Ich denke, wir alle haben schon einmal die Begriffe Leugnung, Weigerung oder Abstreitung gehört. Wir benutzen dieses Begriffe, wenn jemand absolut nicht wahrhaben will, was um ihn oder sie herum geschieht, wenn jemand sich weigert, sich mit der Realität auseinanderzusetzen.
 
Menschen mögen es abstreiten, wenn ihr Gesundheitszustand bedenklich ist. Menschen mögen sich weigern, es zu erkennen, wenn es einem geliebten Menschen nicht gut geht. Menschen mögen es abstreiten, daβ sie sich um ihre Arbeit oder ihre Finanzen Gedanken machen sollten. Menschen mögen es abstreiten, daβ sie ein Problem mit Abhängigkeit haben. Menschen mögen nicht sehen wollen, daβ es schlecht um eine Beziehung steht. Menschen mögen sich weigern, anzuerkennen, daβ ihre Gutmütigkeit ausgenutzt wird.
 
Nun ist Leugnung nicht nur etwas, das Individuen betrifft; ganze Gruppen oder auch Gesellschaften können in einem Zustand der Leugnung über etwas sein. Klimawandel, z.B. Die Opioid Krise in diesem Land. Oder Rassismus, der immer noch in diesem Lande existiert, obwohl seit dem Civil Rights Movement nun schon mehr als 50 Jahre vergangen sind. Die Gefahren, die der unregulierte Waffengebrauch und –miβbrauch mit sich bringt. Zudem gibt es Armut, Unrecht, the andauernde Zerstörung und Ausbeutung der Schöpfung Gottes. Es scheint, als schauten wir da lieber weg, wenn es uns nicht direkt betrifft.
 
Denn wenn wir hinschauen, dann müβten wir ja womöglich etwas ӓndern. Dann müβten wir ja womöglich Buβe tun, wie wir es so schön nennen. Und wir sind recht zufrieden mit den Dingen, wie sie stehen, also Umkehr? Nein, danke!
 
Nun ist Leugnung die Verneinung von etwas. Es kann nicht sein, es darf nicht sein, sag mir doch, daβ das nicht wahr ist. Oft leugnen wir etwas, das bedrohlich für uns oder unseren Lebensstandard ist. Wir verleugnen, was unsere Welt auf den Kopf stellt, wir verleugnen, was uns aus unseren eingefahrenen Bahnen herauswirft und uns auf neue und ungewohnte Wege leitet. Und das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes: manchmal ist die Leugnung oder Abstreitung ganz wichtig und auch gesund, sie kann dazu beitragen, daβ wir uns schützen – vor allem nach einer traumatischen Erfahrung. Doch früher oder später müssen wir uns dann doch mit der Realität auseinandersetzen. Wir können nicht auf ewig in einem Zustand der Leugnung leben. Irgendwann holt uns die Realitӓt dann doch ein.
 
Petrus ist in einem Zustand der Leugnung, der Verweigerung. Er versteht im heutigen Evangelium sehr gut, was Jesus ihm und den anderen Jüngern da erzählt: daβ er nach Jerusalem gehen muβ, obwohl dies Leiden und Tod bedeutet. Doch Petrus denkt: das kann nicht sein, das darf nicht sein, sag mir, daβ es nicht so ist! Petrus erkennt ganz genau, daβ alles, was ihm lieb und wert ist, durch diese Ankündigung bedroht ist – wie er Jesus und seine Mission versteht, seine ganze Weltanschauung.
 
Und vielleicht ahnt Petrus ja auch, daβ sein Leben gefährdet ist – nicht unbedingt in dem Sinne, daβ er für die Sache Jesu sterben wird (obwohl dies dann letztlich auch passiert), sondern eher in dem Sinne, daβ sein Leben, wie es ihm lieb und wert ist, zerstört werden wird.
 
Es scheint, als sei die Reaktion des Petrus, die Situation, die Jesus ihm dargelegt hat, zu verleugnen, nur normal und daβ sie notwendig für seinen Selbstschutz ist: Um Gottes willen, Jesus, das darf nicht passieren!
 
Manchmal frage ich mich, warum Jesu Reaktion auf die Worte des Petrus so harsch ist: Geh weg von mir, Satan! Sollte Jesus nicht verstehen, was da mit Petrus passiert? Sollte er nicht erkennen, daβ Petrus absolut geschockt ist, daβ es nur menschlich ist, in traumatischen Situationen oder nach unglaublichen Aussagen erst mal zu sagen; das darf doch nicht wahr sein? Versteht Jesus denn nicht, daβ Leugnung ein Lebensretter sein kann, der Strohhalm, an den wir uns klammern?
 
Wir hören, daβ Jesus Petrus gar bedroht – hätte seine Reaktion nicht etwas sanfter und verständiger sein können, vielleicht eher so: ‘Lieber Petrus, ich weiβ doch, das du nur das Beste für mich willst, doch versteh doch bitte, daβ du Satan’s Werk tust, indem du mich versuchst, mich von Gottes Plan abzulenken?‘
 
Das wäre doch viel netter, oder?
 
Aber dann ist Jesu Reaktion ja vielleicht auch nur menschlich. Denn da lauert die Versuchung, den Weg nach Jerusalem und den Kreuzestod zu vermeiden. Und natürlich gibt es da die Verbindung zum Evanglium der letzten Woche, als Jesus 40 Tage lang in der Wüste von Satan versucht wird. Markus sagt nun nichts über die Details dieser Versuchung aus, aber die anderen Evangelisten schreiben ausführlich darüber: Allmacht! Nimm den schnellen und einfachen Weg, um an dein Ziel zu gelangen! Widersetze dich dem Willen den himmlischen Vaters, geh nicht nach Jerusalem, diene Gott und dem Nӓchsten nicht, stirb nicht für diese verfluchte Menschheit – bete mich an, und alles gehört dir schon jetzt! Kein Leiden, kein Sterben, wie kannst du dies nicht wollen?
 
Im heutigen Evangelium finden wir ein Echo dieser Versuchung in der Wüste: Jesus, geh nicht nach Jerusalem! Vermeide doch all das Leiden und Sterben! Und so wird Petrus zum Satan, was übrigens im Hebrӓischen einfach nur ‚Versucher‘ oder ‚Verführer‘ bedeutet. Und wieder wird Jesus versucht, den scheinbar einfacheren Weg zu wӓhlen – und er hӓtte dabei die volle Unterstützung seiner Nachfolger. Aber Jesus weiβ auch, daβ er keine Wahl hat.
 
Und vielleicht ist die einzige Art und Weise, wie der Mensch Jesus damit umgehen kann, die, Petrus zu bedrohen, da er erneut mir dieser Versuchung kӓmpft, und vielleicht ja auch mit seinen eigenen Ängsten. Das kennen wir ja: ‚fight or flight‘, Kampf oder Flucht, wenn wir Angst haben und uns bedroht fühlen.
 
Nun muβ es für Petrus aber doch ein ganz schöner Schock sein, Satan genannt zu werden. Petrus meint es ja nur gut: er will nicht, daβ sein Freund und Meister leiden und sterben muβ. Er kann wahrscheinlich nicht verstehen, wieso Jesus denkt, daβ er hier die Rolle des Verführers, Satans, spielt. Und wie auch? Petrus hat, wie alle Menschen, eben nur einen beschränkten Blickwinkel, und seiner Meinung und seinem Gefühl nach ist das beste, was Jesus tun kann, einfach so weiterzumachen wie bisher. Petrus will bewahren – er will Jesu Leben bewahren, er will sein Leben und alles, was ihm lieb und wert ist, bewahren.
 
Das Problem dabei ist, daβ die Intentionen des Petrus eben nicht die Gottes sind. Und das macht mich schon etwas nervös, denn ich muβ dann auch darüber nachdenken, ob meine Intentionen denn immer mit denen Gottes vereinbar sind, egal, wie gut ich es meine. Handle ich nach Gottes Willen?
 
Halten wir als Gesellschaft und Gemeinschaften vielleicht manchmal krampfhaft an dem fest, was uns als der beste Weg erscheint – nӓmlich indem wir das zu bewahren versuchen, was uns vertraut ist – und dabei übersehen, daβ es da andere Möglichkeiten gibt, die ganz neue Perspektiven eröffnen?
 
Nun gibt es im heutigen Evangelium noch eine Kehrseite zu Leugnung und Verneinung. Jesus selbst macht dies zum Thema, als er davon spricht, wie ihm die Jünger nachfolgen sollen – und dies ist direkt mit seiner Rüge an Petrus verbunden. Jesus spricht, ‘Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.’ Jesus sagt uns also, daβ wir uns selbst verleugnen sollen, gar verneinen. Daβ wir vielleicht vor uns selbst geschützt werden müssen: Ich kann nicht sein, ich darf nicht sein, sag mir, daβ ich nicht so bin.
 
Und dies scheint natürlich das Gegenteil von dem zu sein, was wir in unserer Kultur hören und lernen, wo es immer um Selbstverwirklichung und Selbstbverbesserung geht. Wir werden versucht, die Welt zu gewinnen, oder doch zumindest ein respektables Stück dieser Welt; es wird uns gesagt, daβ wir uns besser erst einmal um uns selbst kümmern sollen, bevor wir vielleicht etwas von den Krumen, die von unserem Tisch abfallen, mit anderen teilen. Uns wird weisgemacht, daβ unsere Gier nach mehr letztlich gut für das Gemeinwohl ist – wenn wir immer mehr konsumieren, so helfen wir schlieβlich der Wirtschaft und unserem Land. Welch ein wunderbares Evangelium für unser Ego!
 
Doch werden wir steif und gefühllos, wenn wir nur auf unseren eigenen Nabel starren. Wenn wir nur mit dem Verlangen nach mehr für uns erfüllt sind, so werden wir leer und arm und verlieren unsere Seele.
 
Und dies trifft nicht nur auf unser persönliches Leben zu, sondern auch auf unser Leben als Gesellschaft. Wenn eine Gesellschaft ihren moralischen Kompass verliert, wenn die gefühllos und zynisch wird, wenn sie ihre Integritӓt verliert, dann verliert sie auch ihre Seele.
 
Uns selbst zu leugnen heiβt, über den Tellerand – uns unseren beschränkten Horizont – hinauszublicken und uns Gottes Vision und Gottes Willen zu öffnen. Wenn Jesus uns sagt, daβ wir uns selbst verleugnen sollen, so versucht er, unsere Perspektive ins Unendliche zu erweitern. Wir schauen über uns selbst hinaus, wir handeln über uns selbst hinaus, und wir schenken anderen die Fülle des Lebens, anstatt zu versuchen, hauptsächlich unser eigenes Leben zu bewahren. Und paradoxerweise hilft dies auch uns und macht unser Leben reicher: wir retten unser Leben, auch wenn wir dies gar nicht unser vorrangiges Ziel ist.
 
Uns selbst zu verleugnen heiβt, daβ wir nein zu einer eigensüchtigen und somit auch ärmlichen Existenz sagen. Gleichzeitig heiβt Selbstleugnung, ja zum Leben mit all seinen bereichernden Begegnungen und Möglichkeiten zu sagen. Selbstleugnung heiβt, ja zu Beziehungen zu sagen: den Beziehungen zum Nächsten und der Beziehung zu Gott. Und in diesen Beziehungen finden wir uns wahrlich selbst, liebenswert, gewollt und gebraucht.
 
Und so ist Selbstverleugnung ein notwendiger Schritt zu dem, was wir im Kirchenjargon ‚Buβe‘ nennen – die Umkehr zu Gott und zu unserem Nӓchsten, zur Gemeinschaft. Paradoxerweise werden wir stӓrker, wenn wir uns selbst verleugnen und uns Gott uns unseren Mitmenschen zuwenden; wir gewinnen den Reichtum und die Fülle, die uns nur Beziehungen geben können.
 
Manchmal denken wir, daβ die Passionszeit eine Zeit ist, um uns selbst zu geiβeln und uns unendlich schuldig zu fühlen, wenn wir darüber nachdenken, was wir für sündige und elende Kreaturen sind, und wie sehr wir den Zorn Gottes verdienen. Wir mögen denken, daβ Selbstverleugnung Selbstzerstörung ist. Doch das ist nicht, wovon Jesus spricht. Nein, die Passionszeit ist eine Zeit, dessen zu gedenken, wie sehr Gott uns liebt, wie sehr Gott eine Beziehung zu uns haben möchte, und daβ Buβe, Umkehr, die Reise auf neuen Wegen, uns zu einem Leben in Fülle führen kann, das unsere Vorstellungskraft weit übersteigt.
 
In der Passionszeit geht es hauptsӓchlich um Verwandlung, Erneuerung, und ein neues Leben – und dies wird dann ganz klar am Ostermorgen deutlich. Und wer weiβ schon, was Gott für uns auf Lager hat, für uns persönlich und für uns als Gemeinschaft und Gesellschaft? Ich gebe nicht vor, daβ ich wüβte, was das ist – doch glaube ich aus ganzem Herzen und vertraue darauf, daβ Gott gröβer und mӓchtiger ist, wundervoller und liebevoller, als wir es uns vorstellen können. Und daher glaube ich auch, daβ die neuen Wege und das neue Leben, die Gott uns schenken will, wunderbarer sind, als wir es uns vorstellen können.
 
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