Zu Beginn dieser Predigt möchte ich etwas über die Reformationsgeschichte sprechen; schließlich beghen wir dieses Jahr das 500ste Jubiläum der Reformation. Im Wonnemonat Mai des Jahres 1521 wurde das Wormser Edikt gegen Martin Luther und seine Anhänger verhängt. Was ist das? – wollen wir einmal mit den Worten Martin Luthers fragen. Das Wormser Edikt erklärte Luther und seine Anhänger zu Gesetzlosen; jeder Bewohner des deutschen Reiches war dazu angehalten, Luther oder jene, die seiner Lehre folgten, gefangenzunehmen und den kaiserlichen Behörden oder jeglicher Autorität auszuliefern. Oder auch zu töten. Denn Luther und seine Anhänger waren vogelfrei, und  das bedeutete, daß niemand eine Strafe zu befürchten hatte, der ihnen Gewalt antäte.  Und wenn Luther und seine Anhänger gefangengenommen worden wären, so wären sie wahrscheinlich als Ketzer auf dem Scheiterhaufen verbrannt worden.

 

Und wie kam es zu dem Edikt? Nun, Sie haben wahrscheinlich schon einmal etwas von den 95 Thesen Luthers gegen den Ablaß gehört. Luther nagelte diese im Jahre 1517 an die Tür der Schloßkirche in Wittenberg. Er kritisierte gewisse Praktiken der Kirche seiner Zeit, und insbesondere den Ablaßhandel, aber auch kirchliche und päpstliche Autorität. Und somit begann ein enormer Streit mit der römischen Kirche und ihren Anhängern. Nun gab es damals keine Trennung von Kirche und Staat, und so konnte Papst Leo X. Den jungen Kaiser Karl V. davon überzeugen, sich der Sache auch politisch anzunehmen; sein Argument war, daß eine Spaltung in der Kirche auch eine Spaltung des Kaiserreiches nach sich ziehen würde – die Fürsten in den deutschen Gebieten, die Luther größtenteils unterstützten, hatten von Papst und Kaiser schon die Nase voll.

 

Luther wurde vor den Reichstag in Worms beordert, der im Frühjahr 1521 stattfand. Solche Reichstage fanden ungefähr alle ein bis zwei Jahre statt, zu denen sich Kaiser und die Fürsten des riesigen Heiligen Römishche Reiches Deutscher Nation versammelten und Reichsgeschäfte besprachen. Von Luther wurde vor dem Wormser Reichstag verlangt, daß er seine 95 Thesen und auch alle seine weiteren provokativen Schriften widerrufe. Es wurde also von ihm verlangt, daß er zugab, daß er im Unrecht sei und damit die römische Kirche im Recht, daß er um Vergebung bäte und nie wieder ein Wort gegen den Papst sagen würde. Wenn Luther dies vor dem versammelten Reichstag getan hätte, wäre dies auch ein mächtiger symbolischer Akt gewesen, denn dann hätten auch die deutschen Fürsten, die Luther unterstützten, ihre Unabhängigkeitsträume zunächst einmal begraben müssen. Es ging bei der Widerrufung der lutherischen Schriften also um die Bewahrung der Einheit des Reiches.

 

Irgendwelche Fragen soweit? Der ganze geschichtliche Hintergrund ist unheimlich faszinierend, ich könnte stundenlang darüber reden.

 

Luther widerrief nicht – anstatt dessen sprach er angeblich die folgenden Worte, die berühmt geworden sind: Hier stehe ich, ich kann nicht anders, so helfe mit Gott, Amen. Und wundersamerweise konnte er Worms auch unversehrt verlassen, denn der Kaiser hatte ihm vor dem Reichstag  ein freies und sicheres Geleit zurück nach Wittenberg gewährleistet. Dann aber wurde das schon erwähnte Wormser Edikt ein paar Tage nach Luthers Abreise gegen ihn verhängt, was einem Todesurteil gleichkam.

 

Nun ist also die Frage: warum ist das Edikt von Worms ohne Folgen geblieben? Warum wurde Martin Luther nicht gefangengenommen und den Autoritäten ausgeliefert – schließlich sollten Reichsbürger solches unter Androhung von Strafe tun? Warum überlebte Luther, konnte sogar heiraten und Kinder haben und dann im reifen Alter – na, jedenfalls in jenen Tagen war das ein reifes Alter – von 62 Jahren eines natürlichen Todes sterben? Warum haben wir heute eine lutherische Kirche, und dann auch all die anderen protestantischen und evangelischen Kirchen, die aus der Reformation hervorgingen?

 

Martin Luther überlebte und gedieh auch prächtig, weil er einen Fürsprecher hatte, einen Beistand, einen Schutzpatron: Kurfürst Friedrich den Weisen von Sachsen. Luther lebte in Friedrichs Territorium, beide lebten sogar nur einen guten Kilometer voneinander entfernt in Wittenberg. Friedrich politisierte und manövrierte sehr geschickt, damit Luther eben nicht ausgeliefert wurde – er war auch hinter der Zusage des Kaisers, daß Luther freies und sicheres Geleit nach dem Reichstag von Worms haben sollte. Bekannt ist, daß Friedrich Luther dann auf dem Rückweg von Worms kidnappen ließ und zu seinem Schutz auf der Wartburg versteckte, bis Gras über die Sache gewachsen war. Aber Friedrich tat viel mehr. Nun waren Friedrichs Gründe, Luther zu schützen, nicht ganz uneigennützig, doch darf man nicht unterschätzen, daß Friedrich seinen Status und seine Ruf aufs Spiel setzte, um Luther und seine Anhänger zu unterstützen.

Martin Luther mußte diese Kämpfe also nicht alleine bestehen, sondern hatte einen mächtigen Fürsprecher an seiner Seite. Und ich erzähle Ihnen all dies nicht nur, um Sie zu langweilen, sondern um darzustellen, wie wichtig es ist, daß wir jemanden an unserer Seite haben, jemanden, der oder die sich für uns einsetzt und stark macht, jemanden, der oder die uns zur Seite steht, auch und gerade dann, wenn Dinge mal nicht so gut laufen. Wir mögen zwar denken, daß wir alle so stark und unabhängig sind, doch wenn wir ehrlich sind, müssen wir eingestehen, daß wir alle Unterstützung brauchen. Es gibt keinen Menschen, der wirklich etwas nur aus sich selbst macht, das ist ein Mythos. Allein und isoliert sind wir schwach, verletzlich und in Gefahr, nicht das zu erreichen, was wir wollen oder sollen. Doch wenn wir wissen, daß da jemand an unserer Seite ist, der oder die uns unterstützt und sich für unsere Sache einsetzt, dann ist das tröstlich und auch ermutigend.

 

In meiner Predigt am letzten Sonntag sprach ich darüber, wie Jesus, als er seine Jünger auf seinen Abschied und seinen Tod vorbereitete, versprach, daß Gott immer einen Platz, ein Haus, einen Haushalt, eine Familie für die Jünger bereit haben würde; einen Ort, an dem sie sich dazugehörig fühlen. Als Mitglieder dieses Haushaltes Gottes würden sie nie allein sein.

 

Das heutige Evangelium geht da weiter, wo das Evangelium des letzten Sonntages aufhörte; das Versprechen Jesu wird nun noch weiter ausgedehnt. Auf der einen Seite ist da das Versprechen eines Heims, einer Familie, doch dann verspricht Jesus auch Gottes Fürsorge durch den Tröster, wie Martin Luther so schön übersetzt; aber das Wort könnte auch mit Anwalt oder Fürsprecher übersetzt werden. Dies ist Gottes Geist der Wahrheit, ein Geist, der in denen wohnt, die Gott lieben und Gott folgen und ihr Leben und ihren Glauben in der Liebe Gottes leben. Ich will euch nicht als Waisen zurücklassen, so sagt Jesus. Ihr werdet nicht verlassen sein. Gott ist da. Gott ist an eurer Seite. Gott ist AUF eurer Seite. Gott wird eure Seele bewahren, und ihr werdet das Leben in Fülle haben.

 

Jesus gibt den Jüngern auch einen Hinweis darauf, WIE sie wissen werden, daß Gottes Geist, der Fürsprecher und Tröster, bei ihnen sein wird: Gott ist in der Liebe gegenwärtig. Und Liebe ist kein abstraktes Konzept oder vages Gefühl, nein, Liebe ist etwas, das wir aktiv tun. Als jene, die Christus nachfolgen, lieben wir in Wort und Tat. Wenn wir Liebe empfangen, so wissen wir, daß Gott gegenwärtig ist, und das ist, glaube ich, recht einfach nachzuvollziehen. Doch auch, wenn wir Liebe schenken und weitergeben, so wissen wir, daß Gott gegenwärtig ist und in uns wohnt, indem Gott durch uns wirkt.

 

So wie niemand wirklich Martin Luther und der Reformation der Kirche seinerzeit eine Chance gab, nachdem ihn sowohl der Papst als auch der Kaiser verdammten, so gab auch niemand der aufkeimenden christlichen Gemeinschaft eine Chance, daß sie überleben würde. Da gab es einfach zuviele Widerstände und Probleme: eine Art spirituelle Obdachlosigkeit, Diaspora, Verfolgung, die Versuchungen anderer, bequemerer Religionen und ihrer Gottheiten. Doch wie wir heute sehen, gibt es die christliche Gemeinschaft noch immer – wir existieren noch immer, und immer noch werden Kinder getauft. Und wie konnte das geschehen? Anscheinend war und ist da etwas dran am Versprechen Christi: Gott ist bei uns, immer und in Ewigkeit, und hat uns einen mächtigen Fürsprecher und Tröster zur Seite gegeben, um uns zu bestärken. Liebe hat schon eine eigenartige Macht, auch die schwierigste Situation zu meistern und zu überwinden. Gottes Liebe hat schon eine eigenartige Macht, alles zu überwinden, selbst den Tod.

 

Das Versprechen, daß Gott nie seine Kinder verlassen würde, hat Gläubige durch alle Zeiten hindurch bestärkt. Es bestärkte die ersten Jünger Jesu, die drauf und dran waren, ihren geliebten Meister zu verlieren. Es bestärkte die Gemeinde, an die Johannes, der Evangelist, schrieb, als sie durch die schmerzhafte Trennung von der Synagoge ging, und dies war die einzige Heimat, die ihnen damals vertraut war. Und es bestärkt auch uns heute noch, egal, wie mutlos und orientierungslos und unsicher wir uns manchmal ob der Situation in dieser Welt fühlen mögen. Dies haben wir mit allen Gläubigen, die vor uns kamen und nach uns sein werden, gemein. Gott ist bei uns. Wir sind nie verlassen.

 

Auf unserer Reise durch das Leben, sei es als Einzelpersonen oder auch als Gemeinschaft, können wir uns stets sicher sein, daß Gott bei uns ist und auf unserer Seite ist. Wir mögen ungewiß auf diesem Wege sein. Wir mögen manchmal falsch abbiegen. Wir mögen uns fürchten und auch Schmerz erfahren – und doch wissen wir, daß Gott gegenwärtig ist, um unsere Seelen zu beschützen , unsere Fehler zu verzeihen, uns wieder auf den rechten Weg zu führen und uns Frieden zu schenken. Jemand, der uns anfeuert und ermutigt, eine fürsorgliche und liebebvolle und engagierte Gegenwart, selbst, wenn wir Fehler machen. Jemand, der bei uns ist – heute und in Ewigkeit.