Predigt zu Johannes12, 1-8; Fünfter Sonntag in der Passionszeit – 13. März 2016

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Unsere Reise durch die Passionszeit wird nun bald zuendegehen. Nächsten Sonntag werden wir bereits mit Jesus den Weg zum Kreuz gehen. Auf unserer Reise haben wir uns mit verschiedenen spirituellen Praktiken beschäftigt: Geben, Gebet, Buβe und Wallfahrt. All diese Praktiken können uns dabei helfen, Gott näherzukommen, und auch herauszufinden, wie wir hier und heute Nachfolger Jesu sein können.

Aber wir sind noch nicht ganz fertig. Heute würde ich gerne mit Ihnen die letzte und wahrscheinlich schwierigste Übung erforschen: die Hingabe, oder das sich Ergeben.

Wer hier kennt das sogenannte Gelassenheitsgebet, im englischen auch Serenity Prayer genannt? Aber Sie haben doch sicherlich schon einmal davon gehört, oder? Es wird häufig in Selbsthilfegruppen wie den Anonymen Alkoholikern benutzt, obwohl es ursprünglich nicht zu diesem Zweck geschrieben wurde. Wir kennen dieses Gebet wahrscheinlich wir folgend:  ‘Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.’

 

Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Das ist sehr viel schwieriger, als es zunächst den Anschein hat. Akzeptanz, Hingabe, verlangt sehr viel Vertrauen, und Vertrauen, auβer vielleicht in uns selbst, ist nicht einfach. Wir haben gerne Kontrolle in allen Dingen. Wenn es da etwas gibt, worüber wir keine Kontrolle haben, dann fühlen wir uns häufig beunruhigt, vielleicht sogar beängstigt, oder frustriert, oder es macht uns gar wahnsinnig. Ich muβ gestehen, da ich als deutsche Staatsangehörige keine Kontrolle über den Ausgang der U.S. Präsidentschaftswahlen habe und meine Wahlstimme nicht abgeben darf, macht mich das schon nervös – denn es geht um soviel, und nicht nur um das Wohl dieses Landes, sondern der ganzen Welt. Dieser Mangel an Kontrolle macht es mir so ziemlich unmöglich, gelassen zu bleiben.

 

 

Aber ich denke man muβ dann doch zwischen zwei Kategorien der Dinge unterscheiden, über die wir keine Kontrolle haben – zum einen gibt es da Dinge wie den Wahlausgang. Klar, wir haben da letztlich kaum Einfluβ drüber; aber das sollte uns dann doch nicht daran hindern, unseren Mund aufzumachen, wenn wir etwas an der Regierung bedenklich finden. Wir sollten auf keinen Fall aufhören, unseren christlichen Glauben treu zu leben und Gottes Gnade und Liebe durch unsere Worte und Taten widerzuspiegeln – egal, ob unsere politischen und wirtschaftlichen Führer und die Gesellschaft solche Werte abtun oder vernachlässigen.

 

Aber dann gibt es dann doch Dinge, wo wir nichts weiter tun können, als uns zu ergeben. Z.B., wenn unsere Kinder oder Enkelkinder aufwachsen und ihre eigenen Wege gehen, Wege, die wir nicht unbedingt wählen würden. Generell können wir nicht das Leben anderer kontrollieren – und sollten es auch nicht. Und dann gibt es da natürlich Krankheit und Tod. Ja, wir können heutzutage viele Krankheiten bekämpfen, die noch vor ein paar Jahrzehnten ein Todesurteil gewesen wären. Aber dann gibt es doch aggressive Formen von Krebs oder den unaufhaltsamen Verfall durch Alzheimers und andere Krankheiten, wo wir dann doch irgendwann aufhören müssen, zu kämpfen, und uns dem Lauf der Dinge ergeben. Und das ist natürlich schwer; es ist schwer, einen geliebten Menschen gehen zu lassen – oder uns selbst dem Sterben und Tod zu ergeben. Gott, gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunhemen, die ich nicht ändern kann…

 

Selbsthilfegruppen sehen das Gelassenheitsgebet als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Heilung an. Oft sind Abhängigkeiten von Alkohol, Drogen, Medikamenten oder auch Essen das Resultat von tiefen psychologischen, seelischen, oder auch spirituellen Wunden. Da gibt es zum Beispiel viele Opfer von Gewalt und Miβbrauch, die versuchen, ihren Schmerz zu betäuben. Da gibt es jene, die Schuldgefühle haben. Jene, die, aus welchem Grunde auch immer, Ablehnung erfahren haben. Jene, die einen enormen Verlust erlebt haben. Jene, die unvorstellbares Trauma durchgemacht haben – denken Sie nur einmal an Kriegsveteranen. Kurzum, da gibt es soviele Dinge, von denen wir uns wünschten, daβ sie nie geschehen wären – doch wir können die Vergangenheit nun einmal nicht ändern. Also haben Abhängige auch viele tieferliegende Probleme zu bekämpfen, und ein wichtiger Schritt zur Heilung ist, die Dinge hinzunehmen und zu akzeptieren, die man nicht ändern kann. Sich zu ergeben anstelle die Geister der Vergangenheit zu bekämpfen.

 

Selbsthilfegruppen sind sehr spirituell in dem Sinne, daβ sich ihre Mitglieder einer höheren Macht ergeben und die Dinge, über welche sie keine Macht haben, Gott oder jedweder Göttlichkeit anzuvertrauen. Und das ist etwas, von dem die meisten von uns, wenn nicht sogar alle, etwas lernen könnten, auch, wenn wir nicht mit Abhängigkeit zu kämpfen haben. Da gibt es Dinge, die wir nur Gott anvertrauen können und sollten. Und wir können Gott vertrauen, denn Gott ist ein liebender, vergebender, gnadenreicher Gott.

 

Jesus ist auf dem Weg nach Jerusalem – und wir wissen, was das bedeutet. Knapp vor den Stadtmauern hält er am Hause seiner Freunde Lazarus, Maria und Marta an, und diese bereiten ein Festmahl für Jesus und seine Jünger. Alles scheint ganz normal zu sein, niemand scheint wirklich zu verstehen, daβ Jesus in wenigen Tagen verurteilt, gefoltert und getötet werden wird. Niemand – auβer Maria.

 

Maria, so hören wir, nimmt ein Pfund – ein Pfund!- kostbaren Salböls – so kostbar, daß es fast einen normalen Jahresverdienst braucht, um dieses Öl zu kaufen – und salbt damit Jesu Füße. Heutzutage mögen wir nicht so recht verstehen, was Maria damit tut. Aber der Gebrauch von parfümierten Ölen war zu Jesu Zeiten etwas ganz besonderes, wie man ja schon am Preis des Öles sehen kann, das war keine alltägliche Sache, sondern ein besonderer Luxus. Könige und Priester wurden gesalbt. Braut und Bräutigam wurden an ihrem Hochzeitstag gesalbt. Und dann wurden die Toten mit Parfümölen und Gewürzen einbalsamiert.

 

Was Maria hier tut, hat einen starken symbolischen Charakter – es ist ein Zeichen, wie der Evangelist Johannes es nennen würde. Maria erkennt Jesus als König, sie erkennt Jesus als den Bräutigam, der alle zum himmlischen Festmahl einlädt – aber dann weist ihre Handlung auch bereits auf den Tod Jesu hin. Maria weiß, was geschehen wird. Und sie ergibt sich der Lage. Ihre Handlung ist ein Zeichen, ein Symbol der liebevollen Unterwerfung und der Akzeptanz des Willens und der Vorsehung Gottes. Sie vertraut die Situation und ihren lieben Freund der Gnade Gottes an. Ich kann mir gut vorstellen, daß die Erkenntnis, daß Jesus sterben muß, ihr unsäglich Schmerz bereitet, und daß sie trauert. Und doch läßt sie los, darauf vertrauend, daß es Gott kümmert – und daß Gott sich um all die kümmern wird, die ein Teil dieser großartigen Heilsgeschichte sind.

 

Judas Iskariot ist dann ein Beispiel für jemanden, der sich eben nicht ergeben kann, für jemanden, der an seinen Hoffnungen für den Messias festhält. Geld und Betrug mal beiseite, es ist oft gesagt worden, daß Judas Jesus deshalb verraten hat, weil er auf etwas anderes hoffte: auf einen Messias wie in den Tagen des Alten Testaments, einen kriegerischen König wie David.  Auf eine politische und militärische Revolution, auf einen Aufstand gegen die verhaßte römische Besatzungsmacht. Judas mag gehofft haben, daß die Verhaftung Jesu dazu führen würde, daß Jesus endlich Farbe bekennt und seine Anhänger dazu auffordert, zu den Waffen zu greifen. Daß das Geld, für das man das Salböl verkaufen könnte und dann den Armen geben könnte, also eher als ein Sold verstanden werden kann. Judas kann die Dinge, die er nicht ändern kann, nicht annehmen – und sein unwirscher Kommentar, daß das Salböl eine Geldverschwendung ist, ist dann auch ein Ausdruck seiner Unwilligkeit und Unvermögens, seine Hoffnungen aufzugeben und sich Gottes Willen zu ergeben.

 

Ich denke mal, daß so einige unter uns, und ich schließe mich da selbst mit ein, eher wie Judas in vielen Aspekten unseres Lebens handeln. Wir folgen unserem eigenen Weg und unseren Ideen und Idealen und versuchen, Gott da irgendwie hineinzuquetschen, anstatt uns wahrhaft Gottes liebvoller Vorsehung zu ergeben. Und deshalb glaube ich, daß e seine hilfreiche und vielleicht sogar heilsame Übung für uns sein könnte, die Dinge anzunehmen, die wir nicht ändern können, und uns der Gnade Gottes zu ergeben. Daß wir uns nicht gegen die neuen und wunderbaren Dinge, die Gott tut, und die neue Schöpfung, die Gott uns schenkt, sperren, sondern neugierig annehmen.

 

Übrigens ist das Gelassenheitsgebet, wie wir es von Selbsthilfegruppen kennen, nur ein Auszug aus einem längeren Gebet, das dem deutsch-amerikanischen Theologen Reinhold Niebuhr zugeschrieben wird. Und das ganze Gebet lautet:

 

‚Gott, gib mir die Gelassenheit,
Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

 

Tag für Tag zu leben,

den Moment zu genießen,

Schwierigkeiten als einen Weg zum Frieden zu akzeptieren,

die sündige Welt so anzunehmen,

wie Jesus sie annahm-

nicht, wie ich sie gerne hätte-

darauf vertrauend, daß du alle Dinge recht machen wirst,

wenn ich mich deinem Willen füge,

so daß ich recht glücklich in diesem Leben sein kann,

und überaus glücklich auf ewig mit dir im nächsten.

 

Und mögen wir darauf antworten: Amen!