Die ersten Zeilen des heutigen Evangeliumstextes mögen uns langweilig und langatmig vorkommen: ‘Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war und Herodes Landesfürst von Galiläa und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Lanschaft Trachonitis und Lysanias Landesfürst von Abilene, als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren, da geshah das Wort Gottes zu Johannes.’
Lukas, der Verfasser des Evangeliums, das wir heute hörten, mag offensichtlich Geschichte. Er macht ganz deutlich, dass die Geschichte Jesu Christi eben nicht ein Mythos ist, sondern dass Gottes Sohn in eine ganz konkrete Welt mit ganz konkreten politischen Umständen gesandt ist. Gott kommt in die Welt, und es ist eine komplizierte, wirkliche Welt.
Aber Lukas erzählt in diesen ersten Versen auch eine recht süffisante Geschichte politischer Intrigen – etwas, das wir heute so nicht mehr erkennen, aber die Zeitgenossen des Lukas schon. Zunächst einmal wird ganz deutlich, dass die Römer hier in den jüdischen Territorien das Sagen haben.
Da ist natürlich der fast allmächtige Kaiser Tiberius in Rom, doch dann hören wir auch von denen, die in der Gunst und Gnade dieses Kaisers stehen: da ist Pontius Pilatus, der brutale Statthalter. Dann gibt es da Herodes und Philippus, Landesfürsten, die nur scheinbar das Sagen haben, doch Vasallen Roms sind – und die sich ständig mit Pilatus über Machtfragen in der Wolle haben. Dann ist da der eher unbekannte Landesfürst Lysanias, der ebenfalls ein Vasall Roms ist – und, nur als interssante Nebengeschichte, Lysanias wird im Jahr 33 von Marcus Antonius als Verräter hingerichtet – aber nur, weil Cleopatra, die Geliebte des Marcus Antonius, ein Auge auf die Territorien des Lysanias geworfen hat.
Und dann sind da noch Annas und Kaiphas, die Hohepriester in Jerusalem, die scheinbar das Sagen in religiösen und spirituellen Fragen haben, die aber auch unter der Knute des römischen Kaisers stehen: alle Kandidaten für das Amt des Hohepriesters werden von Rom handverlesen und bestätigt.
Alles, was in der der Region um den Jordan herum passiert, ist unter römischer Kontrolle.
Und die, die dort die Macht haben, hängen mit Zähnen und Klauen an dieser Macht fest. Und das Volk leidet oft unter herrschaftlicher Willkür…ist heute ja auch nicht so anders.
Die ersten Zeilen des heutigen Evangeliums beschreiben also eine hochexplosive politische Situation. Langweilig? Überhaupt nicht! Was da beschrieben wird, könnte im Stil von ‘Game of Thrones’ ausgemalt werden…
‘Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius,’ als all die anderen Schergen über ihre jeweiligen Reiche regieren, geschieht das Wort Gottes zu Johannes in der Wüste, so lesen wir. Und das Wort Gottes geschieht zu einem Eremiten, einem religiösen Spinner, dem Sohn eines stinknormalen Priesters. Johannes ist im Grunde genommen ein Niemand. Lukas stellt also all den hochrangigen Politikern diesen Niemand entgegen.
Aber so bekommen wir schon einen Vorgeschmack auf Gottes Idee von Macht: Gottes Macht findet sich eben nicht in goldenen Thronsälen und luxuriösen Büros. Gottes Macht wird nicht durch Machtspiele und rohe Gewalt definiert. Nein, Gottes Macht ist viel subtiler und durchdringender.
Die, die Gott sich als Instrumente aussucht, sind die, die ganz weit weg von den Mittelpunkten politischer Gewalt stehen: z.B. Johannes, der Täufer. Dann ist da auch Maria, eine junge unbedeutende Frau, die dazu erwählt ist, Gottes Sohn zu gebären. Jesus selbst ist ein Zimmermann, ein armer Wanderprediger, der das Friedensreich Gottes in Wort und Tat verkündigt – und der paradoxerweise die Macht Gottes im Kreuzestod demonstriert. Und seitdem gab es unzählige andere, die im Laufe der Geschichte das Wort und das Reich Gottes durch Taten der Nächstenliebe, der Gnade und der Gerechtigkeit den Menschen nahegebracht haben.
Durch Johannes als auch durch viele andere bricht Gottes sonderbare Macht mitten in die Mächte der Welt hinein.
Nun ist Johannes aber nicht unbedingt diplomatisch in seiner Verkündigung, sondern vertritt die Macht Gottes recht offensiv. Im heutigen Evangelium lesen wir: ‘Und Johannes kam in die ganze Gegend um den Jordan und predigte die Taufe zur Buβe der Vergebung.’ Mit anderen Worten, da gibt es eine regelrechte Invasion: Johannes betritt kühn all die Gebiete, die von den Herrschaften regiert werden, von denen wir etwas eher gehört haben: Judäa, Galiläa, Abilene, Ituräa und Trachinitis – all dieses Territorien liegen an den Ufern des Jordan, und alle diese Territorien sind unter römischer Vorherrschaft. Und durch Johannes tritt Gott mitten ins Fettnäpchen, mitten in diese hochbrisante politische Situation. Merken Sie, wie es jetzt so richtig spannend wird?
Und nun hören Sie in diesem Kontext einmal genau hin, was Johannes da eigentlich verkündigt: ‘Bereitet den Weg des Herrn!” Bereitet den Weg des Herrn – bereitet den Weg für jemanden, der weit über Caesar und den anderen poltischen Schergen steht. Dies ist eine Attacke gegen die politischen Mächte und Strukturen, dies ist ein Angriff auf Rom.
Und dieser Angriff geht dann weiter. Johannes zitiert aus dem Buch Jesaja: ‘Macht die Steige des Herrn eben. Alle Täler sollen erhöht und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden; und was krumm ist, soll gerade werden, und was uneben ist, soll ebener Weg werden, und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.’
Diese Worte sind radikal und gefährlich. Und, nur zur Erinnerung, wir wissen ja, was dann letztendlich mit Johannes passiert. In gewisser Weise ist er der Jamal Kashoggi seiner Zeit – jemand mit einer unbequemen Botschaft, der von der Autoritäten beseitigt wird.
Die Botschaft des Johannes ist ein dringender Aufruf an alle, die ihm zuhören – seien es seine Zeitgenossen am Ufer des Jordan oder wir hier und heute an der San Francisco Bay – nicht nur passiv auf die Ankunft des Herrn zu warten, sondern aktiv etwas zu tun, da wir ihn erwarten. Bereitet den Weg des Herrn! Macht die Steige des Herrn eben! Und wie machen wir das? Indem wir jedes Tal erhöhen und jeden Hügel und jeden Berg erniedrigen, alles gerade machen, was krumm ist, und alle unebenen Wege eben machen.
Wir sind dazu aufgerufen, nach Gerechtigkeit und Gleichheit zu streben, und unsere Augen und Ohren nicht verschliessen, wenn wir hören, dass das reichste 1% in der Welt 50% allen Reichtums besitzt – und das zumeist auf Kosten der Armen und der Umwelt. Ja, die Berge werden immer höher und die Täler immer tiefer – wir müssen uns nur einmal in unserer Stadt hier umsehen, wo das der Fall ist. Denken Sie nur einmal an den imposanten Sales Force Tower, in dessen weitem Schatten sich mannigfache Obdachlosencamps befinden.
Wir sind auch heute dazu berufen, unseren Teil dazu zu tun, den Status Quo dieser Welt in Frage zu stellen und gerechter zu handeln. Denn alles Fleisch soll und wird das Heil Gottes sehen, nicht nur ein paar wenige Privilegierte. Dies ist die Vision Gottes, dies ist das Ziel des Heils Gottes.
Ich denke, es ist nicht überraschend, dass diese Botschaft des Johannes – die Botschaft Gottes, wirklich – von den politisch Mächtigen damals wie heute nicht unbedingt mir Begeisteurung angenommen wird, ganz im Gegenteil. Das, was Gott zu sagen hat, stellt ihre Macht und Autorität und ihre Privilegien in Frage. Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass die Worte des Johannes irgendwie gar nicht von Politikern heutzutage aufgenommen werden, selbst von denen, die vorgeben, nach christlichen Werten zu handeln?
Doch denke ich, dass die Botschaft des Johannes für alle, die ihm zuhören, zu einem gewissen Grade unangenehm und unbequem ist, nicht nur für die, die weltliche Macht innehaben. Denn Gottes Vision für die Menschheit verlangt nach einem generellen Richtungswechsel, neuen Wegen, oder Umkehr, wie die Bibel so schön sagt.
Johannes appelliert an seine Zuhörerschaft damals wie heute und durch Raum und Zeit hindurch, von den Wegen der Komplizenschaft oder Bequemlichkeit oder Resignation abzukehren und statt dessen auf den Wegen zu wandeln, die Gottes Visison entgegengehen – der Vision einer Welt, wie sie laut Gott sein könnte und sein soll. Johannes appelliert an uns, auf solch eine Welt zu hoffen, uns zwar, indem wir aktiv in diese Hoffnung hineinleben. Er appelliert an uns, eben nicht das Handtuch zu werden und dem, was unvermeidbar und unveränderlich scheint, nachzugeben.
In diesem Sinne betritt Johannes nicht nur frech all die Gebiete am Jordan, die von anderen beherrscht werden. Nein, Johannes tritt so auch mitten in unsere Existenz und Erfahrungswelt – er tritt uns damit vielleicht auch gehörig auf die Zehen – , er rüttelt uns auf, und berührt uns in vielleicht unangenehmer Weise. Johannes zwingt uns, nachzudenken und unsere Wege zu überdenken. Und ich glaube, dass ist nicht schlecht, wenn man mal bedenkt, welche Mächte uns heutzutage beherrschen und unser Schicksal – und das der ganzen Welt – bestimmen.
Die Botschaft des Johannes erinnert uns an Gottes subtive und durchdringenbde Macht – eine Macht der Liebe und Gnade, eine Macht, die ‘Ja’ zu allem Leben sagt. Dies ist die Macht, die wir in einem neugeborenen Kind in der Krippe sehen, eine Macht, die unser Herz erweicht und uns daran glauben läβt, das sein Neubeginn möglich ist.
Johannes erinnert uns daran, dass uns allen diese Macht gegeben ist, dass wir sie gebrauchen können und auch gebrauchen sollen, so dass wir den Weg den Herrn bereiten, wo immer wir auch sind und wohin wir auch gehen.