Zunächst einmal möchte ich eine Erklärung abgeben: ich habe die letzten 6 Tage mehr oder weniger in der Wildnis verbracht, also habe ich erst gestern abend von der Greueltat in der Mother Emanuel AME Church in Charleston gehört. Hätte ich eher von diesen Ereignissen erfahren, würde meine Predigt anders aussehen. Aber nun ist es einmal so, daß ich diese Predigt bereits Samstag vor einer Woche schrieb. Mein Sohn hatte gerade seine High School Abschlußfeier gehabt, die Kinder sind begannen ihre Sommerferien, und ich war in einer sommerlichen und leichten Stimmung. Wer konnte schon ahnen, daß das Böse so bald in diese Zeit einbrachen würde?
Aber so spreche ich heute von einer typisch amerikanischen Sommererfahrung: Sommer Camp. In meiner letzten Kirchengemeinde hatte ich ein paar Konfimanden und Konfirmandinnen, und zwei Jahre hintereinander fuhr ich mit ihnen ins Sommercamp in die Sierra Foothills, in der Nähe von Sutter’s Mill. Dieses Camp hieβ ‘Rock ‘N Water’, und es war ein christliches Abenteuercamp mit Aktivitäten wie Felsklettern und Extremwandern. Die Tage im Camp waren eine gute Gelegenheit zur Teambildung, und für den Austausch von Glaubenserfahrungen unter den Jugendlichen. Für mich war aber der Höhepunkt des Camps das Wildwasser Rafting, wo man im Schlauchboot den Fluβ hinunterschwimmt. Hier ist das als ‘whitewater rafting’ bekannt.
Die Strecken, die wir fuhren, hatten einige Stromschnellen der Kategorie 3, mit ein paar Schnellen der Kategorie 3+. Also war es nicht ganz so wild, doch definitiv aufregend, und man wurde schon ganz schӧn durchgeschüttelt. Natürlich wurden wir nicht einfach so ins Schlauchboot gesetzt und auf den Fluβ geschickt. Nein, wir hatten eine Leitperson, die hinten im Boot saβ, uns steuerte, und uns Anweisungen gab, was wir denn tun sollen. Sonst wӓren wir wahrscheinlich auch in Schwierigkeiten geraten – stellen Sie sich vor, eine Pastorin, die keine Ahnung hat, und dann eine Handvoll von aufmüpfigen Teenagern. Die Zusammenarbeit wäre wohl nicht so klasse gewesen.
Was meinen Sie: wie sollte eine Leitperson, ein Führer oder eine Führerin, auf solch einem Schlauchboot sein? Welche Eigenschaften sollte solch eine Person haben?
Natürlich ist zu hoffen, daβ solch eine Person Ahnung hat, zumindest eine gewisse Ausbilung bekommen hat, vorsichtig, verantwortlich, usw. Denn schlieβlich vertraut man solch einer Person sein Leben und seine Gesundheit an. Das erste Jahr, in dem ich eine Gruppe nach Rock ‘N Water brachte, hatten wir auch solch eine Person, eine junge Frau, die all diese Qualitäten hatte. Aber dann, im zweiten Jahr, wurde uns Colin als Gruppenleiter zugeteilt, ein 20jähriger, der sich ganz schnell den Namen ‘Crazy Colin’, also verrückter Colin, verdiente. Und Sie dürfen dreimal raten, wie er zu jenem Namen kam. Colin, wie wir ganz schnell harausfanden, hatte Spaβ daran, unseren Abenteuern noch eine gewisse Prise an zusätzlicher Action dazuzugeben, gerade beim Wildwasser Rafting. Colin steuerte uns so, daβ wir in Felsen und Bückenpfeiler rumsten, nur so zum Spaβ, so daβ die Insassenvon ihren Sitzen fielen und im Boot herumpurzelten.
Ich muβ sagen, daβ ich die Gruppenleiterin des vorherigen Jahres lieber mochte. Ich bin halt nicht mehr 13, und auch nicht besonders abenteuerlustig.
Doch machte ich mit Crazy Colin die Erfahrung, daβ ich letztlich doch Vertrauen haben muβ. Man muβ sich einfach darauf verlassen können, daβ die Person hinten im Boot weiβ, was sie tut, und das sie einen sicher durch die Turbulenzen bringt – sonst macht das ganze ja auch keinen Spaβ mehr, wenn man sich immer nur fragt, o Gott o Gott, kommen wir denn am Ende heile wieder an? Und ist es nicht so, daβ man auch manchmal im Leben mal Risiken eingehen muβ, um sein Ziel zu erreichen und dabei Spaβ zu haben?
Also faβte ich den Entschluβ, Colin zu vertrauen. Und siehe da: Colin verstand wirklich etwas von seinem Handwerk. Er spielte manchmal nur mit uns verrückt, a), da die Konfirmanden einen Heidenspaβ damit hatten – ich war wahrscheinlich die einzige, die nicht so begeistert war – und b), dann nur in Situationen, die harmlos waren. Wann immer es etwas gefährlicher wurde, war’s mit dem Herumjuxen vorbei; dann wurde Colin ernst und energisch, gab klare Anweisungen, wie wir uns zu verhalten haben, er steuerte und mit Erfahrung und Können, und, ich muβ sagen, in jenem Jahr fiel uns keiner aus dem Boot. Das war im vorherigen Jahr nicht so gewesen – trotzt der sehr viel vorsichtigeren Gruppenleiterin wurde ausgerechnet meine Tochter in einer Stromschnelle im hohen Bogen aus dem Boot geschleudert. Wir haben sie dann aber ganz schnell wieder aufgegabelt.
Die Situation auf dem See von Genezareth war natürlich eine andere. Die Jünger stiegen nicht zum Vergnügen in das Boot, sondern weil Jesus es angeordnet hatte. Zudem muβten sie ‘auf die andere Seite’ des Sees gelangen – und dies bedeutete, daβ die Jünger Neuland betreten muβten, ein Land, das mit Nichtjuden, also Heiden besiedelt war. Jesus dehnte seine Mission aus. Und das war wahrscheinlich schon etwas machte die Jünger wohl doch etwas nervös – ins Unbekannte zu ziehen, und Fremden zu begegnen – Menschen, deren Bräuche und Lebensweisen doch so anders waren als die ihren.
Jesus scheint ganz unbesorgt zu sein. Er schläft sogar ein. Währenddessen müssen sich die Jünger nicht nur mit ihren Bedenken und ihrer Nervosität herumschlagen, nein, dann zieht auch noch ein heftiger Sturm auf. Der Wind heult, die Wellen schlagen in das Boot, es herrscht Chaos, die Jünger werden umhergeschleudert und sind bis auf die Haut durchnäβt, sie versuchen alles, was in ihrer Macht steht, um das Boot über Wasser zu halten – es ist recht einleuchtend, warum die Jünger irgendwann in Panik ausbrechen. Und dieser Sturm muβ schon heftig gegwesen sein: schlieβlich waren unter den Jüngern nicht nur zögerliche Steuereintreiber, sondern gestandene Fischer dabei, die so einiges gewohnt waren. Aber selbst die brechen irgendwann in Panik aus, weil sich die Elemente anscheinend gegen sie verschworen haben und sie in ihrer Angst versinken. Sie geben auf, sie denken, jetzt ist es vorbei, und irgendwann wecken sie dann auch Jesus auf, der anscheinend von dem alles gar nichts mitbekommt, sagen: Ja, was denn? Erinnern Sie sich?
Ich finde es interessant, daβ die Jünger nicht sagen: ‘Jesus, rette uns!’ Nein, sie sagen: ‘Jesus, kriegst du gar nicht mit, daβ wir untergehen und daβ es bald mit uns vorbei ist? Wie kannst du nur so unbeteiligt und so ruhig sein?’
Und Jesus’ Antwort ist ziemlich harsch: Jungs, habt ihr immer noch keinen Glauben? Vielleicht wäre die Antwort eine andere gewesen, wenn die Jünger wirklich um Hilfe gefleht hätten. Denn dann hätte Jesus gewuβt, daβ die Jünger Vertrauen in ihn und seine Macht haben. Anstelle jammern sie nur: ‘Jesus, hab an unserem Leiden teil, da du ja nun auch mit uns untergehst.’
Ich denke, wir alle kennen Leute, die gar nicht wirklich um Hilfe bitten, sondern die nur jammern und versuchen, uns in ihr Elend hineinzuziehen, so als ob sie sagen wollten: Ich leide, und ich fühle mich besser, wenn du an meinem Elend Anteil hast. Kennen Sie solche Leute?
Also seufzt Jesus nur resigniert, angesichts des Unglaubens seiner Jünger, ruft die Winde zurück – und die Jünger haben Furcht – vielleicht wäre Ehrfurcht hier das bessere Wort – denn sie haben nicht erwartet, daβ Jesus solch eine Macht hat. Ihr Glaube ist einfach noch nicht soweit ausgereift.
Nun wählte ich dieses Evangelium aus dem Buch des Markus als Predigttext für meine Ordination, die hier bei St. Matthäus vor fast genau 13 Jahren stattfand. Ich hatte so lange und hart daran gearbeitet, auf das Pfarramt vorbereitet zu sein und ordiniert zu werden. Ich hatte mit so vielen Frustrationen und auch Miβerfolgen in jener Zeit zu kämpfen, und nun war es endlich soweit: Ordination! Nun hatte ich jenes Ziel erreicht, doch wuβte ich auch: der Weg war damit nicht zuende. Ich segelte lediglich in ein unbekanntes und unerforschtes Gebiet. Und ich erwartete auch, daβ ich es als ordinierte Pastorin nicht immer mit ruhigen Gewässern zu tun haben würde, sondern daβ es stürmische, chaotische, vielleicht sogar bedrohliche Situationen geben würde. Und damals, am Tag meiner Ordination, betete ich, daβ ich nie vergessen würde, daβ Jesus irgendwie in der Nähe ist, im selben Boot; und daβ ich nie verlassen sein würde, egal, wie stürmisch es wird.
Nun bin auch ich nichts weiter al seine Jüngerin Jesu, und als solche durchaus nicht perfekt. Ich vergesse manchmal, daβ Jesus da ist, und verlasse mich auf meine eigene Stärke, anstelle um Hilfe zu bitten. Manchmal meine ich, daβ Jesus mich vergessen und verlassen hat. Manchmal sehe ich nur die bedrohlichen Wogen um mich herum und gerate in Panik, anstelle einfach mal tief durchzuatmen, ein Gebet zu sprechen, und dann die Situation anzupacken. Doch bisher bin ich immer noch rechtzeitig daran erinnert worden, daβ Gott da ist, auch in den stürmischten und dunkelsten Stunden in der Gemeindearbeit – und auch in meinem Privatleben.
Und nun ein paar Gedanken zum ‚auf die andere Seite gelangen‘, und den Ereignissen der letzten Woche: dieses Land hat sehr viele Fortschritte in der behandlung von Menschen dunklerer Hautfarbe gemacht seit den 60er Jahren und den Tagen des Civil Rights Movements. Ich kann es mir gar nicht vorstellen, wie schlimm unsere Schwestern und Brüder damals behandelt wurden, nuir aufgrund ihrer Hautfarbe. Einige mögen denken, daß wir in Sachen Rassismus schon auf der anderen Seite angelangt sind, und daß Rassismus ein Ding der Vergangenheit ist. Jedoch haben die Ereignisse in Charleston und auch die gewaltigen Übergriffe auf Farbige in den vergangenen Monaten gezeigt, daß wir noch lange nicht angekommen, sondern noch auf einem langen und beschwerlichen Weg zur Gleichheit sind. Wir mögen das andere Ufer schon sehen und uns denken, na siehste, wir sind schon da. Haben wir nicht sogar einen afro-amerikanischen Präsidenten? Doch betrügen wir uns, wenn wir denken, daß wir bereits dort sind, wo wir sein sollten, und wo Gott uns haben will: in Umständen, in denen alle Kinder Gottes, egal, welcher Hautfarbe, Sexualität oder Geschlechtsidentität, mit Würde und Respekt behandelt werden – denn wir alle sind nach Gottes Ebenbild geschaffen.
Und so möchte ich uns alle heute ermahnen, nicht einfach dort stehenzubleiben, wo wir sind. Die andere Seite mag für uns unbekanntes Territorium sein, und auch furchteinflößend, da wir nicht wissen, was uns genau auf der anderen Seite erwartet. Und der Weg wird nicht einfach sein – auch weiterhin müssen wir mit Stürmen rechnen. Doch dürfen wir nie vergessen, daß Jesus Christus bei uns ist, im selben Boot. Und daß er uns Trost gibt und die Richtung weist, wenn wir ihn nur darum bitten. Wir dürfen nie aufgeben, egal, wie schwierig die Umstände sind. Niemals.
Wenn Stürme in Ihrem Leben aufziehen – und normalerweise gibt es da so einige, wie Sie vielleicht bestätigen können – ist der erste Instinkt, sich Sorgen zu machen und vielleicht auch in Panik zu greaten. Es scheint, daβ wir halt diesen Instinkt in uns tragen, Fight oder Flight – Angriff oder Flucht. Doch ist meinh Hoffnung für Sie alle, daβ Sie erkennen, daβ Gott nie das Schiff verläβt; daβ Gott immer bei Ihnen ist, im selben Boot, und vielleicht nur darauf wartet, daβ Sie ihn um Hilfe bitten. Und ich hoffe, daβ die Versicherung allein, daβ Gott mit uns gemeinsam durch chaotische und beängstigende Zeiten im Leben geht, uns in unserem Unglauben, unserem Zweifel, und unserem fehlenden Vertrauen hilft. Möge Gott uns dabei helfen, unbekannte Wasser zu bezwingen, und beistehen sein, wenn wir neue und vielleicht auch angsteinflöβende Lande auf der anderen Seite erreichen.