Nach dem Massaker im ‘Pulse’ Nightclub in Orlando haben viele Menschen reagiert, darunter viele Glӓubige. Und, ja, da gibt es gewisse Reaktionen, die wir vielleicht erwarten konnten – Reaktionen von konservativen Glaubensvertretern, die dann z.B. laut verkündigten, daß die Opfer, viele von ihnen aus der LGTBQ Kommune, nur das bekommen haben, was sie verdienen – schließlich seien sie verwerflich in den Augen des Herrn. Da gab es jene, die diese Morde gar feierten, denn wie könnte Gott solche Menschen lieben? Und ich kann nur sagen, daß ich solche Äußerungen nur abscheulich finde, und daß sie mich traurig und wütend machen. Wie können Menschen, die selbst die Gnade und Vergebung Gottes erfahren haben, nur so über ihre Mitmenschen, ihre Schwestern und Brüder, reden und urteilen?
Aber dann gibt es da auf der anderen Seite all die Glӓubigen, die nach dem Terroranschlag in Orlando Gottes Liebe und Gnade verkündet haben; da gab es viele Mahnwachen und Gedenkgottesdienste, und friedliche Demonstrationen für die Menschenrechte der LGTBQ Kommune. Da gibt es jene, die sich als Engel verkleiden, mit riesigen Flügeln, und Mitglieder der berüchtigten Westboro Kirche daran hindern, Beerdigungen von Opfern des Massakers durch ihre Haßparolen zu stören – und dies tun diese Engel, indem sie eine lange Menschenkette bilden, die diejenigen schützt, die ihre geliebten Toten beweinen.
Und zur heutigen Gay Pride Parade hier in San Francisco werden mehr Teilnehmende als sonst erwartet, darunter viele Gläubige, die so ihre Unterstützung der LGTBQ Kommune ausdrücken und so die Liebe Gottes für alle Kinder Gottes verkündigen.
Christen und Anhänger anderer Religionen beziehen also ganz klar Stellung in Reaktion zum Terror in Orlando. Und als Menschen, die glauben, dürfen wir auch nicht der Versuchung nachgeben, einfach die Schultern zu zucken und zu resignieren. Nein, wir müssen unseren Glauben and Jesus Christus, welcher Liebe und Gnade verkündigte und sein Leben gab, so daß alle das Leben in Fülle haben mögen – wir müssen diesen Glauben auch aktiv leben. Wir sind dazu berufen, Stellung zu beziehen, ganz offen und mutig, und dies ist übrigens auch ein Teil unseres konfesionellen Erbes. Martin Luther, der nicht nur der Vater der lutherischen Kirche ist, sondern auch der gesamtem protestantischen Bewegung, sagte angeblich einst: Hier stehe ich, ich kann nicht anders; so helfe mir Gott, Amen. Luther bezog klare Stellung, als er unter Druck gesetzt wrude, seine Lehren vor dem Reichtsatg zu Worms im Jahre 1521 zu widerrufen.
Diese mutige Entscheidung Luthers, zu seinen Lehren zu stehen, führte letztlich zur Entwicklung des Protestantismus in Europa. Und übrigens kommt das Wort ‘Protestant’ vom lateinischen ‘pro-testari’, was ganz wörtlich ‘für etwas stehen oder einstehen’ oder ‘bezeugen’ bedeutet. Es ist unser protestantisches Erbe, Stellung gegen alle Mächte zu beziehen, die Gott verneinen – den Gott der Liebe, den Gott des Lebens, den Gott der Versöhnung.
Nun ist der Fall Martin Luther ein gutes Beispiel dafür, daß es nicht immer einfach ist, zu protestieren und Stellung zu beziehen – nein, Protest provoziert Opposition. Diejenigen, die Stellung beziehen, werden eine leichte Zielscheibe, denn es gibt immer auch diejenigen, die anderer Meinung sind, diejenigen, die ihre Werte und ihren Status gefährdet sehen. Und wir hatten diese vergangene Woche viele Beispiele, in diesem Land als auch in aller Welt, daβ eine Stellungnahme auch Reaktionen provoziert.
In dem Moment, in dem wir Stellung für oder gegen etwas beziehen, werden wir deutlich sichtbar, und wir stoßen auch höchstwahrscheinlich jemandem vor den Kopf – und das mag Konsequenzen haben. Die Weltgeschichte kennt viele Martyrer: Dietrich Bonhoeffer, Edith Stein, Gandhi, Martin Luther King Jr., Harvey Milk, um nur einige zu nennen, und nur aus dem 20. Jahrhundert. Jesus Christus. Sie alle starben für etwas, für das sie deutlich Stellung bezogen. Wissen Sie zufällig, was das Wort Martyrer wörtlich bedeutet? Heute bezeichnen wir ja gerne jene, die für ihren Glauben oder ihre Überzeugungen sterben, als Martyrer. Doch der ursprüngliche Sinn des Wortes ist Zeuge – ein Martyrer, eine Martyrerin ist also jemand, der oder die Zeugnis ablegt und Stellung bezieht.
In diesem Sinne sind wir alle Martyrer und Martyrerinnen: allein schon, daß wir uns heute hier im Gottesdienst versammeln und Stellung zu Gott beziehen: ja, ich glaube.
Wie fühlen Sie sich, wenn ich Sie so als Martyrer bezeichne? Vielleicht etwas nervös oder unangenehm? Weil Sie wohl wissen, was mit vielen geschehen ist, die für ihren Glauben Stellung bezogen haben? Wer denkt schon am Tag der Konfirmation daran, Martyrer zu sein? Ich gebe gerne zu, daß mich das etwas nervös macht. Wer weiß, was dies wirklich bedeutet, Gott zu bezeugen, und Gottes Liebe und Gerechtigkeit für alle zu bezeugen? Der Ausgang ist unvorhersehbar und unkontrollierbar, und, wie ich schon in meiner Predigt am letzten Sonntag sagte, alles, was ungewiß ist, macht uns auch ein bißcheh Angst. Da gibt es Risiken.
Wieviele Risiken wir bereit sind, einzugehen? Wie sehr sind wir wirklich in unserem Glauben engagiert und ihm verpflichtet? Bei diesen Fragen hilft uns das heutige Evangelium weiter. Nun bedeutet die Geschichte im heutigen Evangelium einen Wendepunkt in der Mission Jesu. In den ersten 9 Kapiteln des Lukasevangeliums verkündet Jesus das Reich Gottes in Wort und Tat in Galiläa und umzu – dadurch, daß er lehrt und predigt, und Wunder vollbringt, die die wunderbare Macht Gottes sichtbar machen. Diese 9 Kapitel könnten als Einführung Jesu, des Sohnes Gottes, gelten. Aber die Richtung ändert sich im 9. Kapitel. Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, daß er hinweggenommen werden sollte, da wandte er sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern – so hören wir. Nun beginnt Jesu langer Weg zum Kreuz. Nun wird’s wirklich ernst. Jesus verpflichtet sich dem Willen des Vaters, und dies führt zum ultimativen Martyrium – dem Zeugnis von Gottes Liebe, das hoch am Kreuz hängt, für alle sichtbar.
Es ist nicht zufällig, daß Jesus gerade zu diesem Zeitpunkt das Engegement und den Ernst jener in Frage stellt, die ihm nachfolgen wollen. Du willst mir wirklich nachfolgen? Denk noch einmal darüber nach! Drei Leute kommen zu Jesus und sagen, daß sie ihm folgen wollen. Der erste scheint sehr begeistert zu sein, er will Jesus überallhin folgen. Doch Jesus entgegnet, daß er ständig auf dem Weg ist, keine Ruhestatt hat und nie Wurzeln schlagen wird.
Der zweite will erst seinen Vater begraben – klingt einfach, aber zu Jesu Zeiten ist ein Begräbnis eine kompliziertere Angelegenheit als heute: erst wird der Leichnam bestattet, dann wird die Verwesung abgewartet, und nach einem Jahr werden dann die Knochen in ein besonderes Gefäß getan und erneut bestattet. Dies ist eine ehrwürdige Tradition, doch Jesus scheint zu sagen: dafür ist keine Zeit!
Der dritte möchte sich erst von seiner Familie verabschieden, bevor er Jesus nachfolgt. Klingt wiederum einfach und vernünftig, doch sagt Jesus: Wer seine Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes, nicht engagiert genug. Jesus braucht Engagement, er braucht jene, die sich Gott verpflichten, er braucht Zeugen, er braucht Martyrer, denn am Ende steht das Kreuz – und ein neues Leben.
Indem wir Jesu nachfolgen, beziehen wir Stellung – ich weiß, das ist ein Widerspruch, aber ich denke, Sie wissen, was ich meine. Wenn wir zu Gott Stellung beziehen, dann pro-testieren wir – dann sagen wir ja zu dem Gott, der die Welt so geliebt hat, daß er den einzigen Sohn dahingab. Wir sagen ja zu der Idee, daß Gott in die Welt kam, um uns von unserer Sünde zu befreien, um uns von unserer Schuld zu befreien, und uns in eine neue Kreatur zu verwandeln. Wir sagen ja dazu, daß Gott uns in diese neue Kreatur verwandelt. Wir sagen ja zur Verwandlung dieser Welt in das Reich Gottes. Und wir sagen ja dazu, Gottes Hände in dieser Welt zu sein: zu heilen, wo es Leiden gibt, Gerechtigkeit zu schaffen, wo Menschen nicht mit der Würde behandelt werden, die sie als Kinder Gottes verdienen; zu nähren, zu kleiden, und bei denen zu sein, die einsam oder ausgeschlossen sind.
Dies ist unsere Berufung. Und natürlich gibt es da womögliche Hindernisse. Und die drei potentiellen Jünger im heutigen Evangelium sind dafür gute Beispiele. Das erste Hindernis zur wahren Nachfolge ist, nch dem Falschen zu sichen und Ausschau zu halten. Es scheint, als sei Jüngerkandidat Nr. 1 auf der Suche nach etwas Beständigem, etwas, worin er Halt findet, Sicherheit in der Gegenwart Jesu. Nun ist Jesus aber auf dem Wege, und wir sind dazu berufen, mit ihm auf dem Wege zu sein, und Jesus bietet uns darin keine Sicherheit.
Für uns heute mag dies bedeuten, daß wir nicht so sehr Ausschau nach einer Kirche halten sollten, die komfortabel und heimelig ist, sondern sollten wir uns der Herausforderung Jesu stellen, uns auch weiter auf den Weg zu machen und jenen zu dienen, denen wir auf diesem Weg begegnen. Die Kirche ist kein Ziel an sich, sondern eher eine Abschußrampe; hier werden wir genährt, so daß wir in der Welt Gottes Willen tun und leben können. Wir sind nicht nur hier drinnen Jünger Jesu, sondern auch da draußen in der Welt.
Es scheint, daß Jüngerkandidat Nr. 2 sich um seinen Ruf Sorgen macht. Schließlich ist es ehrfürchtige Tradition, die Eltern richtig zu bestatten, und wenn er dies nicht tut, könnte ihm die Gemeinde das übel nehmen. Das Hindernis, das der zweite repräsentiert, ist also das sich Umschauen: was mögen andere von mir denken? Werden sie mich für verrückt erklären, daß ich Jesus so radikal nachfolge, und daß ich Gott in dem Maße diene, daß ich andere Dinge dafür vernachlässige? Stoße ich womöglich jemandem vor den Kopf, wenn ich Stellung für Gott und meinen Nächsten beziehe? Werde ich zur Zielscheibe werden für die, die an meinem Zeugnis von Gottes radikaler Liebe und Vergebung Anstoß nehmen?
Für uns heute mag dies bedeuten, daß wir darauf achten, daß wir uns nicht blind nach den Maßstäben und Regeln dieser Welt richten, sondern sorgfältig abwägen, was Gott von uns verlangt. Versuche ich womöglich, mich den Regeln und Konventionen der Welt anzupassen, ja nicht aufzufallen, und lieber zu schweigen, selbst wenn ich weiß, daß etwas nicht recht ist? Jesus spricht: ihr seid das Licht der Welt. Stellt dieses Licht nicht unter einen Scheffel. Laßt euer Licht leuchten, so daß alle Welt es sehen kann.
Das dritte Hindernis besteht darin, zurückzuschauen. Der dritte Jügerkandidat will Abschied von seiner Familie nehmen. Und das bedeutet, umzukehren, zurückzugehen, und womӧglich die Meinung, Jesus wirklich nachzufolgen, wieder zu ӓndern. Vielleicht ist es ja doch besser, bei dem zu bleiben, was vertraut ist.
Für uns heute mag dies bedeuten, daβ wir vielleicht zu sehr an dem festhalten, was uns vertraut ist; daβ wir uns nach den ‘guten alten Zeiten’ sehnen, in denen die Kirchen noch voll und Dutzende Kinder im Kindergottesdienst waren, und irgendwie hoffen, daβ wir irgendwie diese Zeit wieder heraufbeschwӧren kӧnnen, obwohl sich die Zeiten und die Menschen geӓndert haben. Folgen wir eher der Tradition nach, anstatt Jesus nachzufolgen? Wenn wir sagen, daβ wir Jesus nachfolgen, so setzt dies voraus, daβ Jesus irgendwo vor uns ist, und nicht irgendwo hinten. Und dies bedeutet, daβ Jesus Christus uns auf neue und vielleicht auch überaschende Wege führt. Letztlich und endlich ist Christus der Weg, die Wahrheit und das Leben. Und dieser Weg führt in Gottes Zukunft und die Vision von Gottes Reich, und nicht in eine lӓngst vergangene Epoche der Geschichte.
Als jene, die Christus heute nachfolgen, mӧgen wir nach Bestӓndigkeit und Sicherheit in der Gegenwart Gottes suchen. Wir mӧgen uns umsehen, um die Bedürfnisse unseres Nӓchsten zu erkennen. Wir mӧgen zurückschauen, um Weisheit und Verstӓndnis zu gewinnen. Doch dürfen wir dabei nie das Ziel aus den Augen verlieren, das vor uns liegt: Gottes Zukunft, in Gottes Reich, in dem Klagen und Leiden und Tod nicht mehr sein werden. Dies ist unser Ziel, und wir sind dazu berufen, uns auf diesen Weg zu machen.