Viele Missetaten gegen Frauen sind in den vergangenen Monaten ans Licht gekommen. Und in diesem Licht höre ich Marias Lied, das ‘Magnifikat’, mit anderen Ohren.

Wir finden dieses Lied im Evangelium nach Lukas (1, 46b-55):

Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder. Denn er hat groβe Dinge an mir getan, der da mӓchtig ist und dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit wӓhret für und für bei denen, die ihn  fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffӓrtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stöβt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lӓsst die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unseren Vӓtern, Abraham und seinen Nachkommen in Ewigkeit.“

Je nachdem, wo man nachschaut, ist das englische Wort bzw. der englische Begriff des Jahres entweder ‘Feminismus’ oder ‘Schweigensbrecher’ oder ‘#metoo’ (‘ich auch’, ein Begriff, der sexuelle Übergriffe betrifft) oder ‘mitschuldig’. Ich denke, wir alle, und vor allem die Frauen unter uns, können uns denken, warum das so ist. Ich persönlich hatte so einige ‘me too’ Momente, und ich denke, es gibt da so einige (und nicht nur Frauen), die wissen, wie es ist, aufgrund ihres Geschlechts (oder ihrer sexuellen Orientierung) belӓstigt zu werden – oder schlimmer.

Maria erhob seinerzeit ihre Stimme. Sie brach das Schweigen über Ungerechtigkeit in einer Welt, in der Frieden, Liebe und Wohlgefallen oft von Habsucht, Macht und roher Gewalt überschattet werden. Als Frau wuβte Maria auch sehr wohl, wie es ist, in einer Gesellschaft zu leben, in der Frauen ungerecht behandelt werden.

Nun ist die Vision, die Maria in ihrem Lied besingt, noch nicht erfüllt. Doch ist dies die Vision, die sie mit dem teilt, den sie in ihrem Leibe trägt – es ist Gottes Vision, und wir sind dazu berufen, dieser Vision entgegenzuleben.

Und dies mag zum Teil dadurch geschehen, daβ wir selbst das Schweigen brechen. Für uns Frauen und alle anderen, die sexuell belästigt oder miβbraucht worden sind, mag das unangenehm sein. Es mag schmerliche Erinnerungen wieder wach werden lassen, und wir mögen denken, daβ wir die Vergangenheit doch ruhen lassen sollten – heiβt es nicht, daβ wir vergeben und vergessen sollen? Doch schulden wir es unseren Töchtern und Enkeltöchtern, den Mädchen und Frauen, für die wir Vorbilder sind, all denen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder Sexualität belästigt worden sind (oder schlimmer), unsere Stimmen zu erheben – damit solche Gewalt nicht immer wieder geschieht. Wir schulden es Maria, die die Mutter aller ist, die von der Liebe und Gnade ihres Sohnes Jesu Christi berührt worden sind. Und so laβt uns der Vision Marias entgegenleben, der Vision, die auch Gottes Vision ist – die Vision einer Welt, in der wahrlich Friede und Wohlgefallen unter ALLEN Menschen herrschen.

Lasst uns beten:

Gott, in dieser Adventszeit – einer Zeit, in der wir Hoffnung auf eine Welt ausdrücken, die auf den Kopf gestellt wird – kommen wir zu dir mit all unseren Geschichten und unserem Schmerz. Wir vertrauen dir alles an in der Gewissheit, daβ du die Macht hast, zu heilen und zu verändern. Wir schauen mit Hoffnung auf das Kind in der Krippe, den Menschen und den Gott, der uns verspricht, Frieden und Wohlgefallen unter ALLEN Menschen Wirklichkeit werden zu lassen. Amen