Ich harre des Herrn, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort. Meine Seele wartet auf den Herrn, mehr als die Wӓchter auf den Morgen; mehr als die Wӓchter auf den Morgen. Psalm 130, 4-5, Lutherbibel 1984

“Alles, was in der Welt erreicht wurde, wurde aus Hoffnung getan.“ Martin Luther (1483-1546)

Der Advent ist meine Lieblingszeit im Jahr. Ich erinnere mich an die Adventszeiten meiner Kindheit, mit Adventskalendern, dem Backen von Keksen, dem Rezitieren von Gedichten und dem Singen von Advents- und Weihnachtsliedern, dem Duft der Tannenzweige, der freudigen Erregung und der Erwartung. Und dann war das das geliebte Ritual des Entzündens der Kerzen auf dem Adventskranz, erst eins, dann zwei, dann drei, dann vier. Mit jeder Woche wurde das Licht heller in den Tagen, die immer dunkler wurden. Und selbst als Kind hatte ich dieses etwas unheimliche und doch trӧstliche Gefühl des Geheimnisses und des Wunders. Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht überwunden.

In vielen kirchlichen Traditionen symbolisieren die vier Kerzen des Advents verschiedene Dinge; diese Traditionen sind nicht einheitlich, doch wird die erste Kerze oft die Kerze der HOFFNUNG genannt. Wir hoffen darauf, daβ Christus erneut zu uns kommt, wir hoffen auf das Gottereich des Friedens und der Gerechtigkeit, wir hoffen auf den Tag, an dem Leiden und Weinen und Tod nicht mehr sein werden. Wir hoffen darauf, daβ die Dunkelheit, die wir derzeit in dieser Welt erfahren, durch jeden Funken, jede Flamme, die aufleuchten, überwunden wird – egal, wie klein dieses Licht auch sein mag.

Und was wӓren wir ohne Hoffnung? Wir erfahren soviel Dunkelheit. Wir erfahren vom Leid anderer – und leiden hӓufig auch selbst. Wir werden Zeugen von Ungerechtigkeit. Wir leben in einer Gesellschaft, in der alles gegen die Schwachen zu arbeiten scheint. Wir sehen dabei zu, wie dieser Planet zerstӧrt wird, so daβ wir den Idolen des Konsums, der Wirtschaft und des Fortschritts dienen kӧnnen. Wir wissen, daβ wir alle einmal sterben müssen. Man kӧnnte also fragen: wozu leben wir eigentlich? Was ist der Sinn?

Und doch schreiten wir voran. Da gibt es etwas in uns, das uns antreibt. Laut Martin Luther ist dies die Hoffnung. ‘Alles, was in der Welt erreicht wurde, wurde aus Hoffnung getan,’ so schreibt er. Aus Hoffnung, daβ die Dinge besser werden und Heilung mӧglich ist. Aus Hoffnung, daβ Gott einen Plan für uns und die gesamte Schӧpfung hat, der über unsere Vorstellungen hinausgeht. Luther hat auch angeblich gesagt, daβ er, auch wenn morgen die Welt unterginge,  noch ein Apfelbӓumchen pflanzen würde. Dies faβt seine Philosophie und seinen Glauben zusammen: trotzig zu hoffen, auch wenn Dinge hoffnungslos erscheinen. Das Licht brennen zu lassen, auch und gerade in der dunkelsten Nacht.

Nun ist ein eine Sache, auf etwas passiv zu warten. Aber, wie wir alle wissen, durch Passivitӓt passiert meist keine Verӓnderung. Hoffen ist ein Verb, ein Tuwort, und somit ist Hoffen eine ganz active Sache. Worauf wir hoffen, darauf müssen wir hinarbeiten. Wenn wir Licht sehen wollen, so müssen wir unsere Kerzen anzüden und sie nicht unter einen Scheffel stellen. Advent ist eine Zeit der Hoffnung und der Erwartung – und eine Zeit, die uns daran erinnert, unser Licht – Gottes Licht – in der Welt leuchten zu lassen, und zwar durch unsere Worte und Taten. Wir mӧgen meinen, daβ unser Licht klein und schwach ist – doch selbst eine kleine Flamme erhellt die Nacht und vertreibt die Furcht. Unsere eigene Furcht – und die Furcht derer um uns herum.

Mein Gebet für diese erste Woche des Advents ist, daβ wir niemals die Hoffnung verlieren mӧgen; daβ wir unserer Hoffnung gemӓβ handeln; und daβ wir niemals die Dunkelheiten unseres Lebens und dieser Welt das Licht, das wir in unseren Herzen und Seelen tragen, überwinden mӧgen. So sei es.