Reflektion zur Passionszeit: Vergebung

Reflektion zur Passionszeit
‘Die Anker unseres Glaubens’
Dieses Jahr moechte ich ueber die ‘Anker’ unseres christlichen Glaubens reflektieren. Was macht unseren Glauben aus? Was sind die Kernbegriffe?

Diese Woche: VERGEBUNG

‘Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, daβ ich dein Sohn heiβe. Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füβe und bringt das gemӓstete Kalb und schlachtet’s; laβt uns essen und frӧhlich sein! Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden.’ Lukas 15, 21-24a, Lutherbibel 1984

“Forgiveness means giving up all hope for a better past – Vergebung heisst, alle Hoffnung auf eine besserer Vergangenheit aufzugeben.” Lily Tomlin, Komӧdiantin (geb. 1939)

Am 2. Oktober 2006 betrat ein bewaffneter Mann ein amisches* Schulhaus in Nickel Mines, Pennsylvania. Er erlaubte es den Jungen und einigen schwangeren Frauen, das Gebӓude zu verlassen, und nahm die verbleibenden 10 Mӓdchen im Alter zwischen 6 und 13 Jahren als Geiseln. Dieser Mann war nicht amischen Glaubens, doch war er in der Gemeinde als Milchtransportfahrer bekannt. Letztlich schoβ er 8 der 10 Schülerinnen im Exekutionsstil in den Kopf, bevor er sich selbst richtete. 5 seiner Opfer starben. Es gibt tagtӓglich tӧdliche Waffengewalt in den USA, doch diese Grӓueltat rührte einen besonderen Nerv an. Zum einen, weil die Opfer Kinder waren – zum anderen, weil die Amischen, wie auch alle anderen Mennoniten, für ihren Pazifismus und ihre Gewaltlosigkeit bekannt sind. Hier wurden die Wehrlosesten angegriffen. Was die Nation und die Welt damals erstaunte war, daβ die Familien der Opfer als auch die gesamte amische Kommune dem Tӓter Vergebung aussprachen. Mitglieder der Amischen besuchten, trӧsteten und sammelten Spenden für die Hinterbliebenen– die Witwe, Kinder und Eltern – des Attentӓters. Eine Gruppe von Amischen war bei der Beerdigung des Mӧrders dabei. Eine Kommune, der unsӓglich viel Leid zugefügt worden war und die durch die Morde unwiderruflich gewandelt wurde, trauerte, vergab und begann so einen Heilungsprozess. Das kleine Schulhaus, das von Einschuβlӧchern übersӓt und Zeuge von Horror und Gewalt war, wurde abgerissen; ein neues Schulgebӓude wurde an einem neuen Standort erbaut und ‘New Hope School’ – ‘Schule der neuen Hoffnung’ genannt. Vergebung bereitete den Weg für eine hoffnungsvolle Zukunft. Die Opfer sind nicht vergessen worden – doch die betroffene Kommune war und ist sich sehr bewuβt, daβ Haβ, Rache, Bitterkeit und Schuldzuweisung nicht das zurückbringen kӧnnen, was einmal war. Und daβ solche Gefühle vor allem die kaputtmachen, die sie hegen. Die amerikanische Komӧdiantin, Autorin und Schauspielerin Lily Tomlin brachte es genial auf den Punkt: Vergebung heiβt, alle Hoffnung auf eine bessere Vergangenheit aufzugeben. Wie oft bleiben wir an dem hӓngen, was lӓngst vergangen ist? Wie oft hegen wir einen andauernden Groll gegen jemanden, der oder die uns verletzt hat? Wieviel Energie und Gefühl verschwenden wir an Personen oder Situationen, die wir in unangenehmer Erinnerung haben? Und ich sage nicht, daβ wir all dies verdrӓngen sollen – aber wir sollten es aufarbeiten, und dann unbelasteter in den neuen Tag gehen. Vergeben heiβt nicht vergessen. Vergeben heiβt, einen Neuanfang voller Hoffnung zu wagen und uns von den bӧsen Geistern der Vegangenheit zu befreien. Dem Vater im Gleichnis vom verlorenen Sohn wurde sehr durch die Entscheidungen seines Jüngeren viel Schmerz bereitet; und doch kann er ihm vergeben und ihn wieder in die Gemeinschaft der Familie aufnehmen. Was allein gilt, ist die Gegenwart und die Zukunft. EIne Zeit, in der wir liebevoll miteinander umgehen. Der Wandel in Gottes Gemeinschaft der Gnade uns Barmherzigkeit. Daher sind wir auch von Jesus Christus ermahnt und geboten, denen, die uns verletzen, sieben mal siebzigmal zu vergeben. Und das kommt natürlich auch uns zugute, denn uns wird so hoffentlich überrreichlich vergeben, wann immer wir Fehler machen. Vergeben und vergebend gehen wir in eine neue Zukunft – Gottes Zukunft, in der Tod und Leid und Schmerz nicht mehr sein werden. Darauf hoffen wir. Darauhin leben wir.

*Die ‘Amischen’ sind eine protestantische Glaubensgemeinschaft in Nordamerika, die sich im spӓten 17. Jh. von den tӓuferischen Mennoniten abspaltete. Die Mennoniten haben ihren Ursprung in Südwestdeutschland und in der Schweiz. Die Amischen wie auch die Mennoniten sind für ihre Gewaltlosigkeit bekannt. Die Amischen lehnen viele moderne Errungenschaften ab und leben noch heute hӓufig wie im 17. Jahrhundert – ohne Elektrizitӓt und Motorfahrzeuge, z.B. Viele Amische leben in geschlossenen und abgeschiedenen landwirtschaftlichen Kommunen.