Nach der Speisung…
Das Evangelium, das wir soeben gehört haben, hat es in sich. Da passiert so einiges – obwohl für uns wahrcheinlich die wohlbekannte Erzӓhlung der Speisung der 5000 hervorsticht, denn die ist ja schon spektukalӓr. Und ich könnte jetzt eine Predigt herunterrattern, die Sie wahrscheinlich in irgendweiner Form schon einmal gehört haben: dass Jesus Christus die Macht hat, unseren jedweden Hunger zu stillen und aus der Fülle gibt; und dass wir als die, die Christus heute nachfolgen, dazu berufen sind, die Welt heute zu nӓhren und das zu teilen, was Gott uns anvertraut hat. Amen? Amen!
Doch hat das heutige Evangelium noch weitere und auch recht düstere Dimensionen. Und es ist nicht so sehr eine Wundergeschichte als eine Warnung, die durch Raum und Zeit schallt. Wieso?
Lassen Sie mich dazu auf eine andere Erzӓhlung verweisen, diese aus dem Lukasevangelium, Kapitel 4. Hier lesen wir, dass Jesus, nachdem er im Jordan getauft war, von Satan in der Wüste versucht wird. ‚Und er wurde vom Geist in der Wüste umhergeführt vierzig Tage lang und von Satan versucht. Und er ass nichts in diesen Tagen, und als sie ein Ende hatten, hungerte ihn. Satan aber sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich zu diesem Stein, dass er Brot werde. Und Jesus antwortete ihm: Es steht geschrieben: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein.“ Und Satan führte ihn hoch hinauf und zeigte ihm alle Reiche der ganzen Welt in einem Augenblick und sprach zu ihm: Alle diese Macht will ich dir geben und ihre Herrlichkeit; denn die ist mir übergeben und ich gebe sie, wem ich will. Wenn du mich nun anbetest, so soll sie ganz dein sein. Jesus antwortete und sprach zu ihm: Es steht geschrieben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.“[…] Und als der Teufel alle Versuchungen vollendet hatte, wich er von ihm bis zur bestimmten Zeit (andere Übersetzung: bis zu einem günstigen Zeitpunkt).‘
‚Bis zu einer günstigen Zeit’ – die Geschichte ist nicht zuende. Satan – und übrigens bedeutet der Name ‘Satan’ nichts anderes als ‘Versucher’ oder ‘Verführer’ – hat noch weitere Versuchungen für Jesus auf Lager.
Und es scheint, als hӓtten wir in der heutigen Evangeliumserzӓhlung einen ‚günstigen Zeitpunkt‘ für Satan, den Versucher. Nun finde ich es interessant, dass Johannes keine Versuchungsgeschichte hat, so, wie die anderen Evangelisten. Doch verwandelt Johannes die Wundergeschichte von der Speisung der 5000 in eine Versuchungsgeschichte.
Da gibt es ganz deutliche Parallellen: die Speisung der 5000 geschieht in der Wildniss, in der Wüste. Dann ist da das Brot, das scheinbar aus dem Nichts kommt und die nӓhrt, die Hunger haben. Jesus mag hier keine Steine in Brot verwandeln, doch haben wir hier ein Wunder – den plötzlichen Überfluss aus dem Wenigen, das Jesus gegeben wird.
Doch dann stellt Jesus recht schnell fest, dass es vielleicht ein Fehler war, diese Massenspeisung vorzunehmen. Denn die Menschen in der Wildniss erkennen, dass Jesus jemand ist, der auf wunderbare Weise ihren Hunger stillen und ihre Bedürfnisse befriedigen kann. Und sie wollen daran festhalten, sie wollen Jesus ihr eigen machen. Wir lesen, dass sie ihn ergreifen wollen, aber das ist fast ein zu schwacher Ausdruck: sie wollen ihn packen, ihn kidnappen, sie wollen ihn und seine Macht unter Kontrolle bringen – indem sie ihn zu ihrem König machen.
Nun könnten wir fragen: na und? Ist das letztlich nicht, was auch Jesus will: in Liebe und Gnade über die Menschen zu herrschen im Reich Gottes, ein Reich, das nicht nur irgendwo in einem Himmel liegt, der ganz weit weg ist, sondern schon hier und jetzt unter uns hereinbricht?
Warum lehnt Jesus dieses verführerische Angebot ab und macht sich ganz schnell davon?
Warum lehnt Jesus das Angebot Satans in der Wüste ab: die Macht zu bekommen, mit der er Steine in Brot verwandeln und somit den Hunger der Welt stillen könnte und mit der er alle Reiche der Welt beherrschen könnte? Er lehnt es ab, weil da ein Teufelsfuss dran ist: ‚ Wenn du mich nun anbetest, so soll diese Macht ganz dein sein.‘ Satan wӓre dann der Königmacher, Satan hӓtte dann Macht und Kontrolle über Jesus, und Jesus müsste Satan nicht nur anbeten, sondern auch alles tun, um Satans Gunst zu behalten – denn was gegeben wird, kann auch ganz schnell wieder genommen werden, wenn Satan irgendwas nicht passt.
Und ebenso gibt es auch einen dicken Teufelsfuss in dem Verlangen der Menschen, die Jesus in der Wildniss gespeist hat. Sie wӓren die Königmacher. Jesus wӓre ein König zu ihren Bedingungen, und nicht zu Gottes Bedingungen. Die Masse will die Macht Jesu zӓhmen und zügeln und sie wahrscheinlich auch zur zu ihren Zwecken benutzen wollen. Lass uns einen Deal machen, Jesus: Gib uns, wonach uns hungert, und du sollst unser König sein. Solange du uns gibst, was wir wollen, und solange du uns sagst, was wir hören wollen, folgen wir dir. Und dies ist die Definition von Populismus.
Doch dann würde die Macht Jesu von seinen Anhӓngern und ihrem Wohlwollen abhӓngen. Und dies ist gefӓhrlich; oberflӓchlich gesehen würde Jesus vielleicht nicht seine Seele an den Teufel verkaufen, doch ist es sehr wahrscheinlich, dass er irgendwann doch seine Seele, seine Prinzipien, seine Visison und seine göttliche Mission aufgeben würde, um die Wahrheiten zu sprechen, die seine Anhӓnger hören wollen, und um sie zu befriedigen. Denn schliesslich und letztendlich lӓge die Macht bei ihnen.
Es gibt haufenweise Beispiele in der Geschichte und in der derzeitigen Politik, die nur zu gut zeigen, wie Menschen in Machtpositionen so von Lobbies, von Interessengruppen, grosszügigen Parteispendern und ihrer politischen Basis kontrolliert werden, dass Gerechtigkeit, Bewahrung der Schöpfung, und das Wohlergehen aller auf der Strecke bleiben. Die Führer werden zu denen, die von speziellen Interessen geführt werden. Es gibt viele Politiker, die irgendwann ihre Seele verkaufen und allein die scheinbar unersӓttliche Gier nach immer mehr einiger weniger stillen, so dass sie ihre Macht behalten; doch Werte wie Integritӓt und Ehre gehen dabei verloren.
Und irgendwie steckt das in unserer menschlichen Natur drin: der Hunger nach mehr, um jeden Preis.
Und da Jesus Mensch ist, ist dies auch ein Teil seiner Natur – sonst würde ihn Satan kaum in jener Hinsicht versuchen.
Also zieht Jesus sich schnellstmöglich zurück, um dieser Versuchung zu entkommen. Er haut ab. Vielleicht holt er dann erst einmal tief Luft und sammelt sich im Gebet. Und dann, laut dem Johannesevangelium, holt er sein Jünger ein, indem er auf dem Wasser wandelt, die Menschenmengen, die ihn zum König machen wollen, wiederum holen ihn ein, und dann predigt er eine sehr lange und leidenschaftliche Predigt über das Brot des Lebens – über das, wonach die Menschen wirklich trachten sollten und was über das tӓgliche Brot hinausgeht: Vergebung. Gnade. Liebe. Gerechtigkeit. Ein erfülltes und ewiges Leben.
Und was passiert, als Jesus über das wahre Brot des Lebens und seine Herrschaft – Gottes Herrschaft – redet, die eben nicht von dieser Welt ist und sich nicht nach den Regeln der Welt orientiert, sondern eine Herrschaft des Friedens für alle ist, in der alle soviel bekommen, wie sie brauchen, ob sie dessen ‚würdig‘ sind oder auch nicht? Eine Herrschaft, in der Geschlecht, Hautfarbe, sozialer Rang und Fӓhigkeiten keine Rolle spielen, sondern allein der Wille, sich Christus und seiner Vision zu fügen? Eine Herrschaft, in der Gott der einzige ist, der seine Macht ausübt, und alle Machtkӓmpfe enden?
Viele wenden sich von ihm ab, so lesen wir am Ende des Kapitels. Das ist nicht, was sie wollen.
Aber dies ist das Reich, in das wir alles eingeladen sind. Dies ist das Reich, das Christus uns anbietet. Und es ist kein exklusiver Club. Es ist ein Haus mit vielen Wohnungen.
Ich denke, das heutige Evangelium warnt uns vor den Versuchungen und den Stolperfallen, den Teufelsfüssen der Macht. Doch denke ich, dass uns das Evangelium darüber hinaus dazu herausfordert, uns der Macht Christi zu fügen – Christus eben Christus sein zu lassen, und Gott Gott sein zu lassen, in aller Macht und Herrlichkeit und Grosszügigkeit. Die Herausforderung ist, Christus nicht irgendwie in eine Schublade zu stecken, und ihn nach unseren Bedürfnissen und Erwartungen zu formen, und so ein Bildnis – unser Bildnis aus ihm zu machen.
Die Herausforderung ist, Gott nicht für unsere Zwecke packen und ergreifen zu wollen oder Gott gar dazu benutzen, um anderen wehzutun. Die Herausforderung ist, uns ganz und gar diesem Gott auszuliefern und anzuvertrauen – diesem Gott, der uns verspricht, unseren jeglichen Hunger zu stillen und uns voll einzuschenken. Letztlich ist bei Gott genug für alle da: genug Gnade, genug Liebe, genug leben. Wir müssen nicht befürchten, dass wir irgendwie nicht genug bekommen.