Predigt zu Johannes 10,22-30; 3. Sonntag nach Ostern – 17. April 2016

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Wußten Sie, daß für jüdische Gläubige die wichtigsten Worte ihrer Heiligen Schrift nicht etwa die Zehn Gebote sind, sondern ein uraltes Glaubensbekenntnis, das wir im Buch Deuteronomium finden? Dort steht geschrieben im sechsten Kapitel: ,Der Herr ist unser Gott, der Herr allein. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, liebhaben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzer Kraft.’ Klingt irgendwo vertraut, oder?

Nun sind diese Worte im jüdischen Glauben so wichtig, daß sie bei Morgen-und Abendgebeten gesprochen werden; sie sind das Gute-Nacht-Gebet von Kindern, und sind die letzten Worte, die ein Gläubiger vor seinem Tod sprechen will. Diese Glaubensbekenntnis ist im Hebräischen als das ‘Schema Yisrael’, bekannt, denn dies sind die einleitenden Worte: schema Yisrael – höre, Israel!  Höre! Pass auf, öffne dein Herz und deinen Geist. Höre! Und das Hören ist ein immense wichtiger Aspekt des Glaubens.

Nun ist hören häufig einfacher gesagt als getan. Ich weiß, daß es unter uns einige gibt, die nicht mehr so gut hören, und selbst all die Hörgeräte, die es heute gibt, helfen da manchmal nicht wirklich. Da fällt das Hören wirklich schwer.

Aber ich möchte nicht nur die hervorheben, die etwas schwerhörig sind. Selbst die, die so ganz gut hören können, haben manchmal Schwierigkeiten damit, wirklich zuzuhören – gerade in der heutigen Zeit, da es so viel Stimmen gibt, die um unsere Aufmerksamkeit kämpfen – in unserem Alltagsleben, in Wahlkämpfen, in den Medien, über das Internet. Da gibt es Stimmen, die uns zu verführen suchen, Stimmen, die verurteilen, Stimmen, die uns den Himmel auf Erden versprechen, Stimmen, die uns mit Absicht Furcht einflößen, Stimmen, die versuchen, uns etwas zu verkaufen, sei es etwas materielles oder eine Ideologie.

Jeden Tag hören wir soviele verschiedene Stimmen, und es fällt da schwer, sich zu konzentrieren, und den Stimmen zuzuhören, die wichtig und relevant sind. Es fällt schwer, Gottes Stimme in dem Stimmengewirr herauszufiltern, es fällt schwer, Gottes Stimme zu hören; wir sind leicht verunsichert und verwirrt, und so haben wir dann auch Probleme, Gott zuzuhören und nachzufolgen.

Wir müssen uns schon gewaltig anstrengen, Gottes Stimme zu hören, und dann dann müssen wir natürlich auch sorgsam abwägen, was dies für uns bedeutet, denn das Leben ist nun einmal nicht nur schwarz und weiß. Sogar Gottes klare Stimme bedarf häufig der Interpretation. Z.B.: ja, uns ist geboten, den Nächsten zu lieben, doch liegt es dann an uns, herauszufinden, wie wir das denn nun machen. Für manche bedeutet dies, Almosen zu geben, für manche, einfach mal das Telefon zu greifen und die, von denene wir wissen, daß sie einsam oder krank sind, anrufen, für manche, politisch aktiv zu werden und ein krankes System zu verändern – und, und, und…

Um es zusammaenzufassen, ja, wir müssen zuhören, und sorgsam auf Gottes Stimme in unserem Leben achten. Und dann heißt es, konkrete Schritte zu unternehmen, um Gott nachzufolgen, auch dann, wenn wir uns vielleicht nicht 100% sicher sind, daß es wirklich Gottes Stimme ist, die wir da hören. Wir haben dann ja immer noch die Möglichkeit, umzukehren oder unsere Richtung zu korrigieren, wenn wir feststellen, daß es vielleicht doch nicht Gottes Stimme war. ‚Sündige kräftig’, war Martin Luthers Motto, und etwa nicht deshalb, weil wir willentlich Böses tun sollen, sondern bewußt handeln, wenn wir meinen, Gottes Stimme klar zu hören. Wie gesagt, umkehren geht dann immer noch.

Aber dann gibt es da noch eine weitere Hürde, die uns am Zuhören hindert. Unser Gehör mag zwar ganz gut sein, wir haben Gottes Stimme irgendwie herausgefiltert, und hören sie klar und deutlich – doch entscheiden wir uns, nicht auf diese Stimme zu achten oder zu reagieren, sei es, weil wir zu stur sind, sei es, wir ängstlich sind, sei es, weil wir meinen, daß wir eine bessere Idee haben, oder weil es einfach unbequem ist, auf Gott zu hören.

Denken Sie mal an Ihre Kindheit zurück, oder besser noch, Ihre Jugendjahre. Waren Sie alle ganz brav und lieb und haben immer auf Ihre Eltern gehört? Oder andere Autoritätspersonen, wie Großeltern und Lehrer? Ich denke, fast alle haben diese Phase durchgemacht, wo wir uns nicht so gerne etwas sagen ließen, sondern meinten, wir wüßten es besser. Wie oft haben wir klar und deutlich die Stimmen unserer Eltern gehört, wir wußten genau, was sie von uns wollten, und doch haben wir ihre Meinung, ihren Rat, ihre Weisungen abgelehnt? Obwohl wir, irgendwie tief drin, wußten, daß an ihren Worten etwas dran ist?

Ich denke, es ist einfacher für uns, da wir nun etwas älter und weiser und selbst Eltern, Großeltern, oder Erziehende sind, zuzugeben, daß wir nicht immer so auf die Erwachsenen in unserem Leben gehört haben, wie wir es hätten sollen.

Nun brauchen wir uns nur einmal die Geschichte, und da gehört biblische Geschichte mit zu, ansehen, um zu erkennen, daß Gottes Kinder sich oft geweigert haben, auf die Stimme Gottes, des liebenden Vaters, der liebenden Mutter, zu hören. Es hat schon seinen Grund, warum das Schema Yisrael, das alte Bekenntnis, die Menschen dazu ermahnt, zu hören. Und es hat schon seinen Grund, warum wir Gottes Kinder genannt werden – nicht nur, weil wir so niedlich und unschuldig sind, sondern weil wir Gott viel Sorge und Herzleid verursachen, weil wir auf unsere eigenen Wege stur beharren und glauben, es besser zu wissen; weil wir häufig, gleichwie Kinder, nicht hören.

Im heutigen Evangelium spricht Jesus über das Hören. Die, die zu mir gehören, hören meine Stimme, so sagt er. Und er benutzt ein Bild, das häufig in der Bibel benutzt wird: das Bild von den Schafen und dem Hirten. Heute, im Jahre 2016 und in einen städtischen Umfeld, sind unsere Kontakte mit Schafen ziemlich selten. Oder hat hier irgendjemand ein paar Schafe im Garten? Zu biblischen Zeiten waren Schafe natürlich überall, da Schafe ziemlich widerstandsfähige und robuste Tiere sind, die viel zu bieten haben: Milch, Fleisch, und Wolle, alles, was das menschliche Herz begehrt. Und in vielen teilen der Welt sind Schafe auch heute noch ein wichtiges Element im Leben von Menschen und Gesellschaften.

Es gibt heute noch rund eine Milliarde Haussschafe auf dieser Welt – das zeigt uns, wie wichtig Schafe auch heute noch sind. Doch frage ich mich, ob wir das Beispiel Jesu von den Schafen und ihrem Hirten noch recht wertschätzen können. Bedenken Sie nur einmal, welche Vorurteile wir über Schafe haben: Schafe sind dumm. Schafe sind passiv und werden leicht zur Schlachtbank geführt. Wer will schon ein Schaf sein?

Und als ich über das Internet nach sekulären Zitaten über Schafe suchte, fand ich nur negative Worte. Viele kluge Menschen machen sich über Schafe lustig und auch über Menschen, die einem Anführer wie Schafe folgen. Viele der Zitate brachten zum Ausdruck, daß Leute lieber ein Hirte sind als ein Schaf. Oder gar lieber ein Wolf als ein Schaf. Niemand mit einigermaßen gesundem Menschenverstand will ein Schaf sein.

Was machen wir also mit dieser Stimme Gottes, dieser Stimme, die sagt, hört, wie ein Schaf; seid wie Schafe? Und das in einer Gesellschaft, in der Schafe als dumm und passiv angesehen werden, also als ein Beispiel, dem man besser nicht folgt?

Vielleicht sind Schafe nicht so dumm, wie wir denken. Haben Sie je versucht, nahe an ein Schaf heranzukommen? Wenn das Schaf Sie nicht kennt, läßt es Sie nicht nahekommen. Das Bild, das Sie auf dem Titelblatt unseres Gottesdienstprogrammes sehen, ist vor ein paar Jahren auf einem Deich in Ostfriesland gemacht worden. Da gibt es auch heute noch viele Schafe. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie gerne ich eines der süßen Lämmer gestreichelt hätte. Aber näher als auf dem Bild kam ich einfach nicht dran.

Also hat Jesu recht: Schafe scheuen vor Fremden, und das bedeutet auch, daß Schafe vor denen zurückweichen, die Böses im Sinn haben. Wenn Sie mich fragen, dann ist das recht schlau. Und dann gibt es noch andere Dinge, die darauf hinweisen, daß Schafe gar nicht so dumm sind: z.B. halten sich Schafe in Herden auf. Die Herde gibt Sicherheit, und Wärme und Schutz in schlechtem Wetter. Und Schafe sind auch schlau genug, dem Hirten zu folgen, denn der Hirte oder die Hirtin ist die Person, die weiß, wo es Nahrung und Wasser gibt und sich um die Schafe kümmert. Und Schafe kennen wirklich die Stimme ihres Hirten. Es gibt Studien, die belegen, daß Schafe sowohl Stimmen als auch Gesichtszüge erkennen können. Schafe wissen, wem sie trauen können.

Jesus weiß all dies, und so drängt er seine Nachfolger geradezu, auf diese eine Stimme des guten Hirten zu hören, die Stimme Gottes, die Stimme dessen, der sich um die Herde sorgt. Es ist gut für uns, Gott als ein Teil dieser Herde nachzufolgen, den die Herde bietet Schutz. Es ist gut für uns, ein Schaf in der Herde Gottes, des guten Hirten, zu sein.

Denn seien wir einmal ehrlich: wir folgen alle etwas in unserem Leben nach; Ideologien, Werten, die nicht unbedingt immer christlich sind, oder aber auch den vielen Götzen, die wir heute haben, wie Sport, Geld, Ruhm und Macht. Dingen, die uns Erlösung versprechen, aber letztlich doch keinen Sinn geben.

Der Herr ist unser Hirte, so soll es uns an nichts mangeln, wessen wir bedürfen oder begehren – den Gott hat sich bereits selbst für uns gegeben. Gott ist mit uns und führt uns, auch in den finsteren Tälern unseres Lebens. Gott steht uns bei, wenn wir Hilfe brauchen. Und Gott bereitet uns einen Tisch angesichts des Übels, dem wir heute häufig begegnen: Habsucht, Gier, Mißtrauen und Haß. Gott wird uns aus dem Tod ins Leben führen, und wir werden bleiben im Hause des Herrn immerdar. Aber hören – und zuhören – müssen wir schon.

Amen