Wann war das letzte Mal, dass Sie aufgegeben haben? Wann war das letzte Mal, dass Sie die Nase so richtig voll hatten, sei es angesichts einer Situation oder auch einer bestimmten Person, dass Sie sich sagten: es reicht, ich kann oder will damit nichts mehr zu tun haben?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass es uns allen schon einmal so gegangen ist. Vielleicht hat uns eine Kleinigkeit genervt, vielleicht auch etwas Gröβeres, Wichtigeres.
Nun möchte ich gleich klarstellen: manchmal ist es gut und wichtig, aufzugeben. Insbesondere, wenn man alles Mögliche versucht hat, und es hat dann doch nichts gebracht. Manchmal ist das einzig Richtige, etwas sein zu lassen und sich aus der Affäre zu ziehen.
Aber ich weiss aus eigener Erfahrung, dass ich manchmal versucht bin, das Handtuch zu werfen, obwohl ich mich eigentlich wenig bemüht habe – oder vielleicht auch gar nicht. Ganz besonders, wenn eine Situation einfach zu gross, zu komplex, zu kompliziert und zu frustrierend scheint.
Wenn ich allein nur Obdachlose um mich herum hier in dern Strassen sehe, bin ich versucht, zu denken: was kann ich da schon tun? Kann irgendjemand da etwas tun? Kann dieses Problem der Obdachlosigkeit, das so vielschichtig ist, jemals gelöst werden?
Da gibt es manche Sachen, die in der Politik und im gesellschaftlichen Leben passieren, die mich einfach entsetzen – gerade als Christin. Aber da sich ja eh nichts ändert – ganz im Gegenteil, es scheint nur schlimmer zu werden, und die an der Macht schauen ganz schnell weg, wenn schreiendes Unrecht geschieht – dann ärgere ich mich nur und werde auch zynisch – aber will mich einfach nicht mehr damit abgeben. Ich gebe auf. Was kann ich schon tun?
Ich gebe es zu: wenn ich mir so ansehe, was so in diesem Land und in der Welt vor sich geht, da verliere ich schon manchmal den Mut und gebe auf. Ich lasse nach.
Im heutigen Evangelium hat Jesus etwas über das Nachlassen zu sagen. Da lesen wir: Er sagte ihnen – d.h. den Jüngern – ein Gleichnis davon, dass man allezeit beten und nicht nachlassen sollte. So jedenfalls übersetzt Luther hier.
Aber das griechische Wort, das sich hier im Originaltext befindet, ist etwas schärfer. Hier wird ein Wort verwendet, dass hauptsächlich auf Lebensmittel angewendet wird – etwas wird schlecht, es vergammelt – es verdirbt. Jesus sagt hier also wortwörtlich: Betet allezeit und verderbt nicht. Es geht also ums Verderben, und das Wort kennen wir ja. Jesus warnt seine Jünger davor. Aber warum?
Da muss man das heutige Evangelium im gröβeren Zusammenhang lesen. In der Passage direkt davor geht es um das Kommen des Reiches Gottes und die ‘Tage des Menschensohns’ – und Jesus spricht davon, dass es dann Leiden und Ablehnung und Zertrennung und Verlust geben wird. Das ist schon alles recht aufwühlend und auch bedrohlich – für Jesu Jünger damals, aber auch für uns heute.
Wir werden daran erinnert, dass das Kommen des Reiches Gottes eben nicht lediglich ein glorreiches Ereignis sein wird, das einfach so wie von Zauberhand geschieht – sondern dass das Kommen des Gottesreiches mit Kämpfen verbunden ist; da gibt es Widerstand gegen das Gottesreich des Friedens, der Versöhnung und der Gnade, Widerstand gegen das Reich, in dem ewiges Leben in aller Fülle für alle herrscht.
Wir werden daran erinnert, dass Gottes Herrlichkeit durch Kreuz und Tod führt. Und auch heute noch leben wir im Schatten des Kreuzes.
Während das Gottesreich unter uns wächst wie ein Senfkorn, haben wir auch heute noch mit Mächten zu kämpfen, die es ausmerzen wollen.
Und diese Mächte beherrschen auch uns. Es hat seinen Grund, warum wir jeden Sonntag unsere Schuld bekennen. Wir haben an sovielen Systemen in der Welt teil, die ausnutzen, erniedrigen und zerstören. Häufig sind wir gleichzeitig Opfer und Täter in diesen Systemen.
Das ist alles unordentlich und hochkompliziert. Und die Versuchung ist gross, das Handtuch zu werfen, mit dem Strom zu schwimmen, den Weg des geringsten Widerstandes zu wählen, nachzulassen. Oder, wie Jesus wortwörtlich im heutigen Evangelium sagt, zu verderben.
Doch widersetzt sich Jesus dem und fordert die, die ihm folgen, heraus. Er fordert seine Jünger, damals wie heute, dazu heraus, eben nicht nachzulassen und verderben. Und Jesus sagt uns auch, wie wir das am besten tun: durch Gebet.
Betet allezeit! So Jesus. Betet und seid beharrlich im Gebet, so wie eine Witwe, die nichts als ihre Beharrlichkeit hat, um sich bei einem ungerechten Richter Verhör zu verschaffen.
Das Gleichnis, das Jesus hier verwendet, um diesen Punkt zu unterstreichen, ist vielschichtig. ‘Unrecht’, ‘Recht’ und ‘Gerechtigkeit’ werden hier mehrmals verwendet. Ich finde es interessant, dass diese Worte in einem Gleichnis zum Thema Gebet und zum Thema ‘Verderben’ verwendet werden.
Da ist da der ungerechte Richter, der offensichtlich bereits verdorben ist. Und dann ist da die Geschichte an sich, die nicht nur als Beispiel für das Leben der Gläubigen dient, sondern auch eine harsche Gesellschaftskritik beinhaltet.
Jesus redet hier von einer Witwe – und das kann auch eine junge Frau gewesen sein, wir wissen es nicht. Viele Frauen, die ihren Mann verloren und keine weitere männliche Schutzperson in ihrem Leben hatten – so wie einen Vater, einen anderen Verwandten, der ihr ein Heim geben konnte, oder ein erwachsener Sohn – waren extrem verwundbar. Wenn ihr ihr Mann nichts hinterliess, so war sie auf Almosen angewiesen. Und das betraf dann auch ihre minderjährigen Kinder, wenn sie welche hatte.
Auch wenn sie etwas erbte, konnte es sein, dass ein Vormund für sie eingesetzt wurde – und das waren in der Regel die, die schreiben und Buchführung machen konnten, also die, die wir aus der Bibel als Schriftgelehrte kennen.
Solche Vormunde übervorteilten die Witwen mitunter – an anderer Stelle spricht Jesus von den Schriftgelehrten, die ‘die Häuser der Witwen fressen’ – und das wird schon seinen Grund haben, warum Jesus so etwas sagt.
Besonders Witwen, die kein oder wenig Geld und geringen sozialen Status hatten, waren machtlos. Dinge haben sich da in den letzten 2000 Jahren nicht viel verändert, die Armen werden immer noch in dieser Welt von den Mächtigen übervorteilt.
Es passierte wahrscheinlich häufiger zu Zeiten Jesu, dass eine Witwe, die betrogen wurde, versuchte, am Gericht ihr Recht zu erstreiten. Es passierte wahrscheinlich auch häufiger, dass ein Richter, der womöglich mit dem befreundet und in einer sozialen Klasse war, der die Witwe übervorteilt hatte, sich weigerte, ihr Recht zu verschaffen.
Die Witwe im Gleichnis, das Jesus erzählt, läβt nicht nach. Sie verdirbt nicht – obwohl sie vielleicht ihre Gründe dazu hätte. Was kann sie schon gegen die Mächtigen ausrichten? Vielleicht ist sie so verzweifelt, dass sie einfach keine andere Wahl hat. Womöglich hängt ihr Leben – und das Leben ihrer Kinder, wenn sie denn welche hat – von ihrer Beharrlichkeit ab. Sie weigert sich, das Handtuch zu werfen.
Am Ende gibt der Richter nach – weil er genervt ist, weil es unbequem für ihn ist, weil er ein blaues Auge befürchtet – sei es nun wörtlich oder im symbolischen Sinne. Dieser Fall könnte schlecht für seinen Ruf sein.
Und, nur am Rande, sollten Sie denken, dass Gott hier der ungerechte Richter ist, so denke ich, dass Sie falsch liegen. Es ist eher Satan, der für alle gottlosen und herzlosen Mächte steht, der hier dargestellt wird. Dieses Gleichnis konzentriert sich auf Gebet, was es bewirkt und wie es der Ungerechtigkeit entgegenwirkt – und um uns, die Betenden.
Jesus sagt, dass wir beten sollen, als hinge unser Leben davon ab – und das Leben, das wir um uns herum erfahren. Gebet ist eine ständige Hinwendung zu Gott, sei es in Dankbarkeit, im Gotteslob, im Klagen, im Bekennen von Schuld, und der Bitte – und dieses Gebet öffnet uns Augen und Ohren und Herz: gegenüber Gott, unseren Mitmenschen, und auch den Tiefen unserer selbst.
Gebet erinnert uns daran, dass wir ein Teil etwas unendlich Gröβeren sind. Gebet erinnert uns daran, dass wir umfangen sind: von Gott, von anderen Menschen mit all ihren Nöten, Sorgen und Freuden, und von dieser wundervollen Welt, die Gott erschaffen hat. Und all das bewahrt uns davor, nachzulassen, aufzugeben und zu verderben.
Der deutsche Theologe Gerhard Ebeling sagte einmal: ‘Gebet ist die Hinwendung zur Zukunft.’ Gebet ist die Hinwendung zur Zukunft. Ich mag diese Defintion von Gebet. Denn wenn wir beten, dann drücken wir unseren Glauben und unsere Hoffnung aus, dass Gott da ist, dass Gott eine Zukunft für uns und alle Kreatur bereitet hat, auch, wenn wir derzeit inmitten von Kämpfen, Leiden, Ablehnung, Zertrennung und Verlust sein mögen. Auch, wenn wir in Schatten des Kreuzes stehen.
Und weil es eine Zukunft in Gott und mit Gott gibt – weil das Reich Gottes bereits unter uns wächst, beharrlich, obgleich es Mächte gibt, die dagegen ankämpfen – dürfen wir nicht nachlassen und uns dazu versuchen lassen, zu verderben. Es gibt Hoffnung.
Wir sind dazu berufen, starrsinnig und starrherzig in die Hoffnung hineinzuleben and allen Mächten zu widerstehen, die mutlos machen und uns dahin versuchen, einfach aufzugeben und den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen.
Gott hat den schwersten Weg gewählt. Er ging durch Leiden, Kreuz und Tod. Gott hat nicht nachgelassen, nicht aufgegeben, obwohl Gott allen Grund dazu gehabt hätte. Dieser Gott umgibt uns mit Gnade und Liebe und ist mit uns auf unseren schmalen und schweren Wegen. Dieser Gott segnet unseren Ausgang und Eingang, von nun an bis in Ewigkeit.
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