Manchmal habe ich genug. Manchmal will ich einfach nichts mehr mit allem Möglichen zu tun haben, ich muss den Fernseher ausschalten, wo es soviele besorgniserregende oder einfach auch beänstigende Nachrichten gibt. Ich muss meinen Computer ausstellen, das Telefon abstellen. Mich zurückziehen, die Tür zumachen mit einem ‘Bitte nicht stören’ Schild. Irgendwo wandern, wo ich nicht erreichbar bin, mal eine Pause machen. Manchmal gehen mir sogar die Menschen, die ich doch herzlich lieb habe, auf den Geist.

Manchmal brauche einen geheiligten Ort oder auch eine geheiligte Zeit – einen Raum, in dem ich einfach aufatmen, beten, und meine physische, psychische und spirituelle Batterie wieder aufladen kann.

Geht Ihnen das manchmal auch so? Wenn nicht, dann sind Sie wahrscheinlich eher ein extrovertierter Typ.

Ich denke, es ist ganz normal, dass wir alle mal eine Verschnaufpause brauchen. Da passiert so vieles in unserem Leben, wir müssen uns mit unzähligen Dingen beschäftigen. Wie sind überwältigt von den Dingen, die um uns herum und auch in der Welt geschehen. Unsere Sinne werden jeden Tag bombadiert.

Manchmal scheint es, als gäben wir nur, sei es Hilfe oder Rat oder Aufmerksamkeit, bis wir uns dann erschöpft und ausgelaugt fühlen.

‘Put on your oxygen mask before assisting others’ – setzen Sie Ihre Sauerstoffmaske auf, bevor Sie anderen assistieren. Das kennen wir ja alle. Und das macht Sinn.

Selbst Jesus war gegen das Gefühl der Erschöpfung nicht immun. Da gibt es so manche Stelle in den Evangelien, in der Jesus sich für eine Weile zurückzieht, um zu beten und seine Batterie wieder aufzuladen. Schlieβlich kann ein Mensch nur soviel tun, bevor es zuviel wird.

Und so beginnt unser heutiges Evangelium. Jesus zieht sich zurück. ‘Jesus nahm mit sich Petrus und Jakobus und Johannes, dessen Bruder, und führte sie allein auf einen hohen Berg,’ so lesen wir. Es scheint, als bräuchte Jesus Abstand, und gibt es da eine bessere Methode, als einen hohen Berg zu besteigen? Und nur seine engsten Vertrauten sind eingeladen, mitzugehen.

Dieses Sich-Zurückziehen Jesu geschieht an einem Wendepunkt in seiner Mission – und das ist, wohl nicht zufällig, so ziemlich in der Mitte des Matthäusevangeliums. Monatelang ist Jesus durch Galiläa gezogen, manchmal auch über seine Grenzen hinweg; hat Menschen gepredigt und Menschen geheilt, Wunder vollbracht und das Reich Gottes verkündigt in Wort und Tat. Das allein klingt schon anstrengend.

Aber dann, auf einmal, verändert sich die Stimmung und die Richtung. Es beginnt damit, dass einige Phariseer und Sadduzäer Jesus nach einem himmlischen Zeichen fragen, ihn also quasi hinterfragen. Wer bist du eigentlich, Jesus?

Dies muss zu einer Selbstreflektion Jesu geführt haben, denn kurz darauf und wie aus dem Nichts fragt Jesus seine Jünger: ‘Wer sagen die Leute, dass der Menschensohn sei?’ Und dann: ‘Wer sagt denn ihr, dass ich sei?’

Wir alle kennen wohl die begeisterte Antwort, die Petrus daraufhin gibt: ‘Du bist der Christus, der Messias, des lebendigen Gottes Sohn!’ Aber was bedeutet das?

Es scheint, als grübelte Jesus über diese Frage; wer er ist, und was er zu tun hat. Und irgendwann ist es klar: ‘Seit der Zeit fing Jesus an, seinen Jüngern zu zeigen, dass er nach Jerusalem gehen und viel leiden müsse von den Ӓltesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und am dritten Tage auferstehen.’ Von nun an führt der Weg direkt nach Jerusalem – und zum Kreuz.

Das alles ist ganz schön heftig – für Jesus als auch für die Jünger. Petrus, der eben erst erkannt hat, dass Jesus der Messias ist, kann mit Jesu düsterer Ankündigung nichts anfangen, und er versucht, Jesus von seinem Vorhaben abzubringen. ‘Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht!’

Und Jesus, der wohl versucht ist, Petrus und seiner Idee von einem nichtleidenden Messias nachzugeben, weist ihn zurecht mit recht harschen Worten: ‘Geh weg von mir, Satan! Du bist mir ein Ӓrgernis, ein Stolperstein.’

Und dann fängt Jesus auch noch damit an, seine Nachfolger zu lehren, dass auch sie ihr Kreuz aufnehmen und ihr Leben um Gottes willen und anderer willen hingeben müssen, wenn sie ihm nachfolgen wollen.

Wer wäre nach all diesen dramatischen Entwicklungen nicht psychisch und spirituell erschöpft, und vielleicht auch körperlich, und bräuchte nicht eine Auszeit? Und so zieht sich Jesus kurz nach alledem zurück, nach sechs Tagen, wie unser Evangelium sagt. Gott ruhte am 7. Tag – und Jesus auch.

Nun passiert etwas Sonderbares, etwas Wunderbares auf dem Berg: Jesus wird vor den Augen seiner engsten Vertrauten verklärt. Sein Angesicht leuchtet wie die Sonne, und seine Kleider werden weiss wie das Licht. Und dann erscheinen auch noch Mose und Elia, die das Gesetz und die Propheten des Bundes Gottes mit seinem Volk repräsentieren. Wow! Was für ein Moment!

Dort auf dem Berg wird ganz deutlich: Jesus, der Sohn Gottes, ist dazu bestimmt, Gottes Bund mit dem Volk Gottes zu erfüllen, und er ist zur Herrlichkeit bestimmt – trotz oder vielleicht auch gerade wegen der Bestimmung, die Jesus zu erfüllen hat: nach Jerusalem zu ziehen und dort zu leiden und zu sterben.

Sollte der Mensch Jesus noch Zweifel an seiner Entscheidung und Bestimmung gehabt haben – sie sind nun hinweggeräumt. Gott bestätigt Jesus eindeutig in seiner Bestimmung und seiner Identität.

Es hat schon seinen Sinn, warum wir dieses Evangelium alle Jahre wieder als das letzte Evanglium der Epiphaniaszeit – einer Zeit, in der viel vom Symbol des Lichts und der Offenbarung Jesu als Sohn Gottes die Rede ist – und vor dem Beginn der Passionszeit hören – jedenfalls nach der anglo-amerikanischen Perikopenreihe. Die Herrlichkeit Christi kann nicht von seiner Hingabe, der Hingabe seines Lebens um Gottes und der Menschheit willen getrennt werden. In der Geschichte von der Verklärung Jesu haben wir genau diesen Knackpunkt zwischen Epiphanias und Passion.

Der arme Petrus kapiert dies wieder einmal nicht. Er hat einen Hoffnungsschimmer – diese Lichtgestalt kann und darf nicht leiden und sterben – und ruft aus: ‘Herr, hier ist gut sein!’ Herr, HIER ist gut sein. Weit weg vom Jammertal, weit weg von allen Problemen und Angelegenheiten, mit denen sich die Leute da unten herumschlagen müssen. Weit weg von Jerusalem und Leiden und Tod.

Herr, hier ist gut sein. Das klingt fast wie ein Flehen, nicht wahr? Oh Herr, lass uns doch hier bleiben. Lass uns Hütten bauen und hier sesshaft werden. Und wieder wird Jesus, der Christus, versucht.

Und wieder gibt es eine Zurechtweisung, die aber diesmal nicht von Jesus kommt, sondern vom himmlischen Vater selbst: ‘Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!’ Den – auf den – sollt ihr hören.

Als die Jünger dies hören, fürchten sich die Jünger sehr. Ist es nicht spannend, dass das ganze Spektakel davor, der leuchtende Jesus und Moses und Elias, den Jüngern keine Angst eingeflöβt hat, aber nun dies? Und vielleicht ist es nicht einmal diese Stimme, die ihnen Angst einflöβt, sondern das Gebot, auf Jesus zu hören. Tut, was er sagt! Folgt ihm nach. Bergab. Nach Jerusalem und zum Kreuz.

Sollten Petrus, Johannes und Jakobus noch Illusionen darüber gehabt haben, dass sie dort auf dem Gipfel bleiben und sich im Glanz und der Herrlichkeit Chrirst sonnen könnten, so sind diese nun ein für allemal zerstört. Sie wissen, wohin Jesus gehen wird. Und das macht Angst.

Doch Jesus rührt sie an und spricht: ‘Steht auf und fürchtet euch nicht.’ Dies ist eine solch eine behutsame und zärtliche und tröstliche Szene. Es gibt keinen Grund zur Furcht. Was ihr hier auf dem Berg erlebt hat, ist wahr. Haltet euch daran fest.

Und dann kommen sie den Berg runter, zurück ins Tal, wo das Leben mit all seinen Freuden und Leiden und nervigen Dingen stattfindet. Und sie sind kaum untern angekommen, als Jesus von der Realität wieder eingeholt wird. Ein Mann spricht ihn an und bittet ihn um Hilfe für seinen epileptischen Sohn. ‘Ich habe ihn zu deinen Jüngern gebracht und sie konnten ihm nicht helfen.’

Und ich frage mich, ob Jesus es wohl bereute, nicht doch auf dem Berggipfel geblieben zu sein. Entnervt fährt er seine Jünger an: “O du ungläubiges und verkehrtes Geschlecht, wie lange soll ich bei euch sein? Wie lange soll ich euch ertragen?” Und er heilt den Jungen selbst. Verschnaufpause ist vorbei.

Nach dem Sich-Zurückziehen, nach der Bestätigung, nach dem Erhaschen eines Blicks auf die ewige Herrlichkeit muss sich Jesus nun wieder menschlicher Erfahrung und menschlichem Leiden zuwenden. Dies ist seine Mission, dies ist, wozu er berufen ist.

Und wer sind wir? Was ist unsere Identität? Nun, wir wissen, dass wir dazu berufen sind, Jesus zu folgen.

Und: Herr, hier ist gut sein! Hier, in diesem Gottesdienstraum, in der Gemeinschaft miteinander, wo wir und alle, die hier eine Zuflucht suchen, miteinander Gottesdienst feiern können und erfrischt und gestärkt werden, gerade, wenn das Leben schwierig ist, ist gut sein. Hier erleben wir Gottes Herrlichkeit, hier finden wir Zuflucht.

Doch ist es nicht das Endziel unserer christlichen Existenz, lediglich hier nach Gott zu suchen und dies als eine permanente Zuflucht zu sehen. Nein, auch wir sind dazu berufen, wieder in die Täler unserer Existenz zurückzukehren, dorthin, wo Freude und Leid und auch nervige Dinge geschehen. Hier werden wir dazu gestärkt und darin bestärkt, der fleischgewordene Leib Christi in der heutigen Welt zu sein.

WIR sind der lebendige, atmende, heilende Leib Christi, dazu berufen, Christi Gegenwart in all den Tälern des Todes zu sein. Denn wir sind die, die heute gemahnt sind, auf Jesus Christus zu hören und ihm nachfolgen – vom Leben in den Tod – und dann in ein Leben, das ewig ist. Das ist unsere Identität.

 

 

 

 

 

 

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