Predigt zu Markus 6, 14-29; Sechster Sonntag nach Trinitatis – 12. Juli 2015

Hoffnung

Evangelium bedeutet ‘frohe Botschaft’, und wenn wir danach gehen, dann ist das Evangelium für den heutigen Tag alles andere als eine frohe Botschaft.  Heute haben wir die grausige Geschichte über die Enthauptung Johannes des Tӓufers gehӧrt.  Johannes ist der Willkür des Herodes und seiner Familie ausgesetzt, und, nein, sein Tod ist nicht ein nobles Opfer, sondern ein Beispiel von brutaler, sinnloser und ungerechter Gewalt. Wir hӧren es nicht in unserer heutigen Evangeliumslesung, doch ist Jesus sehr verstӧrt, als er vom Tod des Johannes erfӓhrt.  Jesus trauert, und zieht sich zurück, um all dies zu verarbeiten.  Die Mӓchte des Bӧsen sind am Werk, und Jesus weiβ das nur allzu gut.

Nun ist die Enthauptung des Johannes nicht der einzige Fall von sinnloser und schockierender Gewalt in der Bibel. Was wir das Alte Testament nennen, ist eine gewaltsame Geschichte nach der anderen. Tausende fallen in Kriegen, Frauen werden vergewaltigt, und ganze Volksstӓmme werden versklavt. Und selbst im Neuen Testament gibt es Gewalt; da wird Johannes der Tӓufer, wie schon erwӓhnt, auf Herodes’ Anweisung hin enthauptet. Herodes’ berühmt-berüchtigter Vater, Herodes der Groβe, ordnet den Kindermord zu Bethlehem an. Stephanus, einer der ersten Apostel, wird gesteinigt. Und wir dürfen natürlich nicht vergessen, daβ Jesus Christus selbst am Kreuz gefoltert und gemordet wird.

Gewalt ist für uns natürlich nichts neues. Grausame Enthauptungen finden auch heute noch in unserer Welt statt; da gibt es die widerwӓrtigen ISIS, oder ‘Islamischer Staat’ Videos, und auch Nachrichten von Drogenkartellen in einigen lateinamerikanischen Lӓndern, die ihre Opfer enthaupten. Und irgendwie ist diese Art des Mordes besonders grauenvoll, da die Abtrennung von Kӧrperteilen nicht nur den Kӧrper zerstӧrt, sondern auch die Ganzheit und die Würde des Opfers. Seit der Frühgeschichte gab es den Glauben, daβ Verstorbene das kӧrperlich in das ewige Leben eintreten – denken Sie nur einmal daran, wie zum Beispiel die ӓgyptischen Pharaonen in den Pyramiden begraben wurden, mit Lebensmitteln und Waffen und sogar Sklaven – und den Kopf vom Kӧrper zu trennen war ein Mittel, um einer Person den Übergang in das nӓchste Leben zu verwehren. Vielleicht sind wir deshalb noch heute besonders abgestoβen, wenn wir von Enthauptungen hӧren.

Nun sind die Chancen, daβ irgendjemand unter uns solch ein Schicksal erleiden wird, ӓuβerst gering, Gott sei Dank! Doch haben wir wohl alle unsere Erfahrungen mit Gewalt gemacht. Jene, die den zweiten Weltkrieg erlebt haben, haben Gewalt, Zerstӧrung und Tod aus erster Hand miterlebt. Einige hier in der Gemeinde haben mir haarstrӓubende Geschichten über ihre Erfahrungen im Krieg erzӓhlt, und von ihrer Angst, dem Horror, und dem Trauma.

Dann gibt es hier jene, die viel wӓhrend der chaotischen Zeit gleich nach dem Krieg erleiden muβten; ich erinnere mich an Geschichten aus meiner Familie, wie z.B. meine Groβmutter tagelang auf einem Viehwagen eingesperrt war, mit unbekanntem Ziel, als sie Schlesien verlassen muβte. Oder wie meine Groβtante mit ansehen muβte, wie ein Groβteil ihrer Familie auf der Flucht mit dem Pferdewagen auf eine Landmine auffuhr und umkam. Und ich denke, einige hier kӧnnten ӓhnliche Geschichten erzӓhlen.

Einige mӧgen Gewalt zuhause erlebt haben, sei es durch einen Elternteil oder durch den Menschen, der uns bei der Hochzeit versprochen hat, uns zu lieben und zu ehren. Einige haben vielleicht soziale Gewalt erlebt; einige haben vielleicht wirtschaftliche Gewalt erlebt. Einige mӧgen von Bullies gequӓlt worden sein. Und welche Art von Gewalt wir auch erlebt haben – wir tragen unsere Narben, manchmal physisch, doch immer seelisch.

Gewalt scheint zu der Welt, in der wir leben, einfach dazuzugehӧren – und scheint eine Konsequenz der Verteibung aus dem Paradies zu sein. Ein Schuβ tӧtet eine unschuldige junge Frau auf einem Pier in San Francisco. Neun afro-amerikanische Christen werden in einer Kirche ermordet, und kurz drauf brennen wieder afro-amerikanische Kirchen im amerikanischen Süden. In den USA sterben weitaus mehr Menschen durch Polizeigewalt als in allen anderen Lӓndern der Welt. Und mehr Menschen als in all den anderen Lӓndern, die gerade keinen Krieg im eigenen Land führen, sterben durch Schuβwaffen, sei es absichtlich oder auch unabsichtlich. Hӓusliche Gewalt, zumeist gegen Frauen, wird immer noch hӓufig als ein Kavaliersdelikt angesehen, oder eine Privatsache. Und dann gibt es gerade hier in den USA auch diese merkwürdige Faszination mit Gewalt – denken Sie nur an all die sogenannten Action Filme, die hier jedes Jahr in die Kinos kommen, mit Mord und Totschlag und gewaltigen Explosionen.

Und dann gibt es noch die etwas unterschwellige Gewalt.  Ja, es gibt tatsӓchlich so etwas wie soziale und wirtschaftliche Gewalt – fragen Sie nur einmal all diejenigen, die derzeit aus Mietwohnungen hier in San Francisco rausgeschmissen werden, weil sie einfach nicht die steigenden Mieten bezahlen kӧnnen.  In dem Psalm, den wir heute hier gemeinsam beteten, hӧrten wir, wie sehr die Menschen sich nach Gottes Gegegnwart sehnen, und nach dem Tag, an dem Gerechtikeit und Frieden sich küssen. Ohne Gerechtigkeit gibt es keinen Frieden – dies wuβten schon die alten Judӓer.

Und kein Prophet betont dies so sehr wie Amos, aus dessen Buch die heutige alttestamentliche Lesung für unseren Gottesdienst stammt. Amos wird von Gott nach Israel gesandt, um dem Volk den Untergeng zu prophezeien. Und warum ist Gott verӓrgert?  Nicht wegen sexueller Ausschweifungen, wie wir vielleicht dneken, sondern wegen der wirtschaftlichen Gewalt der Oberschicht gegenüber den Armen und Schwachen.  Gott ist zorrnig, weil die Schwӓcheren schamlos ausgenutzt werden. Und dies ist gegen das Gesetz Gottes.  Wenn Sie in die mosaischen Gesetze schauen, werden Sie viele Regeln finden, die sich mir wirschaftlicher Gerechtigeit befassen.  Da gibt es sogar Gesetze, die die regelmӓβige Umverteilung von Gütern und Landbesitz fordern, und Gesetze zur Schuldenvergebung – um eben einer wachsenden Kluft von arm und reich und daraus resultierendem Unrecht entgegenzuwirken.  Und jeder, der im Gottesbund lebt, wird von diesen Gesetzen geschützt – sogar der Fremde, der Auslӓnder, soll mit Ehre und Mitgefühl behandelt werden.  Ach, wenn wir nur diese Bibelstellen so ernst nehmen würden wie manche andere…

In der heutigen Lesung aus Amos erfahren wir, wie die Führung in Israel auf diese Prophezeiungen reagiert: Amos wird dringend angeraten, doch wieder nach Hause zu gehen und dort zu prophezeien. Die Menschen in Israel wollen einfach nicht auf Gott hӧren, als ob Gottes Gericht dadurch abgewendet werden kӧnnte – und, Zufall oder auch nicht, kurz darauf, im Jahre 722 v.Chr., wird Israel von den Assyrern besetzt und zerstӧrt.

Jesus setzt die Tradition des Amos mit seiner Sozialkritik fort und predigt immer und immer wieder, wie wichtig Gerechtigkeit für das Kommen des Reiches Gottes auf Erden ist. Jesus ist erregt und trauert, als er vom grausamen und sinnlosen Tod Johannes des Tӓufers hӧrt. Jesus weiβ, daβ das Übel noch nicht in der Welt besiegt ist, und daβ das, was wir Sünde nennen, sehr wohl noch existiert. Und das Gebet Jesu Christi in alledem ist: Vater unser im Himmel, geheiligt werde dein Name – dein Reich komme.  Dein Reich komme!  Und wir ahnen, daβ dieses Gebet zum einen eine flehende Bitte ist – Vater, ach, mӧge dein Reich kommen! – und die Sehnsucht nach einer Welt ohne Gewalt und Unrecht ausdrückt.  Zum anderen ist diese Zeile, dein Reich komme, auch ein Ausdruck der starrsinnigen Hoffnung, daβ dieses Reich Gottes verwirklich wird – Vater, dein Reich wird kommen – und daβ Gerechtigkeit und Frieden sich letztlich küssen und Sünde und Tod überwunden werden.

Doch dann denken Sie mal an die nӓchste Zeile im Vaterunser: dein Reich komme – dein Wille geschehe.  Ich denke, daβ diese beiden Zeilen ganz absichtlich zusammenhӓngen.Denn das Reich Gottes wird dort erspӓht, wo Gottes Willen geschieht.  Dein Wille geschehe. Und was ist Gottes Wille? Wir mӧgen uns über die Details streiten und nicht immer einig sein, doch kennen wir Gottes Endziel, über das wir an verschiedenen Stellen in der Bibel nachlesen kӧnnen.  Das redet Jesus über das Reich Gottes als ein Fest, zu dem alle eingeladen sind und bei dem es keinen Magel gibt, oder einen groβen Baum, in dem alle Vӧgel unter dem Himmel Zuflucht und Nahrung finden, oder ein Haus, in dem  es Wohnung für alle gibt. Johannes, der Autor der Offenbarung, beschreibt uns das Reich Gottes als das neue Jerusalem, eine Stadt mit Toren, die stets offen sind, da es hier keine Bedrohung mehr gibt, und in die alle eingeladen sind – ein Ort, an dem es Leiden und Trauer und Weinen und Tod nicht mehr gibt.  Keine Ungerechtigkeit mehr. Kein Mangel mehr. Keine Gewalt. Kein Leiden. Kein Haβ. Keine Furcht. Kein Tod.  Ich denke, wir verstehen, was Gott für alle Kreatur will.

Und Jesus betet , daβ dieser Wille geschehe.  Mӧge er geschehen, und: er wird geschehen! Und hier sind wir dran. Nun mӧgen wir das Vaterunser beten und uns denken, laβ man andere Gottes WIllen tun. Doch sind wir letztendlich diejenigen, die der Vermӓchtinis Christi weitertragen. Wir sind diejenigen, die dazu berufen sind, dem Willen Gottes gemӓβ zu handeln, und in die Vision vom Reich Gottes aktiv hineinzuleben.

Viele hier haben in ihrem Leben Gewalt erleben müssen und wissen, wie sich das anfühlt. Es tut weh, und wir wissen, daβ es nicht richtig und ungerecht ist. Das Mindeste, das wir tun kӧnnen, um dem Willen Gottes gemӓβ zu leben, ist, wahres Mitgefühl all denen gegenüber zu haben und zu zeigen, die heute an offener und unterschwelliger Gewalt leiden. Für jene zu beten. Ihnen zu helfen, wann immer wir kӧnnen. Für die zu sprechen, die leiden. Dazwischenzugehen, wenn wir Zeugen von Gewalt werden – soweit wir es kӧnnen. Man kann sich immer an Staatliche Autoritӓten wenden, wenn es zu gefӓhrlich ist, persӧnlich irgendwo einzugreifen. Nicht einfach wegzugucken, wenn jemand unterdrückt oder miβhandelt wird. Und wir müssen auch mit uns selbst ehrlich sein: wir mӧgen niemanden mir Waffen bedrohen oder mir Fӓusten auf jemanden eindreschen, doch wie oft tun wir jemandem allein mit unseren Worten weh? Wie oft tratschen wir über jemanden, wie oft machen wir Leute schlecht oder machen uns über sie lustig? Wie oft lassen wir uns von unseren Vorurteilen über Menschen oder Menschengruppen beeinflussen?

Wir leben in einer Welt, die noch weit vom Himmelreich entfernt ist. Doch: das Reich Gottes wӓchst bereits mitten unter uns. Gottes Wille geschieht, hӓufig auf unscheinbare und bescheidene Art und Weise. Wir haben die Macht, Gottes Willen zu tun – und so dabei zu helfen, Gottes Reich ein biβchen mehr wachsen zu lassen. Und wann immer wir einen Blick auf dieses Reich Gottes erhaschen, und jene Momente erleben, da Gerechtigkeit und Friede sich küssen, und es Erleichterung von Leiden und Gewalt gibt, werden wir hoffentlich dazu angetrieben, mehr zu tun und voller Glaube und Vertrauen in die Vision von Gottes Reich hineinzuleben.

Jesus Christus starb für diese Vision, für diesen Willen Gottes. Jesus Christus starb für uns und Gottes gesamte Schӧpfung. Und so mӧge unser beharrliches Gebet sein: Vater unser im Himmel.  Geheiligt werde dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe – wie im Himmel – so auf Erden.