Heute begehen wir Christi Himmelfahrt – der eigentliche Feiertag war am vergangenen Donnerstag, aber da es schwer ist, Leute an einem Wochentag in die Kirche zu bekommen, müssen wir’s halt heute feiern. An Christi Himmelfahrt gedenken wir daran, wir der auferstandene Christus, nachdem er 40 Tage mit seinen Anhängern verbracht hatte, letztlich in den Himmel auffuhr, um seinen Platz zur Rechten Gottes einzunehmen.

Nun mögen wir mit diesem Feiertag heutzutage nicht soviel anfangen können – in Deutschland ist dieser Tag ja auch eher als Vatertag bekannt, an dem sich die Männer aufs Fahrrad schwingen und eine Kneipe nach der anderen besuchen – doch für die christliche Urgemeinde war die Himmelfahrt ein wichtiges Ereignis – so wichtig, daß es sogar Eingang in die frühen Glaubensbekenntnisse fand, wir das Apostolische Glaubensbekenntnis, das wir ja auch noch fast jeden Sonntag rezitieren: ich glaube an Jesus Christus, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters; von dort wird er kommen zu richten die Lebenden und die Toten.

Die urchristliche Gemeinde wartete mit Sehnen darauf, daβ Christus so schnell wie mӧglich wieder auf die Erde zurückkehrt und das Gottesreich verwirklicht, von dem er selber so oft in seinen Gleichnissen erzӓhlt hatte – ein Reich des Friedens und der Versӧhnung und der Gerechtigkeit, ein Freudenreich.

Vielleicht ist der Grund, weshalb wir nicht so recht den Bezug  zu Christi Himmelfahrt haben, ja der, daβ wir eben nicht mehr so sehnsüchtig auf die Wiederkehr Christi warten. Zum einen haben wir ja schon so lange gewartet, zum anderen geht es uns auch ja ganz gut – wollen wir wirklich, daβ Christus wiederkommt und die Welt auf den Kopf stellt? Und dann haben wir so unsere Probleme, den Himmel zu lokalisieren oder zu identifizieren. Das war für die Menschen zu Jesu Zeiten einfacher: da lag hinter dem Himmel das Geheimnisvolle, da war der Himmel der Wohnsitz Gottes. Wir wissen, daß es da ein ganzes Universum jenseits des Himmels gibt, eine Vielzahl von Welten, und daß Gott eben nicht auf einer Wolke irgendwo dort oben thront. Wohin also fuhr Christus genau, als er von der Wolke weggenommen wurde? Wo oder was ist der Himmel?

Nun habe ich letztlich etwas Interessantes über Keltische Spiritualität gelernt, die hauptsächlich in Irland, Schottland und Wales praktiziert wird. In der keltischen Tradition ist der Himmel immer 3 Fuß entfernt, also ungefähr einen Meter. Der Himmel, die Sphäre, die Dimension, in der Gott wohnt, ist immer lediglich einen Meter entfernt. Also ist der Himmel nicht irgendwo da oben in der Stratosphäre, sondern ganz nahe. Aber warum 1 Meter? Denken Sie einmal darüber nach: ein Meter ist etwas länger als die durchschnittliche Armeslänge. Der Himmel, so nahe er auch ist, ist doch außer Reichesweite – der Himmel ist so nah und doch so fern.

Nun kennt die keltische Tradition aber auch sogenannte ‘thin places’, ‘dünne Orte’; und dies sind Orte oder auch Situationen, an und in denen sich Himmel und Erde ganz nahe sind, Orte oder Situationen, and und in denen sich Erde un Himmel berühren und Gott als ganz nahe erfahren wird – Gott berührt an dünnen Orten unser Leben in besonderer Weise. Nun gibt es einige ganz konkrete Orte auf dieser Erde, die als ‚thin places‘ identifiziert und erfahren werden: die schottische Insel Iona z.B., oder Croagh Patrick, der Berg des Hl. Patrick, in Irland – dies sind besondere Orte der keltischen Spiritualität. Aber dann gibt es auch all die Orte, and denen sich Himmel und Erde ganz unerwartet berühren, Orte, an denen wir uns bewußt werden, und wenn auch nur für einen flüchtigen Moment, daß der dünne Schleier gelüftet ist und wir uns in der Gegenwart Gottes befinden. Und dies kann überall und zu allen Zeiten passieren, in der Natur oder Kirchen oder den ganz mundӓnen Situationen unseres Lebens.

Nun kommt die meiner Meinung nach beste Definition dünner Orte nicht von einem Theologen oder Experten von Spiritualität, sondern von einem Reisereporter der New York Times, Eric Weiner. In einem Artikel vom März 2012 schreibt Weiner, und ich übersetze hier aus dem Englischen: “Da gibt es Orte, an denen die Entfernung zwischen Himmel und Erde zusammenbricht und es uns möglich ist, einen Blick auf das Göttliche zu erhaschen, or das Transzendentale, oder das, wie ich darüber denke, unendliche Was-Auch-Immer. Eine Reise zu dünnen Orten füht nicht notwendig zu etwas Groβartigem, wie einem ‘spirituellen Durchbruch’, was das auch immer heiβen mag, aber sie führt dazu, daβ wir die Orientierung verlieren. Dünne Orte verwirren uns. Wir verlieren unseren Richtungssinn und finden einen neuen. Oder auch nicht. In jedem Fall werden wir darin erschüttert, wie wir die Welt sehen, und darin liegt der transformative Zauber des Reisens.‘

Wenn wir uns an dünnen Orten finden, so verlieren wir die Orientierung, wir sind verwirrt, wir verlieren unseren Richtungssinn und finden einen neuen – oder auch nicht. In jedem Fall werden wir darin erschüttert, wie wir die Welt sehen. Und dies verwandelt uns irgendwie. Ich weiβ nicht, wie es Ihnen damit geht, aber dies spricht mich an. Wann immer wir zufӓllig oder auch nicht den Himmel greifen kӧnnen und die Macht Gottes in unserem Leben erfahren, dann passiert da natürlich etwas, das besonders ist und verwirrend und überweltlich. Gottes Macht kommt in eine Welt, die sich selbst nicht erlӧsen kann.

Ich mӧchte Ihnen ein Beispiel für einen dünnen Ort geben, den ich hier in der Nachbarschaft gefunden habe: er liegt gleich auβerhalb der BART Station an der 16th Street und Mission. Hӓufig sitzt dort nachmittags ein Mann, den ich ‘Birdman’, den Vogelmann, nenne – irgendwie ist er für mich ein postmoderner St. Franziskus. Er sitzt da, in heiterer Ruhe, mit einem Lӓcheln und den Lachfӓltchen um seine Augen – und er ist von einem Schwarm Vӧgeln umgeben, zumeist Tauben. Diese Vӧgel sitzen auf seinem Kopf, seinen Schultern, seinen Beinen, in seinem Schoβ, sie lassen es zu, daβ dieser Mann sie in die Hand nimmt und sie streichelt. Nun gebe ich zu, er füttert die Vӧgel, aber das erklӓrt noch lange nicht das besondere Verhӓltnis, das zwischen Mann und den Tieren besteht. Da ist dieses magische Vertrauen, und eine Vertrautheit, die mich an den Beginn dieser Welt und das Paradies erinnert. Ich verliere meine Orientierung, es verwirrt mich in einem guten Sinne, ich werde darin erschüttert, wie ich die Welt in meinen Vorurteilen sehe, ich verliere meinen Richtungssinn und finde einen neuen. Immer, wenn ich diesen Mann auf meinem Heimweg sehe, kann ich nicht anders, als mich frӧhlich und leicht und hoffnungsvoll zu fühlen, egal, wir gehetzt ich bin. Ich kann gerade weit genug meinen Arm austrecken, etwas über den einen Meter hinaus, der mich und alle Kreatur vom Himmel trennt.

Wenn wir den Himmel als etwas verstehen, das nur ein wenig hinter unserem Greifen und Begreifen liegt, doch dann und wann in unsere Existenz an dünnen Orten hineinbricht, dann haben wir auch eine neue Perspektive, wenn wir über Christi Himmelfahrt nachdenken. Dann sitzt Christus nicht in einem unerreichbaren Himmel auf einer Wolke zur Rechten eines statischen Gottesthrones, sondern ist nur einen Meter entfernt, egal, wo wir sind. Wir mӧgen nicht dazu in der Lage sein, Christus durch unseren eigenen Willen zu ergreifen und zu begreifen, und wir erwarten immer noch voller Sehnsucht die Wiederkehr Christi in dieser Welt, die mit jedem Tag verrückter und gewaltsamer und herzloser und zynischer zu werden scheint – und doch ist Christus nahe. Und es gibt solche dünnen Orte in unserem Leben, an denen wir Christi Gegenwart auf besondere Art erfahren, auf eine Art, die uns innehalten und staunen lӓβt, auf eine Art, die uns darin erschüttert, wie wir die Welt sehen. Denken Sie einmal darüber nach: wann haben Sie solch einen Moment, soch dünne Orte, erlebt?

Ich mӧchte Ihnen noch ein weiteres Beispiel für einen dünnen Ort geben, den ich in der vergangen Woche gefunden habe. In diesem Fall war es ein Bild in den Medien. Dieses Bild wurde einen Tag nach dem schrecklichen Terroranschlag in Manchester, England, gemacht, an einem Mahnmahl, das für die Opfer errichtet worden war. Dieses Bild zeigt zwei erschütterte und trauernde Menschen, die sich gegenseitig trӧsten: eine ӓltere jüdische Frau und einen muslimischen Mann. Dies ist ein Blick auf den Himmel, den wir hier erhaschen, ein Blick auf das heilige Reich Gottes, wo alle Schӧpfung mit Gott und mit sich selbst versӧhnt ist; sei es das Paradies oder das Himmelreich, das uns alle am Ende erwartet – hier schlieβt der Kreis. Und dieser Blick, den wir auf das Himmelreich erhaschen, erinnert uns daran, daβ inmitten allen Horrors und aller Gewalt und allen Hasses und aller Sinnlosigkeit dieser Welt Gott doch da ist und uns berührt – und zu uns über den unendlichen Meter hinausreicht und den Moment verwandelt.

Christus hat diese Welt zurückgelassen, doch hat er sie nicht verlassen. Christus fuhr auf in eine andere Dimension, ein Reich, das nur etwas auβerhalb unseres Begreifens liegt, doch das in unsere Existenz hineinbricht. Ein Reich, das uns daran erinnert, daβ diese Welt, die wir hier auf Erden erfahren, nicht das Ende und das Ziel aller Dinge ist, sondern daβ wir etwas besseres erwarten, etwas Wunderbares; und wir erwarten dies nicht nur, in dem wir dasitzen und Dӓumchen drehen, sondern indem wir aktiv darauf hinleben. Unser Ziel ist das Himmelreich, in dem Zertrennung und Haβ und Trauer und Schmerz und Weinen nicht mehr sein werden. Dies ist der Himmel, in den wir Christus nachfolgen. Dies ist unsere Hoffnung. Dies ist, woran uns das Fest der Himmelfahrt Christi erinnert.