Predigt zu Lukas 13, 10-17; Dreizehnter Sonntag nach Trinitatis – 21. August 2016

verkreummte frau

Ich bin nun nicht 18 Jahre lang verkrümmt gewesen, doch die letzten zehn Tage bin ich herumgehumpelt. Ich habe mir eine Bӓnderriβ zugezogen, als ich nach den Sternen schaute. Aber in den letzten zehn Tagen habe ich dann mehr auf den Boden der Tatsachen achtgegeben.

Denn da lauert so manche Gefahr. Als ich anfing, auf Krücken zu laufen, stellte ich fest, wie uneben die Auffahrt zu unserem Haus ist; wie uneben und rissig viele Bürgersteige sind; wie weit die Aufzüge in BART Stationen von den Eingӓngen entfernt sind; wie eng die Tische im Starbucks zusammenstehen; wie schwer es ist, eine Tür auf Krücen zu ӧffnen; und dann sind da die Stufen. Stufen sind besonders gefӓhrlich, wenn man auf Krücken angewiesen ist. Im allgemeinen sind Stufen gefӓhrlich, und zwar für all jene, die sich halt nicht mehr so gut bewegen kӧnne wie früher, für Leute mit Atmungsbeschwerden, und für Leute, die Probleme mit ihrem Gleichgewicht haben.

23 Stufen führen allein von der Eingangshalle dieser Kirche zum Gottesdienstraum. An einem normalen Sonntag renne ich diese Stufen ca. zehnmal auf und ab, kein Problem. Aber das Laufen auf Krücken hat dann doch meine Perspektive und meine Erfahrung geӓndert. Ein Lift wӓre eine Geste an all jene, die gerne zur Kirche kommen würden, aber die berechtigte Angst vor den Stufen haben. Ein Lift wӓre eine klare Botschaft an all jene, die sich nicht so gut bewegen kӧnnen, daβ wir als Gemeinde sie wirklich willkommen heiβen, und daβ uns ihre Sicherheit am Herzen liegt. Die 23 Stufen waren sicherlich für mich ein gefӓhrliches Hindernis in den vergangenen Tagen, und ich weiβ, daβ sie es auch für viele andere sind.

Gleich nach dem Unfall war ich unheimlich frustriert, daβ ich mich nicht so wie sonst bewegen kann, und daβ alles doch sehr viel anstrengender ist und mehr Zeit braucht als üblicherweise.   Ich konnte nicht Auto fahren, ich kann immer noch kein Fahrrad fahren, und laufen kann ich nur in Maβen.

Aber dann gewӧhnte ich mich doch recht schnell an die neuen Umstӓnde meiner Behinderung. Ich gewӧhnte mich daran, recht faul zu sein und die Füβe hochzulegen. Und ich weiβ, daβ ich aufpassen muβ, daβ ich mich nicht zu sehr an diese neue Normalitӓt gewӧhne, sondern langsam wieder in meinen alten Rhytmus komme und wieder aktiver werde. Und ich denke, daβ jeder, der mal durch eine Phase der Rekuperation gegangen ist, die Erfahrung gemacht hat, daβ dies nicht immer ganz einfach ist, und daβ man schon seinen inneren Schweinehund überwinden und sich disziplinieren muβ, um wieder ganz auf die Beine zu kommen.

Ich denke mal, daβ für die verkrümmte Frau im heutigen Evangelium nach 18 langen Jahren ihre Behinderung zur Norm geworden ist. Und ich muβ gestehen, die grӧβte Überaschung für mich, wenn ich diese Geschichte hӧre, ist nicht die wundersame Heilung an sich; nein, ich bin hauptsӓchlich davon überascht, daβ diese Frau das Geschenk der Heilung so bereitwillig annimmt – und wie leicht ihr der Übergang zur Gesundheit fӓllt. “Als aber Jesus sie sah, rief er sie zu sich und sprach zu ihr: ‘Frau, sei frei von deiner Krankheit!’ Und legte die Hӓnde auf sie; und sogleich richtete sie sich auf und pries Gott.“ Sogleich – sofort!

Deken Sie daran, diese Frau ist 18 lange Jahre behindert gewesen. Nach solch einer langen Zeit wird die Behinderung zur Normalitӓt. Viele Menschen kӧnnen es sich noch nicht einmal mehr vorstellen, wie ihr Leben war, bevor sie schwer verletzt oder von einer schweren Krankheit geschlagen wurden. Ich bin einfach nur erstaunt, daβ diese Frau sich irgendwie die Erinnerung an eine Zeit ohne die Behinderung bewahren konnte, eine Zeit, in der sie sich aufrichten konnte; und auch, daβ ihr Kӧrper, ihr Geist und ihre Seele sich nach so langer Zeit wieder so einfach aufrichten kӧnnen.

Es scheint fast so, als hӓtte diese Frau auf ein Wunder, eine Heilung, gewartet, vielleicht 18 Jahre lang. Sie war auf jeden Fall bereit, von diesem Geist, ihrer Krankheit, befreit zu werden. Und dies ist ein Wunder.

Und sollten Sie daran Zweifel haben, so denken Sie einmal über das Folgende nach: wieviele Dinge beschweren Sie? Was sind jene Geister, mit denen Sie schon lange Zeit gelebt haben, die Sie behindern und Sie davon abhalten, sich aufzurichten und das Leben in seiner ganzen Fülle zu leben? Was sind die Dinge in Ihrem Leben, die Sie einschrӓnken und von denen Sie wissen, daβ sie nicht gut für Sie sind, die aber so normal geworden sind, daβ Sie sich ein Leben ohne jene Dinge nicht mehr vorstellen kӧnnen? Kӧnnten Sie jene Dinge so einfach abschütteln?

Erst vor ein paar Wochen predigte ich über all die Dinge, die wir besitzen – manchmal zu dem Punkt, daβ sie von uns Besitz ergriffen haben. Wir müssen dieses Zeugs irgendwo unterbringen, wir müssen uns darum kümmern, es ist nicht einfach, es loszuwerden, und wir verwenden mehr Zeit und Energie und auch Geld darauf, als wir denken –  und all diese Zeit und Energie, und all das Geld kӧnnte sinnvoller verwendet werden. Zu diesem Geist des Konsums und der Habsucht kommt dann auch noch die Last hinzu, die unser Konsum für die Umwelt, Gottes gute Schӧpfung bedeutet. Stellen Sie sich vor, Jesus sagte zu uns: ‘Kinder, ihr seid frei von eurem Besitz!’ Würden wir dieses Angebot der Heilung annehmen? Würden wir uns sogleich aufrichten und Gott preisen?

Denken Sie an andere Dinge, die Sie belasten. Bitterkeit, Miβgunst, Neid, Furcht, Vorurteile, und dann all der Groll über Schmerz, der Ihnen irgendwann einmal zugefügt wurde. Ich weiβ nicht, wie es Ihnen geht, aber all diese Dinge haben mich schon in meinem Leben verkrüppelt. Das Unvermӧgen oder auch der Unwille, anderen oder auch mir selbst zu vergeben – das Unvermӧgen oder auch der Unwille, eine Vergangenheit loszulassen, die sowieso nicht geӓndert werden kann – die Angst vor dem fremden, sei es Personen oder Situationen – all diese Geister behindern viele unter uns, sie halten uns zurück und verkrümmen uns. Stellen Sie sich vor, Jesus sagte zu uns: ‘Kinder, ihr seid frei von allem, das euch von einer liebe- und verstӓndnisvollen Beziehung mit anderen und mit euch selbst abhӓlt.’ Würden wir dieses Angebot der Heilung annehmen? Würden wir uns sogleich aufrichten und Gott preisen?

Und dann haben natürlich all die Dinge, die uns in unserem persӧnlichen Leben verkrüppeln, auch gesellschaftliche Folgen. Da gibt es die Last und die Schuld der Geschichte, da gibt es er ungelӧste Probleme wie den Rassismus in diesem Land, da wird das Evangelium des maβlosen Konsums verkündigt; und dies, zusammen mit zügellosen Egotimus, führt dann zu einer Gesellschaft, in der jeder nach sich selbst schaut und die Armen und Schwachen vernachlӓssigt werden. In diesem Lande gibt es eine Kultur der Gewalt, die man vielleicht in anderen Lӓndern erwartet, doch nicht in einem Land der Freiheit und des Fortschritts wie in den USA. Stellen Sie sich vor, Jesus sagte zu uns als Gesellschaft: ‘Kinder, ihr seid frei davon, Sicherheit an falschen Orten zu suchen; kommt her zu mir, all ihr die ihr mühselig und beladen seid, und ich will euch erquicken.’ Würden wir dieses Angebot der Heilung annehmen? Würden wir uns sogleich aufrichten und Gott preisen?

Mein Verdacht ist, daβ es da so einge gӓbe, die der heilenden Macht Jesu widerstehen und auch an ihr zweifeln würden. Mein Verdacht ist, daβ so einige ihre Haltung und ihren Lebensstil verteidigen würden: ‘Aber Jesus, das alles ist nicht so einfach! Wir kӧnnen nicht so einfach von heute auf morgen unsere Wege, unser Verhalten ӓndern – so ist die Welt nun einmal, und wir haben uns daran gewӧhnt.’

Und darum bin ich so über die Haltung der verkrüppelten Frau im heutigen Evangelium so überascht und erstaunt – und über ihr Vermӧgen und ihren Willen, die ihr neu geschenkte Freiheit und das ihr neu geschenkte Leben mit Mut und Zuversicht anzunehmen. Dies ist meines Erachtens das wahre Wunder dieser Geschichte.

Manche sagen, daβ solche Wunder heute halt nicht mehr geschehen. Doch glaube ich fest daran, daβ Christus uns auch heute noch ermunternd zuruft: Sei frei von deiner Krankheit! Und hӧren wir dies nicht auch an jedem Sonntag, wenn wir unsere Sünde bekennen und uns die Vergebung unserer Sünde, unserer Schuld, und unserer Fehler versprochen wird? Sind wir nicht jeden Sonntag dazu eingeladen, unsere Lasten abzuwerfen, uns aufzurichten, und Gott zu preisen?

Vielleicht kӧnnen wir diese neue Freiheit nicht sogleich und so einfach annehmen, so wie die Frau im heutigen Evangelium dies tut. Vielleicht brauchen wir ja etwas mehr Zeit, uns an diese neue Freiheit zu gewӧhnen, und in den Rhytmus zurückzufinden, den Gott uns von Anfang an zugedacht hatte – gleichwie ich im Moment etwas Zeit brauche, den Rhytmus wiederzufinden, den ich vor meiner Verletzung hatte. Doch als Glӓubige sollten wir zur Heilung bereit sein, und auch bereit für die Herausforderung, all unsere Geister und Krankheiten abzuschütteln, die uns von einer heilen und heiligen Beziehung zu Gott, unserem Nӓchsten, und uns selbst abhalten. Wir sollten stӓndig dazu bereit sein, Christus auf unerwartete Weise in unserem Leben zu erfahren – und Heilung zu erfahren.  Seid frei von eurer Krankheit! Und lebt mit Mut und Zuversicht in der Verheiβung eines neuen Lebens in Gott.