Der Herr ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!
Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit!
Vor 2 Wochen schritten wir, dieses Lied singend, in unsere Kirche. Es war Palmsonntag und wir begrüßten Jesus als unseren Herrn und Heiland. Um dann nur wenige Minuten später in die „Kreuzige ihn!“- Schreie einzustimmen.
Der Weg von Palmsonntag bis Ostern ist für mich emotional eine anstrengende Zeit. Denn sie hält mir einen Spiegel vor und zeigt mir, wie instabil und unzuverlässig wir Menschen sind. Leicht zu begeistern. Wow, der Herr selbst kommt herein und möchte mit mir eine Mahlzeit teilen. Diesen Jesus liebe ich.
Aber wer ist der Herr, der sich nicht einmal selbst helfen kann und so wehrlos aufgibt am Kreuz? Das kann doch nicht der Sohn Gottes sein? So schnell ich mich für etwas begeistere, so schnell bin ich auch enttäuscht und hilflos. Ist das der Herr,an den ich glaubte? Hab ich mich vielleicht geirrt? Hat er mich hinters Licht geführt? Alle gemeinsam schrien wir „Kreuzige ihn!“. Dann der Schock: Was ich im Affekt, im Rausch des Mobs wünschte, ist wirklich geschehen. Gott ist am Kreuz gestorben. Gott hat die Welt drei lange schwarze Tage allein gelassen.
Schließlich die gute Nachricht: Jesus ist auferstanden! Unter den Toten ist er nicht mehr zu finden. Jesus lebt. Gerade mal eine Woche ist es her, dass wir Ostern feierten. Jesu Sieg über den ewigen Tod. Wir haben die Gute Nachricht gehört, wir haben sie gesungen. Und auch heute haben wir einander während des Psalms versichert, was wir glauben: Der Herr ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Hallelujah! Das kann nicht oft genug gesagt werden.
Letzte Woche betrat ich zum ersten Mal in meinem Leben einen Dollar Tree. Gestern feierten wir nämlich Theos 5. Geburtstag mit einer riesigen Party. Da ist der Dollar Tree einfach genial, um Kleinigkeiten einzukaufen, die keiner braucht, aber alle lieben. Jetzt, nach Ostern, sind natürlich viele Ostersüßigkeiten im Angebot: 4 für $1, da konnte ich nicht widerstehen und fand 5 Großpackungen Süßkram. Perfekt als Gewinn beim Topfschlagen. Bei einem 4 für 1 Angebot ist 5 eine denkbar schlechte Zahl. Also tauchte ich ein in die Welt der peeps und Hasen und Marshmallows – und fand das hier!! Ein goldenes Ei. Darauf ein Kreuz samt weißem Tuch. Darüber steht in strahlendem weiß: Er ist auferstanden! Natürlich musste ich dieses letzte Ei kaufen. Was für eine Überraschung, die Nachricht von der Auferstehung unseres Herrn im Dollarshop zu lesen. Ich wollte natürlich unbedingt wissen, was drin ist: bunte süße Minikreuze. Nicht die schlechteste Idee, um die Osterbotschaft zu veranschaulichen.
Gut, wir wissen also, dass Jesus auferstanden ist, oder? Selbst im Dollar Tree scheint man es zu wissen. Wir haben die Botschaft gehört, genauso wie die Jünger im heutigen Evangelium die Botschaft von Maria gehört haben. Sie hörten sie, sie wussten es, aber sie hatten Jesus nicht gesehen und versteckten sich in ihren Häusern.
Es ist der Osterabend, der Abend nach der Auferstehung. Der Tag, an dem einige von ihnen das leere Grab besuchten. Der Tag, an dem Maria Magdalena verkündete: „Ich habe den Herrn gesehen.“ Nun sind sie alle in einem Haus versammelt. Die Türen sind verschlossen – aus Angst. In ihrem Leben hat sich nichts verändert seit der Auferstehung. Es gibt noch kein Vorher-Nachher-Lebensgefühl. Sie hörten die Botschaft, sie wissen darum, sie glauben sie aber nicht und deshalb verstecken sie sich.
Jesu Grab ist offen und leer. Das Haus der Jünger ist voller Menschen und verschlossen, die Türen sind gut verschlossen. Das Haus ist zum Versteck geworden. Jesus ist frei und unterwegs und die Jünger sind Gefangene ihrer Angst. Noch haben die Jünger keine Beziehung aufgebaut zum Ereignis der Auferstehung. Sie hat noch keine echte Bedeutung für sie gewonnen. Noch wurden ihnen die
Augen nicht geöffnet. Maria Magdalenas Worte voller Glauben, Hoffnung und Liebe bleiben ausgesperrt und belanglos. Stattdessen leben sie in einem Grab, randvoll mit Angst, Zweifel und Blindheit. Die verschlossene Haustür ist der Fels, der ihr Grab verschließt. Und so haben sie sich selbst eingeschlossen. Anscheinend ist ein offenes Grab nicht der Schlüssel zu einem verschlossenen Haus.
Wissen durch Hörensagen war nicht der Schlüssel zum Glauben für die Jünger. Sie brauchten eine Selbsterfahrung. Sie mussten Jesus mit eigenen Augen sehen.
Im Evangelium klopft Jesus nicht an die Türen unserer verschlossenen Häuser und Kirchen. Er kommt und ist plötzlich einfach da und sagt: „Friede sei mit dir.“ Ganz einfach. Die Jünger sind fürbass erstaunt und gleichsam erstarrt. Den wie aus dem Nichts aufgetauchten Mann bringen sie nicht in Verbindung mit dem Auferstandenen. Aus Angst sehen sie das Naheliegende nicht. Sondern nur einen Fremden. Also zeigt Jesus ihnen einen Beweis seiner Identität: die Wundmale an Händen und Seite. Endlich sehen die Jünger ihren Herrn. Endlich erkennen sie ihn, endlich jubeln sie. Hat ne Weile gedauert.
Wie so oft, sahen die Jünger nur, was sie erwarteten und kannten. Sie erwarteten nichts und sahen nicht mehr als einen Fremden. Obgleich Jesus direkt vor ihnen stand. Sie dachten, Jesus sei tot. Damit sie den lebenden Herrn sehen konnten, musste Jesus ihnen die Todeszeichen zeigen. Im Angesicht des Todes öffneten sich ihre Augen für das Leben.
Einer der Jünger verpasst dieses Spektakel. Thomas. Er war offensichtlich mutig genug, um das Haus zu verlassen. Als er nach Hause kommt, erzählen ihm die anderen: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Diesen Satz kannte er schon. Er hatte ihn schon von Maria gehört. Er hatte ihm nicht geglaubt. Egal, wie viele seiner Freunde ihm das erzählen würden, er würde ihn nicht glauben. Thomas musste Jesus mit eigenen Augen sehen. So wie alle anderen Jünger vor ihm.
Witzigerweise wird Thomas in der Tradition stets der „zweifelnde“ oder gar „ungläubige Thomas“ genannt. Obwohl er nichts anderes erleben wollte, als die anderen.
Der ungläubige Thomas sucht nach Beweisen, die er glauben muss, komme was wolle. Er könnte seinen Freuden glauben, denn eigentlich hoffte er doch auf Jesu Auferstehung. Andererseits ist er tief enttäuscht von Jesu Tod. Deshalb reicht ihm eine Antwort auf die Frage „Kann ich das irgendwie glauben?“ nicht aus. Thomas muss sich 100% sicher sein. Seine Frage lautet deshalb „Muss ich an Jesu Auferstehung glauben? Ist die Beweislage so eindeutig, dass ich keine andere Wahl habe?“ Wenn dem so ist, wird er auch in Zukunft allen Glaubenszweifeln widerstehen können. Wenn dem so ist, wird er es jedem erzählen: Der Herr ist auferstanden!
Eine Woche später erscheint Jesus wieder. Die Türen sind immer noch verschlossen vor Angst. Die Freude über die Auferstehung hat das Leben der Jünger nicht verändert. Sie leben weiterhin so, als ob sie nichts davon wüssten, Jesus nicht mit eigenen Augen gesehen hätten.
Wieder kommt Jesus herein und steht einfach da und sagt: „Friede sei mit euch.“ Ganz einfach. Danach spricht er Thomas an und erlaubt ihm, was er sich so sehr gewünscht hat: Die Wunden des Herrn zu berühren. Um sicher zu sein, dass dieser Mann Jesus ist. Kein Geist. Kein Kostümierter. Jesus. Auf den alten Bildern ist Thomas immer dargestellt, wie er seine Finger in die Wunden legt. Aber in der Geschichte geht es darum gar nicht mehr. Dieser Mann kennt seinen größten Wunsch, er muss der Herr höchstpersönlich sein. Thomas hört Jesu Stimme, er sieht ihn und kennt ihn und glaubt von ganzem Herzen. Laut bekennt er seinen Glauben: „Mein Herr und mein Gott!“, ruft er.
Der fragende, zweifelnde Thomas kannte seine eigenen Bedürfnisse und er konnte sie klar benennen. Er bat um einen Beweis, bekam eine durch und durch befriedigende Antwort und konnte fortan mit Herz und Seele glauben.
Und hier sind wir. Wir haben die gute Nachricht von Jesu Sieg über den ewigen Tod gehört. So oft haben wir sie schon gehört. Wir sollten es eigentlich wissen, oder? Aber, glauben wir auch, dass sie wahr ist? Machen wir die Türen und Herzen weit und erzählen der Welt, was für uns wahr geworden ist?
Das eine ist es, die Wahrheit zu kennen. Etwas anderes ist es, zu fühlen, dass diese erkannte Wahrheit wirklich wahr ist. Ich weiß, dass Jesus auferstanden ist. Trotzdem denke ich an den meisten Tagen nicht darüber nach. Ich fühle es nicht. Ich sehne mich nicht danach, es jedem zu erzählen.
Vielleicht bin ich in der Hinsicht genauso altmodisch wie Thomas. Mir hilft es, das Evangelium nicht nur zu hören, sondern auch zu verkünden. Nicht nur von der Kanzel zu predigen als Teil meiner Aufgabenbeschreibung. Sondern tagtäglich. Das ist mein selbsternanntes, super anspruchsvolles Ziel. Obgleich ich daran seit über 10 Jahren arbeite, bin ich immer noch am Anfang.
Dieser Weg begann 2007, als ich in Rumänien ein Jahr lang orthodoxe Theologie studierte. Unter meinen zumeist orthodoxen Freunden und Kommilitonen war es verhältnismäßig normal, sich während der Osterzeit mit dem Osterruf zu begrüßen. Ich wusste das. Emotional verstand ich es nicht so ganz.
Kurz nach Ostern radelte ich durch Cluj zur Uni. Ein Kommilitone sah mich und schrie über die ganze Straße und den Straßenlärm hinweg: „Hristos a inviat! Der Herr ist auferstanden!“ Und ohne nachzudenken, rief ich zurück: „Adevarat a inviat! Er ist wahrhaftig auferstanden.“
Einen Augenblick später realisierte ich, was gerade passiert war. Ich war so begeistert, dass ich mit breitem Grinsen weiter radelte. Was für ein befreiendes Gefühl. Endlich konnte ich nicht nur die Freude, die ich seit Ostern spürte, in der Öffentlichkeit zeigen. Ich konnte auch den Grund dafür ohne Scham nennen. Der Herr ist auferstanden! Bis Pfingsten begrüßte ich jeden mit „Hristos a inviat!“
Was mir dabei half, waren 2 Dinge: 1. Das orthodoxe Umfeld. 2. Die fremde Sprache. Über meinen Glauben in einer Fremdsprache zu reden, ist für mich zugleich schwieriger und leichter. Schwieriger, weil mir manchmal die richtigen Worte fehlen. Leichter, weil es mich emotional nicht ganz so stark berührt. Und gerade das hilft mir, mein Herz und meinen Verstand verbal zu verbinden.
Ich muss zugeben, dass es mir in Berkeley extrem schwer fällt, Menschen mit „Der Herr ist auferstanden“ zu begrüßen. Ich bin mir unsicher, wie anders- oder ungläubige Menschen das aufnehmen könnten. Ich möchte niemandem zu nahe treten. Vielleicht ist es aber auch meine eigene Angst vor unerwarteten Antworten, die mich zögern lässt. Wie reagiere ich, wenn jemand antwortet: “Nicht dein Ernst, oder?”, „Echt? Glaubst du das wirklich?“, „Das glaube ich nicht!“ oder „Mir doch egal!“ Bin ich bereit, ein Gespräch darüber zu führen, warum ich an Jesu Auferstehung glaube und was sie für mich bedeutet?
Ich versuche es trotzdem! Als Tischgebet singen wir „Der Herr ist auferstanden“. Auch, wenn Freunde dabei sind, die das nicht glauben. Dann fühlt es sich etwas komisch an. Aber mit jedem Tag und jeder Woche wird es natürlicher und richtiger und schöner und wahrer. Bis wir es täglich fühlen.
Nach und nach wird der Osterruf die Türen hoch machen und die Tore weit, denn es kommt der Herr der Herrlichkeit. In unsere Herzen und unsere Hirne und unsere Münder. Denn Jesus ist auferstanden. Er ist wahrhaftig auferstanden. Amen.

Foto von Sandy Millar via unsplash.com