Wir wissen, glaube ich, alle, daβ Frauen kaum eine Stimme in der Bibel haben. Ja, Frauen tauchen übrall auf, doch meistens umgibt sie eine fast unheimliche Stille. Es sind die Mӓnner, die überwӓltigend das Wort haben. Eine Theologin hat mal nachgezӓhlt: Frauen sprechen insgesamt etwas mehr als 14.000 Worte in der Bibel, das sind ca. 1.1% aller Worte, die wir in den Heiligen Schriften haben. Meistens hören wir also die donnernden Stimmen von Mӓnnern, von mӓchtigen Propheten, die das Wort Gottes an das Volk weitergeben. Aber dann gibt es da auch einige Ausnahmen.

Da ist z.B. Miriam, die Schwester von Aaron und Moses. Sie ist selbst eine Prophetin und singt ein leidenschaftliches Siegeslied, nachdem die Truppen des Pharaoh besiegt worden sind. In diesem Lied geht es darum, wie die Mӓchtigen von Gott überwӓltigt werden – wie Gott auf der Seite der Unterlegenen steht. Und, nur als Fuβnote, der Name Miriam ist die hebrӓische Version von Maria.

Da gibt es Deborah, die Richterin über das Volk Israel war – und Richter waren eigentlich eher Hӓuptlinge, die Israel regierten, bevor es Könige gab. Ein ganzes Kapitel im Buch der Richter ist dem sogenannten ‚Lied Deborahs‘ gewidmet, einem uralten Gedicht, das, einigen Theologen zufolge, das ӓlteste Beispiel von hebrӓischer Dichtkunst ist, das heute noch existiert. Erneut haben wir hier ein Siegeslied, das nach einer von Israel gewonnenen Schlacht gesungen wird. Und erneut hören wir in diesem Lied, wie Gott den Schwachen hilft, die Starken zu besiegen.

In der Tradition dieser Frauen steht Maria, die Mutter Jesu. Auch sie singt ein Siegeslied. Aber dieses Mal geht keine Schlacht voraus. Diesmal ist der Grund für dieses Lied der, daβ Gott sich entschieden hat, Mensch zu werden und durche eine junge und unterlegene Frau geboren zu werden. Gott hat sich entschieden, die Menschheit dieses Mal auf andere Art und Weise zu besiegen – durch Liebe und Gnade. Das Lied, das Maria singt, ist das Lied, was als ‚Magnifikat‘ bekannt ist.

‚Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freuet sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Kindeskinder. Denn er hat groβe Dinge an mir getan, der da mӓchtig ist und dessen Name heilig ist…Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffӓrtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stöβt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lӓsst die Reichen leer ausgehen.‘

Das ist ja nun doch recht radikal! Aber es paβt sehr gut zu all den anderen Stimmen, die wir im Advent hören, wie z.B. die Stimme Johannes des Täufers – schlieβlich ist Advent die Zeit der Erwartung: nämlich, daβ Gott kommt, um diese Welt auf den Kopf zu stellen, all jene zu erlösen, die unter den Lasten des Lebens leiden, das ja nicht immer fair oder gerecht ist, eines Lebens, in dem die Starken, Reichen und Mächtigen nur allzu oft die Schwachen übervorteilen.

Maria nimmt mit ihrem Lied die uralte Tradition ihrer Vormütter auf – daβ sich die Schwachen an Gottes Stärke freuen können, denn Gott ist auf ihrer Seite; Gott macht die Schwachen stark und gibt all jenen, die keine Stimme haben, eine Stimme, so daβ sie das Schweigen brechen können.

Marias Lied, die Stimme Marias, kann nicht ignoriert werden, auch, wenn die Welt noch auf die endgültige Erfüllung ihrer Prophezeiung wartet. Überdies ist Marias Lied zum Kampflied für unzählige Generationen geworden, von Menschen, die unterdrückt werden, die schwach sind, die auf Gerechtigkeit warten. Es ist zum Kampflied vieler Frauen geworden, die zu allen Zeiten Unterdrückung, Schwäche und Unrecht erfahren haben und auf Gerechtigkeit warten.

Nun werden die Stimmen von Frauen heute viel öfter gehört als zu biblischen Zeiten – oder in jeglicher Zeit in der Weltgeschichte. Doch hören wir immer noch sehr viel mehr männliche Stimmen als weibliche Stimmen in dieser Welt. Frauen werden immer noch zum Schweigen gebracht – sei es durch Beschämung, Bedrohung, oder dadurch, daβ sie einfach ignoriert werden, wenn sie ihr Schweigen brechen.  Häufig wird dem Wort einer Frau nicht soviel Aufmerksamkeit oder Glaubwürdigkeit geschenkt wie der Stimme eines Mannes. Und doch haben wir Frauen, die in der Tradition der Maria fortfahren, indem sie das Schweigen brechen und sich nicht mundtot machen lassen und lautstark nach Gerechtigkeit verlangen.

Time Magazine hat gerade die ‘Personen des Jahres’ gekürt. Und dies sind Frauen, die das Schweigen satt haben, Frauen, die es satt haben, daβ Männer immer noch ihre Macht, ihren Status oder manchmal auch nur physische Überlegenheit gebrauchen bzw. miβbrauchen, um Mädchen und Frauen zu belästigen, einzuschüchtern und sie zu erniedrigen. Diese Frauen werden die ‘Silence Breakers’, die Schweigensbrecherinnen, genannt, und sie haben sich endlich dazu durchgerungen, sich zu öffnen, ihre Geschichten zu erzählen, oftmals nach Jahren oder gar Jahrzehnten der Scham und des Schmerzes – Geschichten über das Unrecht, das sie erfahren haben.

Und irgendwie sind diese Stimmen in den letzten Monaten lauter und beharrlicher geworden. In den sozialen Medien ist der Hashtag #metoo, ‘ich auch’, ursprünglich schon 2006 von der Aktivistin Tarana Burke entwickelt, zum schmerzlichen Aufschrei unzähliger Frauen und Mädchen geworden, egal, woher sie kommen, welcher Hautfarbe sie sind, egal, wie alt, arm und reich. Irgendwie war das ja schon sensationell – obwohl es mich und viele andere überhaupt nicht überascht hat. Ich hatte auch so einige ‘me too’ Momente in meinem Leben, und im Gespräch mit Frauen, darunter jenen, die die Gräuel des Krieges und der Flucht miterlebt haben, habe ich so einige schreckliche Geschichte von Miβbrauch gehört. Die Mehrheit von Frauen hat irgendwann einmal sexuelle Belästigung oder Gewalt erlebt.

Nach langer Stille haben Frauen den Mut gefunden, endlich das Schweigen zu brechen. Und sie haben erkannt, daβ es gut ist, stur zu sein, nicht aufzugeben, auch, wenn ihren Stimmen zunächst keine Beachtung geschenkt wird oder sie gar bedroht werden. Da muβ frau es halt immer wieder sagen, und am besten im Chor all jener Frauen, die Ähnliches erfahren haben. Und die Stimmen können dann einfach nicht mehr ignoriert werden.

Wir als Frauen haben eine Stimme. Wir müssen sie nur finden – so, wie sie auch unsere Vormütter im Glauben gefunden haben: Miriam, Deborah und Maria. Gott ist auf der Seite der Schwachen. Gott kämpft für jene, die unterdrückt sind und ungerecht behandelt werden. Denn wahrlich: was ihr den geringsten angetan habt, daβ habt ihr mir auch angetan.

Maria wuβte, was es heiβt, unterdrückt zu werden. Sie gehörte einem Volk an, daβ unter einer Besatzungsmacht litt – und die Römer waren grausame Herren. Doch dann war sie auch eine Frau in einer patriarchalischen Gesellschaft, einer Gesllschaft, in der eine Frau als Besitz angesehen wurde, aber nicht als Mensch. Indem Gott sie ausersah in der Niedrigkeit, die ihr von ihrer Umwelt zugeschrieben wurde, machte Gott klar, daβ er auf der Seite der Schwachen und Unterdrückten ist. Schlieβlich wurde Gott selbst schwach, ein Mensch, der verachtet wurde und dessen Leben am Kreuz endete.

Und so kann Maria ihr trotziges Kampflied singen – es schallt durch Raum und Zeit. Nun ist die Vision, die Maria in ihrem Lied beschreibt, noch lange nicht erfüllt. Doch ist dies die Vision, die sie mit dem teilt, den sie in ihrem Leibe trägt – es ist Gottes Vision, und wir sind dazu berufen, dieser Vision in Hoffnung entgegenzuleben.

Und dies mag zum Teil dadurch geschehen, daβ wir selbst das Schweigen brechen. Und euch Männern sagen ich: macht auch den Mund auf, wenn ihr miterlebt, daβ die Würde eines Mädchens oder einer Frau angetastet wird. Werdet nicht zu Komplizen. Für uns Frauen und alle anderen, die sexuell belästigt oder miβbraucht worden sind, mag das unangenehm sein. Es mag schmerliche Erinnerungen wieder wach werden lassen, und wir mögen denken, daβ wir die Vergangenheit doch ruhen lassen sollten – heiβt es nicht, daβ wir vergeben und vergessen sollen? Doch schulden wir es unseren Töchtern und Enkeltöchtern, den Mädchen und Frauen, für die wir Vorbilder sind, all denen, die aufgrund ihrer Geschlechtsidentität oder Sexualität belästigt worden sind (oder schlimmer), unsere Stimmen zu erheben – damit solche Gewalt nicht immer wieder geschieht. Wir schulden es Maria, die die Mutter aller ist, die von der Liebe und Gnade ihres Sohnes Jesu Christi berührt worden sind. Und so laβt uns der Vision Marias entgegenleben, der Vision, die auch Gottes Vision ist – die Vision einer Welt, in der wahrlich Friede und Wohlgefallen unter ALLEN Menschen herrschen.