Predigt zu Markus 9, 30-37; 16. Sonntag nach Trinitatis – 20. September 2015

 

 

child

 

New York City, Washington, D.C. und Philadelphia bereiten sich derzeit auf ein großes Ereignis vor: der Papst kommt! Diese Woche ist es soweit. Hundertausende von römisch-katholischen Gläubigen werden in diesen Stӓdten erwartet – und viele Nichtkatholiken werden ebenfalls die Straßen säumen, um einen Blick auf Papst Franziskus zu erhaschen, vielleicht sogar von ihm berüht oder gesegnet zu werden. Es gibt viele, die diesen Papst als einen wahren Mann Gottes ansehen.

Nun sind Papst Franziskus und seine Lehre innerhalb der römisch-katholischen Kirche (und auch auβerhalb) nicht ganz unumstritten. Seit seiner Wahl im März 2013 hat er so einiges aufgewühlt. In Deutschland, z.B., hat er einen Bishof gefeuert, der Millionen von Euros für die Renovierung und Erweiterung seiner Privatresidenz ausgab, aber gleichzeitig Stellen im Zuge einer Sparmaßnahme in seiner Diözese abbaute. Und Franziskus löste einen Skandal aus, als er gleich nach seiner Wahl zum Gründonnerstag nicht nur katholischen Priestern die Füße wusch, wie seine Vorgänger es traditionell an jenem Tag getan hatten, sondern auch Frauen und Nichtchristen.

Franziskus’ Vorgänger, Benedikt, war eher ein Akademiker, der sich hauptsächlich intern mit Kirchendoktrin befaßte. Franziskus hingegen hat sich mit vielen Themen befaßt, die weit über den Wirkungsbereich der römisch-katholischen Kirche hinausreichen. Das Problem der weltweiten Armut ist sein Hauptanliegen, aber dann hat er sich auch deutlich zu den folgenden Themen ausgesprochen: die Einbindung sexueller Minderheiten, Klimawandel, die Rolle von Frauen in Kirche und Gesellschaft, Scheidungsreform, Dialog zwischen den Konfessionen und Religionen, und – im Lichte der derzeitigen Flüchtlingskrise im Mittleren Osten und in Europa – radikale Gastfreundschaft – und all dies im Rahmen biblischer Interpretation und des christlichen Glaubens. Und das hören so manche nicht gerne. Wie gesagt, er ist nicht unumstritten.

Nun ist Franziskus ein Papst, der auch seiner Überzeugung gemäß lebt. Franziskus ist ein bescheidener Diener Gottes geblieben und hat auf viele Privilegien und viel Luxus, die der Job als Papst so mit sich bringt, verzichtet. Kein Wunder also, daß der Papst sehr beliebt ist, besonders unter den einfachen Leuten, den Armen, denen am Rande der Gesellschaft. Und diese Beliebtheit geht über die katholische Kirche hinaus. Franziskus repräsentiert einen Gott, der zu denen herniederkommt, die hier auf Erden ihre Sorgen und Plagen haben. Und man könnte argumentieren, daß dies das Herzstück christlicher Existenz ist: Gott dorthin zu bringen, wo Menschen Bedürfnisse haben.

Nun feiern wir hier heute eine Taufe.  Johannes wird als Kind Gottes in die weltweite Familie Gottes aufgenommen. Und seine Eltern, Andreas und Marina, und eine seiner Patinnen, Heike, versprechen heute so allerlei: Johannes im christlichen Glauben zu erziehen, ihn an der Gemeinschaft der Glӓubigen teilhaben zu lassen, mit ihm die Bibel zu lesen, und alles dafür zu tun, damit er als Nachfolger Jesu Christi aufwӓchst und ihm dient, in Wort und Tat.

Und übrigens haben dies all jene versprochen, die uns seinerzeit zum Taufstein getragen haben – und am Tage der Konfirmation haben wir dann selbst das Versprechen gegeben, all diese Dinge zu tun und Christus nachzufolgen.

Nun gibt es zugegebenermaβen so einige Interpretationen darüber, wie wir Jesus Christus nachfolgen, und was das bedeutet. Man muβ sich nur einmal die Vielzahl der christlichen Konfessionen vor Augen halten – alle Kirchenspaltungen sind aufgrund von scheinbar unüberbrückbarer Differenzen passiert. Nun haben wir aber doch ein Testament empfangen, das uns recht deutlich sagt, wie wir Christus nachfolgen – wir nennen es das Neue Testament. Hier haben wir Worte und Taten Jesu, die uns als Richtlinien dienen. Und dann sehen wir recht schnell und klar, daβ Gott in und durch Jesus Christus besonders dort zu finden ist, wo Menschen am Rande der Gesellschaft existieren. Gott erniedrigt sich, im wahrsten Sinne des Wortes, und kommt in die Tiefen unserer menschlichen Existenz.

Gott erniedrigt sich in unfaβbarer Weise: um bei all denen und mit all denen zu sein, deren Leben nicht perfekt ist; mit den Armen, den Schwachen, den Entmündigten. Gott kam auf unsere Erde, um mit und bei uns zu sein. Denn auch wir sind nicht immer so stark, wie wir es gerne wӓren, und brauchen jemanden, der sich unser erbarmt und sich uns und unserer Nӧte annimmt. Jemanden, der uns vergibt und annimmt, auch wenn wir uns selbst nicht vergeben kӧnnen.

Jesus kam auf die Welt, um unter den Menschen zu sein; er war fast ununterbrochen auf dem Weg, und reiste von den jüdischen Gebieten zu heidnischen Enklaven und wieder zurück. Jesus hielt sich stӓndig unter den Menschen und mit den Menschen auf – er heilte, er vergab, und er machte den Leuten Hoffnung, indem er das Friedensreich Gottes verkündete.

Gott stellte so die Welt auf den Kopf: durch Bescheidenheit, Demut, extreme Knechtschaft, und eine Besorgnis für jene am Rande der Gesellschaft. Und diese Eigenschaften Gottes stehen in radikalem Gegensatz zu den Werten und Wertschӓtzungen dieser Welt und der Kultur, wie wir sie heute kennen. Den Machtlosen wurde von Gott Macht und Autoritӓt gegeben, das Gottesreich zu verbreiten. Den Kleinen. Und, ja, sogar den Kleinsten, wie Johannes. Es hat schon seinen Grund, weshalb wir Kleinstkinder taufen: nicht nur, um sicherzustellen, daβ sie in den Himmel kommen, sondern auch als Demonstration, daβ Gott sich die Kleinen und Schwachen erwӓhlt, um das Reich Gottes zu verkünden und verbreiten.  Und wer daran Zweifel hat, daβ Johannes das Reich Gottes verkündet und verbreitet, sollte nur einmal 5 Minuten mit ihm verbingen.  Martin Luther sagte bereits: ‘Wer ein Kind sieht, ertappt Gott auf frischer Tat.’

Jesus erwӓhlt sich zumeist Leute am Rande der Gesellschaft, einfache und ungebildete Menschen, als sein Jünger und seine Vetrauten, um ihm dabei zu helfen, das Reich Gottes in Wort und Tat zu verkündigen und zu verbreiten. Die Jünger sehen Jesus’ sanftmütige Macht, sie sehen, wie sich das Reich Gottes in ihrer Mitte, unter den Vernachlӓssigten und den Verachteten, entfaltet. Natürlich bekommen sie auch einen Geschmack am Erfolg und der Popularitӓt Jesu – schlieβlich folgen die Massen Jesus überall hin und lassen ihn nicht in Ruhe. Sie müssen schon für eine Weile ein Hochgefühl gehabt haben – Jesus Christ Superstar, vielleicht ist dies ihr Bild von Jesus, als noch alles so wunderbar lӓuft. Und sie sind live dabei!

Doch dann wendet sich das Blatt; Jesus kündigt sein Leiden und Sterben an, und zwar mehrere Male. Und die Jünger kapieren es anscheinend erst einmal nicht. Letzte Woche hӧrten wir im Evangelium, wie Petrus versucht, Jesus von diesem Weg des Leidens abzubringen – Herr, das darf nicht so sein! Und laut dem heutigen Evangeliumstext schnallen die Jünger es immer noch nicht. Jesus spricht von totaler Erniedrigung; er wird so tief gehen, wie es nur geht, nӓmlich ins Grab.  Und die Jünger kӧnnen an nichts anderes denken, als wer der Grӧβte unter ihnen ist.  Vielleicht denken sie sogar über Jesu Nachfolge nach, wer von ihnen seinen, wie sie meinen, populӓren Platz einnehmen wird, wenn er erst einmal nicht mehr bei ihnen ist. Die Jünger scheinen zu vergessen, daβ es bei der Nachfolge Jesu nicht um Macht und Gewalt und Prestige geht, sondern um den absoluten Dienst am Nӓchsten – dem Armen und Schwachen, den Verlorenen. Und die Jünger scheinen zu vergessen, wo Jesus sie aufgegabelt hat: irgendwo nahe am Grund.

Jesus erinnert die Jünger daran, daβ Gottes Idee von Grӧβe das Gegenteil von dem ist, was allgemein in der Welt als Grӧβe angesehen wird.  Erst sagt er, daβ, wer auch imer groβ sein will unter ihnen, allen ein Diener sein muβ – und dies wahrscheinlich nicht zu Anerkennung führen wird.  Gute Taten geschehen oft unbemerkt.  Und dann greift sich Jesus ein Kind von der Straβe, wahrscheinlich einen kleinen Streuner, und sagt: wer ein Kind wie dieses aufnimmt, nimmt mich auf, und wer mich aufnimmt, nimmt den auf, der mich gesandt hat.  Und Jesus nimmt dieses namenlose Kind in seine Arme.

Wir mӧgen denken, daβ dies eine niedliche und herzige Szene ist, und wie wunderbar für eine Taufe. Doch Kinder wurden in den Zeiten Jesu nicht besonders wertgeschӓtzt.  Die Kindersterblichkeit war unheimlich hoch – 30% aller Kinder starb bei der Geburt oder im Sӓuglingsalter; weitere 30% wurden nicht ӓlter als fünf; und von den überlebenden Kindern schafften es weitere 60% nicht in die Pubertӓt. Also gab es nicht die gleiche emotionale Bindung von Eltern an ihre Kinder, wie wir sie heute kennen. Familien waren kinderreich, viele Münder muβten gestopft werden; und unter dem Gesetz wurden Kinder wie Eigentum behandelt, aber nicht als Personen. Kinder hatten keine Rechte und waren so mit am niedrigsten in der Gesellschaft gestellt. Indem er ein solches Kind umarmt, steigt Jesus wieder einmal in die tiefsten Tiefen hinab, zu den Kleinsten und Unbedeutensten – und nicht nur das: er berührt, herzt, und schlieβt die mit ein, die normalerweise ignoriert oder als ein Ärgernis angesehen werden.

Und was würde Jesus heute tun?  Heute schlieβt er Johannes in seine Arme, wie er auch uns alle in seine Arme geschlossen hat. Und ich habe auch so das Gefühl, daβ er unter den Flüchtlingen in Europa sein würde, und die Kinder in seine Arme nehmen würde, die von vielen mit Verachtung und als verdӓchtig angesehen werden. Wer ein Kind wie dieses aufnimmt, nimmt mich auf…

Gottes Grӧβe besteht darin, sich zu erniedrigen. Christliche Grӧβe wird daran gemessen, ob wir dorthin gehen, wo die sind, die nicht von der Gesellschaft akzeptiert werden, die am Rande stehen, die vergessen sind. Grӧβe besteht darin, unserem Nӓchsten zu dienen, denn wir dienen Gott, indem wir unserem Nӓchsten dienen. Wir treffen Gott dort an, wo Gott sich im gemeinen aufhӓlt: ganz unten.  Und dies gibt den Worten, die wir in der heutigen Lesung aus dem Jakobusbrief gehӧrt haben, eine ganz neue Bedeutung: naht euch zu gut Gott, und Gott wird sich zu euch nahen.

Also ist es an euch, Andreas, Marina und Meike, aber dann auch an uns allen gelegen, Johannes Bescheidenheit, Mitgefühl, und Freude am Helfen beizubringen, und zwar hauptsӓchich durch unser Beispiel. Denn indem wir dem Nӓchsten dienen, dienen wir Gott und folgen Christus nach.

Es scheint, als ist Papst Franziskus mit seinen Lehren und seinem Beispiel auf dem richtigen Weg – dem Weg Christi.

Mӧgen wir uns daran erinnern, daβ wir alle in der Taufe zu Kindern Gottes werden – daβ wir alle von Gottes Gnade, Barmherzigkeit und Liebe umfaβt worden sind, obwohl wir es eigentlich nicht verdienen.  Daβ Gott uns, die Schwachen und einfachen Leute, erwӓhlt, das Reich Gottes in Wort und Tat zu verkünden und zu verbreiten. Was wir empfangen haben, laβt uns mit einer Welt teilen, die Gottes Liebe und Gegenwart nӧtig hat.