Predigt zu Lukas 8, 26-39; Vierter Sonntag nach Trinitatis – 19. Juni 2016

gerasene demoniac

Es war sehr erschütternd, als ich am vergangenen Sonntag aufwachte und quasi sofort von der Massenschieβerei in Orlando, Florida, hӧrte. 50 Menschen verloren ihr Leben, darunter der Attentӓter, und 53 wurden zum Teil schwer verletzt. Dies war die schlimmste Massenschieβerei in der modernen U.S. amerikanischen Geschichte. Der Attentӓter suchte sich seine Opfer anscheinend gezielt aus: die homosexuelle Kommune, die sich im  Schwulenclub ‘Pulse’ traf. Nun hat es unzӓhlige Kommentare, Analysen, Blogs und Tweets gegeben, die sich mit der Grӓueltat befassen; diese reichen von der Frage der Kontrolle von Waffen in diesem Land, über die Gefahr, die von muslimischen Extremisten ausgeht, zu dem Phӓnomen, das viele dieser Taten von Einzelgӓngern ausgeführt werden, und dann natürlich die nationale Sicherheit. Nicht viel neues hier, haben wir leider ja alle schon viele Male gehӧrt, ohne daβsich da etwas je geӓndert hӓtte. Doch die Kommentare, die mich am meisten berührt und auch zum Nachdenken angeregt haben, kamen aus der homosexuellen Kommune, oder, wie man hier so schӧn sagt, aus der LGTBQ Kommune.

Nun leben wir alle im Einzugsgebiet San Franciscos, das als inoffizielle Schwulenhauptstadt der USA gilt. Wir müssen uns nicht besonders anstrengen, um hier Menschen zu finden, die der LGTBQ Kommune angehören, hier wird das recht offen gelebt. Und diese Stadt ist ein recht sicherer Ort für Menschen aller möglichen sexuellen Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten. Vertreter der Stadt unterstützen die Schwulenkultur. Und die Gay Pride Parade, die übrigens nächsten Sonntag hier in San Francisco wieder stattfindet, wird fröhlich gefeiert. In San Francisco, ‚it’s okay to be gay‘ – hier ist es okay, schwul zu sein.

Doch gibt es nicht viele Orte in den USA, an denen the LGTBQ Gemeinschaft akzeptiert und unterstützt wird. Vielerorts müssen Diskriminierungen und gar gewaltsame Übergriffe befürchtet werden. Es gibt viele, die es nicht wagen, sich zu outen, und die vorsichtig ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität verstecken, weil sie Nachteile befürchten müssen.

Nach dem Attentat in Orlando sagte jemand: “Der ‘Pulse’ Nightclub war ein  sicherer Ort für viele, denn dort konnten sie so sein, wie sie halt eben sind – denn an vielen anderen Orten kann man sich eben nicht sicher fühlen. Nun aber ist diese Sicherheit verletzt worden. Viele Mitglieder der LGTBQ Kommune fürchten auch weitere Übergriffe, die von Haß motiviert sind,und nicht nur von seitens muslimischer Extremisten. Und sie fürchten, daß ihnen weiterhin ihre Orte der Sicherheit genommen werden.

Am vergangenen Sonntag fand auch ein Gay Pride Festival in Los Angeles statt. Die Organisatoren überlegten, ob sie nicht  die Festlichkeiten aufgrund der Ereignisse in Orlando absagen sollten; man fürchtete einen Angriff auf diesem Festival. Und siehe, die Polizei fing auch jemanden in seinem Auto ab, der den Wagen voll hatte mit Waffen und Sprengstoff und angab, daß er auf dem Weg zu diesem Gay Pride Festival sei. Doch dann fand das Festival doch statt, wenn auch in gedämpfter Stimmung. Aber die Organisatoren waren letztlich der Auffassung, daß man nicht all sein Handeln oder sein ganzes Leben von Furcht beherrschen lassen darf. Denn das ist schließlich, worum es beim Terrorismus geht, dies ist das Ziel des Terrors: uns so Angst zu machen, daß wir es verpassen, das Leben in all seiner Fülle zu leben.

Dasselbe kann auch über Haß gesagt werden. Haß zerstört menschliche Verhältnisse. Haß verhindert menschliche Verhältnisse. Haß ist eine Macht, die das Leben verneint. Und häufig ist die Motivation für Haß die Furcht: Furcht vor denen, die irgendwie anders sind, Furcht davor, daß wir unseren Status oder unsere Privilegien oder unsere Sicherheit verlieren, Furcht davor, daß unsere Werte und Moralvorstellungen irgendwie angegriffen werden, Furcht davor, unseren eigenen Dämonen zu begegnen. Nun können und dürfen wir uns gerade als Menschen, die im Glauben leben, nicht von Angst und Furcht beherrschen lassen. Und das ganz besonders in einem politischen Klima, in dem uns viel Angst gemacht wird.

Doch natürlich ist Angst kein Phӓnomen der modernen oder post-modernen Zeit. Angst hat es seit dem Beginn der Menschheitsgeschichte gegeben. Schlieβlich gibt es da viele furchterregende Dinge und auch Feinde, die die Existenz bedrohen. Und in der Bibel haben wir zahlreiche Geschichten, die von Menschen erzӓhlen, die Angst haben.

Es ist Angst, die den Propheten Elia dazu verlanlaβt, vor der rachesüchtigen Kӧnigin Isebel zu fliehen und sich in der Wildnis zu verstecken. Elia ist seinen eigenen Worten zufolge der letzte der Propheten Gottes in Israel, und er fürchtet um sein Leben. Und so wird er einige Wochen lang zum Gefangenen seiner Angst, bevor Gott ihn mit den folgenden Worten in die Welt der Lebenden zurückruft: Elia, was machst du hier? Und Elia kehrt zurück und tut das, wozu Gott ihn berufen hat. Wahrscheinlich hat er immer noch Angst, aber zumindest weiβ er, daβ Gott auf seiner Seite ist, und er lӓβt sich nicht von seiner Angst beherrschen.

Das heutige Evangelium ist eine interessante Geschichte, und nicht nur wegen der Schweine: Jesus befreit hier einen Mann, der von einer ganzen Legion Dӓmonen besessen ist, von seinem Leiden. Grund genug fürdie Gerasener, sich zu freuen und sich über die Macht Jesu zu wundern, mӧchte man meinen. Doch die Geschichte geht anders aus. Sie haben Angst.

Nachdem Jesus den bӧsen Geistern befiehlt, den Mann zu verlassen, und diese dann in die Schweineherde fahren, die sich dann prompt in einem See ersӓuft, rennen die Schweinehirten in die Stadt, um es den Leuten dort mitzuteilen. Die strӧmen dann hinaus, um zu sehen, was da passiert ist, eher sensationslustig. Und dann sehen sie den ehemals Besessenen sauber, gekleidet und vernünftig zu Jesu Füβen sitzen. Und dann, hӧren wir, erschraken sie. Dann ergreift sie die Furcht. Und sie bitten ihn, die Gegend zu verlassen. Geh fort, Jesus, du machst uns Angst.

Aber warum fürchten sich die Leute? Warum erschrecken sie in dem Moment, in dem sie den geheilten Mann zu Jesu Füβen sitzen sehen? Es scheint, als würden sie erkennen, was für ein Potential die Macht Jesu hat – das Potential, Dinge zu verӓndern und die Welt aus den Angeln zu heben. Diese Macht ist ungewiβ, und was immer ungewiβ ist, macht uns auch immer etwas Angst. Das Übel, das die Gerasener im Besessenen erfahren, ist zwar unangenehm, aber irgendwo vorhersehbar und kontrollierbar, da ist Gewiβheit, und man hat gelernt, damit umzugehen. Man muβ den Mann einfach nur an eine Kette legen und ihn auβerhalb der Stadt in Grabhӧhlen hausen lassen, dann ist er keine Gefahr. Auch kann der Feind hier ganz klar identifiziert und benannt werden: er ist besessen, er ist gefӓhrlich, und er muβ gebunden und isoliert werden. Doch die enorme Macht Jesu ist etwas, das eben nicht kontrollierbar oder umgӓnglich ist.

Es scheint also, als seien die Gerasener ganz gut mit den Umstӓnden klargekommen und hӓtten sich mit dem Übel arrangiert. Die radikale Verӓnderung, die durch die Heilung des Besessenen eintritt, zwingt nun auch die Kommune dazu, sich zu verӓndern. Denken Sie allein an die Reintegration des Mannes in die Gesellschaft. Wie und wo findet man nun einen Platz für ihn? All das ist einfacher gesagt als getan. Und denken Sie an die Notwendigkeit des Umdenkens – der Mann ist nun kein Feind mehr. Denken Sie nur mal an eine Situation, in der Sie dazu gewungen waren, Ihre Meinung über jemanden oder etwas zu ӓndern. Das ist schwer, denn irgendwo steckt das Vorturteil ganz tief drinnen.

Und was würde sich für die Gerasener dann womӧglich noch ӓndern, wenn Jesus bei ihnen bliebe? Wieviele andere Dӓmonen und bӧse Geister würde er aufspüren und austreiben? Wie sehr müβten die Menschen noch ihr Denken und ihr Urteil ӓndern, vielleicht gar über sich selbst? Die Macht Jesu erschrickt und macht Angst. Das Potential dieser Macht Jesu ist erschreckend. Es ist soviel einfacher, mit den Dӓmonen zu leben, die wir kennen, als einer ungewissen Zukunft entgegenzusehen. Es ist soviel einfacher, mit den Dӓmonen zu leben, die wir in jemand anderes finden, als unsere eigenen Dӓmonen zu konfrontieren.

Und wie der Theologe David Tiede schreibt: ‘Als sich die grӧβere Heilsgeschichte entwickelt, stellt sich heraus, daβ die Menschen, die ‘erschrecken’ und mit Angst erfüllt sind ein grӧβerer Hinderungsgrund für das Reich Gottes sind als die schrecklichste Besessenheit mit den Mӓchten des Bӧsen.”

Mit anderen Worten, Jesus hat Sünde und Tod überwunden, doch die Furcht, die wir alle in unseren Herzen tragen, ist noch nicht wirklich besiegt. Und wir erfahren die Konsequenzen menschlicher Furcht tagtӓglich in dieser Welt – indem Menschen sich abgrenzen oder gar gewaltsam ausholen, anstatt die Beziehung zum anderen su suchen.

Wie oft hӧren wir die Stimme himmlischer Boten oder auch Jesu Stimme, die uns aus den Evangelien ‘Fürchte dich nicht?’ entgegenruft? Fürchte dich nicht, Gott ist mit dir.

Dieses Versprechen erhӓlt uns durch all unserer Ängste. Gottes Liebe zu uns ist vollkommen, und, wie es im ersten Johannesbrief heiβt, vollkommene Liebe treibt die Furcht aus. Wir dürfen und müssen darauf vertrauen, daβ Gottes wunderbare Liebe und Macht uns erhalten werden – auch und ganz besonders in schwierigen Zeiten und Zeiten des Wandels. Gottes Ziel ist es, die Welt, wie sie derzeit ist, zu heilen und zu wandeln, so daβ sie zum Himmelreich wird – ein Reich, in dem Leiden und Sorge und Weinen und Haβ und Furcht und Tod vergangen sein werden. Wir dürfen diese Vision, Gottes Vision, nie aus den Augen verlieren.

Die, die Furcht schüren in dieser Welt, dürfen nicht das letzte Wort haben – das letzte Wort muβ Gottes Wort der Liebe sein, die alle Furcht autreibt, und wir müssen es verkündigen. Und wir müssen uns davor in acht nehmen, daβ unsere Angst dem liebenden Willen Gottes für alle Kreatur nicht in die Quere kommt.

In diesem Sinne ist es nicht nur notwending, daβ wir der Opfer des Terrors in Orlando und ihrer Angehӧrigen gedenken – es ist notwendig, daβ wir uns mit den Dӓmonen unserer Vorurteile und Ängste auseinandersetzen. Es ist notwendig, daβ wir uns in Wort und Tat einer Kultur entgegenstellen, die Angst und Vorurteile schürt – gegen Menschen, die sich als LGTBQ identifizieren, gegen Menschen, die einen anderen Glauben haben, gegen Menschen, die uns fremd sind. Es ist notwendig, daβ wir uns ganz der Liebe und Gnade Gottes anvertrauen, auch dann, wenn wir uns fürchten und nicht wissen, wohin uns Gottes Weg führt – dann, wenn wir nicht wissen, welche Verӓnderungen Gott an uns vornehmen will.

In all dem kӧnnen wir Gott vertrauen. Schlieβlich und endlich sind wir das Volk Gottes, ein Volk der Liebe, und ein Volk des Lebens. Fürchtet euch nicht.