Predigt zu Lukas 14, 1; 7-14; Vierzehnter Sonntag nach Trinitatis – 28. August 2016

 

table fellowship

Der Countdown zum offiziellen Beginn des 500 jährigen Jubiläums der Reformation hat begonnen. Der 30. Oktober dieses Jahres, der als Reformationssonntag begangen wird, wird das Reformationsjahr feierlich eröffnen. Aber wir schummeln hier in der Matthäusgemeinde auch ein bißchen, indem wir schon vorher so einige Veranstaltungen anbieten, die das Reformationsjubiläum feiern. Am 7. September, wie Sie hoffentlich alle gehört haben, wird uns der Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, besuchen; nachmittags werden wir einen Kaffeeklatsch mit ihm abhalten, und abends dann ein phantastisches Konzert zur Wiedereinweihung unserer Orgel haben. Und das ist längst nicht alles. Seien Sie also auf ein spannendes Jahr gefaßt, in dem wir viel über Martin Luther und die Reformation lernen werden, und auch darüber nachdenken, welche Bedeutung die Reformation auch heute noch für unsere Zeit und Welt hat.

 

Nun könnte ich so einiges über Martin Luther, den Gründer der Kirche, die wir ‚lutherisch‘ nennen, sagen; aber eine Sache, die ich heute hervorheben möchte, ist, daß Gastfreundschaft für Luther unheimlich wichtig war – manchmal sehr zum Verdruß seiner Frau Katharina. Das Haus, in dem sie lebten, war ein ehemaliges Kloster, also recht geräumig; und in Luthers Tagen war es auch Brauch unter Professoren, Zimmer an Studenten zu vermieten und Speis und Trank anzubieten – das war eine Art Nebeneinkommen, auch für die Luthers.

 

Also hatte Käthe nicht nur damit zu tun, ihren Mann und ihre eigenen fünf Kinder zu versorgen, sondern mußte dies auch für die Studenten im Hause tun. Aber Martin Luther begnügte sich nicht nur damit, einige Mahlzeiten für die Studenten bereitzustellen, nein, er lud seine Schützlinge dazu ein, mit am großen Eßtisch der Familie zu sitzen. Auch lud er gerne Kollegen und Freunde ein, und auch manchmal den Bettler von der Straße. Können Sie sich vorstellen, wie Käthe es wohl aufnahm, wenn ihr Göttergatte ihr sagte: ‚Oh, übrigens haben wir 10 zusätzliche Leute zum Abendessen da.‘?

 

Martin Luther war ein großzügiger Gastgeber; es wird erzählt, daß seine Frau, obwohl sie schon ein hauswirtschaftliches Wunder war, viele der Nahrungsmittel selbst anbaute und sogar ihr eigenes Bier braute, so manches Mal einen heimlichen Gang zum Pfandhaus machte; Luther bekam so einige wertvolle, doch recht unnütze Gegenstände von seinen adligen Gönnern geschenkt, die wurden dann zu Geld umgesetzt.

 

Doch für Luther ging es nicht nur um Großzügigkeit und um das gemeinsame Essen; ihm war die Gesellschaft um den Tisch herum unheimlich wichtig und von großer Bedeutung. So bedeutungsvoll, daß er in den ‚Schmalkaldischen Artikeln‘ aus dem Jahre 1537 schrieb, daß Mahlzeiten in Gemeinschaft eingenommen werden sollen, denn sie bieten ‚gegenseitige Unterhaltung und Trost‘; somit sind sie ein Symbol der Teilnahme an Gottes Gnade.

 

Und was wir heute als deftige und auch gedankenanregende ‚Tischreden‘ kennen und schätzen, hat natürlich seine Ursprünge in diesen gemeinschaftlichen Mahlzeiten.

 

Ich weiß, daß die nicht-kirchliche Gesellschaft sich manchmal über lutherische Potluck Mahlzeiten lustig macht, aber nun wissen Sie, daß es auch eine theologische Bedeutung hat, sich zu diesen Mitbringmahlzeiten zusammenzusetzen. Wann immer wir zusammenkommen, um zu essen, sei es um den Altar herum zum Abendmahl, oder sei es zu einem unserer Potlucks, so wird das himmlische Festmahl im Reich Gottes schon hier angedeutet. Um den Tisch herum bekommen wir einen Vorgeschmack darauf, was Gottes Gnade für uns und alle bedeutet.

 

Zur Zeit Jesu war die Tischgemeinschaft oftmals ein politischer und diplomatischer Akt. Es wurde viel damit ausgesagt, wer eingeladen wurde oder auch nicht, und wo man die Gäste um die Tafel herum plazierte. Heute haben wir das noch manchmal bei offiziellen Banketten und dann auch Hochzeitsempfängen. Da dauert dann das Erstellen der Tischordnung Stunden, normalerweise mit dem Resultat, daß sich dann doch noch jemand auf die Füße getreten fühlt.

 

In Jesu Tagen wurde also ein Gastmahl ganz wörtlich dazu benutzt, um jemanden auf seinen Platz zu verweisen. Wohlwollen oder Ablehnung wurden dadurch ausgedrückt, wohin jemand verwiesen wurde.

 

Aber dann mußten natürlich auch manche Gäste einen Ehrenplatz bekommen, egal, ob der Gastgeber sie nun mochte oder nicht, weil sie einfach zu wichtig oder einflußreich waren. Und solche VIPs konnten dann auch einen Ehrenplatz geradezu erwarten, meist gleich neben dem Gastgeber – solch ein Platz gebührte ihnen schließlich. Und viele arbeiteten hart daran, manchmal durch Manipulation und Bestechung, die soziale Leiter zu erklimmen, um an einem solch begehrten Platz zu landen.

 

Jesus beobachtet all dies, als er sich mit einigen Pharisäern, ehrwürdigen Gelehrten des Gesetzes Gottes,  zum Essen niederläßt. Und wie so häufig nimmt Jesus diese Situation zur Gelegenheit, etwas über das Reich und die Gnade Gottes zu lehren – und wie es uns betrifft.

 

Das wichtigste zuerst: wir sind alles eingeladen zum Gastmahl Gottes. Die Wichtigen und Reichen, die, die etwas im Leben erreicht haben, aber auch die, die anscheinend keinen Platz in der Gesellschaft haben, die, die sich unwürdig fühlen – die Niedrigen und Erniedrigten. Es gibt Platz für alle; alle sind eingladen, die Gnade Gottes zu empfangen. Sonst wäre es ja keine freie Gnade, sondern Verdienst.

 

Dieser Teil ist ziemlich einfach und unkompliziert. Die schwierigere Frage ist wohl, wo mein Platz im Reiche Gottes ist. Und das führt dann auch zu der Frage, wo mein Platz derzeit in dieser Welt ist, da das Reich Gottes tagtäglich auf uns hereinbricht.

 

Sind Sie mit dem Platz, an dem Sie derzeit sind, zufrieden? Denken Sie, daß dies der Platz ist, an den Gott Sie gesetzt hat?  Ist es vielleicht ein Platz, den Sie sich selbst ausgesucht haben, ohne Gott zu fragen, ob er damit einverstanden ist?

 

Haben Sie sich vielleicht daran gewöhnt, an dem Platz zu sein, den Sie schon eine Weile innehaben?

 

Gerade in einem Umfeld wie einer Kirche scheinen viele es sich an einem bestimmten Platz bequem zu machen, und nicht nur in der Kirchenbank, und erwarten, für den Rest ihres Lebens dort zu bleiben. Das ist, was ich tue, das ist, was mir angenehm ist, ich will keine Veränderung. Oder dann gibt es die Variante, wenn manche an etwas festhalten, weil sie es schon immer gemacht haben, daran sind sie gewöhnt, und es ihnen schwer fällt, die Zügel an jemand neues abzugeben. Diese neue Person könnte ja verrückte Ideen haben!

 

Und so ist es manchmal sehr schwer für Neuankӧmmlinge in einer Gemeinde, ihren Platz zu finden, denn hӓufig sind so einige Positionen schon besetzt, oder ihnen werden die Aufgaben angeboten, die sonst keiner machen will.

 

Die, die schon eine Weile ihre Plӓtze und Positionen innehatten, mӧgen denken, daβ sie ihnen gebühren und sie gar einen Anspruch darauf haben. Aber vielleicht sollten wir dann vielleicht doch die Frage stellen: ‘Gott, wo willst Du mich eigentlich?’ Manchmal ist der Platz im Leben, an dem wir uns befinden, nicht der, an dem wir gebraucht werden und an dem Gott uns dringend braucht. Indem wir uns Gottes Willen ӧffnen, erniedrigen wir uns, und das ist zugegebenermaβen nicht einfach.

 

Und wie geht die Welt mit dem Konzept der Bescheidenheit und des niedrigen Dienstes am Nӓchsten um? Es stӧrt mich schon, daβ anstelle der Bescheidenheit und der Ehrenhaftigkeit heutzutage die Eitelkeit und der Egoismus als erstrebenswert angesehen werden. Viele Führungspersӧnlichkeiten, gerade in Politik und Wirtschaft, beharren darauf, daβ sie aus eigener Kraft an den Platz gelangt sind, and dem sie stehen, und daβ sie niemandem etwas zu verdanken haben – sie haben sich ihren Status und ihre Privilegien hart verdient, sie meinen, daβ sie ein Anrecht darauf haben, und verweigern oft gleichzeitig anderen einen Platz am Tisch der Gesellschaft.

 

Und so haben wir die Migrationsdebatte, das Unbehagen um die ‘Black Lives Matter’ Bewegung, die Opposition in diesem Lande, die Grundrechte, die einst die Gründungsvӓter allen Bürgern zugedacht hatten, Menschen aller Herkunft und Religion zuzugestehen,und es geht darum, Mitmenschen an ihren Platz zu verweisen oder sie gar nicht erst zu Tische zu laden. Man mag über all diese Themen denken, wie man mӧchte, und ich weiβ, daβ sie vielschichtig und kompliziert sind, aber denken Sie nur mal einen Moment darüber nach: haben wir, die wir nicht tagtӓglich um unserer Würde und unser Überleben kӓmpfen müssen, und vielleicht nicht zu sehr an unseren recht bequemen Status in der Gesellschaft gewӧhnt, und sind wir vielleicht nicht zu schnell bereit, ein Urteil über den Wert oder Unwert anderer Menschen zu fӓllen und sie an einen minderwertigen Platz zu verweisen?

 

Wer bestimmt, wer eingeladen wird und wer nicht? Ist es das, was wir unter Gnade verstehen?

 

Nichts ist selbstverstӓndlich. Im Grunde haben wir einen Anspruch auf nichts. Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin, spricht der Apostel Paulus. Gott verweist uns an unseren Platz im Leben. Und welch ein wunderbarer Platz dies ist: ein Platz am groβen Tisch Gottes. Da gibt es genügend Nahrung für alle. Und, um wieder zu Martin Luther zurückzukehren: um diesen Tisch herum, und um das Gastmahl, an dem wir alle teilnehmen, gibt es wunderbare Gelegenheiten, Unterhaltung und Trost miteinander zu teilen. Wenn wir neben denen sitzen, die wir vielleicht noch nicht kennen und deren Gesellschaft wir normalerweise nicht suchen, dann gibt es wunderbare Gelegenheiten, einander zuzuhӧren und etwas übereinander zu lernen, und vielleicht sogar Miβverstӓndnisse, Vorurteile, und Ängste abzubauen, die wir untereinander haben.

 

Ich denke, daβ Martin Luther schon einen Grund hat, warum er unsere Tischgemeinschaft mit dem himmlischen Bankett im Reich Gottes, einem Ort der wunderbaren Gnade und Liebe Gottes, vergleicht. Einen Vorgeschmack auf das Reich Gottes bekommen wir, wenn wir unser Brot und einander mit Freunden und auch Fremden teilen.