Vielleicht haben Sie davon ja schon in den Medien gehört: es gibt jetzt nicht nur Leute, die professionell Hunde ausführen – hier werden solche Leute ‚Dog Walkers‘ genannt – sondern auch Leute, die Menschen ausführen: ‚People Walkers‘. Das ist kein Witz!
 
Das ganze fing vor 2 Jahren mit einem Mann in Los Angeles an, Chuck McCarthy. Chuck ist einer jener hoffnungsvollen Schauspieler, die aber selten eine Gelegenheit bekommen, Geld durchs Schauspielern zu verdienen. Also suchte er nach einer alternativen Einnahmequelle. Erst überlegte er, Hunde auszuführen, doch hat er was gegen das Saubermachen beim Gassigehen. Dann kam ihm die geniale Idee, Menschen auszuführen. Er überlegte, dass potentielle Spaziergänger nur einen Schubs, eine Motivation brauchen, um rauszugehen und zu laufen. Und so entwickelte Chuck die Idee für ‚People Walker‘. Zunächst warb er für seine Dienste mit Flugblätern, doch als das Geschäft überraschend gut lief, entwickelte er eine App für das Handy, die der App von Uber oder Lyft nicht unӓhnlich ist, und Interessenten konnten einen Spaziergang mit ihm buchen – zu $7 per Meile.
 
Als Chuck wegen dieser scheinbat recht verrückten Idee befragt wurde, erklӓrte er, dass es dabei nicht nur um das Laufen geht – obwohl natürlich die körperliche Bewegung auch sehr wichtig ist – es geht vor allem um die Gelegenheit, mit jemandem zu reden. Man macht Smalltalk, aber redet hӓufig auch über ernsthaftere Dinge miteinander. Irgendwie steckt das in uns Menschen so drin, dass, wenn wir nebeneinander hergehen und uns auch nicht direkt dabei in die Augen blicken, uns die Zunge gelöst wird. Und wenn Sie mal bedenken, dass ein Gesprӓchstherapeut heutzutage mindestens $150 pro Stunde berechnet, klingt $7 die Meile gar nicht so schlecht.
 
Nun ist Chuck nicht mehr der einzige, der Menschen ausführt. Zusammen mit anderen, die diese Idee gut fanden, gründete er das Unternehmen ‚The People Walker‘, Trademark – gesetzlich geschützt. Die Webseite ist thepeoplewalker.com. Dieses Unternehmen ist zwar im Moment immer noch auf die Los Angeles Gegend beschrӓnkt, doch hofft sie, sich auf andere Stӓdte auszubreiten. Heute wird eine Gebühr von $15 für jede halbe Stunde berechnet, die über das Handy abgerechnet wird. Und da es nun auch ca. 30 ‚People Walkers‘ gibt, kann man sich die Profile dieser Leute auf der Webseite oder die App anschauen – nur um sicherzugehen, dass man sich auch etwas zu sagen hat. Und, nur nebenbei, alle People Walkers sind polizeiüberprüft und müssen ihre Fingerabdrücke abgeben.
 
Die People Walkers beschreiben ihren Auftrag wie folgend: ‘Bei ‚People Walker‘ (Name gesetzliche geschützt) geht es um Bewegung und Verbindung. Wir gründeten ‘People Walker’ (Name gesetzlich geschützt), weil wir dachten, dass es Menschen wie uns gibt – Menschen, die eine Motivation brauchen, um das Haus zu verlassen, sich zu bewegen, und mit jemandem von Angesicht zu Angesicht zu reden. Menschen, die vielleicht nur die Sicherheit einer Begleitung wünschen. Menschen, die nicht allein laufen wollen und es nicht immer schaffen, Familienmitglieder oder Freunde dabeizuhaben.‘
 
Und sie haben etwas, was man hier ‘Mission Statement’ nennt, also einen kernigen Satz, der ihren Auftrag, ihre Mission, beschreibt: ‘Wir wollen dabei helfen, diese Welt zu einem besseren Ort zu machen – Schritt für Schritt‘. Und ‚People Walker‘ tut dies nicht nur durch die Spaziergӓnge, sondern auch dadurch, dass ein Teil der Einnahmen an örtliche wohltӓtige Vereine geht.
 
Denken Sie, dass dies verrückt ist? Vielleicht auf den ersten Blick. Doch denke ich, dass Chuck und seine Kollegen und Kolleginnen etwas wiederentdeckt haben: dass gemeinsames Laufen und Reden wichtig sind, Menschen verbinden, und gut für Leib und Seele sind. Unsere Vorfahren taten das ganz natürlich und selbstverstӓndlich – und wir vielleicht auch, als wir noch jünger waren – auf dem Schulweg, z.B.: laufen und reden. Irgendwie ist uns dies verlorengegangen.
 
Hier möchte ich eine kleine Laufgeschichte erzӓhlen, die mir vor gut 25 Jahren passiert ist. Damals reiste ich allein durch West Irland. Eines Tages war ich auf einer recht langen Wanderung zu den Ruinen einer Festung aus der Eisenzeit. Die Gegend war überraschend hügelig – und es war einsam auf der Strasse. Auf dem Rückweg fing ich gerade an, einen Hügel zu erklimmen, als neben mir ein Fahrradfahrer abstieg – ein Mann, vielleicht 50. Er grüβte mich freundlich und fing ein Gesprӓch an. Und so schob er sein Rad neben mir her auf dem Weg nach oben, und wir hatten eine nette Konversation. Und als es wieder bergab ging, verabschiedete sich der Herr, stieg wieder auf sein Rad und rollte den Hügel hinunter. Und ich muβ sagen, dass ich diese Episode sehr angenehm und freundlich fand.
 
Es ist leichter und auch angenehmer, ein Stück des Wegs gemeinsam zu gehen, besonders, wenn es bergauf ist, und wenn es auch mit einem Fremden ist.
 
 
Und nun zu einer biblischen Laufgeschichte: der Geschichte der Jünger, die den Weg von Jerusalem nach Emmaus gehen. Diese zwei haben nu rein Ziel: aus Jesrusalem rauszukommen, nur weg von all den schrecklichen Ereignissen der letzten Tage. Schluss, Ende, aus, lass uns gehen. Und anscheinend ist es für die zwei einfacher, sich gemeinsam auf den Weg zu machen als allein zu ziehen. Sie waren Anhänger Jesu und zogen mit ihm herum. Doch nun ist Jesus tot, ihre Hoffnungen und Träume sind zerstört. Die zwei Jünger sind traumatisiert und scheinen Trost ineinander zu finden. Sie laufen nicht nur gemeinsam, sondern teilen sie auch Gemeinschaft auf ihrem Weg – dem Weg zurück in das Leben, so wie, es vor Jesus war. Dem Weg zurück nach Hause, zurück in das Gewohnte. Das zumindest denken die Jünger.
 
Zu Fuss sind es ein paar Stunden von Jerusalem nach Emmaus. Ein paar Stunden, um sich die Trauer und die Enttäuschung abzulaufen. Ein paar Stunden, sich über alles zu unterhalten. Dann nähert sich ihnen ein Fremder. Das ist nichts Ungewöhnliches: die Strassen sind nicht immer sicher, da gibt es schon Raubüberfälle – wir kennen das ja aus dem Gleichnis des barmherzigen Samariters. Je mehr gemeinsam gehen, desto sicherer ist es. Nun aber schlieβt sich ihnen dieser Fremde nicht im Laufen an – er nimmt auch an ihrem Gespräch teil. Worüber redet ihr? Bist du der einzige in Jerusalem, der nicht weiβ, was mit Jesus von Nazareth passiert ist, seine Verhandlung, seine Folterung, seine Hinrichtung?
 
Sie erkennen den, der da mit ihnen geht, nicht. Und wie auch? Jesus ist tot, soviel wissen sie – obwohl es da die Frauen gab, die das Gerücht verbreiteten, dass er auferstanden sei – wie könnte er es sein, der da mit ihnen läuft und redet? Und Jesus macht es ihnen auch nicht einfach – nein, er will, dass sie wirklich verstehen, was da eigentlich passiert. Und so lehrt er sie, während sie laufen, darüber, wie der Menschensohn verherrlicht werden muss und wie das geschehen muβte. Jesus hält nicht nur ihre Füβe, sondern auch ihren Verstand in Bewegung.
 
Ca. 350 Jahre vor dem Gang nach Emmaus lehrte der griechische Philosoph Aristoteles auf ganz ähnliche Weise: durch Diskussion während des Wandelns oder des gemeinsamen Gehens. Dies wird die paripatetische Schule genannt, nach dem griechischen Wort ‘peripateo’, umherwandeln. Die Theorie hinter dieser Methode war, dass wir unbeweglich und vielleicht auch etwas zu bequem sind, wenn wir herumsitzen – und unser Denken wird dann ebenfalls statisch und bequem. Das stellt natürlich in Frage, wie wir unsere Kinder unterrichten. Doch, so die Theorie, wenn wir in Bewegung sind, ist auch unser Geist und Verstand beweglicher und offener. Unsere Perspektive verändert sich ständig, wenn wir umherwandeln, ganz wörtlich, aber auch im übertragenen Sinne. Und es eröffnen sich uns neue Horizonte.
 
Wenn Sie mich fragen, dann macht das Sinn. Und auch die Ostergeschichten, die wir in der Bibel haben, zeigen uns, dass da vielleicht was an dieser Theorie dran ist: schlieβlich sind es die Frauen, die zum Grab gehen, diejenigen, deren Herz und Verstand geöffnet werden und die die ersten sind, die es begreifen: Jesus ist auferstanden. Die Jünger, die sich verstecken und deren Türen aus Angst verschlossen sind, sind wie erstarrt und können – zumindest zunächst – es nicht glauben.
 
Im heutigen Evangelium gibt es einen interessanten Satz: nachdem Jesus zu den Jüngern auf der Strasse nach Emmaus stöβt und sie fragt, was sie denn da diskutieren, heiβt es: ‘Da blieben sie traurig stehen.’ Die schmerzhafte Erinnerung läβt sie innehalten. Sie stecken fest, sie können nicht erkennen, was da geschieht, sie können nicht glauben, dass da etwas passiert sein könnte, dass ihr Verstehen übersteigt. Doch Jesus bringt sie dazu, sich wieder in Bewegung zu setzen, indem er mit ihnen geht und redet. Die Jünger erkennen Jesus immer noch nicht, als sie ihr Ziel erreichen – doch bewegt sie etwas dazu, diesen Fremden, mit dem sie den Weg und ihre Gedanken geteilt haben, zum Verbleiben einzuladen: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt.
 
Und dann, endlich, erkennen die Jünger den, der da mit ihnen gegangen ist, als er das Brot mit ihnen bricht. Und obwohl es spät ist, obwohl es dunkel ist, eilen die Jünger den Weg nach Jerusalem zurück, um es den anderen Jüngern zu sagen: der Herr ist wahrhaft auferstanden, wir haben ihn mit eigenen Augen gesehen! Der Weg endet nicht in Emmaus. Der Weg endet nicht in in Sicherheit und in der Akzeptanz der alten und vertrauten Wege. Der Weg führt weiter und lädt dazu ein, begangen zu werden, Tag für Tag, Schritt für Schritt – und zwar nicht alleine, sondern in der Gemeinschaft mit unseren Schwestern und Brüdern, mit denen wir Gedanken austauschen und Gefühle ausdrücken können.
 
Darum kommen wir immer noch als Christen und Christinnen zusammen, ca. 2000 Jahre nach der Auferstehung. Unzählige Menschen vor uns sind diesen Weg gegangen, und er führt ins Hier und Jetzt – aber auch darüber hinaus. Christus ist auferstanden und hat un sein neues Leben geschenkt – ein Leben mit Sinn, ein Leben, das das Reich Gottes, ein Reich des Friedens und der Gerechtigkeit, als Ziel hat. Wir laufen auf diesem Weg und entdecken neue Horizonte. Wir sind Reisende im Glauben heute, und auch wir machen diese Reise nicht alleine – wir sind ‘People Walkers’ füreinander. Und wir haben Christus an unserer Seite, der den oft herausfordernden und schwierigen Weg des Leben smit uns geht.
 
Und mag unser Mission Statement, unser kerniger Satz zu unserem Auftrag, so simpel und ausdrucksstark sein wie der der ‘People Walker’ (Name gesetzlich geschützt): dabei zu helfen, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, Schritt für Schritt, durch die Gnade und mit der Hilfe Gottes.
 
 
 
Foto von Jon Tyson, unsplash.com