Predigt zu Lukas 7,1-10; Erster Sonntag nach Trinitatis – 29. Mai 2016

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Wie Sie vielleicht wissen, werden wir bald das 500 jӓhrige Jubilӓum der Reformation begehen. Die Feierlichkeiten fangen ganz offiziell am 31. Oktober dieses Jahres an – das ist der Tag, an dem Martin Luther im Jahre 1517 die 95 Thesen an die Tür der Schloβkirche in Wittenberg nagelte; und dies führte dann zu Luthers Bruch mit der rӧmisch-katholischen Kirche und der Gründung einer neuen, protestantischen Kirche.

 

Und das Reformationsjubilӓum wird mit einer Sensation beginnen: der Lutherische Weltverband, oder Lutheran World Federation, wird dieses Jahr am 31. Oktober einen Festgottesdienst im schwedischen Lund feiern. Und der Ehrengast wird Papst Franziskus sein. Das ist schon spektakulӓr, wenn man bedenkt, daβ die lutherisch/katholischen Beziehungen über die letzten 500 Jahre nicht gerade einfach gewesen sind, um es einmal vorsichtig auszudrücken.

 

Und natürlich ist dies für so einige katholischen Glӓubigen ein Skandal. Wie kann der Papst sich nur mit diesen Hӓretikern so verbrüdern? Aber dann hat sich Papst Franziskus bisher nicht unbedingt darum geschert, was die Leute, auch in der katholischen Kirche, denken. Er hat so eine Art, überall anzuecken: indem er am Gründonnerstag Frauen, Gefӓngnisinsassen und Muslimen die Füβe wusch. Indem er muslimische Flüchtlinge im Vatikan aufnahm. Und der letzte Skandal: er erwӓgt ernsthaft, ob nicht Frauen das Diakonenamt in der Kirche ausführen sollten.

 

Nun ist der Papst trotz seiner Vorstӧβe für manchen noch nicht radikal genug, aber dann ist auch vielen zu radikal. Aber Sie mӧgen über ihn denken, wie Sie mӧgen, er hat viel Offenheit und christliche Nӓchstenliebe gezeigt, eine Liebe, die weit über die Mauern der Institution der rӧmisch-katholischen Kirche hinausreicht.

 

Aber dann hat Papst Franziskus von Anfang an klargemacht, daβ er an einen Gott glaubt, dessen Liebe weit über Dogma und Orthodoxie hinausreicht. Vor ein paar Jahren schon predigte er, daβ die gesamte Menschheit durch das Blut Christi erlӧst worden ist. Ich wiederhole, die gesamte Menschheit.

 

Ich denke, Sie sehen, wie revolutionӓr diese Gedanken sind. Am Ende, so Papst Franziskus, sind nicht irgendwelchen theologischen Bekenntnisse wichtig, sondern wie wir unser Leben führen. Für uns Christen bedeutet dies, daβ es wichtig ist, wie wir unseren Glauben LEBEN.

 

Franziskus ist damit radikal anders als sein Vorgӓnger, Benedikt, welcher immer wieder betonte, daβ nur rӧmisch-katholische Glӓubige, und einige Orthodoxe, den wahren Glauben haben, und daβ dieser Glaube dazu notwendig ist, das Heil zu erlangen; alle anderen kӧnnen zur Hӧlle fahren, und das schlieβt Protestanten, also uns, mit ein. Ich bin mir ziemlich sicher, daβ Benedikt nicht an dem Festgottesdienst in Lund teilgenommen hӓtte.

 

Franziskus, auf der anderen Seite, erkennt, daβ Gottes Gnade und Barmherzigkeit grӧβer sein müssen als Dogma und Bekenntnisse. Nun denkt sich das Franziskus ja auch nicht einfach so aus; er kann seine Aussagen mit Worten aus der Bibel belegen. Jesus Christus selbst ist ein Ausdruck dieser revolutionӓren Gnade und Barmherzigkeit Gottes, und dies drükt sich allein schon in der Menschwerdung Gottes und seinem Kommen auf die Erde aus. Und Jesus Christus zeigte denen mit verengten Herzen, wir erstaunlich und weitgreifend Gottes Liebe für alle ist, würdig oder auch nicht.

 

Das heutige Evangelium ist ein gutes Beispiel dafür, daß Gottes Liebe auch für die gilt, die nicht zum engeren und eingeweihten Kreis dazugehören – für jene, die nicht so ganz offensichtliche Empfänger der Gnade Gottes sind, weil sie eben nicht das Rehte glauben. Lassen Sie uns also noch einmal die Geschichte genauer betrachten: Jesus kommt nach Kapernaum, eine Stadt, die am See Genezareth liegt nicht nur für die Fischerei bekannt ist, sondern auch als Militärstandort für die römische Besatzungsmacht. Die Römer wurden von der jüdischen Bevölkerung mit Argwohn betrachtet, und als Feinde angesehen. Die Römer waren einfach zu fremd: sie verehrten eine Vielzahl von Göttern und mußten sogar den römischen Kaiser als Gott verehren. In den Augen der Juden waren die Römer Ungläubige, da sie nicht in den einen und einzigen Gott glaubten.

 

Nun hatten die Römer aber nun einmal das Sagen im Lande, und die jüdische Führungsschicht tat ihr bestes, um die feindliche Besatzungsmacht zu beschwichtigen und bei guter Laune zu halten, um nicht das letzte bißchen Unabhängigkeit und religiöse Freiheit zu verlieren. Die jüdischen Führer kommen in den Evangelien nicht besonders gut weg, doch muß man ihnen lassen, daß sie lediglich versuchten, den Tempel, ihre Religion und auch ihr Volk vor Gewalt zu schützen.

 

Also haben wir es im heutigen Evangelium mit einer interessanten und auch delikaten Situation zu tun: ein römischer Hauptmann hat einen Knecht, der ihm lieb und wert ist, und jener ist todkrank. Der Hauptmann hört von Jesus, und wahrscheinlich auch von den Wundertaten dieses jüdischen Rabbis. Und so sendet er einige der Ältesten der Juden zu Jesus mit der Bitte, seinen geliebten Knecht zu retten.

 

Nur eine Anmerkung: der Hauptmann sendet etwa nicht seine eigenen Knechte aus, um Jesus zu fragen, nein, er sendet die einheimische Oberschicht, die jüdischen Ältesten. Das sagt schon etwas über die Macht dieses Mannes, und auch etwas über die schwierige und delikate politsche Situation. Und die jüdischen Ältesten? Sie kamen zu Jesus und baten ihn sehr, wie e sim Evangelium geschrieben steht. Jesus, siehst du nicht, wie wichtig es ist, diesen rӧmischen Hauptmann zu beschwichtigen und seine Bitte zu erfüllen? Jesus, er ist es wert, daβ du dies für ihn tust, denn er hat unser Volk lieb, und die Synagoge hat er uns erbaut.

 

Das kennen wir ja auch noch heute, daβ wir groβzügige Spender besser nicht vor den Kopf stoβen. Und so ist dieser Hauptmann den jüdischen Ältesten etwas wert. Und sie sagen Jesus ganz klar, wer etwas wert ist – und das weist auch darauf hin, daβ diese Ältesten auch eine klare Meinung darüber haben, wer der Aufmersamkeit Jesu nicht wert ist; und wir haben ja dann auch so einige Geschichten in den Evangelien, in denen wir hӧren, daβ die jüdische Führung so manche als unwert und wertlos betrachten, so wie Sünder, Prostituierte, und Auslӓnder, die keine Macht haben.

 

Wir wissen nicht, was Jesus sich so denkt, doch macht er sich mit den Ältesten auf den Weg zum Haus des Hauptmanns. Doch ehe sie das Haus erreichen, kommen ihnen nun Freunde des Hauptmannes entgegen, die eine Botschaft in seinem Namen überbringen. Und so hӧren wir die vertrauten Worte, die wir auch heute noch in leicht abgewandelter Form in unserer Liturgie hӧren: Herr, bemühe dich nicht; ich bin nicht wert, daβ du unter mein Dach kommst. Doch sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund. Ich bin es nicht wert.

 

Diese Einsicht steht im krassen Gegensatz zum Urteil der jüdischen Ältesten, daβ der Hauptmann, eben weil er den Juden gewogen zu sein scheint, der Aufmerksamkeit Jesu wert ist. Der Hauptmann scheint zu wissen, daβ Gottes Maβstӓbe nicht die Maβstӓbe des Menschen sind. Der Hauptmann weiβ, daβ er der Hilfe Jesu und der Gegenwart Gottes nicht wert und würdig ist – und doch vertraut er darauf, daβ Jesus ihm seinen Wunsch erfüllen wird und seinem Knecht Heilung schenken kann. Nicht, weil er es wert ist, sondern weil er an die Macht Jesu und Gottes Liebe und Gnade glaubt.

 

Und so lesen wir: “Als aber Jesus das hӧrte, wunderte er sich über ihn und wandte sich um und sprach zu dem Volk, das ihm nachfolgte: ‘Solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden.’” Am Ende wird der Knecht des Hauptmannes nicht geheilt, weil der Hauptmann es wert ist, sondern weil er auf Gottes Liebe vertraut und an sie glaubt. Jesus dreht die religӧse Welt seiner Zeit einmal wieder auf den Kopf: Gott ist grӧβer als alles menschliches Verstehen. Gottes Gnade und Barmherzigkeit sind grӧβer als menschliches Urteil oder Dogma. Und somit werden Gott und Gottes Gnade hӓufig in recht überaschenden Situationen gefunden werden. Wir müssen nur unsere Augen – und unsere Herzen – offenhalten, um diese erstaunliche Wahrheit zu erkennen.

 

Die radikale Botschaft des Evangeliums, und die gewagten Worte und Taten Papst Franziskus’, sind auch heute noch für viele ein Skandal, selbst für viele, die sich Christen nennen. Wir leben in einer Welt, die immer exklusiver und geteilter zu werden scheint. Man muβ sich nur den Prӓsidentschaftswahlkampf in diesem Lande oder das Resultat der Prӓsidentschaftwahlen in Ӧsterreich vor Augen halten – wir sind polarisiert. Ich habe Recht, du nicht, meine Meinung zӓhlt, deine ist Blӧdsinn, ich sehe es so, und du bist blind. Im religiӧsen Sinn heiβt es dann oft, ich bin erwӓhlt, und du nicht, ich bin errettet, aber du nicht, ich komme in den Himmel, und du scher dich zum Teufel. Wir gehen nicht gerade sparsam mit unserem Urteil um.

 

In diesem Land wird das Christentum hӓufig als exklusiv, verurteilend, und ganz und gar nicht liebe- und gnadenvoll erfahren, jedenfalls denen gegenüber, die anders denken oder glauben. Und viele lehnen die Kirche im allgemeinden Sinn dann auch ab, weil sie dieses Image hat. Fragen Sie einmal viele der jüngeren Leute. Noch heute treten viele christliche Führer, und Christen im allgemeinen, so auf wie die jüdische Führungsschicht zu Jesu Zeiten – indem sie erklӓren, wer der Liebe Gottes wert ist, und wer nicht. Ich frage mich, ob wir Gott wirklich alle Ehre und Autoritӓt und Herrschaft geben, wenn wir, die wir uns als seine Stellvertreter auf Erden verstehen, den Weg zu Gottes Gnade versperren..

 

Doch letztlich ist Jesu Gebot laut und klar: liebe deinen Nӓchsten, liebe deine Feinde und bete für sie, liebe die, die anders sind als du. Was ist der Mensch, daβ er es sich anmaβen kӧnnte, manche der Liebe und Gnade Gottes für wert zu erachten, doch andere nicht? Wie der Hauptmann im heutigen Evangelium feststellt: letztlich ist niemand es wert, daβ Gott unter sein oder ihr Dach kommt. We haben alle unsere Fehler, und da ist es ganz gleich, wie respektabel oder nett oder erfolgreich oder mӓchtig wir sind. Wir sind alle auf die Gnade Gottes angewiesen. Und wir haben alle diese wunderbare Gnade empfangen, trotz unserer Sünde, trotz unserer Fehler. Als Nachfolger Christi ist es unsere Aufgabe, das Tor zu Gottes Reich für alle weit offen zu halten, so daβ alle geheilt und erlӧst werden mӧgen. So helfe uns Gott.