martin-und-kaethe

(Dies ist keine gewӧhnliche Predigt, sondern ein fiktiver Dialog zwischen Martin Luther und seiner Frau, Katharina, auch Kӓthe genannt.)

KL: Seid mir gegrüβt, ihr lieben Leute! Wie schӧn, euch alle wieder zu sehen. Ja, ist denn schon wieder ein Jahr vergangen? Eins, zwei, drei im Sauseschritt eilt die Zeit – wir eilen mit! Ja, nun ist es schon 499 Jahre her, seit mein lieber Mann, der Martin, einigen Leuten ganz gewaltig auf die Füβe trat, als er seine 95 Thesen wider den Ablaβ an die Tür der Schloβkirche in Wittenberg nagelte. 499 Jahre. Ja, wiβt ihr, was das bedeutet? Im kommenden Jahr begehen wir das 500 jӓhrige Jubilӓum der Reformation!
(Martin erscheint, Hammer in der Hand, summt ‘Ein feste Burg’.)

KL: Ah, und da ist er ja, der Mann der Stunde! Martin – schau, all diese Leute sind heute gekommen, dir zuzuhӧren. (Stutzt, als sie sieht, was Martin trӓgt). Martin!? Was hast du jetzt schon wieder angerichtet?

ML: (schaut auf den Hammer) Mein lieber Herr Kӓthe, nun sei doch nicht so miβtrauisch! Du selbst hast doch gesagt, daβ wir eine freie Kammer haben, also habe ich eine Verlautbarung an die Tür der Universitӓt genagelt: Zimmer frei bei Luthers; Mahlzeiten inklusive. Studenten der Theologie bevorzugt, die den Mut haben, sich mit Professor Martin Luther bei abendlichen Tischreden anzulegen.

KL: (seufzt) Als hӓtten wir nicht schon genug Mӓuler zu stopfen!

ML: (legt Hammer etc. beiseite und nimmt Katharina in den Arm): Ah, meine liebe Kӓthe, du Morgenstern von Wittenberg…

KL: (entzieht sich der Umarmung) Ha, du Schmeichler, du Heuchler! Nun raus mit der Sprache, was willst du?

ML: Nun, es geht um die Mӓuler, die heute abend zu stopfen sind…unsere lieben Freunde Melanchthon und Bugenhagen kommen heute zum Abendessen.

KL: Na, solange es nur die zwei sind…

ML: Und…ein paar unserer Studenten, denn wir wollen über die Freiheit eines Christenmenschen disputieren.

KL: ‘Ein paar’?

ML: (druckst): Sieben…oder acht.

KL: Herrje, Martin, 10 Mӓuler mehr? Ja, wo soll denn das ganze Essen herkommen?

ML: Unser Herr Jesus Christus vollbrachte die wundersame Brotvermehrung…

KL: Frevelst du dem Herrn? Ich bin nicht Christus!

ML: Nein, aber du vollbringst immer wieder das Wunder, genug Essen für alle auf den Tisch zu bringen. (Nimmt sie wieder in den Arm.)

KL: (Entzieht sich wieder, aber versӧhnlicher.) Das ‘Wunder’ verlangt viel Arbeit. Aber was weiβ schon ein Doktor der Theologie davon…der muβ halt disputieren und sich streiten, so verdient er sich sein Brot!

Martin zuckt Schultern in spielerischer Resignation.

KL: Ja, aber nun sag einmal, da wir nun schon all diese freundlichen Menschen hier haben: was werden du und deine Freunde denn heute abend über die Freiheit eines Christenmenschen disputieren? Erzӓhl mal: Was ist schon Freiheit? Sind wir wirklich frei?

ML: Ah, nun spricht meine gelehrte Frau Doktor Kӓthe! Nun, was ist deine Rolle in diesem Hause?

KL: Ich ziehe die Kinder groβ, ich kümmere mich um den Haushalt und all die Studenten, die hier wohnen; ich verwalte unssere Felder, beaufsichtige unsere Bediensteten, braue Bier…

ML: Ah, dein wunderbares Bier!

KL: Kurzum, ich sehe zu, daβ hier der Laden lӓuft, und zwar von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang.

ML: Wahrlich, wahrlich, meine gute Kӓthe. Du arbeitest soviel und dienst uns allen. Bist du denn eine Sklavin in diesem Hause?

KL: Keineswegs! Ich bin die Herrin, wie du sehr wohl weiβt!

ML: Also tust du all diese Dinge aus freiem Willen.

KL: (zӧgert) Nun ja, dies ist das Leben, das ich mir erwӓhlt habe, als ich dich zu meinem Mann erwӓhlte. Und es ist soviel besser als das Leben hinter Klostermauern. In diesem Haus und an deiner Seite hat mein Leben einen Sinn! Aber manchmal wünsche ich mir schon etwas mehr Muβe und Zeiten, in denen ich wirklich frei von meinen Aufgaben bin.

ML: Aber warum hӧrst du niemals auf, uns allen zu dienen?

KL: Weil ich dich von Herzen liebhabe. Und die Kinder. Und mir tun die armen Studenten leid, die hier keine Mutter haben, die sich um sie kümmern. Und weil ich aus tiefster Seele glaube, daβ ich, indem ich euch allen diene, auch Gott am besten diene.

ML: Also, liebe Kӓthe, so bist du ein freier Christenmensch! In Christus sind wir alle frei. Christus hat uns erlӧst: von Teufel, Welt, Sünd und Tod. Christus hat uns davon erlӧst, daβ wir uns stӓndig und mit Bange fragen: tu ich denn genug für Gott? Hat mich Gott noch lieb, wenn ich mal einen Fehler mache? Wir kӧnnen frei und frӧhlich leben, denn wir wissen: Gott hat uns wahrlich lieb und vergibt uns.

KL: So, wie du als Vater und ich als Mutter unseren Kindern vergeben und sie herzlich lieb haben.

ML: Besser hӓtte ich es auch nicht sagen kӧnnen! Wir sind Gottes Kinder, und Gott schenkt uns Freiheit. Aber Freiheit bedeutet nicht, daβ wir einfach tun und lassen, was uns so in den Sinn kommt. Na, was wӓre das für eine Welt, in der jeder einfach machte, was er wollte, ohne sich um seinen Nӓchsten zu scheren?

KL: Für mich wӓre das die Hӧlle. Ein Ort, an dem sich der Teufel ins Fӓustchen lacht!

ML: Wie wahr! Freiheit ohne Verantwortung, Freiheit ohne Liebe ist eine Last: für die Schwachen, für die Machtlosen, und, wie unsere guten Freunde hier heute erfahren, auch für diesen Planeten, Gottes gute Schӧpfung. Denn in einer Welt ohne Liebe und Verantwortung setzt sich immer die Freiheit des Stӓrkeren und Mӓchtigeren durch. Und so schenkt uns Gott auch die Liebe; und die Liebe zu Gott und die Liebe zum Nӓchsten führt dazu, daβ wir frei und freudig Gott und unserem Nӓchsten dienen – so, wie du uns allen dienst.

KL: Klingt paradox, aber auch logisch. Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.

ML: So ist es, liebe Kӓthe.

KL: Na, was gibt’s denn da noch zu disputieren?

ML: (seufzt) Ach, du weiβt gar nicht, wie mir die Leute manchmal das Wort im Munde verdrehen! Und wie Menschen hӓufig meinen, daβ ihnen Frieheit das Recht gibt, auf anderen herumzutrampeln.

KL: Na, und was bedeutet das nun für all diese werten Menschen hier und heute, 499 Jahre nach deinen ersten Hammerschlӓgen, die die Welt verӓndert haben?

ML (nimmt den Hammer in die Hand): Ihr lieben Christenmenschen, ihr seid frei in Christus. Sorgt euch nicht, kümmert euch nicht so sehr darum, was andere über euch denken mӧgen: Gott liebt euch und vergibt euch. Und nichts kann euch von der Liebe Gottes scheiden. Das ist übrigens einer der Gründe, weshalb ich damals die 95 Thesen gegen den Ablaβ an die Tür der Schloβkirche in Wittenberg anschlug, denn der Ablaβ lehrte, daβ wir uns Gottes Liebe erwerben müssen.

KL: Und?

ML: Und eure Freiheit ist in Gott und von Gott. Und Gottes grӧβtest Gebot ist das Gebot der Liebe. Wenn ihr davon befreit seid, euch um euch und euer Seelenheil zu sorgen, dann kӧnnt ihr euch in Liebe um euren Nӓchsten sorgen. Und da gibt es keine Regel: euch allen ist etwas gegeben, das ihr in Liebe teilen kӧnnt. Einer kann gut predigen. Eine andere kann schӧn singen. Wieder eine andere hat ein offenes Ohr für die Sorgen anderer. Ein anderer hat Geld und kann damit Gutes tun. Und wieder eine andere hat die Gabe des Kochens und Bratens und der Haushaltsführung – so wie meine Kӓthe. Also genieβt eure Freiheit! Und dient anderen in Liebe und Demut mit den Gaben, die Gott euch geschenkt hat.

KL: Hast du schӧn gesagt, Martin! Aber da Gott dir nicht nur die Gabe gegeben hat, groβe Worte zu schwingen, sondern auch den Hammer, wie wir alle wissen – der Hühnerstall müβte mal repariert werden, die Nachbarn haben sich schon über unser Federvieh beschwert…

ML: Oh, die Freiheit, meinem lieben Herrn Kӓthe zu dienen! So sei es denn! Amen!