Die Geschichte von Josef und seinen Brüdern, die wir am Ende des ersten Buchs Mose finden, ist schon immer eine meiner Lieblingsgeschichten gewesen. Von Kindesbeinen an mochte ich schon immer eine gute Story, und dies IST eine gute Story.

Und nur für den Fall, dass Sie diese Geschichte nicht kennen oder sie vergessen haben – nur für den Fall, dass Sie nie das Musical ‘Joseph and his amazing technicolor dream coat’, das auf dieser Geschichte basiert, gesehen haben – lassen Sie mich im Reader’s Digest Stil zusammenfassen.

Die Geschichte beginnt eigentlich schon mit Jakob, dem Vater Josefs. Jakob ist der, der mit dem Engel Gottes am Jabbok rang und letztlich von diesem Engel gesegnet wurde – und einen neuen Namen bekam, Israel. Und Jakob-Israel wurde dann auch zum Stammvater des Volkes Israel.

Jakob hat zwei Frauen: Lea und Rahel. Er liebt Rahel. Nun ist es aber so, dass er und Lea mehrere Söhne und eine Tochter zeugen, Rahel aber einfach nicht schwanger wird. Als Rahel dann letztlich doch eine Sohn gebiert, Josef, ist dieser Jakobs Lieblingskind. Und wir so viele Lieblingskinder wird Josef ziemlich verwöhnt.

Seine älteren Brüder müssen schon von Kindesbeinen an dabei helfen, die Herden der Familie zu hüten. Josef bleibt im Schutz der Zelte, bis er 17 ist. Jakob läβt auch ein besonderes buntes Gewand für ihn anfertigen, als Ausdruck seiner besonderen Huld für Josef – Kleider machen Leute.  Wie Sie sich wohl vorstellen können, sind die Brüder darüber nicht besonders begeistert und recht eifersüchtig.

Nun aber kommt es richtig dicke, als Josef auch noch sehr eigenartige Träume hat, die er seinr Familie sehr süffisant mitteilt. In diesen Träumen geht es im Grunde darum, dass Josefs Brüder und Eltern sich vor ihm verneigen und ihn verehren. Die Brüder werden darüber absolut miβmutig, und auch Jakob, der Vater, runzelt die Stirn über Josefs Hochmut und Anmaβung: ‘Was ist das für ein Traum, den du geträumt hast? Sollen etwa ich und deine Mutter und deine Brüder kommen und vor dir niederfallen?’

Josefs Büder haben von Josef absolut die Nase voll und wollen ihn loswerden. Bald ergibt sich eine Gelegenheit, als Josef zu seinen Brüdern aufs Feld geschickt wird, um zu erfahren, wie es ihnen geht. Die Brüder schnappen sich Josef und schmeissen ihn in eine ausgetrocknete Zisterne. Da soll er verrecken.

Doch kommen einem der Brüder, Juda, doch Gewissensbisse. Und dann kommt auch zufällig eine Handelskarawane auf dem Weg nach Ӓgypten vorbei. Und so überzeugt Juda die seine Brüder, Josef doch als Sklave an die Karawane zu verkaufen.

Gesagt, getan. Aber wir erklärt man’s dem Vater? Josefs besonderes Gewand wird kurzerhand zerfetzt und im Blut einer Ziege getränkt und Jakob präsentiert. Oh nein, Josef muss von einem wilden Tier angefallen und gefressen worden sein!

In der Zwischenzeit landet Josef in Ӓgypten und muss so einige Abenteuer bestehen – manche gut, manche nicht so gut. Er muss sogar eine Weile im Kerker schmachten, als er verleumdet wird. Doch am Ende wird alles gut: dank seiner Fähigkeit, Träume zu interpretieren, und seines Organisationstalents wird er zur rechten Hand des Pharaos; Josef, sagt nämlich voraus, dass es 7 fette und 7 magere Jahre geben wird, und schlägt vor, dass während der fetten Jahre doch Korn für die mageren Jahre gelagert werden soll.

So sind die Ӓgypter dank Josef versorgt. Dem Rest der Region geht’s aber nicht so gut. Auch Jakob und seine Familie in Kanaan leiden eine Hungersnot. Und so schickt Jakob seine Söhne nach Ӓgypten, um Korn zu kaufen.

Merken Sie, wie’s spannend wird?

Die Brüder werden vor Josef geführt, der sich natürlich nach all den Jahren verändert hat und wohl auch nach der letzten ägyptischen Mode gekleidet ist. Die Brüder erkennen ihn nicht – aber Josef erkennt seine Brüder. Was wird Josef tun?

Nun, Josef will sehen, ob sich seine Brüder geändert haben. Und hier fasse ich nun wirklich ganz grob zusammen: Er prüft sie, und sie bestehen diese Prüfung.

Und dies bringt uns zur Szene aus der heutigen Lesung aus dem 1. Buch Mose: der grosse Showdown zwischen Josef und seinen Brüdern. Josef hat es in seiner mächtigen Hand, sich zu rächen. Doch etwas es geschieht das absolut Unerwartete: Josef vergibt seinen Brüdern. Und er begründet sein Handeln folgendermassen: ‘Gott hat mich vor euch hergesandt, dass er euch übrig lasse auf Erden und euer Leben erhalte zu einer groβen Errettung. Und nun, nicht ihr habt mich hergesandt, sondern Gott.’

Es ist also Gottes Plan, dass Jakob – Israel – und sein Haus errettet werden. Aber ich finde es trotzdem erstaunlich, dass Josef seinen Brüdern vergeben und Gnade walten lassen kann.

Und ich denke, dass diese Geschichte vor allen so eine gute Story ist, weil wir dieses doch recht unerwartete ‘happy end’ haben. Denn wieviele Geschichten, erfunden und auch wahr, haben ein anderes Ende – ein Ende, in dem es um Vergeltung geht?

Gnade zu zeigen ist kein natürliches menschliches Verhalten. Zu vergeben ist unsagbar schwer – selbst mit Menschen, die wir lieben, wie Eltern, Partnern, Kindern und Freunden. Ja, es mag uns möglich sein, ihnen zu vergeben – schlieβlich haben wir sie lieb – doch dann bleibt da meist doch irgendwo ein Stachel stecken, eine Erinnerung, die wir einfach nicht loswerden können und die uns irgendwann wieder einholt, bevorzugterweise bei einem Streit. Vergeben und vergessen? Wenn es nur so einfach wäre.

Nun ist es aber nicht nur schwer, zu vergeben. Nein, es ist auch schwer, sich vergeben zu lassen.

Ich will ihnen auch zum Vergebenwerden noch eine Geschichte erzählen, eine persönliche Geschichte – und ich weiss nicht, ob das eine gute Story ist, aber für mich ist sie wichtig.

Vor vielen Jahren in Deutschland hatte ich einen Freund, ein ‘High School Sweetheart’, wie man hier so schön sagt. Und er war ein ganz lieber und gutmütiger junger Mann. Nun war ich doch ein eher typischer Teenager, kompliziert und mit viel Drama und manchmal auch so richtig ätzend und gemein. Und ich war auch gemein zu meinem Freund und tat ihm manchmal sehr weh. Stolz bin ich darauf nicht. Ich wundere mich schon, dass wir über 5 Jahre zusammenwaren.

Ungefähr 8 Jahre, nachdem wir auseinandergegangen waren, fand ich ihn dank des Internets, das es nun gab. Ich schrieb ihm eine E-Mail und bat ihn um Vergebung für all das, was ich ihm angetan hatte. Und er schrieb zurück: Ja, du hast mir wehgetan. Aber: ich vergebe dir.

Nun passierte etwas Sonderbares: ich ärgerte mich über diese Antwort. Irrsinnig, oder, da ich doch um Vegebung gebeten hatte? Aber ich dachte eine lange Zeit darüber nach, warum ich mich so ärgerte. Und ich kam schliesslich drauf: ich hatte eine andere Antwort erwartet. Ich hatte erwartet, dass er mir schreibt: ‘Schwamm drüber, war ja alles nicht so schlimm.’ Ich wollte, dass er mir sagt, dass es schon okay war.

War’s aber nicht. Und ich musste mich damit wirklich auseinandersetzen und mir eingestehen, dass ich grosse Fehler gemacht hatte. Ich musste mich mit meiner Selbsttäuschuung auseinandersetzen. Und das war schwer. Und brauchte wirklich lange, bis ich die Vergebung meines Ex-Freundes akzeptieren konnte. Und heute bin ich wirklich dankbar dafür, dass er mir eben nicht schrieb, Schwamm drüber, sondern mir wirklich vergeben konnte.

Und dies lehrte mich etwas über Vergebung, das 7 Jahre Theologiestudium nicht vermochten: dass Gottes Gande und Gottes Vergebung eben nicht ein leichtfertiges Abtun meiner Sünde sind – ach, ist ja nicht so schlimm, Schwamm drüber, mein Kind. Gottes Vergebung ist eben kein blanker Scheck für uns – macht nur weiter so wie bisher, kümmert euch nicht um eure Fehler, ist schon in Ordnung. Wenn es so einfach wäre, warum wäre Christus dann für und am Kreuz gestorben?

Wenn wir Vergebung suchen, dann müssen wir schon ehrlich mit uns selbst sein. Wenn wir wahre Vergebung suchen, dann müssen wir bereit sein, uns zu verändern. Das ist das, was man im Kirchenjargon ‘Busse’ nennt. Und Vergebung zu akzeptieren und Busse zu tun ist ebenso schwer, wie Vergebung zu gewähren – vielleicht sogar schwerer.

Im heutigen Evangelium setzt Jesus sein Feldpredigt fort und redet von Feindesliebe, davon, dass wir die segnen sollen, die uns verfluchen, dass wir die andere Wange hinhalten sollen, kurzum: dass wir barmherzig und gnädig sein sollen, so wie auch unser himmlischer Vater barmherzig ist. Und dies ist nicht nur eine Herausforderung für die, die ihm zuhören, Gnade und Barmherzigkeit zu üben. Nein, Barmherzigkeit führt dazu, dass die, die sie erfahren, von ihren Missetaten und Fehlern überführt werden. Somit ist Barmeherzigkeit auch eine Herausforderung für jene, die sie erfahren, über ihr Handeln nachzudenken, mit sich selbst eherlich zu sein, ihre Fehler einzugestehen und neue Wege zu gehen.

Und so wird Gande zum zweischeidigen Schwert.

Aber warum beharrt Gott so sehr auf Gnade und Barmherzigkeit? Warum ist Gott nicht realistischer – ach, es sind halt Menschen? Nun, Gottes Endziel ist eben keine Gesellschaft, wie wir sie derzeit vielerorts auf diesem Planeten finden – eine Gesellschaft, in der es die Reichsten, Gewitztesten und Mächtigsten gut haben und der Rest zusehen muss, wo er bleibt.

Gottes Endziel ist das Himmelreich, und dies ist das absolute Gegenteil: ein Reich, in dem alle ohne Nöte leben, ein Reich, in dem niemand mehr dem anderen wehtun muss oder will, ein Reich, des ewigen Lebens in aller Fülle für alle Kreatur, ein Reich des Schaloms, des Friedens Gottes.

Ohne Gnade und die harte Arbeit des Vergebens und Vergebenwerdens belibt dieses Reich nur eine Utopie, ein unrealistisches Hirngespinst, etwas, das zu gut ist, um je wahr zu werden.

Liebe Gemeinde, wir leben recht gnadenlosen Zeiten. In Zeiten, in denen wenig vergeben wird, aber auch in Zeiten, in denen Menschen eigentlich keine Vergebung empfangen wollen, denn dann müβten sie ja zugeben, dass sie Fehler machen – und wir ziehen es dann doch vor, uns zu selbst zu rechtfertigen. Wir leben in Zeiten, in denen Gleiches nur zu bereitwillig mit Gleichem vergolten wird – Stichwort Twitter Wars.

In diesen gandenlosen Zeiten stellt Gott uns die Herausforderung, barmherzig sein sein. Demut zu üben und ehrlich mit uns selbst zu sein in einer Welt, in der die meisten ihre Fehler nicht zugeben wollen oder zugeben können. Gnade zu üben und Gnade groβherzig zu empfangen.

Und wir können all dies in der Gewissheit tun, dass Gott uns vergeben hat, dass wir die Empfänger von Gottes Gnade sind – und dass uns nichts von der Liebe Gottes trennen kann.  

Also: packen wir’s an!