weiter:] Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet, und ihr sagt, in Jerusalem sei die Stätte, wo man anbeten soll.
21 Jesus spricht zu ihr: Glaube mir, Frau, es kommt die Zeit, dass ihr
weder auf diesem Berge noch in Jerusalem den Vater anbeten werdet.
22 Ihr wisst nicht, was ihr anbetet; wir aber wissen, was wir anbeten;
denn das Heil kommt von den Juden. 23 Aber es kommt die Stunde
und ist schon jetzt, dass die wahren Anbeter den Vater anbeten werden
im Geist und in der Wahrheit; denn auch der Vater will solche Anbeter
haben. 24 Gott ist Geist, und die ihn anbeten, die müssen ihn im Geist
und in der Wahrheit anbeten. 25 Spricht die Frau zu ihm: Ich weiß, dass
der Messias kommt, der da Christus heißt. Wenn dieser kommt, wird er
uns alles verkündigen. 26 Jesus spricht zu ihr: Ich bin’s, der mit dir
redet. 27 Unterdessen kamen seine Jünger, und sie wunderten sich,
dass er mit einer Frau redete; doch sagte niemand: Was willst du?,
oder: Was redest du mit ihr? 28 Da ließ die Frau ihren Krug stehen und
ging hin in die Stadt und spricht zu den Leuten: 29 Kommt, seht einen
Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe, ob er nicht der
Christus sei! 30 Da gingen sie aus der Stadt heraus und kamen zu ihm.
Move 5: Gottes Liebe findet Resonanz
Die Frau ist angerührt von dem, der ihr dort am Brunnen begegnet. Stück für Stück fängt sie an, zu begreifen und zu verstehen. Sie will mehr wissen, Fragen häufen sich in ihrem
Kopf. Die Sehnsucht nach Leben, nach Beziehung zu diesem
Gott, der sie anspricht und sie aufrichtet, wächst immer mehr.
Sie fragt also nach: Wie finde ich diesen Gott, wo kann ich ihn
anbeten, wo kann ich mit ihm in Kontakt treten? Und Jesus
antwortet ihr, antwortet auf ihre Fragen mit sich selbst als
Antwort. Wo Menschen Gott wirklich als ihren Vater verehren, wo sie mit Gottes Liebe erfüllt werden und ihm vertrauen, da hört der Streit um den richtigen oder falschen
Kultort auf. In Jesus Christus offenbart sich Gott und in ihm
realisiert sich seine ganze Liebe zu den Menschen. Er selbst
ist der der neue Ort der Liebe Gottes in der Welt.
Gottes Liebe findet Resonanz in dieser Frau und steckt sie an.
So wie eine Saite einer Gitarre, die nur schwingen und erklingen kann, wenn sie nicht festgehalten oder blockiert wird, so
kann Gottes Liebe in den Menschen schwingen, die nicht nur
in sich selbst verkrümmt, sondern befreit sind durch die
Gnade und die Berührung Gottes. Da ließ die Frau ihren Krug
stehen und lief in die Stadt hinein und spricht zu den Leuten:
Kommt, seht den Menschen, der mich befreit hat!
––– Musik –––
Joh 4,31–42
31 Unterdessen mahnten ihn die Jünger und sprachen: Rabbi, iss! 32
Er aber sprach zu ihnen: Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr
nicht wisst. 33 Da sprachen die Jünger untereinander: Hat ihm jemand
zu essen gebracht? 34 Jesus spricht zu ihnen: Meine Speise ist die,
dass ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat, und vollende
sein Werk. 35 Sagt ihr nicht selber: Es sind noch vier Monate, dann
kommt die Ernte? Siehe, ich sage euch: Hebt eure Augen auf und seht
auf die Felder: sie sind schon reif zur Ernte. 36 Wer erntet, empfängt
Lohn und sammelt Frucht zum ewigen Leben, auf dass sich miteinander
freuen, der da sät und der da erntet. 37 Denn hier ist der Spruch wahr:
Der eine sät, der andere erntet. 38 Ich habe euch gesandt zu ernten,
wo ihr nicht gearbeitet habt; andere haben gearbeitet, und ihr seid in
ihre Arbeit eingetreten. 39 Es glaubten aber an ihn viele der Samariter
aus dieser Stadt um des Wortes der Frau willen, die bezeugte: Er hat
mir alles gesagt, was ich getan habe. 40 Als nun die Samariter zu ihm
kamen, baten sie ihn, dass er bei ihnen bleibe; und er blieb dort zwei
Tage. 41 Und noch viel mehr glaubten um seines Wortes willen. 42
Und sie sprachen zu der Frau: Nun glauben wir nicht mehr um deiner
Rede willen; denn wir haben selber gehört und erkannt: Dieser ist wahrlich der Welt Heiland.
Move 6: Das Orchester der Liebe Gottes
Jesus bot der Frau einen Lösungsweg für die Probleme ihrer
Vergangenheit und damit zugleich eine wirkliche Zukunft an,
indem er sich selbst als lebendiges Wasser reicht. Diese Erfahrung hat die Frau von Grund auf verändert und lässt sie zur
Zeugin Jesu werden. Und ihr Glaube, die Erkenntnis der
Liebe und Hingabe Gottes bleibt nicht folgenlos, kann nicht
folgenlos bleiben. Übersprudelnd wie eine Quelle, laut und
unauslöschbar wie eine Melodie, die sich im Ohr festgesetzt
hat, die sie nicht mehr losbekommt und die nun aus ihrem
Inneren erklingt, erzählt sie von dem, der ihr Herz berührt
hat.
Und dieses Zeugnis macht die Samariter ihrer Stadt neugierig. Ihre begeisterte Erzählung weckt das Interesse der Menschen, die sich nun selbst aufmachen, um diesen Jesus zu sehen und ihm zuzuhören. Sie werden selbst Hörende und Sehende des Lebensspenders. Durch ihn, die Quelle des wahren
Lebens, Jesus Christus, der sich für die Menschen am Kreuz
hingegeben hat und so ewiges Leben schenkt, werden sie
selbst verwandelt zu Quellen des lebensspendenden Wassers.
Eine übersprudelnde Quelle, die nur für sich selbst da ist,
kann es nicht geben. Als Quelle solchen Wassers werden
Menschen zu Lebensstiftern für andere, sind eine Quelle lebendigen Wassers für alle, deren Lebensdurst gestillt werden
will.
Eine einzelne Saite einer Gitarre, die frei schwingt, kann die
Stille der Wüste durchbrechen. Musik, die losgelöst erklingt
und aus tiefem Herzen nach außen dringt, kann nicht ungehört bleiben. So stimmen Menschen, damals und heute, ein in
die befreite Musik der Frau, die in Jesus Christus Rettung findet. Jeder in seiner eigenen Melodie, gemeinsam als Kirche
wie ein großes Orchester der Liebe Gottes.
Amen.
Liedansage
Und jetzt wollen wir gemeinsam singen, anbeten, eine Quelle
sein und Gottes Liebe in dieser Welt laut werden lassen!
––– EG 399, Str.1,2,7 Oh Lebensbrünnlein tief und groß –––

Bild von Frank Albrecht via unsplash.com