Wir leben in doch recht erstaunlichen Zeiten. Technologie hat sich über die letzten Jahrehnte so weit entwickelt, dass wir alles Mögliche von unseren Computern, Tablets oder Smart Phones aus machen können. Wir brauchen heutzutage gar nicht mehr das Haus zu verlassen, um mit anderen zu kommunizieren oder die Welt zu erforschen. Da gibt es viele soziale Netzwerke, über die wir mit anderen in aller Welt in Verbindung treten oder in Verbindung bleiben können. Wenn Sie etwas über ferne Länder, Leute, Flora oder Fauna lernen möchten, dann können Sie den Fernseher anschalten und sich weiterbildende Programme anschauen, oder Sie schalten den Computer an und googlen, was Sie wissen wollen.

Wir können sogar virtuell über unsere Bildschirme auf Reisen gehen, wir können Dinge erforschen und Kulturen kennenlernen, ohne uns auch nur einen Zentimeter von unserem Stuhl oder unsrer Couch zu entfernen.

Das war natürlich nicht immer so. Denken Sie nur ein paar Jahrzehnte zurück. Um mit Menschen in Kontakt zu treten oder im Kontakt zu bleiben, und um die Welt zu erforschen, muβte man sich auf die Socken machen und sich in Bewegung setzen. Begegnungen passierten auf dem Wege. Auch Gott wurde häufig auf dem Wege angetroffen und erfahren. Denken Sie an all die Wallfahrten, die gläubige Menschen in der Geschichte unternommen haben. Unterwegs zu sein und zu gehen, zu beten und zu meditieren hat eine besondere spirituelle Dimension.

Ich selbst war nie auf einer Wallfahrt. Das, was dem wohl am nӓchsten kommt, ist eine 20 Kilometer lange Wanderung in Wales, zu den weltberühmten Ruinen des Tintern Abbey, des Tintern Klosters, die mein Mann und ich vor Jahren machten. Und das war schon eine besondere Erfahrung, vor allem, da es in Groβbritannien nicht immer gut erkennbare und markierte Wanderpfade gibt, sondern der Weg häufig über Privatland wie Kuh- und Schafweiden führt.

Ich erinnere mich daran, dass uns zu Beginn der Wanderung dringenst empfohlen wurde, ein Heftchen mit Anweisungen für die Route zu erstehen. Und das war wirklich ein Segen, da es oft über Stock und Stein ging. Obwohl die Anweisungen manchmal doch etwas ominös waren, wie z.B.: ‘Nachdem Sie ungefährt 10 Minuten gewandert sind, sehen Sie zur Linken einen grossen Felsen; dort biegen Sie rechts ab’. Ist dies der Felsen, von dem da gesprochen wird? Oder: ‘Nachdem Sie die Kuhweide betreten, laufen Sie bis zum dritten Gatter zur Rechten; dort folgen Sie dann wieder dem Wanderpfad.’ Haben wir hier richtig gezählt? Gilt dies als Gatter oder nicht?

Irgendwie haben wir es aber doch geschafft, unseren Weg nach Tintern Abbey zu finden – ich glaube, wir haben nur einen kleinen Umweg gemacht. Und es war wirklich ein besonderes Abenteuer; und ich muss sagen, dasss wir auf Dinge geachtet haben, die uns sonst wahrscheinlich entgangen wären.

Unterwegs eröffnen sich uns neue Horizonte.

War irgendjemand unter Ihnen mal auf einer Wallfahrt, einer Pilgerschaft?

Es gibt nicht besonders viele Protestanten, die pilgern. Aber die paar, die ich kenne, und die z.B. den berühmten Jakobsweg – ‘Camino de Santiago de Compostela’ – in Nordspanien gepilgert sind, berichteten, dass dies eine der erstaunlichsten und erfüllensten Erfahrungen für sie gewesen ist.

Die Reformation wäre womöglich nie passiert, wenn Martin Luther in seinen jungen Jahren nicht eine Wallfahrt nach Rom gemacht hätte. Luther war von der tiefen Gläubigkeit der anderen Wallfahrer beeindruckt, denen er auf dem Wege begegnete; gleichzeitig aber war er über die Machtpolitik und die Korruption der Kirche in Rom entsetzt und schockiert.

Der Apostel Paulus, der zunächst ein eifriger Verfolger der jungen christlichen Bewegung war, hatte sein Bekehrungserlebnis unterwegs, auf der Strasse nach Damaskus.

Die Jünger auf der Strasse nach Emmaus erkennen den auferstandenen Herrn, nachdem sie ein Stück des Weges mit ihm gegangen sind.

Am dritten Tage nach der Kreuzigung erscheint der auferstandene Christus zunächst nicht seinen verbleibenden 11 Jüngern, die sich irgendwo versteckt halten – er erscheint den Frauen, die sich auf den Weg zum Grab gemacht haben.

Kurzum: wenn Sie sich die Bibel anschauen, sehen Sie, dass Menschen Gott oft auf dem Wege, unterwegs, begegnen.

Im heutigen Evangelium sind Jesus und seine Jünger auf dem Weg. Nun diskutiert Jesus häufig wichtige Dinge mit seinen engsten Vertrauten, während sie unterwegs sind. Dreimal spricht Jesus zu seinen Jüngern darüber, dass er in Jesrusalem leiden und sterben muss; und jedes Mal passiert es, während sie unterwegs und in Bewegung sind. Das heutige Evangelium setzt genau zu dem Zeitpunkt ein, an dem Jesus sein Leiden und Sterben zum dritten Mal angekündigt hat – die Jünger haben es also soeben noch einmal gehört.

Die Szene ist also wie folgt: Jesus und die 12 sind auf dem Weg nach Jerusalem, auf dem Weg zum Kreuz, als Jesus ihnen erneut sagt: ich werde leiden und sterben müssen, und am dritten Tage von den Toten auferweckt werden.

Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie mit Jesus auf dem Wege sind und dies hören. Wie würden Sie sich fühlen? Entsetzt? Schockiert? Würden Sie es vielleicht verdrängen wollen? Wäre Ihre erste Reaktion vielleicht, einfach umzudrehen – nur weg von diesem schrecklichen Ort Jesrusalem?

Die Reaktion der Jünger ist überraschenderweise ganz anders. Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, hören anscheinend nur den Teil, in dem Jesus von seiner glorreichen Auferstehung spricht.

Nun sind sie ja nicht so wie der reicher Jüngling, von dem wir letzte Woche gehört haben – der junge reiche Mann, der traurig von dannen zieht, als Jesus ihn auffordert, all sein Hab und Gut zu verkaufen und ihm nachzufolgen.

Nein, sind sie nicht ihrem Meister durch dick und dünn gefolgt? Da sollte es schon eine Belohnung geben, oder? Und so bitten sie Jesus: Meister, tu uns diesen einen ganz grossen Gefallen: lass uns rechts und links von dir in deiner Herrlichkeit sitzen. In anderen Worten, die zwei wollen die Ehrenplätze neben Christus im Himmelreich haben. Aber dies ist nicht die Zeit, sich hinzusetzen und auszuruhen.

Jesus antwortet darauf ganz direkt: ihr zwei werdet an meinem Leiden und meinem Tod Anteil haben, doch steht es mir nicht zu, euch diese Ehrenplätze zu versprechen. Man meint, damit sei die Sache erledigt.

Nicht ganz. Die anderen 10 Jünger regen sich über die Impertinenz des Jakobus und Johannes auf. Wer glauben die zwei denn, wer sie sind? Haben wir es nicht alle verdient, neben Jesus in seiner Herrlichkeit zu sitzen? Vielleicht sogar noch mehr als die zwei?

Sie sind unterwegs nach Jerusalem, wo sie Leiden und Tod Christi erwarten. Und alles, woran sie denken können, ist, sich in Herrlichkeit niederzulassen.

Und Jesus erteilt ihnen erneut eine Lehre über sich und seine Mission. Es geht nicht um Ehre und Herrlichkeit, sagt er. Es geht nicht um das Sich-Hinsetzen, das Sich-Niederlassen, es geht nicht darum, sich auf den Lorbeeren auszuruhen und sich in der Herrlichkeit Gottes zu sonnen. Nein, es geht um Dienst – Gottesdienst und Dienst am Nächsten. Es geht darum, unterwegs zu sein, darum, in Bewegung zu bleiben. So erfahren wir Gott wirklich.

Eine Frage an Sie alle: ist es immer einfach und angenehm, zu reisen und unterwegs zu sein? Keineswegs! Wir haben eine Autopanne, der Flug ist verspätet, unser Gepäck geht verloren, wir werden krank, uns so weiter.

Pilger im Laufe der Geschichte hatten recht beschwerliche Reisen; auch moderne Pilger beklagen sich, trotz verbesserter Ausrüstung, über Blasen an den Füssen, Durchnässung bei Regenfällen und Erschöpfung.

Jesus weiss, dass die Reise nicht einfach ist. Natürlich ist es einfacher, sich auszuruhen, als zu dienen. Dienst ist anstrengend. Das wissen auch die Jünger, die mit Jesus unterwegs sind. Sie sehnen sich nach einer Ruhepause, sie sehnen sich nach einer Belohnung für ihre Mühen – sich hinzusetzen, wenn möglich, direkt neben Jesus.

Doch Christus nachzufolgen bedeutet, unterwegs zu sein, in Bewegung zu sein, und jenen zu dienen, denen wir begegnen. Wir werden daran erinnert, dass wir letztlendlich mit Jesus Christus unterwegs sind. Jesu Geschichte, Jesu Weg, ist unsere Geschichte und unser Weg. Die frühe christliche Gemeinde wusste darum – und nannte sich deshalb auch ‘der Weg’.

Und was ist mit uns? Versthen wir uns als die, die heute auf dem Wege sind – die ‘der Weg’ sind? Ich denke einmal dass wir uns alle danach sehnen, uns niederzulassen, anzukommen, und uns von der Reise auszuruhen – zuhause zu sein. Dasselbe gilt auch für viele Kirchen. Wir schätzen unsere Traditionen, unsere Kirchengebäude und all jene Dinge, die uns ein Gefühl der Stabilität, ein Gefühl von Heimat in einer Welt geben, in der sich alles so schrecklich schnell ändert.

Ich denke, unsere Herausforderung ist, irgendwie eine Balance zwischen diesen zwei Seiten zu finden: stabil und gesetzt zu sein, uns bei Gott zuhause zu fühlen – und auf der anderen Seite auf Christi Stimme zu hören, die uns dazu auffordert, beweglich zu bleiben; uns nicht auf unseren Lorbeeren auszuruhen, sondern unsere christliche Existenz als eine Pilgerschaft, eine Reise hier auf Erden zu betrachten.

Sehen wir es einmal vom folgenden Standpunkt: eben weil wir hier eine Heimat haben, in der Kirche, bei Gott – weil wir uns sicher und zuversichtlich fühlen dürfen, erfrischt und genährt – weil wir wissen, wohin und zu wem wir gehören – darum können wir uns zuversichtlich auf den Weg machen, neue Wege erforschen, neugierig Erfahrungen auf unseren Wegen mit Christus machen und jenen dienen, die unsere Hilfe nötig haben. Und es ist sehr wahrscheinlich, dass wir unterwegs Erfahrungen machen, von denen wir nie geträumt hätten – und Menschen begegnen, denen wir sonst nicht begegnet wären, Gott in ganz überraschenden Situationen erfahren.

Wir sind unterwegs – einzeln und als Kirche. Wir sind Pilger, die durch dieses Leben in das nächste ziehen. Dies ist eine heilige Reise, und wir betreten heiligen Grund, wohin wir auch gehen.

Ist es immer einfach und angenhem, unterwegs zu sein und zu reisen? Das haben wir ja schon abgeklärt – keinesfalls. Doch da wir in den Fuβstapfen Christi wandeln und von Gottes Heiligem Geist umgeben und begleitet werden, können wir uns gewiβ sein, dass unsere Pilgerschaft gesegnet sein wird und uns unendliche Erfüllung bringt.

 

Foto von Luke Porter via unsplash.com