Predigt zu Lukas 10, 38-42; Achter Sonntag nach Trinitatis – 17. Juli 2016

 

mary and martha

 

Am Montag, dem 11. Juli, hielt David Brown, der Polizeichef von Dallas, eine Pressekonferenz, in der er über die Attacken auf Dallas Polizeibeamte sprach, die in der vorherigen Woche stattgefunden hatten. 5 Polizisten starben, und 7 wurden verletzt. Natürlich gab es viele Fragen. Das Problem mit diesen Pressekonferenzen ist nur, daβ man die Fragen der Pressevertreter oftmals nicht verstehen kann – da muβ man dann anhand der Antworten rekonstruieren, was denn nun die Frage gewesen ist.

Eine Frage wӓhrend dieser Pressekonferenz muβ ungefӓhr so gelautet haben: Welche aktiven Schritte kӧnnen und sollen in Zukunft unternommen werden, um solch eine Grӓueltat zu verhindern. Denn Chief Brown antwortete: ‘There’s a lot that can be done – es gibt viel, das getan werden kann.’ Doch dann fuhr er fort: ‘Laβt uns nicht davon abgelenkt werden, die Verluste, die wir erlitten haben, zu betrauern…es wird die Zeit kommen, darüber zu reden, was getan werden kann.’

Und ich denke, seine Antwort war absolut angemessen und auch wirkungsvoll. Sind Taten vonnӧten? Absolut! Doch gibt es im Moment wichtigere Dinge zu tun. Nӓmlich: Zu trauern – gemeinsam. Zu weinen – gemeinsam. Sich zu erinnern – gemeinsam. Tief Luft zu holen – gemeinsam. Uns wieder zu sammeln – da wir uns so zerissen fühlen. Und dann, dann ‘wird die Zeit kommen, darüber zu reden, was getan werden kann.’ Wieviel Weisheit steckt in diesen Worten!

Und ich denke, diese Worte sind auch eine gute Illustration für das heutige Evangelium. Im Evangelium geht es um Maria und Marta, die Schwestern, und ich denke, wir alle haben die Geschichte schon mal gehӧrt: Marta nimmt Jesus bei sich auf und dient ihm eifrig. Maria, die Schwester, alldieweil sitzt zu Jesu Füβen und hӧrt ihm zu. Marta hat irgendwann mal die Nase voll und beschwert sich bei Jesus: Ja, siehst du denn nicht, daβ ich hier allein die Arbeit mache? Sag meiner Schwester, daβ sie mir helfen soll! Und Jesus antwortet: ‘Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwӓhlt; das soll nicht von ihr genommen werden.’

Nun denke ich einmal, daβ die meisten unter uns wahrscheinlich Verstӓndnis für Marta haben. Haben wir das nicht alle schon einmal erlebt, daβ wir alle Arbeit machen, wӓhrend sich jemand anders zu drücken scheint? Haben wir es nicht alle schon einmal erlebt, daβ wir uns überwӓltigt fühlen, und niemand scheint davon Notiz zu nehmen? Wie würden Sie sich fühlen, wenn Sie in Martas Position wären, und da wäre jemand wir Maria? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich bin schon irgendwie auf Martas Seite, und ich bin auch versucht, so über Jesus zu denken: ‘Ach ja, typisch Mann! Was weiß er schon über die Mühen und Plagen einer Frau?’ Irgendwie beschwert sich Jesus ja auch nicht über die Gastfreundschaft Martas, und er lädt sie auch nicht ein, sich selbst hinzusetzen und zuzuhören.

Und die Versuchung ist groß, dieses Evangelium nur recht eindimensional zu betrachten: also gibt es Martas und Marias, es gibt die, die tun, und die, die zuhören. Arbeiter und Intellektuelle. Und in diesem Lande ist diese vereinfachte Interpretation an vielen Kirchen an den Namen für Frauengruppen erkennbar: da gibt es die Martha Circles, also die Marta Kreise, und die Mary Circles. Die Martha Circles machen normalerweise Handarbeiten und Quilts, oft für Bedürftige, und in den Mary Circles gibt es Bibelstunde. Und, das ist wirklich interessant, oft sind das wirklich getrennte Gruppen, und Frauen nehmen entweder an einem oder den anderen teil.

Doch geht es bei dieser Geschichte um viel mehr. Es geht um mehr, als nur die Martas dieser Welt all den Marias gegenüberzustellen, oder sich auf eine bestimmte Seite zu schlagen, oder eine Seite als besser als die andere zu erklären.

Dienst und Handeln sind wichtig. Glaube ohne Werke ist tot, so lesen wir im Jakobusbrief. Und erst letzte Woche hörten wir das Evangelium von Barmherzigen Samariter, in dem Jesus uns dazu aufruft, anderen ein Nächster zu sein und denen zu helfen, die diese Hilfe nötig haben. Wir sind der Leib Christi in der Welt heute, und als solcher dazu berufen, zuzuhören, zu beten, zu heilen und zu helfen. Dies ist eine Berufung zum Handeln, zum Tun. Und somit sind alle Martas in dieser Welt, all jene, die die Ärmel ohne Zögern hochkrempeln und sich an die Arbeit machen, wichtig.

Auf der anderen Seite ist da natürlich die Gefahr, sich so auf das Tun zu fixieren und Dinge zu tun, weil man eben etwas tun muß, daß wir womöglich vergessen, warum wir eigentlich diese Dinge tun. Daß wir vergessen, was der Grund und die Grundlage unseres Handelns sind. Der Apostel Paulus schreibt so eindrucksvoll im 1. Korinther 13, der Passage, die so gerne bei Hochzeiten gelesen wird: Und wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete, und wenn ich Glauben hätte, Berge versetzen zu können, und wenn ich alle meine Habe oder gar mein Leben dahingäbe, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts.

Da gibt es eine Zeit und einen Raum dafür, in dem innezuhalten, was wir tun, und auch mal zu reflektieren. Da gibt es Zeit und Raum dafür, unsere Gedanken, unsere Gefühle und auch uns selbst zu sammeln. Da gibt es Zeit und Raum dafür, zu lauschen. Da gibt es Zeit und Raum dafür, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren, wenn wir so leicht von Ereignissen abgelenkt werden und viel Mühe und Sorge um allerlei Dinge haben.

Sie haben vielleicht den Artikel gesehen, denn ein Reporter über die Matthäusgemeinde geschrieben hat – Frau Bultmann hatte ihn ja mitgebracht. Vielleicht haben Sie auch die Radioversion gehört, wir haben den Link auf unserer Webseite und unserer Facebook Seite. In diesem Beitrag beschreibt der Reporter die Matthäuskirche als eine friedliche Oase in der Geschäftigkeit dieser Stadt, San Francisco. Und ich mag dieses Bild der friedlichen Oase: daß diese Kirche, wie auch andere Gotteshäuser, Raum bietet, wo wir uns sammeln und auf das Wesentliche konzentrieren können, das Herzstück unserer Existenz, nämlich Jesus Christus und sein Leben und Sterben zum Heil und zur Heilung aller.

Daß wir alle Ablenkungen und Sorgen draußen lassen können, zumindest für eine Weile, und uns sammeln können. Daß wir hier Frieden, Kraft, und Nährung finden, in der Gegenwart Gottes und der Gegenwart unserer Schwestern und Brüder.  Daß wir hier eine Weile zu Jesu Füßen sitzen können, ihm lauschen, und Weisung finden, bevor wir dann wieder im Frieden des Herrn in die Welt hinausgehen und Gott dort dienen.

Dies ist das guteTeil, daß nicht von uns genommen werden soll. Und somit sind alle Marias dieser Welt, all jene, die erkennen, wie wichtig es ist, ab und zu einmal innezuhalten, zu lauschen und zu reflektieren, wichtig. Und idealerweise haben wir alle ewas von Maria und von Marta in uns – bereit, zu handeln und Gott und dem Nächsten zu dienen, doch gleichzeitig bedächtig und reflektiv. Jesus erinnert uns daran, wie wichtig es ist, daß wir uns ab und zu einmal sammeln. Daß wir uns darauf besinnen, was wirklich wichtig ist. Daß wir all unser Tun und Handeln an dem, was wir glauben, und unseren christlichen Werten messen – und der größte unter ihnen ist die Liebe. Uns nicht einfach übereilt und übereifrig  in Action zu stürzen – es sei denn natürlich, es ist ein Notfall – nicht einfach anzunehmen, daß ein gewissen Handeln das rechte ist – sondern erst einmal nachzudenken, zu beten, und alle Aspekte sorgfältig abzuwägen, allein und gemeinsam mit anderen.

Und ich denke, das ist es, worauf Dallas Police Chief David Brown bei der Pressekonferenz am vergangenen Montag hinaus wollte. Lassen Sie mich noch einmal seine Worte frei zusammenfassen: Es gibt viel zu tun, aber jetzt ist nicht die Zeit, uns von dem ablenken zu lassen, was wichtig ist: zu trauern. Es bedächtig angehen zu lassen. Uns zu sammeln. Den Heilungsprozess zu beginnen, den wir so dringend nötig haben. Uns zusammenzuraufen. DANN können wir darüber reden, was getan werden kann und muß.

Denn unser erster Instinkt ist häufig: zu re-agieren. Schnell zu Schlußfolgerungen zu kommen und übereilt zu handeln. Und so ist es wichtig, uns bewußt Zeit zu nehmen, über Dinge zu reflektieren – gerade im Angesicht all des Terrors und der schrecklichen Ereignisse in aller Welt, Dinge, die uns auseinanderzureißen drohen.

Und selbst wenn wir nicht diese traumatischen Dinge erleben, wie in Orlando, Baghdad, Instanbul, Dallas und Nizza – selbst dann, wenn wir nicht trauern – so ist es doch gut, daran erinnert zu werden, daß es Zeit und Raum für alle Dinge unter dem Himmel gibt – und daß getreues und wirkungsvolles Handeln Hören und ein sorgfältiges Urteil voraussetzt.