Predigt zu Markus 12, 38-44; 23. Sonntag nach Trinitatis – 8. November 2015

st. martin

 

November ist ein besonderer Monat. In Deutschland ist der November oft feucht und ungemütlich, dunkel und trübe. Und aus Deutschland kennen wir natürlich all die recht ernsten und auch traurigen Feiertage: Allerheiligen und Allerseelen, Buß- und Bettag, Volkstrauertag  – und Ewigkeitssonntag, and dem wir unserer Toten gedenken.

November ist in diesem Land etwas freundlicher: hier gibt es wenigstens Thanksgiving, ein Tag, an dem wir dankbar und fröhlich feiern. Aber dann gibt es da einen Tag, der sowohl in den USA als auch in Deutschland besondere Bedeutung hat: den 11. November. Der 11. November ist Veterans’ Day – ein Tag, an dem derer gedacht wird, die diesem Land durch Militärdienst gedient haben. Es ist ein Tag, jene zu ehren und jenen zu danken, die ihr Leben für die USA und das Gemeinwohl riskiert haben – und jene, die an Leib oder Seele verwundet wurden, als sie ihrem Heimatland dienten.

Der 11. November ist aber auch ein Gedenktag in anderer Hinsicht: dieser Tag ist Martinstag. Ich hoffe, Sie alle kennen Martinstag und haben ihn auch schon gefeiert. Das Kinderhaus hatte gerade eine Feier zum Martinstag hier. Ich erinnere mich gerne an den St. Martinstag in Deutschland: Kinder gehen mit ihren oft selbstgebastelten Laternen in die Dunkelheit hinaus, singen Lieder und tragen das Licht in die Finsternis hinaus, und das alles im Gedenken an St. Martin. Haben Sie da auch noch Kindheitserinnerungen?

Aber wer war St. Martin?

St. Martin lebte im 4. Jahrhundert n. Chr. Sein Geburtsort liegt in heutigen Ungarn. Er diente als Soldat in der römischen Armee, aber hatte als 18 jähriger ein Bekehrungserlebnis, nachdem er ein Mönch und letztlich auch Bischof der Stadt Tours im heutigen Frankreich wurde.

Die Legende vom heiligen Martin und vom Bettler kennen Sie vielleicht. In dieser Legende trifft der junge Soldat Martin einen fast nackten Bettler in einer kalten Winternacht. Martin hat Mitleid mit dem armen Mann und trennt seinen Mantel mit seinem Schwert in zwei Teile, und gibt einen Teil dem Bettler – und das ist schon ein Opfer, denn die Uniform der römischen Soldaten ist recht luftig. In derselben Nacht erscheint Jesus dem Martin in einem Traum, und Jesus trägt nun die Hälfte des Mantels, die Martin dem Bettler gab. Und Martin hört, wie Jesus zu den Engeln spricht: „Hier ist Martin, der römische Soldat, der nicht getauft ist – er hat mich gekleidet.“

Dies war Martins Bekehrungserlebnis, und kurz drauf wurde er getauft. Er gab auch das Leben als Soldat auf, da er seinen neuen Glauben nicht mit der Brutalität des Soldatendaseins vereinbaren konnte. Dennoch ist Martin immer noch der Schutzheilige aller Soldaten, was natürlich nur billig und recht erscheint und auch gut mit Veterans’ Day am 11. November zusammenpaßt. Aber wir sind noch nicht mit der Besonderheit des 11. Novembers fertig.

Der 11. November war auch Martin Luthers Tauftag.  Luther wurde am 10. November 1483 geboren, und nach damaligem Brauch wurde er gleich am nächsten Tag getauft und nach dem Heiligen des Tages benannt – nämlich Martin von Tours.

Der 11. November hat auch für mich eine besondere Bedeutung, denn vor vier Jahren am 11. November bat mich mein Mann um meine Hand.

Nun gibt es hier etwas, das all die Dinge, die ich bisher genannt habe, verbindet – einen roten Faden. Und, ja, das schließt die Verlobung mit ein. Und das heutige Evangelium hilft uns dabei, diesen roten Faden zu erkennen.

Das Evangelium, das wir heute gehört haben, wird oft ‚das Scherflein der Witwe‘ gennant. Und in dieser Geschichte geht es um Opfer. Witwen waren zu Zeiten Jesu besonders schwache Mitglieder der Gesellschaft. Dem judäischen Gesetz zufolge durften Frauen keinen Besitz haben und auch keine Geschäfte führen. Eine Frau konnte keine wesentlichen Entscheidungen für sich oder ihre Kinder treffen. Eine Frau brauchte besonderen Schutz und Vormundschaft: entweder durch ihren Ehemann, oder ihre Familie. Wenn eine Frau ihren Mann verlor und sie Glück hatte, dann konnte sie Zuflucht bei der Familie ihres verstorbenen Mannes finden – vielleicht sogar einen Verwandten ihres Mannes heiraten, soweit sie noch jung war und keinen männlichen Erben geboren hatte. Wir kennen dies aud der Geschichte von Ruth und Naomi, wo Ruth den Boas heiratet. Die nächstbeste Lösung war, daß sie zu ihrer eigenen Familie zurückkehren konnte. Doch im schlimmsten Fall war eine Witwe auf sich alleine gestellt.

Nun stellen wir uns meistens eine Witwe als eine ältere Frau vor, doch waren Witwen zu Jesu Zeiten häufi noch junge Frauen. Und eine Frau in ihren mittleren Jahren, was zu Zeiten Jesu zwischen ungefähr 25 und 35 war, hatte es mittunter am schwersten, da sie wahrscheinlich schon Kinder hatte, also keinen Erben für die Familie ihres Mannes mehr produzieren mußte und somit auch keine gute Partie mehr war – aber ihre Söhne noch zu jung waren, um sich um ihre Mutter zu kümmern. Nur als Anmerkung, es hat so seinen Grund, warum Maria versuchte, ihren ältesten Sohn Jesus zur Vernunft zu bringen und wieder nach Hause zu holen – er war schließlich für seine verwitwete Mutter verantwortlich.

Da nun eine Frau keinen Besitz haben oder Geschäften nachgehen durfte, kümmerten sich meistens die Schriftgelehrten im Tempel um den Verkauf des Erbes, wenn ein Mann verstarb. Die Versuching muß für manche dieser Schriftgelehrten schon groß gewesen sein, die Witwen zu übervorteilen und ihre Häuser zu fressen, wie es so schön im Evangelium geschrieben steht. In den Tagen Jesu eine Witwe zu sein bedeutete fast automatisch, arm zu sein – und interessanterweise gibt es auch heute noch in diesem Lande einen großen Anteil von verwitweten Frauen, die nahe oder unter der Armutsgrenze leben.

Jesus greift das ausnutzerische System des Tempels an, besonders, da das mosaische Gesetz den Schutz von Witwen und Waisen gebietet. Also haben wir eine zweischneidige Botschaft im heutigen Evangelium: zum einen geht es um Recht und Gerechtigkeit. Aber dann geht es auch um die Hingabe aus vollem Herzen, den die Witwe demonstriert, als sie zwei Münzen, ihren Pfennig in den Opferstock legt. Jesus macht ganz klar: diese Münzen sind alles, was sie zum Leben hat. Und sie vertraut alles Gott an. Nun hätte sie, wie der heilige Martin, nur die Hälfte geben können und sich und ihren Kindern mit der anderen Hälfte etwas Brot kaufen können. Aber ihre Hingabe ist absolut. Da gibt es keinen Kompromiß.

Der 11. November in ist ein Tag der Hingabe, egal, wessen wir an jenem Tag gedenken.  Kriegsveteranen gaben alles für den Dienst am Vaterland und ihre Mitbürger hin; sie riskierten ihr Leben und tragen oft körperliche und seelische Wunden, die ihre Gesundheit und ihre Beziehungen beeinträchtigen. Ihre Hingabe war absolut.  Da gab und gibt es keinen Kompromiß.

St. Martin mag anfangs zwar die Hälfte seines Mantels behalten haben,  doch bald darauf gibt er Jesus Christus sein ganzes Leben, indem er all seinen weltlichen Ruhm, seine militärische Karriere und seine weltlichen Freuden aufgibt und sein Leben ganz Gott widmet. Seine Hingabe war absolut. Da gab es keinen Kompromiß.

Am 11. November 1483 wurde ein Säugling getauft und Martin genannt; und wie jeder Täufling, so wurden auch dieses Kind und sein Leben ganz und gar der Gnade Gottes anvertraut. Unsere Hingabe in der Taufe ist absolut. Da gibt es keinen Kompromiß.

Und was passiert, wenn wir jemandem versprechen, unser Leben mit ihm oder ihr zu teilen, so wie es in der Verlobung geschieht? Wir gehen ein Wagnis ein. Wir vertrauen uns und unser gesamtes Leben mit allen Licht- und Schattenseiten jemand anderes an. Wir versprechen, alles zu teilen. Unsere Hingabe ist absolut. Da gibt es keinen Kompromiβ.

Also ist dies ein Tag, um über Hingabe nachzudenken – und auch über unsere eigene Hingabe. Ich habe es schon erwӓhnt: durch die Taufe wurden wir ganz Gott und Gottes Gnade anvertraut. Am Konfirmationstag haben wir diese Hingabe an Gottes Gnade und das Versprechen an Gottes Gemeinde bestӓtigt. Also lassen Sie uns heute nicht nur der Hingabe anderer gedenken, sondern auch unserer Hingabe Gott und Gottes heilige Kirche, und uns darüber nachdenken: was bedeutet das für mich? Wie ann ich meine Hingabe zeigen und bezeugen? We kann ich zeigen, daβ ich ganz von Gottes Liebe Gnade umfassen bin, und wie kann ich ein Instrument sein, um diese Liebe und Gnade weiterzugeben? Wie leben wir unseren Glauben mit ganzem Herzen und ganzer Seele?

Theologen haben über das heutige Evangelium gesagt, daβ die arme Witwe nicht nur ein Beispiel christlichen Glaubens und Lebens ist – im Schicksal der Witwe sehen wir das Schicksal Jesu vorhergespiegelt: von den Tempelautoritӓten verraten, und doch bereit, sein ein und alles zu geben. Jesus war dem Vater gehorsam und starb am Kreuz für uns und die gesamte Kreatur. Seine Hingabe ist absolut. Da gibt es keinen Kompromiβ.

Lassen Die uns heute also all derer gedenken, die sich ganz und gar hingaben und hingeben. Und lassen Sie uns Christus danken und preisen, der sich ganz hingab um unseretwillen – und um aller Kreatur willen.