Predigt zu Lukas 2:26-38 21. Dezember 2014; 4. Advent

Jesus Marathon

Wie Sie vielleicht festgestellt haben, sieht die Titelseite unseres Gottesdienstprogramms heute etwas anders aus als sonst. Dies sind Bilder, die ich speziell ausgesucht habe.  Das erste Bild (siehe oben)  zeigt etwas ziemlich kurioses: Jesus war einer der Läufer beim New York Marathon, und zwar an einem Sonntag in November im Jahr 2013. Und eine Internet Seite zeigte dieses Bild mit einer satirischen Unterschrift: Während Millionen von Christen Jesus am letzten Sonntag in ihren Kirchen zu finden hofften, wirden sie enttäuscht – den Jesus zog es vor, an ganz anderer Stelle zu erscheinen. Hm.  Interessanter Gedanke, finden Sie nicht?

Nun ist der Mann im Bild natürlich nicht Jesus – obwohl, wie können wir uns da so sicher sein? – doch gibt uns diese Situation doch auch einige Denkanstöβe.  Wo ist Jesus?  Ist Gott wirklich anwesend in all den Gotteshäusern auf dieser Welt?  Wo sehen wir Gott in unserer Mitte?  Wie können wir uns sicher sein, daβ Gott bei uns ist?  Und diese Fragen stehen dann natürlich auch im Mittelpunkt des Advents – einer Zeit, in der wir das Kommen Christi in unsere Welt und unsere Mitte erwarten und uns darauf vorbereiten.

Und diese Fragen, die sich mit Gottes Gegenwart beschäftigen, sind fast so alt wie die Menschheit selbst.  Viele prähistorische Kulturen schon schufen besondere Symbole, Rituale, und Plätze, um die Gottheiten an einen bestimmten Stamm oder eine bestimmte Gruppe zu binden, und sie ihr eigen zu machen.  Das Volk Israel war da nicht anders.  Zwar muβte Israel bald feststellen, daβ der Gott, der es aus der ägyptischen Sklaverei befreit hatte, unischtbar war.  Auβerdem war dieser Gott ein ruheloser Gott, ein nomadischer und eigenwilliger Gott, der zwar mit seinem Volk durch die Wildnis zog, aber auf recht ungewöhnlichen Wegen, und vielen Umwegen.  Doch bald bauten die Israeliten diesem Gott ein besonderes heiliges Objekt, die Bundeslade. Vielen Theologen zufolge wurde diese Bundeslade bald als Thron Gottes verstanden, und als Symbol für die Gegenwart Gottes.  Wo immer auch die Bundeslade war, da war auch Gott, so der Glaube. Die Bundeslade wurde dann auch in militärische Schlachten getragen, als Zeichen, daβ Gott mit seinem Volk war.  Manchmal verloren die israelitischen Truppen auch, und die Bundeslade wurde als Siegesbeute vom Gegner davongetragen.  Die Israeliten beklagten dann immer solch einen Verlust, nicht nur den der Bundeslade, sondern auch den Verlust ihres Gottes.  Und so haben wir dann Geschichten im Alten Testament, die davon berichten, was das Volk Israel unternommen hat, um die Lade und seinen Gott wiederzubekommen.

Die Zeit vergeht. Die Israeliten kommen endlich in das gelobte Land, aber zunächst ist das nicht so einfach – die altansässigen Völker geben nicht so einfach auf, und das nomadische Volk der Israeliten existiert für eine Weile halb-nomadisch, immer wieder bedroht von anderen Stämmen. Aber irgendwann wird eine Monarchie etabliert, und Israels zweiter König, David, schafft es, Stabilität für sein Volk zu schaffen. David wählt die eroberte Stadt Jerusalem als seine Hauptstadt aus und beginnt, sich einen Palast zu bauen. Und dies ist wo die heutige Lesung vom Alten Testament einsetzt: David denkt sich, daβ auch Gott nun ein festes Haus braucht, einen Tempel.  Denn bis dahin war die Bundeslade immer noch in einem mobilen Zelt untergebracht; Gott wohnte in einem Zelt. Doch ist es David verwehrt, Gott einen Tempel zu bauen – diese Ehre fällt dann seinem Sohn Salomo zu.   Ein prachtvoller Tempel wird gebaut, und die Bundeslade in der heiligsten Kammer verwahrt. Der nomadische Gott wird damit domestiziert, Gott wird häuslich gemacht.  Und von da an ist der Tempel in Jerusalem der einzige Ort, der exklusive Ort, an dem Gott verehrt werden kann. Gott wohnt an diesem Ort. Also brachte der Tempel so etwas wie eine Versicherung für das Volk Israel, daβ Gott wirklich bei und mit seinem Volk war.

Ein paar hundert Jahre später wird Jerusalem von einer Besetzungsmacht eingenommen, den Babyloniern.  Die Stadt und der Tempel werden zerstört, die Bundeslade geht verloren – obwohl niemand weiβ, was damit geschehen ist – und das Volk wird zwangsdeportiert. Dies ist ein sehr traumatisches Ereignis für das jüdische Volk.  Es verliert alles: seine Heimat, seinen Gott, seine Identität. Während des Exils herrscht dann auch Zweifel: ist Gott wirklich noch mit uns?  Schlieβlich ist die Wohnstätte Gottes zerstört und verloren. Und so ist es dann auch nicht überaschend, daβ der Tempel ganz schnell und etwas hastig wieder aufgebaut wird, sobald es den ersten Exilanten gestattet ist, wieder nach Jerusalem zurückzuhkehren. Gottes Haus ist wieder hergestellt.  Gottes Gegenwart ist erneut garantiert.

Wieder ein paar hundert Jahre später ist das gelobte Land wieder besetzt, diesmal von den Römern. Der Tempel steht immer noch in Jerusalem, prächtger den je. Aber eine gewaltige Veränderung steht an: Gott, ein immer noch überaschender und eigenwilliger Gott, will auf sehr bescheidende Art und Weise in die Welt kommen – und der Engel Gabriel erschien einer jungen Frau, die Maria hieβ, und kündigte ihr an, daβ Gottes Heiliger Geist sie überkommen würde, und daβ sie ein Kind empfangen würde, den Sohn Gottes.  Gott will auf die Art und Weise in die Welt kommen, in der wir alle auf die Welt kommen: durch Empfängnis und Geburt. Dies ist, was wir die Inkarnation nennen – das ‘ins Fleisch Kommen’.  Gott kommt ins Fleisch, Gott wird Fleisch, Gott wird Mensch. Gott wird sichtbar, spürbar, nahbar. Gleichzeitig wird Gott auch verletzlich und sogar sterblich. Und er heiβt Jesus.

Und dieser Jesus stellt dann auch bald die Vorstellung in Frage, daβ Gott nur im Tempel gefunden werden kann. Zunӓchst tut Jesus dies, in dem er immer wieder erklӓrt, daβ Gott in ihm gegenwӓrtig ist; und somit ist Gott seinem Volk ganz nahe und nimmt an ihren Freuden und ihrem Leiden teil. Aber Jesus geht noch einen Schritt weiter und macht das Versprechen: wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen. Gott kann nicht auf bestimmte Gebӓude, Objekte, oder Symbole beschrӓnkt werden. Gott wird da erfahren, wo Gemeinschaft ist.   Das mag uns nichts neues sein, aber dies war ein recht radikaler Gedanke in den Tagen Jesu.

Und dies führt uns dann aum dem Foto von Jesus beim New York Marathon zurück, und zu dem sarkastischen Kommentar, daβ Jesus an jenem Sonntag den Kirchen fernblieb. Wo war Jesus Christus wirklich an jenem Sonntag? Wir können darauf vertrauen, daβ Christus natürlich in all jenen Gotteshäusern gegenwärtig war, wo Christen sich in seinem Namen versammeln. Aber glaube ich nicht, daβ Kirchen die einzigen Stätten sind, in denen Jesus Christus anzutreffen und erfarhbar ist. Gott ist ein Gott des Lebens, Gott liebt das Leben – so sehr, daβ Got den Tod durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes überwunden hat – also warum würde Gott dort fehlen, wo das Leben passiert?

Warum würde Gott beim NY Marathon fehlen, oder bei anderen Sportveranstaltungen (obwohl ich meine Zeifel daran habe, daβ Gott ein bestimmtes Team vorzieht)?  Warum würde Gott bei Feiern und Parties fehlen?  Jesus liebte es, zu essen und zu feiern.

Aber dann glaube ich auch fest daran, daβ Gott überall dort gegenwärtig ist, wo Leben verneint und bedroht wird. Daβ Gott dort gegenwärtig ist, wo Menschen Gerechtigkeit fordern und daran arbeiten, daβ die Welt sich ändert. Und sollten Sie dafür einen Beweis brauchen, dann müssen Sie sich nur anhören, was Maria, ja, die milde Mutter Maria, sagt, da sie die Geburt ihres Sohnes, Gottes Sohnes, erwartet:  „Meine Seele erhebt den HERRN, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilands; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder; denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und des Name heilig ist.Und seine Barmherzigkeit währet immer für und für bei denen, die ihn fürchten. Er übet Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen.Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer. Er denkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel wieder auf, wie er geredet hat unsern Vätern, Abraham und seinem Samen ewiglich.“

Hier spricht eine rebellische Maria, eine Maria, die weiβ, daβ die Welt nicht in Ordnung ist.  Maria verkündet in starken Worten, daβ Gott mit all jenen ist, die niedrig oder erniedrigt sind;  jenen, deren Leben nichts wert zu sein scheint. Also, ja, ich glaube, daβ Gott auch bei Demonstarationen und Protesten gegen lebensverneinende Gewalten gegenwärtig ist.

Gott ist Leben.  Und Gott ist in einer Gemeinschaft gegenwärtig, in der Menschen sich miteinander freuen – und miteinander trauern. Die Frage ist dann, warum wir, als Christen, uns oft so verhalten, als wäre Gott nur zu Teil für unser Leben wichtig?  Warum sind wir in der Regel so schüchtern, so furchtsam, so besorgt um unseren Ruf, wenn es darum geht, diesen lebendigen Gott in der Gesellschaft zu repräsentieren?  Warum fällt e suns manchmal so schwer, unserer Berufung gemäβ auβerhalb dieser Kirchenmauern zu leben?  Warum ist es uns unangenehm, das Wort ‘Evangelisation’ nur zu hören? Wenn wir wirklich daran glauben, daβ Gott ganz aktiv in unsere Mitte ist, warum ist es dann nur so schwer, seine Gegenwart mit der Welt zu teilen?  Wir sind der Leib Christi in der Welt heute – warum ist es manchmal so schwer für uns, diesen Gott, der mit allen ist, zu inkarnieren, zu verkörpern?

Die Inkarnation, das Kommen in das Fleisch, ist nicht nu rein einmaliges geschichtliches Ereignis. Wir sind alle dazu berufen, die Inkarnation Christi in unserer Zeit und unserer Umwelt zu sein.  Meister Eckhart, ein deutscher Theologe und Mystiker aus dem 13. Jh., sieht dies noch unter einem anderen Blickwinkel.  Er sagte: Es ist uns allen bestimmt, die Mutter Gottes zu sein, denn Gott muβ immer wieder geboren werden.

Ganz egal, wie wir es drehen und wenden, wir alle spielen eine wichtige Rolle bei der Inkarnation Gottes.

Und hier könnte ich ‘amen’ sagen.  Aber es gibt noch einen kleinen Epilog.  Zurück zum NY Marathon.  Ja, Jesus war da!  Vielleicht nicht so verkleidet, wie wir uns Jesus vorstellen, und mit einem Schaumstoffkreuz auf dem Buckel – nein, auf viel schönere und bedeutsamere Weise. Ich lade Sie ein, sich das zweite Bild auf der Titelseite des Programms anzuschauen.

NY marathon blind

Dieses Bild wurde bei demselben Marathon gemacht wie das andere Bild. Die Läuferin zur Rechten ist blind, und sie ist durch eine Schlaufe mit einem anderen Läufer verbunden, einem Freiwilligen, der sie leitet.  Übrigens kannten sich die beiden vor dem Lauf nicht.  Die blinde Läuferin heiβt Amelia Dickerson, und ihr Führer heiβt Jonathan Stanger. Sehen Sie Christus in diesem Bild?  Ich schon.

Ich sehe die Gegenwart Christi auf verschiedenen Ebenen in diesem Bild. Gott ist da gegenwӓrtig, wo Gemeinschaft ist, und ein williges Geben – und Nehmen.

Jonathan Stanger, der sehende Führer, schrieb einen Artikel fuer die NY Times über diese Erfahrung, und er schlieβt ihn mit den folgenden Worten: “Am Ende rannte Amelia Dickerson den NY Marathon in einer Zeit von 3 Stunden, 35 Minuten und 44 Sekunden. Sie war die 6278ste von 48000 Lӓufern, und die 925 schnellste Frau, die ins Ziel lief. Ich kam mit der selben Zeit ins Ziel, aber ich tauche nicht in den Resultaten auf. Ich lief nicht um meinetwillen.  Ich lief für Amelia.”

Und in diesem Bild sehen wir den Geist Jesu Christi: den Geist der Liebe, der Freundlichkeit, und der Barmherzigkeit; den Geist des Opfers.  Und ich hoffe, daβ dieses Bild uns daran erinnert, worum es bei christlichem Leben geht.

Gott ist hier.  Gott war beim NY Marathon. Gott ist überall, wo Leben gelebt wird.  Gott ist überall, wo um verlorenes Leben getrauert wird. Gott ist überall, wo Menschen für Gerechtigkeit und Leben für die gesamte Kreatur kämpfen. Und während wir in diesem Advent darauf warten, daβ Gott in unser Leben einbricht, mögen wir uns daran erinnern, daβ die Inkarnation dann passiert, wenn wir uns Jesus Christus öffnen und seinen Geist in uns Fleisch werden lassen.

Amen