Predigt Ewigkeitssonntag; Johannes 11:32-44 – 20. November 2016

 

 

Sind Ihnen je Leute begegnet, die eine schnelle Antwort parat haben, wenn Sie einen Verlust erleiden? Leute, die vielleicht sagen, ‘Du kannst es zwar jetzt nicht verstehen, doch hat Gott einen Plan’. Oder ‘Ach, da kommst du schnell drüber hinweg, Kopf hoch!’ Oder ‘Es war ja doch zum besten.’ Oder, gerade wenn wir den Verlust eines Kindes betrauern, ‘Nun hat der liebe Gott einen Engel mehr im Paradies’.

 

Ich weiβ nicht, was Sie bei solchen Worten empfinden, doch in mir erwecken solche Worte Unbehagen. Und verstehen Sie mich nicht falsch, ich weiβ, solche Worte sind wohlgemeint. Doch ist die Botschaft, die ich hinter solchen Trostversuchen hӧre, ‘Alles muβ halt irgendwie einen Sinn machen, auch, wenn es schlimm ist’, oder, ‘Nun komm schon, ist doch nicht so schlimm, reiss dich zusammen.’

 

Und vielleicht sagen Menschen solche Worte, weil sie einfach nicht wissen, wie man mit der Trauer, mit dem Schmerz eines anderen Menschen umgeht. Und müssen wir uns auch wahrscheinlich selbst eingestehen, daβ wir da eigentlich gar nicht mit umgehen wollen, denn Trauer und Schmerz machen uns Bange, wir wissen nicht, was wir sagen oder wie wir handeln sollen – und so wollen wir natürlich, daβ sich jemand zusammenreiβt und schnell drüber hinwegkommt, so daβ sich unsere Beziehung zu einem trauernden Menschen wieder ganz schnell normalisiert.

 

Es hat schon seinen Grund, warum wir soviele Trauerberater in diesem Lande haben, Leute, die sich professionell mit Trauernden befassen – denn es ist schwer, wirkliche Unterstützung zu finden. Oder wir finden Trost in Trauergruppen, zusammen mit anderen Menschen, die genauso verstӧrt und verletzt sind wie wir – Menschen, die wirklich Mitgefühl zeigen kӧnnen, weil sie eben wissen, wie das ist, jemanden zu verlieren und zu trauern.

 

Doch dann wissen wir oft auch selbst nicht, wie wir mit unserem eigenen Verlust und unserer Trauer umgehen sollen. Unsere Umwelt lehrt uns, stark zu sein, in Kontrolle. Uns zusammenzureiβen, unter allen Umstӓnden. Zu lӓcheln, auch, wenn es uns innerlich zerreiβt.

Und wie gehen wir mit all dem Leid und Tod in dieser Welt um? Die Flut von Informationen dazu bei, daβ wir uns gegen das Schlimme in der Welt abhӓrten, vielleicht sogar abstumpfen, und somit berührt uns so schnell nichts. Mir fӓllt dies immer auf, wenn ich die Zeitung lese, Nachrichten im Fernsehen schaue oder auch im Internet surfe: da gibt es allerorts Gewalt und Tod. Von tagtӓglicher Gewalt im mittleren Osten und in Teilen Afrikas, bis hin zum menschenverachtenden Krieg in Syrien, über die Flüchtlingskrise in Europa, und der zur Normalitӓt gewordenen Gewalt in diesem Lande: es ist einfach zuviel. Ich kann und will mir einfach nicht vorstellen, wie sehr Menschen auf diesem Planeten und in unserer direkten Umwelt leiden. Und ich versuche gar nicht erst, zu verstehen, was da eigentlich passiert.

 

Doch dann, ab und zu, erfahren wir Gewalt und Tod ganz nahe, und die Realitӓten dieser Welt holen uns ein. Und dann müssen wir uns damit auseinandersetzen, daβ es nun einmal so ist, daβ es das Bӧse, Sünde und Tod in dieser Welt gibt. Da brӧckelt dann jeder Verdrӓngungsmechanismus. Nein, wir kӧnnen nicht vorgeben, daβ wir stark sind, daβ nichts uns berühren kann, und daβ der Tod, den wir in dieser Welt erfahren, uns irgendwie nicht betrifft.

 

Wir haben also ein recht kompliziertes Verhӓltnis zu unseren Gefühlen, unserer Trauer. Und wir wissen nicht, wie wir damit umgehen kӧnnen. Ich, z.B., erlaube es mir selten, zu weinen, auch wenn mir zum Heulen zumute ist. Und ich denke, nicht nur mir geht es so: wir alle denken doch irgendwo, daβ wir stark sein müssen, rational anstelle von emotional, und daβ das Glücklichsein das hӧchste Ziel im Leben ist, und daβ mit uns irgendetwas nicht stimmt, wenn wir nicht glücklich sind. Ach, wenn wir es uns doch erlauben kӧnnten, all unseren Schmerz und unsere Wut und unsere Verwirrtheit zu zeigen, wenn wir trauern. Ich weiβ, heute ist es aus der Mode, doch denke ich, daβ es schon seinen Sinn hatte, wenn Trauernde für eine Weile schwarz nach dem Tod eines geliebten Menschen trugen. Dies allein als sichtbares Zeichen: mir geht es nicht gut. Sei vorsichtig mit mir.

 

Verlust, Trauer, Tod – was ist aus ihnen in unserer Zeit und unserer Gesellschaft geworden?

 

Wir verstecken diese Dinge. Wir versuchen zu verneinen, daβ es sie gibt. Wir relativieren sie. Wir erlauben es ihnen nicht, uns wirklich zu treffen. Aber denken Sie mal nach: alles, was wir unterdrücken, kommt irgendwann mal wieder hoch, und dann mir aller Wucht.

 

Und vielleicht haben sogar wir als Christen ein wenig Schuld daran, daβ wir Trauer in unserem Leben nicht den Raum geben, den sie braucht: indem wir vielleicht etwas zu schnell auf die Auferstehung verweisen und dabei hӓufig die Realitӓt von Jesu Leiden und Tod am Kreuz überspringen. Ja, Christus hat den Tod überwunden, und, ja, der Tod hat den Stachel verloren, doch ist der Tod immer noch eine Realitӓt.

 

Der Apostel Paulus betont, daβ der Tod eine Konsequenz der Sünde ist (Rӧmer 5), und daβ der Tod jedes lebende Wesen betrifft, und daβ niemand dem Gefühl der Verlorenheit in der Stunde des Todes entgehen kann. Der Tod, so Paulus, ist die absolute Trennung von Gott. Und sogar Jesus erfuhr diese Trennung und die Verzweiflung des Todes am Kreuz – wir alle kennen wohl die Worte, ‘Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?’

 

Die erlӧsende und befreiende Kraft des Ostermorgens kann nur erfahren werden, wenn wir die Realitӓten des Karfreitages anerkennen.

 

In alledem ist der Tod nicht der Wille oder der Plan Gottes. Jesus wird sehr betrübt, und er egrimmt im Leib, als er vom Tod seines Freundes Lazarus hӧrt, wie wir im Evangelium hӧrten. Eine bessere Übersetzung wӓre vielleicht, daβ Jesus darüber aufgebracht ist, und daβ es ihn frustriert, als er die Macht von Sünde und Tod aus erster Hand erfӓhrt. Daβ der Tod eine tagtӓgliche Realitӓt ist, und daβ es der Menschheit nicht erspart wird, die absolute Trennung von Gott zu erfahren. Jesus spricht keine trӧstenden Worte zu denen, die da trauern. Jesus trauert mit ihnen als einer von ihnen. Und Jesus gehen die Augen über, oder besser: Jesus weint.

 

Jesus weint. Dies ist einer der menschlichsten Momente Jesu – er teilt mit uns die Erfahrung von Trauer. Jesus weint, ein wahrer Mit-Mensch.

 

Jesus weint und ist verletzbar, er zeigt seine Verzweiflung, er offenbart, daβ er als Mensch eben auch seine Schwӓchen hat und schӓmt sich dessen nicht. Sie haben vielleicht schon einmal den Ausdruck ‘WWJD’ gehӧrt, ‘What would Jesus do?’ oder ‘Was würde Jesus tun?’ Was würde Jesus tun angesichts alles Leidens und aller Gewalt und allen Todes in der Welt? Mein Verdacht ist, daβ Jesus weinen würde. Oder besser noch: Jesus Christus weint auch heute noch ob der Macht des Todes. Darüber, daβ der Tod so zerstӧrerisch ist, darüber, daβ Beziehungen durch den Tod auseinandergerissen werden, darüber, daβ der Tod solch groβe Lücken hinterlӓβt. Und Jesus zeigt uns, daβ es nur menschlich und natürlich ist, zu trauern und zu weinen, wenn wir Schmerz, Verlust und Tod erfahren.

 

Was Jesus nicht tun würde: uns in unserem eigenen Schmerz und in unserer Trauer zu sagen, naja, ist ja nicht so schlimm, reiβ dich zusammen. Ich haben den Tod überwunden, warum weinst du?

 

Nein, wir kӧnnen uns dessen gewiβ sein, daβ Gott mit uns weint. Gott weiβ, wie sehr ein Verlust uns wehtut. Und Gott hat an unserem Leid teil.

 

Einige meiner Lieblingsworte aus der Bibel stehen in der heutigen Epistellesung aus der Offenbarung. Hier redet Johannes, der Visionӓr, über das neue Jerusalem: Gott selbst wird bei den Menschen wohnen, und Gott wird abwischen alle Trӓnen von ihren Augen.

 

Wir kommen mit unseren Trӓnen. Wir kommen mit dem, was uns wehtut. Das ist würdig und recht. Wir müssen unsere Gefühle nicht vor Gott verstecken, der weiβ, was es heiβt, zu weinen und zu trauern. Und Gott, wie eine Mutter, hӓlt uns im Arm und wischt die Trӓnen ab mit einer sanften Hand. Dies ist ein Gott, der uns nahe sein will, der uns berührt, und der an unserem Leid teilhat. Und dies ist derselbe Gott, der uns verspricht: Ich bin bei euch alle Tage. Tod und Trauer und Weinen werden nicht mehr sein. Vetraue mir: ich habe teil an deinem Leiden, ich bin gar selbst durch den Tod gegangen. Komm, geh mit mir in ein neues Leben, denn siehe, ich mache alles neu.