Falls Sie es noch nicht wissen: wir haben derzeit eine kleine, aber feine Gruppe von Konfirmanden. Der Lehrplan ist eigentlich immer noch der gleiche, den viele von Ihnen noch aus Ihrer Konfirmandenzeit kennen. Doch haben sich die Methoden geӓndert. Wie haben Sie z.B. etwas über die Reformation gelernt? Ich erinnere mich an eine Flut von Namen und Daten, die, trotzdem sie an die Tafel geschrieben wurden, doch sehr verwirrend für mich waren. Und Beschreibungen der Zeit, in der Martin Luther lebte und die Reformation stattfand, blieben immer recht abstrakt.
Ich kann Ihnen also nicht sagen, wie dankbar ich bin, daβ es heute den recht guten Film ‚Luther‘ gibt, eine amerikanisch-europӓische Koproduktion aus dem Jahre 2003 mit Joseph Fiennes in der Titelrolle. Hat den hier jemand mal gesehen? Diesen Film zeige ich gerade in unserem Konfirmandenkurs. Und die Bilder lehren mehr, als es 1000 Worte kӧnnten. Eine Schülerin z.B., bemerkte, wӓhrend wir den ersten Teil des Filmes schauten, daβ sie keine Ahnung hatte, daβ viele Menschen zu Luthers Zeiten unter sehr ӓrmlichen Bedingungen lebten.
Ein anderes Konzept, daβ in diesem Film recht gut dargestellt wird, ist die Fӧmmigkeit der spӓtmittelalterlichen Menschen. Was bedeutete es damals, Christ oder Christin zu sein? Da gab es natürlich die Furcht vor Fegefeuer und Hӧlle. Die berühmt-berüchtigten Ablaβbriefe. Pilgerfahrten. Reliquienverehrung. Und die Buβe, die auch extreme Formen annehmen konnte, von stundenlangem Gebet auf nackten Knien auf eisigen Fuβbӧden bis hin zur Selbstgeiβelung.
Martin Luther selbst setzte sich in seiner Zeit als Mӧnch hӓufig grausamer Buβpraktiken aus, weil er davon überzeugt war, daβ er sich nur so die Gnade Gottes erwerben kӧnne. Bis er dann, durch die Lektüre der Bibel, dann erkannte, daβ Gott dies nicht von uns erwartet – nein, durch den Tod und die Auferstehung Christi sind wir bereits erlӧst. Gottes Gnade errettet uns, nicht irgendwelche Dinge, die wir praktizieren. Und das war natürlich der groβe theologische Durchbruch der Reformation.
Wenn wir heute das Wort ‚Buβe‘ hӧren, dann kommen uns vielleicht diese drakonischen Praktiken, denen sich Menschen in Luthers Zeiten aussetzten, in den Sinn. Und wir mӧgen denken, daβ Buβe ins dunkle Mittelalter gehӧrt, aber nicht etwas ist, was uns heute noch betrifft. Schlieβlich sind wir erlӧste, aufgeklӓrte, post-moderne Menschen.
Doch dann werden wir ab und zu doch daran erinnert, daβ Buβe eines der zentralen Konzepte unseres christlichen Glaubens ist. Im Advent hӧren wir regelmӓβig Johannes, den Tӓufer, der uns zuruft: Tut Buβe! Und diese Botschaft steht auch am Anfang der Wirksamkeit Jesu: noch bevor er beginnt, seine ersten Jünger zu berufen, noch bevor er beginnt, Wunder zu tun und Kranke zu heilen, predigt er: ‚Tut Buβe, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!‘ So lesen wir im heutigen Evangelium. Buβe ist also wichtig und eine Voraussetzung zur Umkehr, eine Voraussetzung dafür, Jesus Christus nachzufolgen.
Nun mag uns diese Ermahnung, Buβe zu tun, doch etwas unangenehm sein. Ich habe schon von der extremen Interpretation von Buβe in der mittelalterlichen Frӧmmigkeit gesprochen – deshalb ist es uns vielleicht unangenhem, Jesus von Buβe reden zu hӧren. Und auch unser heutiger Sprachgebrauch hilft da nicht besonders: Wenn wir das Wort ‚büβen‘ hӧren, so kommt uns doch eher das bedrohliche ‚Das wirst du büβen!‘ in den Sinn. Buβe ist dann etwas unfreiwilliges, etwas, dem wir entgehen wollen, eher wie eine Strafe. Wer will schon büβen?
Was aber ist eigentlich Buβe? Der Begriff, der im Neuen Testament für ‚Buβe‘ verwendet wird, und so auch im heutigen Evangelium, ist das griechische ‘Matanoia’. Nun ist Matanoia wörtlich eine ‘Veränderung des Sinnes’ oder des Herzens. Eine Meinungsänderung. Buße heißt, Dinge in einem neuen Licht zu sehen und unsere Denkweise und unser Tun zu verändern. Das ursprüngliche, biblische Verstӓndnis von Buβe hat also ganz und gar nichts mit Selbstbestrafung zu tun, so wie wir es aus dem Mittelalter kennen.
Buβe bedeutet, daβ wir einsehen, daβ unsere Denkweise und unser Tun uns in die falsche Richtung führen. Und so schlieβt Buβe dann hӓufig auch ein Gestӓndnis von Schuld und die Bitte um Vergebung mit ein. Das mag zwar einfacher oder angenhemer klingen, als die Buβpraktiken des Mittelalters, doch, wenn man genauer darüber nachdenkt, ist Buβe in jedem Fall schwierig.
Ich denke, wir alle wissen, wie schwer es ist, unsere Meinung oder unsere Richtung zu ӓndern. Wir haben unseren Stolz; wir denken, daβ wir Schwӓche zeigen, wenn wir Fehler eingestehen. Wir mӧgen meinen, daβ wir an Achtung in den Augen anderer verlieren und vielleicht sogar als unbestӓndig gelten, wenn wir unsere Haltung verӓndern.Wir wollen unser Gesicht nicht verlieren. Und so gehen wir eher trotzig auf unseren Irrwegen weiter, individuell oder auch als Gesellschaftsgruppen, als unser Denken und unser Handeln zum besseren zu ӓndern. Obwohl wir ganz tief drinnen in uns wissen, daβ es besser wӓre, unsere Meinung und unser Verhalten zu ӓndern. Obwohl wir danz tief drinnen in uns wissen, daβ wir auf einem Zerstӧrunskurs sind.
Aber was ist wichtiger? Mein Stolz? Mein Instinkt, meine Scham über gewisse Dinge zu verstecken? Oder Gottes Traum für diese Welt, ein Traum, der von Vergebung und Versӧhnung spricht?
Vor gut 20 Jahren sah ich am Garderobenspiegel eines guten Freundes eine Postkarte mit einem Spruch des franzӧsischen Künstlers Francis Picabia: ‚Der Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.‘ Ich fand diesen Spruch einfach nur genial, und er ist mir auch zu einem Leitspruch geworden. Dieser Spruch hat mich gelehrt, mich selbst nicht so fürchterlich ernst zu nehmen. Und immer, wenn ich an Buβe denke, so denke ich auch an diesen Spruch. Denn darum geht es bei der Buβe: einen Sinneswandel zu haben, eines Herzenswandel. Da wir nun einmal lediglich Menschen sind, sollte ein Herzens- und Sinneswandel durchaus im Bereich des Mӧglichen für uns liegen. Es ist absolut in Ordnung, unsere Meinung zu ӓndern, denn wir sind alle nun einmal fehlbar und nicht allwissend.
Es ist ablsolut in Ordnung, unseren Horizont durch neue Erfahrungen und neue Begegnungen zu erweitern, neues zu lernen, erstaunt und überascht zu werden. Andere zu verstehen, die wir vorher vielleicht nicht verstanden haben. Freundschaften zu schlieβen, die wir uns nie hӓtten vorstellen kӧnnen. In meinem Leben gab es so einige Menschen, mit denen ich anfangs überhaupt nicht warm werden konnte. Doch dann, als ich mich bemühte, sie kennenzulernen, hatte ich einen Herzenswandel, ӓnderte meine Meinung, und fand so neue Freunde. Und, nur als Randbemerkung, ich wӓre auch nicht mit meinem wunderbaren Mann verheiratet, wenn ich nur nach meinem ersten Eindruck gegangen wӓre. Und welch ein Segen diese Menschen heute für mich bedeuten! Wie froh ich bin, daβ ich nicht stur an meinen ersten Eindrücken festgehalten habe. Das ist Buβe.
Buβe ist so nicht nur ein veraltetes und irrelevantes Glaubenskonzept – Buβe, Umkehr, eine Änderung des Herzens und der Sinne, die Meinungsӓnderung, ist auch heute noch etwas, das die Menschheit und die ganze Welt – und das wir alle – dringend nӧtig haben. Wenn wir als Menschheit so weitermachen, wie bisher, und auf unseren Wegen beharren, geht die Welt eher früher als spӓter zugrunde. Gewalt, Krieg, Haβ, Angst vor dem Fremden, die Ausbeutung bestimmter Bevӧlkerungsgruppen, die Zerstӧrung der Schӧpfung – all dies erfahren wir tagtӓglich, und wir haben alle daran auch irgendwie teil, denn wir sind letztlich auch ein Rӓdchen im Getriebe – und es tut uns einfach nicht gut.
Und es scheint, als gӓbe es auch jene in unserer Gesellschaft, die erkennen, daβ wir unsere Wege genauestens überprüfen müssen. Nehmen Sie nur einmal all die friedlichen Proteste, die gestern stattfanden. Laut der BBC sind weltweit über 3 Millionen Menschen auf die Straβe gegangen, davon weit über eine Million hier in den USA, um friedlich zu protestieren. Und diese Menschen protestierten für die Werte, für die die USA bekannt ist und auch bisher als Vorbild in der Welt angesehen worden ist: Demokratie, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Frauenrechte, Innovation, die enge Zusammenarbeit mit Partnern in aller Welt, die Akzeptanz von Einwanderern, die dieses Land schliesslich durch harte Arbeit aufgebaut haben, Toleranz und Gleichheit. Nicht, daβ die USA in all diesen Dingen perfekt ist, aber doch auf einem guten Weg. Und viele fürchten derzeit, daβ die neue Regierung sich von vielen dieser Werte abkehren kӧnnte. Und so gibt es derzeit etwas, daβ ich als Buβe bezeichnen mӧchte, die Prüfung von Werten, und die Wahl eines Weges, der auch weiterhin in die Zukunft führt. Menschen überdenken ihre Wege, anstelle einfach bequem mit der Herde weiterzutraben.
Wenn wir also heute das Wort Buβe hӧren, dann sollten wir das als Ermutigung verstehen. Als Ermutigung, Fehler und Ignoranz einzugestehen, unsere Meinung zu ӓndern, um Vergebung zu bitten, Beziehungen zu heilen und neue Wege zu gehen. Wir müssen und dürfen den Mut haben, Buβe zu tun, denn wir kӧnnen uns auch gewiβ sein, daβ Gott uns vergeben hat. Gott weiβ, daβ wir Fehler machen. Gott weiβ, daβ wir manchmal auf Irrwegen sind. Und? Warum fӓllt es uns dann so schwer, unsere Fehler einzugestehen und uns selbst zu vergeben?
Gott selbst ermutigt uns zur Buβe. Jesus selbst ruft uns zur Buβe auf. Wenn wir umkehren und neue Wege gehen, spiegeln wir wahrlich Christi Gegenwart in dieser Welt wider. Dann ist das Reich Gottes wirklich nahe herbeigekommen.