Sie wissen wahrscheinlich, dass mein Mann Fred und ich nicht hier in San Francisco leben – das könnten wir uns gar nicht erlauben – sondern in Walnut Creek, ca. 45 km östlich von hier. Und wir mögen es dort. Wir leben in einer netten und schlichten Nachbarschaft, gleich neben einem Park. Die Menschen, die dort leben, sind ein sehr interessanter Mix, auch sozio-ökonomisch.
Wir mögen unsere Nachbarn. Doch einer dieser Nachbarn sticht hervor: Alex. Ich weiss noch nicht einmal, wie er mit Zunamen heisst. Das ist ein besonderer Charakter. Alex ist ein Veteran aus dem Vietnamkrieg und hat sein Häuschen, das schräg gegenüber von dem unseren liegt, in den 70ern mit Hilfe des G.I. Bills gekauft. Geld hat er wenig. Soweit ich weiss, ist er nicht ans Strom- und Gasnetz angeschlossen. Er hat zwei Leidenschaften, soweit ich weiss: Kakteen und Steine. Sein ganzer Vorgarten ist voll von Kakteen und Skulpturen, die er aus Steinen baut, die er ständig sammelt. Das ist in unserer Nachbarschaft schon etwas ungewöhnlich. Und Alex war seiner Zeit weit voraus – heute versuchen ja viele, ihre Gärten ‘drought resistant’ zu machen. So mancher Ableger von Alex’ Kakteen hat in der Nachbarschaft eine neue Heimat gefunden – auch bei uns.
Alex kennt die Nachbarschaft und ihre Leute sehr gut. Er strengt sich an, die Menschen wirklich kennenzulernen. Wenn ich mal einen Spaziergang mache und er mir auf seinem Fahrrad entgegenkomt, ruft er mir immer einen freundlichen – und lauten – Gruss zu. Und man sieht ihn ständig mit Leuten quatschen.
Oh, und Alex liebt Hunde – und Hunde lieben ihn. Alex hat immer ein paar Hundekuchen in der Hosentasche. ‘100% natürlich,’ wie er immer beteuert. Und, ja, bei Hundekuchen macht er keine Kompromisse – einmal stand ich hinter ihm an der Supermarktkasse, und er hatte ein paar einfache und presigünstige Dinge für sich selbst auf dem Band – und dann die natürlichen und recht teuren Hundekuchen. Da liegt seine Priorität.
Kurz, nachdem wir Alex kennelernten und er erfuhr, dass Fred und ich Pastoren sind, war er etwas reserviert. So, so, Pastoren. Es war schon irgendwie klar, dass Alex kein besonderer Freund der Kirche ist – oder vielleicht auch die Kirche nie seine besondere Freundin war. Aber er taute uns gegenüber dann doch auf. Eines Tages fing Alex Fred vor unserem Haus ab und fragte ihn, ob Fred ihm eine Kopie eines Liedes besorgen könnte, das er irgendwann einmal in seiner Kindheit gelernt hatte: This little light of mine = dieses kleine Licht von mir.
Kennen Sie das? ‘This little light of mine, I’m gonna let it shine, let it shine, let it shine, let it shine!’ Dieses kleine Licht von mir, ich lasse es leuchten.
Ich weiss nicht, was dieses Lied für Alex bedeutet. Warum fragt er nach Jahrzehnten nach einer Kopie? Aber wenn man sich dieses eigentlich doch recht einfache und scheinbar unschuldige Lied einmal genauer anschaut bzw. anhört, dann merkt man, dass dies ein sehr hoffnungsvolles und bedeutungsvolles Lied ist – ja, ich würde es sogar als Protestsong beschreiben. This little light of mine, I’m gonna let it shine, let it shine, let it shine, let it shine!
Und ich denke, wir alle brauchen dieses Lied, zumindest ab und zu mal. Denn wie oft haben wir nicht Zweifel daran, dass wir dieses kleine Licht in uns tragen – ob nun als einzelne oder auch als Gemeinde?
Wir oft hören wir, dass wir irgendwie nicht gut genug sind? Ich denke, wir alle kennen Leute, die gerne kritisieren und sich auf unsere Schwachstellen konzentrieren anstatt auf unsere Stärken zu schauen. Und das führt dann ganz leicht zu Selbstzweifeln.
Auch als Gemeinde müssen wir manchmal daran erinnert werden, dass wir Gottes Licht tragen und durchaus etwas zu bieten haben. Wie oft sind wir entmutigt, weil unser Kreis immer kleiner zu werden scheint, und wir nicht wissen, wie es weitergehen wird? Doch wir sind ein Licht, dass nunmehr seit 125 Jahren geleuchtet hat, wenn die Flamme auch manchmal etwas zu flackern schien. Sie brennt! Als die Matthäusgemeinde sollten wir dieses trotzige Lied auch manchmal singen: This little light of mine, I’m gonna let it shine, let it shine, let it shine, let it shine!
‘This little light of mine’ bezieht sich auf das heutige Evangelium, das ein Bruchteil der Rede Jesu ist, die wir als ‘Bergpredigt’ kennen. Die Bergpredigt ist Jesu erste grosse öffentliche Rede, die er zu Beginn seines Wirkens hält. Sie ist wie eine Regierungserklärung – nur, dass es sich hierbei um das Reich Gottes handelt, und nicht um lediglich ein bestimmtes Land. Hier erklärt Jesus in eindrucksvollen Worten, worum es beim Reich Gottes geht.
Und diese Worte sind an eine interessante Zielgruppe gerichtet: ganz normale Leute. Vielleicht sogar die, die am Rande der Gesellschaft stehen. Sie sind an die gerichtet, die nach Gott hungern, und nach Hoffnung. Jesu Worte sind an die gerichtet, die wahrscheinlich zeit ihres Lebens nur gehört haben, wir unzulänglich sie sind, machtlos, bedeutungslos. Es sind wharscheinlich Frauen und Kinder in der Menge, und die haben in der jüdischen Gesellschaft oft keinen Status. Jesus richtet sich an eben diese.
Es ist schon erstaunlich, dass Jesus sich mit diesen Worten an sie wendet: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Jesus sagt eben nicht: es wäre ja irgendwie schön, wenn ihr das Salz der Erde wäret, oder: Seid das Licht der Welt! Oder: Ihr solltet versuchen, Licht und Salz zu sein. Nein, Jesus sagt ganz deutlich: ihr seid das Salz. Ihr seid das Licht.
So seid ihr geschaffen worden, dies ist eure Identität. Gott hat euch geschaffen, so dass ihr das Salz der Erde seid. Gott hat euch so geschaffen, dass ihr das Licht der Welt seid. Ihr seid dazu erschaffen worden, Hoffnung und Leben im Auftrag Gottes in die Welt zu tragen. Ihr alle.
Wir alle. So, wie die, die vor gut 2000 Jahren Jesu Worte hörten und durch sie ermutigt und ermächtigt wurden, so werden auch wir durch diese Worte ermutigt und ermächtigt. Egal, wie sehr uns andere versuchen, kleinzumachen, egal, wie oft man uns sagt, dass wir irgendwie nicht gut genug sind oder dass, wenn wir nur dies und das tun würden, dass dann alles ja soviel besser wäre – wir sind Salz. Wir sind Licht. Denn Gott hat uns so geschaffen, in seinem Bilde. Denn Gott hat uns allen die Ermächtigung gegeben, Liebe und Hoffnung weiterzugeben.
In diesem Sinne sind die wohlbekannten Worte, ‘So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen’, nicht so sehr ein Befehl: Nun lasst aber mal gefälligst euer Licht leuchten! Sondern eher eine Ermunterung und Bestätigung: Ihr seid dieses Licht! Habt keine Angst, es leuchten zu lassen, stellt es nicht unter einen Scheffel: Let it shine, let it shine, let it shine!
Nun mag uns das Licht, das wir tragen, das wir sind, manchmal recht klein und undedeutend vorkommen. Ich wäre manchmal gerne ein gröβeres Licht, ich gebe es zu. Ich wäre manchmal gerne so reich und so wohltätig wie Bill und Melinda Gates oder Warren Buffet. Die machen viel Gutes mit ihrem Geld. Ich wäre manchmal gerne so wie Mutter Theresa, so demütig und liebevoll im Umgang mit den Ӓrmsten der Armen. Ich wäre manchmal gerne so mutig wie Rosa Parks, deren Geburtstages wir erst diese letzte Woche gedacht haben, und mehr für Gerechtigkeit und die Würde aller kämpfen.
Aber ich bin eben nicht wie all jene. Aber wir alle haben etwas, das wir teilen können, wir alle haben diese Flamme Gottes, die wir irgendwie mit unseren Mitteln und Talenten weitergeben können. Um noch einmal auf unseren Nachbarn Alex zurückzukommen: er verbreitet Freude und Wohlwollen in der gesamten Nachbarschaft. Es wäre nicht übertrieben, ihn das Licht der Nachbarschaft zu nennen. Er gibt den Menschen um sich herum – und den Hunden natürlich auch – das Gefühl, dass sie ihm wichtig sind. Und das ist eine ganz besondere Gabe.
Und wir alle haben eine besondere Gabe. Wir sind das Licht der Welt. Und selbst die kleinste Flamme kann in tiefster Dunkelheit Hoffnung schenken. Let it shine, let it shine, let it shine!
Nun aber hatte Jesus auf dem Berg eine grosse Menschenmenge vor sich. Und es hatte schon seinen Grund, warum er sagte: “IHR seid das Licht der Welt, IHR seid das Salz der Erde.” Eine Flamme ist gut und wichtig – aber wenn wir unsere Flammen gemeinsam brennen lassen, dann wird es richtig hell, dann können wir so richtig etwas bewirken. Und deshalb kommen wir ja auch als Kirche zusammen. Gemeinsam und mit Gott sind wir stärker.
Heute werde wir also nicht nur daran erinnert, dass wir, so jeder einzeln für sich, das Licht der Welt ist. Das wäre ja auch auf Dauer anstrengend, wenn wir immer leuchten müβten. Nein, gemeinsam sind wir das Licht der Welt. Dazu hat uns Gott geschaffen. Das ist unsere Identität, egal, was andere sagen. Und wenn uns auch unser Licht manchmal etwas trübe vorkommen mag – es hat die Macht, zumindest eine Ecke dieser Welt zu erhellen. This little light of mine, I’m gonna let it shine, let it shine, let it shine, let it shine, let it shine!

Picture by Ai Nhan on unsplash.com

 

 

 

 

 

 

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