Predigt zu Pfingsten – Johannes 15,26-27; 16,4b-15; 24. Mai 2015

spirit

Sie mögen vielleicht denken, daß es etwas merkwürdig und vielleicht sogar gruselig ist, doch ist die Bibellesung aus dem Buch Hesekiel, die wir heute morgen gehört haben, eine meiner Lieblingsstellen der Bibel. Die verdorrten Gebeine in einem weiten Feld, die dann unter einem gewaltigen Rauschen wieder zum Leben erweckt werden. Welch ein Spektakel! Das kann man sich ganz einfach vorstellen, nicht wahr?

Und immer, wenn ich diese Prophezeiung von Hesekiel höre, dann kommt mir auch das Lied ‘Dem dry bones’ in den Sinn.  Das kennen Sie vielleicht auch.

Ezekiel cried, “Dem dry bones!”

Ezekiel cried, “Dem dry bones!”

Ezekiel cried, “Dem dry bones!”

“Oh hear the word of the Lord!”

Und dann kommt die Stelle, an der der Fussknochen zum Schienbeinknochen usw. verbunden ist, bis hoch zum Schädelknochen – und das singe ich jetzt mal nicht, vor allem, weil sich die Tonart ein paarmal ändert – doch dann kommt die wichtigste Botschaft dieses Liedes als auch der Prophezeiung des Hesekiel:

Dem bones, dem bones gonna walk around…oh hear the word of the Lord!

Gott hat die Macht, das wieder zum Leben zu erwecken, was tot ist oder zumindest tot erscheint, hallelujah! Und die Lesung von Hesekiel stellt auch heraus, was denn da nun genau das neue Leben bewirkt: Gottes Atem, oder Odem, wie das altdeutsche Wort so schön heißt. Atem ist Leben.

Nun ist das Buch Hesekiel, wie auch das gesamte Alte Testament, im original auf hebräisch geschrieben, und das hebräische Wort, das hier für Atem verwendet wird, ist ‘Ruach’. Übrigens ist ‘Ruach’ feminin, also ist Gottes Ruach eine ‘sie’. Nun ist es in der hebräischen Sprache so, das ein Wort häufig mehrere Bedeutungen hat. Das ist auch bei ‘Ruach’ so: ja, Ruach ist Atem, doch auch Wind, oder Geist. Aha, jetzt kommen wir auch langsam bei Pfingsten an! Gottes Ruach schwebte am Anfang der Schöpfung über den Wassern, und das übersetzen wir mit Gottes Geist. Aber sei es Atem, Wind, oder Geist, ich denke, wir verstehen, worum es bei ‘Ruach’ geht: sie ist die Lebenskraft und Lebensmacht Gottes. Sie war vom Anbeginn aller Zeiten dabei, wurde in Adam, den ersten Menschen, eingehaucht, und brachte neues Leben in das Feld der verdorrten Gebeine.

Beim heutigen Pfingstfest geht es um diese Lebensmacht und Lebenskraft Gottes. Nun kennen viele von uns die Pfingstgeschichte aus der Apostelgeschichte, wie wir sie auch heute wieder gehört haben: 50 Tage nach der Auferstehung Christi, und 10 Tage nach einer Himmelfahrt, fährt diese Lebensmacht unter die Anhänger Jesu, und treibt sie aus ihren vier Wänden, und treibt sie hinaus unter die Menschen, um da weiterzumachen, wo Jesus aufgehört hat – zu predigen, zu lehren, zu heilen, und nach Gerechtigkeit unter den Menschen zu streben, kurzum: die frohe Botschaft von Gottes Lebenswillen zu verkündigen und die frohe Botschaft zu sein. Und auch diese Geschichte, so wie die Prophezeiung aus Hesekiel, ist sehr eindrucksvoll und dynamisch: Wind, Feuer, Macht, Bewegung!  Leben.

Und ist auch das Evangelium für den heutigen Tag aus dem Johannesevangelium nicht ganz so dramatisch und anschaulich wie die anderen Lesungen, so finden wir auch hier die Idee, daß Gottes Geist eine mächtige, wenn auch etwas subtilere Lebensmacht ist.  Hier nennt Jesus den Geist den ‘Tröster’; der Heilige Geist tritt für uns ein und vertritt unsere Sache.  Dieser Geist ist an unserer Seite, wenn die Welt um uns herum verrückt spielt; wenn wir in Versuchung geraten, den Werten unserer Gesellschaft anzuhangen, die den Werten Jesu Christi so oft entgegenstehen; wenn wir uns entmutigt fühlen und einfach das christliche Leben aufgeben wollen, weil es halt auch anstrengend ist. Jesus verspricht seinen  Nachfogern und Nachfolgerinnen durch Zeit und Raum hinweg, daß sie, daß wir nie allein sein werden, sondern diesen Geist stets an unserer Seite, in uns, und um uns herum erfahren werden. In diesem Sinne ist das Kommen des Heiligen Geistes, Gottes hartnäckiger Lebensmacht, wie das Ausrufezeichen nach den Ereignissen von Ostern und Gottes Sieg über den Tod.  Gott hat die Macht, den Tod zu überwinden. Gott hat die Macht, den Hoffnungslosen Hoffnung zu machen. Gott hat die Macht, die Dinge auf den Kopf zu stellen. “Dem bones, dem bones gonna walk around…”

Nun haben Sie vielleicht schon einmal gehört, daß Pfingsten der Geburtstag der Kirche ist, da an diesem Tage die Anhänger Jesu dazu bewegt worden sind, in die Welt hinauszugehen und dort Christi Gegenwart zu sein.  Dies war der Beginn der christlichen Bewegung. Und diese Bewegung breitete sich dann auch wie ein Wildfeuer aus – vielleicht nicht schnell nach unseren heutigen Maßstäben, doch dauerte es nur etwas über 300 Jahre, bis das Christentum die vorherrschende Religion in Europa war. Also kann man sagen, daß die Kirche am Pfingsttag ihre Geburtsstunde hatte, geboren durch Gottes ‘Ruach’, den Heiligen Geist, die wundersame Lebensmacht.

Doch scheint es so, daß wir diesen Geburtstag weniger begeistert feiern, je älter die Kirche wird. Sehen Sie sich nur einmal heute hier um. Wir haben hier eine ziemlich intime Party heute, nicht wahr? Und dann gibt es natürlich jene Stimmen, die sagen, daß die Tage der Kirche gezählt sind – zumindest in der nördlichen Hemisphäre. Viele Leute bezeichnen sich zwar heute noch als Christen, doch hat Kirchenzugehörigkeit keine Bedeutung für sie. Viele sehen sich als ‘spirituell, aber nicht religiös’, und schöpfen Kraft in einer hoch individualisierten Beziehung zum Göttlichen.

Hier in den USA ist die am schnellsten wachsende Glaubensgruppe die der ‘Nons’ – Menschen, die sich nicht mit irgendeinem bestimmten Glauben oder einer Konfession identifizieren. Nun hat Europa diese Entwicklung schon vor Jahrzehnten durchlaufen. Viele scheinen den traditionellen Institutionen einfach nicht mehr zu trauen.

Die ‘Kirche im Dorf’ – also die Kirche als der Mittelpunkt des gemeinschaftlichen und des privaten Lebens – hat an vielen Orten aufgehört zu existieren. Und es gibt viele Faktoren, die dazu beitragen: ein besserer Lebensstil, Freizeitangebote, die Möglichkeit, andere Formen der Gemeinschaft zu finden – denken Sie nur einmal an die deutschsprachigen Klubs und Vereine hier in der Bay Area – und heutzutage kann Gemeinschaft sogar virtuell gefunden werden.  Viele sehen einfach nicht mehr die Notwendigkeit, ein Teil einer Glaubensgemeinschaft zu sein; viele sehen auch nicht mehr die Notwendigkeit, erlöst werden zu müssen.

Und so ist diese Kirche, die Matthäuskirche, nicht die einzige, der es nicht besonders gut geht. Natürlich haben wir unsere ganz besonderen Knackpunkte, da wir eine deutschsprachige Kirche mit starker lutherischer Tradition in einer Gegend sind, die heute weder deutschsprachig noch traditionell ist. Und so gibt es Leute, die uns gerne totsagen würden, und sich wohl denken: ‘Dem bones, dem bones, dem dry bones.’

Doch wenn ich eines in dieser Gemeinde erlebt habe, so ist es der hartnäckige Wille, am Leben zu sein. Und das ist gut so!  Gut für Sie, gut für uns, gut für die Welt, der wir dienen. Gottes Geist, die ‘Ruach’, der Atem, die Lebensmacht, ist immer noch unter uns am Wirken. In dem Sinne sind wir eine Pfingstlergemeinde. Nun mögen die Resultate des Wirkens des Geistes Gottes unter uns nicht ganz so spektakulär sein wie in anderen Gemeinden, wo Menschen ganz wär sein wie in anderen Gemeinden, wo Menschen ganz wörtlich vom Geist bewegt werden, ihre Hände zum Lobpreis in die Lüfte heben, Zeichen der religiösen Ekstase zeigen, und in Zungen reden. Das ist dann doch nicht so unser Ding, und muß es auch nicht sein. Doch ist dies das Schöne am Heiligen Geist, daß seine – oder ihre – Gaben mannigfaltig sind und auf vielerlei Art ausgedrükt werden können.  Der Geist bewegt uns, Träume und Visionen zu haben, wie die alte Prophezeiung von Joel sagt. Und brauchen wir das nicht heutzutage in einer Welt der harschen Realitäten?  Träume, Visionen, einer besseren Welt? Darüber hinaus bewegt uns der Heilige Geist dazu, zu beten, zu singen, weise Entscheidungen zu treffen, zu feiern, Sachen zu reparieren, nach Verständnis zu streben, die schönen Künste zu genießen und zu unterstützen, den Bedürftigen zu helfen, und so vieles mehr. Leben kann auf soviele Arten und Weisen gefördert werden. Leben muß auf soviele Arten und Weisen unterstützt werden.

Und Sie können mir glauben, daß ich letztes Jahr den Ruf als Pastorin dieser Gemeinde nicht angenommen hätte, wenn ich nicht Hoffnung hätte – wenn ich nicht an die Macht des Heiligen Geistes glauben würde, wenn ich nicht daran glauben würde, daß Gott die Macht hat, Erneuerung zu bringen, und neues Leben zu schaffen.  Ich glaube stark an das Ausrufezeichen, an das ‘Ja’, das Gott zu seiner Kirche und zu uns am Pfingsttage spricht. Ich glaube and das ‘Ja’, das Gott zum Leben spricht.

Gottes Geist, Gottes Lebensmacht, ist auch weiterhin in uns und um uns herum am Wirken. Wir leben, weil Gottes Atem immer noch in unseren Lungen, unseren Herzen, und unseren Seelen ist.  Gottes Geist, gibt uns heute noch Leben und bewegt uns in manchmal unerwartete und spannende Richtungen.

Wir sind Menschen des Geistes – dazu ermächtigt, das Vermächtnis Jesu Christi zu leben, mit den Gaben, die wir empfangen haben, und ein besseres Leben für Gottes Welt zu erträumen und auf diese bessere Welt hinzuarbeiten. Und dies feiern wir heute.  Bei alledem werden wir nicht alleine gelassen. Der Heilige Geist mag uns antreiben, doch ist er – ist sie – bei uns – auf immer und ewig.

Und eben weil döieser Geist des Lebens bei uns ist, können wir getrost singen: “Dem bones, dem bones gonna walk around, o hear the word of the Lord!”

Amen