Predigt zu Lukas 7,36 – 8,3; Dritter Sonntag nach Trinitatis – 12. Juni 2016

forgiveness

 

Wer hier hat je in seinem oder ihrem Leben Schulden gehabt? Wer hier hat z.B. ein Darlehen aufgenommen, um ein Haus zu kaufen, oder ein Auto, oder um Studiengebühren zu bezahlen?

Es scheint, als kӧnne man heute nicht mehr so wie in alten Zeiten einfach sein Geld ansparen und es unter die Matratze stopfen, oder auch auf die Bank bringen, um eine grӧβere Anschaffung zu machen. Der Groβteil der Welt heute basiert auf dem Schuldengeschӓft – von persӧnlichen Darlehen bis hin zu den enormen Staatsschulden, die viele Lӓnder, und unter ihnen auch die USA, haben. Und das Geschӓft mit den Schulden ist eine der Hauptkrӓfte, die die Wirtschaft in der heutigen Welt steuern. Die Welt lebt auf Pump.

In diesem Land greaten Menschen aus vielerlei Gründen in Schulden. Man kauft ein Haus, man muss unerwartete Reparaturarbeiten bezahlen, man schickt seine Kinder zum College. Dann gibt es jene, die etwas zu unvorsichtig mit ihren Kreditarten umgehen und mehr ausgeben, als sie sollten oder auch kӧnnen. Das kleine Stück Plastik ist da sehr verführerisch und wiegt uns in der Illusion, das wir’s ja haben. Dies alles sind eher freiwillige Schulden, manche dumm, aber nicht erzwungen.

Doch dann geraten Menschen oft auch unfreiwillig in Schulden: wenn jemand z.B. plӧtzlich die Arbeit verliert, aber doch irgendwie sich und die Familie über die Runden bringen muβ. Oder wenn jemand einen bӧsen Unfall hat oder mit einer schweren Krankheit diagnostiziert wird, und sich die Arztrechnungen ganz schnell anhӓufen. Und das passiert ganz schnell in diesem Land.

Nun haben Sie vielleicht über das Folgende etwas gehӧrt, es war ziemlich populӓr in den Medien: letzten Sonntag vollzog der Komӧdiant und Fernsehmoderator John Oliver in seiner Show ‘Last Week Tonight’ ‘the greatest money giveaway in television history’ – die groβzügigste Vergabe von Geld in der Geschichte des Fernsehens. Und wie hat er das gemacht? Da gibt’s natürlich eine Hintergrundgeschichte.

Wӓhrend der Show deckte Oliver das unregulierte und oft auch schmutzige Geschӓft von Unternehmen auf, die hier in den USA Schulden eintreiben. Er demonstrierte, wie unreguliert diese ganze Branche ist, indem er seine eigene Firma zur Schuldeneintreibung gründete, ohne Erfahrung, ohne Zertifikate, ohne Lizensen. Das war lӓcherlich einfach: er ging einfach auf die Webseite des Staates Mississippi, zahlte 50 Dollar, und meldete seine Firma an. Alles, was er dazu brauchte, war ein Name für die Firma, eine Webseite, und er muβte belegen, daβ es einen CEO gibt – und da hat er sich selbst als CEO angegeben. Und das ganze ist legal und national anerkannt.

Und schon bald wurde eine grӧβere finanzielle Institution auf diese neue Firma über das Internet aufmerksam, und bot Oliver an, ein Schuldnerpaket zu kaufen. Diese Schuldner schuldeten fast15 Millionen Dollar an Arzt- und anderen medizinischen Rechnungen, und Oliver konnte dieses Paket für den Spottpreis von 60,000 Dollar erstatten. Das kann die fianzielle Institution als Verlust steuerlich absetzen, und bekommt noch etwas Geld dafür. Also zahlte Oliver 60,000 Dollar und bekam so eine Liste von ungefӓhr 9,000 Schuldnern, die, wie gesagt, insgesamt etwa 15 Millionen Dollar im Rückstand waren.

Nun hӓtte Oliver ganz legal diese Summe eintreiben kӧnnen – die gesamten 15 Millionen Dollar. Doch entschied sich Oliver, und ich denke mal, da steht auch der Fernsehsender dahinter, diese Schuld zu vergeben. Und dies führte dann zur groβzügigsten Geldvergabe in der Geschichte des Fernsehens, mit viel Show und mit dem obligatorischen Knopfdruck und mit viel Konfetti wurde die Schuld aufgehoben.

Aber natürlich ist dies nicht nur Show, sondern wirklich und wahrhaftig: 9,000 Leuten wurde ihre medizinischen Schulden vergeben, und diese 9,000 müssen nun nicht befürchten, daβ sie üble Telefonanrufe bekommen, mit rechtlichen Schritten bedroht werden, daβ ihre Schulden durch anmaβende Zinsen stetig steigen, und daβ sie mit finanziellem Ruin und Bankrott bedroht sind, nur, weil sie es mit einer medizinischen Notlage zu tun hatten oder noch haben. Kӧnnen Sie sich vorstellen, was der Schuldenerlaβ für diese 9,000 und ihre Familien bedeutet? Kӧnnen Sie sich vorstellen, wie erleichtert diese Menschen sein müssen, wie dankbar? Ich kann mir gut vorstellen, daβ da so einige Trӓnen der Freude geflossen sind. Ich weiβ, wie erleichtert und dankbar ich wӓre, wenn mir eine solche Schuld erlassen würde.

Nun geht es bei dieser Geschichte um finanzielle Schuld. Aber ich frage mich manchmal, ob diese Welt nicht auch in anderer Hinsicht auf Pump lebt und von Schuld profitiert. Und nun rede ich von emotionaler Schuld, persӧnlicher Schuld, der Schuld, die wir im Umgang miteinander anhӓufen. Nichts ist umsonst, das ist unsere Erfahrung, und das scheint auch menschliche Beziehungen und vielleicht gar die Beziehung mit Gott mit einzuschlieβen. Da wӓscht eine Hand die andere, und wir erwarten, für das auch anerkannt oder gar belohnt zu werden, was wir jemandem an Gutes tun. Und wir halten andere dafür verantwortlich, wenn sie uns enttӓuschen. Wir lassen es andere auch hӓufig und gerne wissen, daβ sie in unserer Schuld stehen, und daβ sie uns nie und nimmer das vergelten kӧnnten, was wir ihnen an Gutem getan haben – oder was sie uns an Bӧsem getan haben. Wir halten an unserem Groll fest, und wir kӧnnen diese emotionale Schuld einfach nicht vergeben.

Aber dann gibt es da auch die andere Seite: natürlich machen wir auch Fehler und stehen so in der Schuld anderer. Doch hӓufig verstecken wir lieber unsere Schuldigkeit, anstelle anzuerkennen, daβ wir gegenüber anderen schuldig geworden sind und um Vergebung zu bitten: wir rechtfertigen uns und unsere Taten, wir finden Ausflüchte, und wir machen jemand anderes oder auch eine Situation für unsere Handlungen verantwortlich. Wir meinen dann, daβ wir doch nicht verantwortlich gemacht werden kӧnnen oder sollten.

Sie haben vielleicht in der vergangenen Woche auch etwas in den Nachrichten über den ehemaligen Stanford Studenten gehӧrt, der eine junge, bewuβtlose Frau vergewaltigte. Er wurde von der Jury als schuldig befunden, doch kam mit 6 Monaten Freiheitsstrafe davon, von denen er wahrscheinlich bei guter Führung nur 3 absitzen muβ. Das ist schon ein Skandal, vor allem, wenn man bedenkt, daβ dieser junge Mann keine Einsicht und keine Buβe gezeigt hat, sondern weiterhin das Opfer verantwortlich macht, und zwar in net verkleideter Form: Alkohol und Promiskuitӓt hӓtten zu diesem Verbechen geführt, diese sind verantwortlich; und mit der Promiskuitӓt holt er natürlich gegen das Opfer aus, und das ist einfach abstoβend. Wie ein anderer junger Mann so schӧn darauf reagierte: ich war schon oft auf einer Party stockbetrunken, und da waren immer auch stockbetrunkene Frauen, aber ich habe noch nie eine Frau vergewaltigt – weil meine Umwelt mich gelehrt hat, daβ Vergewaltigung falsch ist. Kein Wunder, daβ es einen kollektiven Aufschrei nach diesem Urteil gab.

Aber dann kennen viele unter uns wahrscheinlich das Gefühl: daβ wir uns nicht mit unserer Schuld und unserer Scham auseinandersetzen mӧchten, sondern die Umstӓnde für unser Handeln verantwortlich machen, anstelle uns selbst als verantwortlich zu erklӓren. Um Vergebung zu bitten ist sehr schwer. Vergebung zu akzeptieren mag noch schwerer sein, da wir dann zugeben müssen, daβ wir wirklich einen Fehler gemacht haben, und nicht nur das: wenn wir Vergebung empfangen, dann ist darin auch irgendwo der Anspruch verborgen, daβ wir denselben Fehler nicht noch einmal machen, daβ wir also unser Verhalten ӓndern. Wir kӧnnen nicht erwarten, daβ uns immer wieder vergeben wird, wenn wir immer wieder denselben Fehler machen. Und die, die ihr Verhalten nicht ӓndern, obwohl ihnen mehrfach vergeben worden ist, sind entweder Soziopathen oder Miβbraucher. Und es ist gut, sich von solchen Menschen so fern wie mӧglich zu halten, denn vergeben bedeutet nicht vergessen.

Nun ist Vergebung ein zentrales Thema unseres christlichen Glaubens. Wir glauben an Gottes Gnade, Barmherzigkeit, und die Vergebung unserer Sünden, und all dies wird Fleisch in der Krippe und im Mann am Kreuz. Jeden Sonntag beten wir, ‘und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern’. Wir bekennen unsere Sünde vor Gott, wenn wir Gottesdienst feiern. Doch verstehen wir wirklich, was da passiert, wenn wir hӧren und erfahren, daβ Gott uns unsere Schuld vergibt? Denken wir nicht vielleicht eher, daβ dies wie ein blanker Scheck ist, etwas, das uns in unserem Tun bestӓrkt, eine Zusicherung, daβ wir feste so weitermachen kӧnnen wie bisher?

Wenn wir so denken, dann muβ Jesus Christus uns bitter enttӓuschen. Nun vergibt Jesus in den Evangelien vielen Menschen, ohne daβ sie ihre Sünde bekennen oder sich bekehren. Hӓufig kommen Kranke zu Jesus oder werden zu ihm gebracht, und nachdem er sie fragt, ob sie gesund und heil gemacht werden wollen, vergibt er ihnen ihre Sünde – und heilt ihre kӧrperlichen Gebrechen. Es scheint, daβ das kӧrperliche Heil ohne das Heil der Seele nicht viel wert ist. In jedem Fall ist Vergebung ein kostbares und wunderbares Geschenk.

Doch hӧren wir dann in der Geschichte, in der eine ehebrecherische Frau fast gesteinigt wird und Jesus dieses grausame Urteil nur dadurch abwenden kann, indem er auffordert, daβ die, die ohne Schuld sind, den ersten Stein werfen sollen – wir hӧren in dieser Geschichte, daβ Jesus der Frau sagt: ‘Geh hin und sündige hinfort nicht mehr.’ Ändere dein Leben. Nimm diese neue Chance, die dir gegeben ist, beim Schopfe und mach etwas draus. Also hat Vergebung schon etwas mit Buβe und Umkehr zu tun. Und ‘Metanoia’, das griechische Wort, das hier für Buβe verwendet wird, bedeutet wӧrtlich eines Sinnes- und Herzensӓnderung. Und diese führt dann fast automatisch zur Wandlung unseres Lebenswandels und unserer Handlungen. Wir sollten immer danach streben, dieselben Fehler nicht zu wiederholen. Und wenn sich unser Herz wandelt, dann ӧffnet es sich auch für andere. Und dies steht im Mittelpunkt des heutigen Evangeliums.

Wir konzentrieren uns gerne auf die mysteriӧse Frau, die zu Jesus kommt und ihm unter Trӓnen der Dankbarkeit die Füβe salbt, weil er ihr ihre Sünde, was immer die auch sei, vergeben hat. Und natürlich ist es wichtig, daβ wir soviel Gewicht auf Gottes Vergebung uns Gande legen, welche die Kraft haben, unsere Herzen und unser Leben zu ӓndern.

Doch ist dann das Gleichnis von den Schuldnern gegen Simon gerichtet, in dessen Haus diese ganze Geschichte ablӓuft und der der Frau nicht so vergeben kann, wie Gott ihr vergeben hat. Er will sie in emotionaler Schuld halten und ihr keine neue Chance geben. Sein Urteil über sie ist lebenslange Schuld. Und wahrscheinlich hilft ihm sein Urteil dabei, sich als besser zu betrachten, und es unterstützt seine Selbstrechtfertigung. Doch ist die Ansicht, daβ wir aufgrund unseres Lebenswandels oder unserer Moral irgendwie besser als andere sind, ein Selbstbetrug: wir tragen alle unsere Schuld. Wer ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Wir alle machen Fehler. Wie alle brauchen die wunderbare Gnade Gottes.

Indem wir jemandem vergeben, befreien wir nicht nur unsere Schuldiger, sondern auch uns selbst von emotionaler Schuld und Schuldigkeit – und wir verstehen, daβ wir alle im selben Boot sitzen, und uns gegegnseitig dabei helfen kӧnnen, uns neue Chancen, einen Neuanfang, eine gewandeltes Herz und einen gewandelten Sinn zu geben, uns so mehr zu den Menschen zu werden, die Gott ursprünglich geschaffen hat.

Stellen Sie sich einmal vor, wie diese Welt so wӓre, wenn wir uns so gegenseitig befreiten, so wie Gott uns von Sünde und Schuld befreit – und wir so dazu befreit wӓren, unser Leben liebevoller uns gnadenreicher zu leben. Stellen Sie sich einmal vor, wie diese Welt so wӓre, wenn wir Vergebung akzeptieren kӧnnten und es zulieβen, daβ unser Herz und unsere Sinne durch die Liebe und die Gnade, die wir erfahren, gewandelt würden. Dann würden wir das Joch der Schuld abwerfen, das uns daran hindert, heil zu werden.

 

Am Ende brauchen und ersehnen wir eine Welt, die von Gnade profitiert – und nicht von Schuld. Dann werden wir heil. Dann sehen wir das Reich Gottes unter uns wachsen.