Vor ein paar Wochen saβ ich mit D H, dem Sohn N H’s, und seiner Frau B zum Gespräch zusammen, um N Beerdigung zu planen und etwas über ihr Leben zu erfahren. Nun wuβte ich, welch ein groβes Herz N hatte, und wie es einfach ihre Natur war, Menschen unter ihre Fittiche zu nehmen. Aber D erzählte mir dann auch eine Geschichte, durch die Norma noch in meiner Achtung stieg.

Es war im Jahr 1968. D war 16 Jahre alt und Schüler an einer High School hier in San Francisco. Der ‘Summer of Love’, der ‘Sommer der Liebe’ hatte hier in San Francisco im Jahr zuvor den Anschein gegeben, als könnten wirklich alle Menschen, egal welchen Hintergrundes und welcher Hautfarbe, in Harmonie miteinander leben.

Aber dann wurde Martin Luther King Jr. am 4. April 1968 ermordet. Dieses Attentat gegen den wohl prominentesten Führer der ‘Civl Rights’ Bewegung löste vielerorts Trauer und Bestürzung aus – aber auch Wut. Vielerorts, so auch in San Francisco, gab es Rassenunruhen und Gewalt als Reaktion auf das Attentat. Und das, obwohl Martin Luther King Jr. Zeit seines Lebens Gewalt verabscheute und gewaltfreien Protest predigte.

Der junge D H erlebte die Spannungen in jenen Tagen hautnah. Er selbst wurde eine Zielscheibe von der Wut, die in jenen Tagen herrschte. Und so kam er eines Tages nach Hause, aufgewühlt und verwirrt, und schüttete seiner Mutter sein Herz aus: ‘Mama, warum wollen mir diese Leute wehtun? Ich habe ihnen doch nichts getan.’

Und N erteilte ihrem Sohn eine Lektion, die ihn bis zum heutigen Tag begleitet: ‘D, fälle kein Urteil über eine Gruppe von Menschen, nur, weil sich ein paar danebenbenehmen.’ Ich weiss nicht, ob das nun eine genaue Übersetzung von Normas Worten ist, aber ich denke, sie gibt den Sinn wieder. Fälle kein Urteil über eine Gruppe von Menschen, nur, weil sich ein paar danebenbenehmen.

Und was ich dann auch höre, ist: Lass dich nicht von dem Hass und der Gewalt anstecken. Mache dir die Mühe, jeden Menschen, dem du begegnest, kennenzulernen, bevor du ein Urteil triffst. Und N selbst lebte nach dieser Philosophie.

Als D mir diese Geschichte erzählte, war ich doch überrascht, wie Ns Worte die Worte und Lehren des Martin Luther King Jr. wiederspiegeln. In seiner berühmten Rede ‘I have a dream’, ‘Ich habe einen Traum’, sagte auch er, dass er sich dem Tag entgegensehnt, an dem ein Mensch nicht nach seiner Hautfarbe, sondern nach seinem Charakter beurteilt wird.

King weigerte sich auch, auf Hass mit Hass zu reagieren.

Zwar sind Kings Worte voll der Leidenschaft und hӓufig auch von einem gerechten Zorn geprӓgt. Er klingt sehr wie die Propheten des Alten Testamentes in dieser Hinsicht. Doch sprach er nie Worte des Hasses, jedenfalls soweit ich weiβ. King war ja ein Pastor in der baptistischen Tradition, er hatte einen starken Glauben an Jesus Christus, er glaubte an christliche Liebe, und an Gewaltlosigkeit, selbst angesichts der Gewalt.

King verstand sehr wohl, daβ Verӓnderungen, die durch Haβ und Angst motiviert sind und mit Gewalt durchgesetzt werden, auf Dauer nicht haltbar sind. Die Liebe allein kann Haβ überwinden, sagte King; und hierbei zitiert er aus den Briefen des Paulus. Nur die Liebe und Vergebung kӧnnen uns zu wahren Brüdern und Schwestern machen; dies kann nicht erzwungen werden. Gewalt hilft da nicht, denn, und hier zitiert King Gandhi: Auge um Auge macht die ganze Welt blind.

Dabei ist Gewaltlosigkeit aber nicht mit Tatenlosigkeit oder Resignation zu verwechseln. Er sagte einmal: ‘Gewaltloser Widerstand ist nicht für Feiglinge. Er ist keine stille und passive Akzeptanz des Bösen. Man ist zwar physisch passiv und gewaltlos, doch spirituell sehr aktiv, und man versucht ohne Unterlass, den Gegner von den Vorteilen der Wege der Liebe, der Zusammenarbeit und des Friedens zu überzeugen.’

Und King hat Recht: das ist nichts für Feiglinge, das ist anstrengend, das erfordert Mut. Denn selbst solch gewaltloser Widerstand wird von so manchem als bedrohlich empfunden. Kings Ermordung ist der Beweis dafür.

Nun hat sich seit den 60ern so einiges zum Besseren verӓndert, doch klingen viele der Worte Kings doch noch wahr und zeitgemӓβ. Als Nation sind wir derzeit doch sehr polarisiert, und Gewalttaten gegen Minderheiten sind wieder auf dem Vormarsch. Die Furcht vor Menschen, die irgendwie anders sind, wird geschürt. Und so ist es wichtig, dass wir auch heute noch dem Vorbild Kings folgen und seinen Traum zu verwirklichen suchen.

Nun würde King wahrscheinlich heute noch klarstellen, daß eine wahre Transformation nur durch gewaltlosen Protest und furchtlose Liebe und Mitgefühl passieren kann. Und: daß eine Transformation, ein Wandel, oft mit Opfer verbunden ist. Einfach ist das nicht. Das ist nichts für Feiglinge.

Nun hat das heutige Evangelium viel mit dieser Thematik zu tun. Die Geschichte, die wir hier haben, handelt von der Verwandlung von Wasser zu Wein. Diese Geschichte finden wir nur im Johannesevangelium, und Johannes ist nicht dafür bekannt, in Gleichnissen zu reden oder Anekdoten zum Besten zu geben. Nein, sein Evangelium ist stark von Zeichen und Symbolen geprägt. Nun ist das Weinwunder das allererste Wunder, das Jesus im Johannesevangelium vollbringt.  Keine Heilung, keine wunderbare Vermehrung von Broten und Fischen. Und es ist auch ein eher unfreiwilliges Wunder – es scheint so, als sei Jesus lediglich ein Gast auf einer Hochzeit und wolle sich amüsieren. Es ist Maria, seine Mutter, die ihn dazu drängt, zu offenbaren, wer er wahrlich ist. Jesus, der Wein geht aus, raunt sie ihm zu, und was sie natürlich auch damit sagen will, ist: Tu was! Und Jesus antwortet ihr: Meine Stunde ist noch nicht gekommen.

Das sind doch recht rӓtselhafte Worte. Und doch machen sie Sinn, wenn wir in die Symbolik des Weinwunders schauen –  und es wӓre keine Erzӓhlung des Johannes, wenn sie nicht irgendwie symbolisch zu verstehen wӓre.

Also lassen Sie uns die Geschichte von einem etwas anderen Blickwinkel betrachten. Am vergangenen Sonntag ging es um Wasser, und zwar das Wasser der Taufe. Und die Taufe hat ja auch einen starken symbolischen Wert – hier geht es um Reinigung, um das Abwaschen der Sünde, um Ermutigung und ein neues Leben. Das Wasser, das Jesus im heutigen Evangelium in Wein verwandelt, ist kein gewӧhnliches Wasser, nein: es ist Wasser, das für jüdische Reinigungsrituale verwendet wird; vor und nach dem Essen werden die Hӓnde gewaschen, das kennen wir ja auch, und dann wurde Hausgӓsten in Jesu Tagen auch Wasser zur Fuβwaschung angeboten – schlieβlich waren die Straβen in jenen Zeiten recht staubig, und die Menschen trugen Sandalen. Jesus verwandelt also dieses rituelle Wasser, das viellecht auch schon benutzt und somit verschmutzt ist, in Wein.

Nun kӧnnten wir es dabei belassen und sagen, prima, Jesus hat die Party gerettet. Doch würde das dem Wunder nicht gerecht werden. Denn woran denken Sie, wenn Sie das Wort Wein hӧren, vor allem in der Kirche? Wir trinken den Wein wӓhrend des Abendmahles und hӧren dabei, ‘Christi Blut, für dich vergossen’. Sakramental gesehen ist Johannes also sehr interessant: das erste Wunder nach Jesu Taufe deutet auf sein Blut, es deutet auf das Abendmahl hin.

Der Wein im heutigen Evangelium symbolisiert also das Blut Christi, das für uns alle gegeben und vergossen wird, und das uns von allem Übel und aller Sünde reinigt. Und wenn Jesus sagt, daβ seine Stunde noch nicht gekommen ist, dann weist er auf sein radikales Opfer hin, nӓmlich seinen Tod am Kreuz um des Heils der Welt willen. Jesu Stunde mag noch nicht gekommen sein, doch das Wunder, in dem Wasser in Wein verwandelt wird, weist bereits auf die Dinge hin, die da kommen werden. Jesu Tod ist unausweichlich und unvermeidlich, schon vom Anbeginn seiner Mission. Wir wissen, wie die Geschichte ausgehen wird. Jesus macht dies schon sehr früh klar.

Transformation, Wandel, ist oft mit Opfer verbunden.

Gott hat das radikale Opfer gebracht, in dem er für uns und die Welt starb. Doch stellte Gottes Tod die Realitӓten der Welt – Gewalt, Leiden, und Tod – auf den Kopf. Gott hat den Tod überwunden. Gott hat unseren Tod überwunden. Wir brauchen uns nicht zu fürchten. Und somit müssen wir auch nicht aus Furcht handeln, sondern dürfen und kӧnnen aus Liebe handeln. Dies ist der Wandel, den Jesus Christus an uns vollzieht. Neues Leben wird uns in und durch die Taufe geschenkt, und dieses neue Leben in Christus wird durch das reinigende Blut Christi im Abendmahl bestӓtigt und bekrӓftigt; und dieses neue Leben ist nicht nur symbolisch und metaphorisch, sondern hat konkrete Folgen: dieses neue Leben leben wir in den Verheissungen und im Licht Gottes.

Gott hat einen Traum, und wir kӧnnen über diesen Traum aus der Bibel erfahren, wie zum Beispiel in der heutigen Lesung aus Jesaja. Und bei diesem Traum geht es um die Versӧhnung Gottes und aller Welt. Es ist der Traum eines neuen Jerusalems, einem Ort, an dem sich niemand mehr fürchten muβ, und die Tore immer und für jeden offenstehen. Es ist ein Traum von einer Welt, in der der Wolf und das Lamm, und Menschen verschiedener Hautfarbe und Identitӓt und Glaubensbekenntnisse friedlich miteinander leben. Der Traum von einer Welt, die wahrhaft verwandelt ist. Und wir – wir sind ein Teil dieses Traumes.

Viele haben diesen Traum seither getrӓumt, unter ihnen Martin Luther King Jr., und, ja, auch N H. Und nicht nur das: sie haben auch so gelebt und agiert, daβ dieser Traum ein biβchen mehr verwirklicht wird. Die Welt kann verӓndert werden. Wir sehen ja manchmal diese kleinen Wunder: wenn sich ein Leben zum Besseren verӓndert, wenn jemand seine oder ihre Sucht überwinden kann, wenn ein verstocktes Herz sich erweicht, wenn Menschen sich versӧhnen, wenn fürchterliche Gewalttaten vergeben werden.

Da findet Verwandlung statt. Meine Hoffnung für uns alle und für die Welt ist, daβ wir niemals aufhӧren, Gottes Traum mitzutrӓumen, sondern unser neues Leben in Jesus Christus als die leben, die trӓumen – und das unsere mit unseren besonderen Gaben dazu tun, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen – indem wir Gutes tun, anderen vergeben und furchtlos handeln. Amen

 

Bild von Brian Kraus via unsplash.com