Predigt zu Lukas 17, 11-19; Zwanzigster Sonntag nach Trinitatis: ‘Erntedank’ – 9. Oktober 2016

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Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiel den letzten Früchten voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

Dies ist eines meiner Lieblingsgedichte – ‚Herbsttag‘ von Rainer Maria Rilke, einem böhmisch-österreichischen Dichter, der um die letzte Jahrhundertwende lebte. Die Worte, mit denen er eine Herbsttag beschreibt, rührt etwas tief in mir an, eine gewisse Sehnsucht, vielleicht auch Melancholie. Und ich muß Ihnen gestehen, daß der Herbst meine Lieblingsjahreszeit ist. Doch dann erweckt dieses Gedicht in mir auch eine tiefe Dankbarkeit: Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß…

Früher war der Herbst in Deutschland und anderen europäischen Ländern die Zeit, in der die Menschen zusammenkamen, um die Ernte zu feiern. Herbst war die Zeit, sich darüber zu freuen, daß harte Arbeit Nahrung für Mann, Frau, Kind und Vieh hervorgebracht hatte und die Gemeinde einen weiteren  langen Winter über die Runden bringen würde. Herbst war die Zeit, sich darüber zu freuen, daß Gott erneut die Toren des Himmels geöffnet und die Erde mit Reichtum überschüttet hatte. Herbst war die Zeit, Gott für alle guten Gaben zu danken. Und so versammelten sich die Menschen im Herbst in den Kirchen, nicht so einheitlich, wie wir es von hier gewohnt sind, sondern je nach Sitte und Erntezyklus, brachten etwas von ihrem Zehnt zum Altar, und priesen Gott.

Und, ja, an vielen Orten wurde Gott auch für das Vieh gedankt, und die Tiere, die dem Menschen auf so viele verschiedene Weisen dienten – Kühe, Schafe, Pferde, Hunde, Katzen, Geflügel – wurden dabei auch gesegnet, so daß sie auch im kommenden Jahr den Menschen ein Segen sein mochten.

Nun haben sich die Zeiten geändert. Es gibt nicht mehr viele, die ihre eigenen Nahrungsmittel anbauen. Landwirtschaft in der heutigen Zeit ist häufig eine Industrie, von großen Firmen gesteuert und kontrolliert von Monsanto. Die Früchte, die wir heutzutage zum Altar bringen, ist eher symbolisch, meist noch nicht einmal echt, und haben eher einen dekorativen Zweck und sind nicht mehr dazu gedacht, andere zu nähren. Und wenn wir ehrlich mit uns sind, dann müssen wir auch zugeben, daß wir weitgehend den Bezug zu dem Zyklus der Jahreszeiten, dem Zyklus von Saat, Pflege, Ernte und Ruhe, dem Zyklus von harter Arbeit und fröhlichem Feiern, dem Zyklus des Lebens verloren haben.

Für uns sind so viele Dinge einfach sebstverständlich geworden. Die Regale in den Supermärkten sind üppig gefüllt, und jedes Jahr werden Millionen von Tonnen von Nahrungsmitteln in unseren Wohlstandsgesellschaften einfach weggeworfen. Wir können wählerisch sein, weil es soviel Auswahl gibt.

Erst gestern trafen wir uns hier zum ‘Kochen in Käthes Küche’ und verwendeten Nahrungsmittel, die auch Katharina Luther, die Frau von Martin, im 16. Jh. zur Verfügung hatte. Nun litten die Luthers keinen Mangel – dank Katharinas hauswirtschaftlichen Talentes – doch zu ihren Zeiten wurde nicht ein Fatz verschwendet. Wenn z.B. ein Schwein geschlachtet wurde, so wurde das ganze Tier von Rüssel bis Schwanz irgendwie verarbeitet und verzehrt – und da ging dann auch so eingies in die Wurst. Obst wurde für die Wintermonate getrocknet oder zu Most verarbeitet, der dann auch mit der Zeit immer alkoholischer wurde. Gemüse, Fleisch und Fisch wurden eingelegt oder gepökelt und somit haltbar gamacht. Und die Menschen aßen dankbar alles, was ihnen vorgesetzt wurde, weil sie eben Nahrungsmittel nicht als selbstverständlich ansahen. Das war auch noch zu Zeiten meiner Großeltern der Fall, und ich bin mir sicher, daß es auch unter Ihnen so einige gibt, die sich daran erinnern, daß Nharungsmittel eben nicht so reichhaltig wie heute waren – und manchmal auch sehr knapp, so wie im Krieg oder kurz danach.

Wie anders gehen wir da doch heute mit unserem Essen um! Und so haben wir auch häufig die Beziehung zu unserer dankbaren Seite verloren, da wir von so viel Überfluß umgeben sind. Warum sollten wir für etwas danken, das wir so leicht bekommen können, für etwas, zu dem wir 24 Stunden lang Zugang haben, etwas, das wir als selbstverständlich ansehen?

Und so brauchen wir dann auch mehr denn je Zeiten, in denen wir uns bewußt daran erinnern, daß nichts, aber auch gar nichts auf diesem Planeten und in unserem Leben selbstverständlich ist, und daß letztlich alles aus Gottes Hand kommt. Zeiten, in denen wir Dank sagen für all das, was wir aus dieser Hand empfangen. Und unsere Dankbarkeit auch darin zeigen, daß wir von dem abgeben,was wir so reichlich empfangen haben, denn es geht nun einmal nicht allen so gut wie uns.

Wir brauchen Zeiten, in den wir bewußt für unsere Familien danken, für Freunde, für Gemeinschaften, hier und anserswo, für unsere Haustiere, die Gottes Liebe wiederspiegeln, indem sie uns bedingungslos annehmen. Zeiten, in denen wir über das Wunder des Lebens staunen.

Wenn wir die Dankbarkeit verlieren, dann ist unser Leben  um soviel ärmer, und uns ist auch nicht richtig wohl. Wenn wir nur das sehen können, was uns fehlt, anstelle das anzuerkennen, was wir im Übermaß haben, dann werden wir leicht unzufrieden, besorgt, vielleicht gar eifesüchtig auf die, die anscheinend mehr haben, vielleicht gar verbittert. Und dies hindert uns daran, eine gesunde Beziehung zu uns selbst, zum Nächsten und Gott zu haben.

Im heutigen Evangelium heilt Jesus 10 Männer, die vom Aussatz geschlagen sind. Dies ist eine Krankheit, die als sehr ansteckend erfahren wurde, und die die, die daran erkrankt waren, vom Leben in Gemeinschaft ausschlossen. Die Aussätzigen waren Ausgestoßene, und wurden ganz wörtlich in die Wüste geschickt, wo sie dann mehr oder weniger auf sich selbst gestellt waren und in Aussätzigenkolonien dahinvegetierten. Da waren dann Unterschiede zwischen Volkszugehörigkeiten egal. Wurde jemand wider aller Erwartung wieder gesund, so wurde dies als ein großes Wunder angesehen.

Als diese 10, Juden und Samariter, zu Jesus flehen: ‚Meister, erbarme dich unser!‘, zeigt Jesus allen sein Erbarmen. Er heilt sie von ihrem Gebrechen und macht ihnen das Leben in Gemeinschaft und Gesellschaft wieder möglich. Er sendet sie auf ihren Weg, der zunächst zu den Priestern führt, die die Geheilten wieder für gesund und rein erklären müssen – uns ihnen somit erlauben, wieder am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen – und dann zurück in ihr Leben, das sie vor der Erkrankung führten. Sie sind wiederhergestellt.

Doch nur von dem einen, der zurückkehrt, um Dank zu sagen, sagt Jesus: Dein Glaube hat dir geholfen. Und im originalen griechischen Text steht da wörtlich: dein Glaube hat dich wohl gemacht. Indem der geheilte Samariter Jesu dankt ud damit anerkennt, daß er ihm sein neues Leben verdankt, erfährt er eine Heilung, die weit über das körperliche hinausgeht. Denn es besteht die Chance, daß dieser Mann als ein Mensch, der von grund auf verändert ist, wieder in sein altes Leben zurückkehrt. Als ein Mensch, dem es möglich ist, zu sehen, daß e rim Übermaß empfangen hat, und daß es ihm an nichts mangelt und er deshalb auch nicht unzufrieden oder besorgt sein muß. Als ein Mensch, dessen Herz für alle guten Gaben Gottes offen ist. Dessen Herz so mit Lobpreis erfüllt ist, daß es dort einfach keinen Platz für negative Gefühle gibt. Und ist es das nicht, wenn wir bitten: Schaffe in mir, Gott, ein reines Herze?

Und so lade ich sie ein, an diesem Tag, an dem wir Dank für die Ernte und alle guten Gaben in unserem Leben sagen, eine  Moment lang still zu werden und darüber nachzudenken: wofür bin ich heute besonders dankbar?

Lassen Sie die Dankbarkeit Ihr Herz erfüllen. Atmen Sie tief ein, und lassen sie den Lebensodem ihre Lungen erfüllen. Und nun denken oder sagen Sie’s einfach, aus der Tiefe Ihres Herzens: Danke, Gott!

Wie fühlt sich das an? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich muß dabei lächeln, mein Herz wird leichter, und ich fühle mich wohl.

Und so bete ich, daß wir stets ein Dankesgebet in unserem Herzen tragen – heute und an jedem Tag. Und daß alles wohl wird – für uns, unsere Nächsten, und alle Kreatur – da Gott uns alle umfängt und für uns sorgt.

Gott sei Dank!