Predigt zu Matthäus 21, 33-46; Siebzehnter Sonntag nach Trinitatis – 8. Oktober 2017

 

Das heutige Evangelium ist eines der schwierigeren. Hier haben wir nicht ein Gleichnis von verlorenen Schafen oder verlorenen Söhnen, wo dann alles gut am Ende ausgeht und es eine riesige Party gibt, sondern eine recht verstörende Geschichte: ein Weinbergbesitzer sendet seine Knechte aus, um das von den Pächtern einzusammeln, was ihm zusteht. Doch nun rebellieren die Pächter, sie denken gar nicht daran, einen Teil abzugeben, sie schlagen die Knechte oder töten sie sogar. Am Ende sendet der Besitzer seinen eigenen Sohn, da er denkt, daβ die Pächter zumindest ihn respektieren werden. Doch die Pächter nehmen die Gelegenheit wahr und töten auch den Sohn, da sie denken, daβ ihnen alles gehören wird, sobald der Erbe erst einmal tot ist.

Nun wäre es recht einfach für mich, Ihnen etwas vom urchristlichen Verständnis dieses Gleichnisses zu erzählen: daβ der Weinbergbesitzer Gott ist, und die Pächter die Pharisäer und Schriftgelehrten, und daβ Gott zunächst die Propheten sendet, die abgewiesen oder gar getötet werden, und dann den Sohn, Jesus Christus, der dann natürlich auch getötet wird. Und daβ die Führer des Volkes Israel bestraft werden und der Weinberg anderen Pächtern anvertraut werden wird, und da nehmen wir einmal an, daβ dies die sind, die Christus nachfolgen, und die bringen dann reichlich Frucht und geben Gott, was Gott gebührt.

Doch abgesehen mal davon daβ solch eine Interpretation ihre Probleme hat, denke ich, daβ dieses Gleichnis von den Pächtern des Weinberges tiefer geht und über eine unangenheme Wahrheit spricht: nämlich daβ die gesamte Menschheit dazu tendiert, das in Besitz zu nehmen, was eigentlich Gott gehört, und darüber Kontrolle ausüben – und dabei den liebenden Schöpfer und Versorger, der hinter allem steht, miβachten.

Letzten Sonntag feierten wir Erntedank, und in meiner Predigt reflektierte ich über die vielleicht gröβte Sünde des Menschen: mehr und mehr zu wollen, nach mehr und mehr zu streben, mehr und mehr zu konsumieren, und dabei immer weniger zu teilen. Gottes Schöpfung so zu gebrauchen und miβbrauchen, als gäbe es kein Morgen – und als gäbe es keinen Gott. Als Menschheit nehmen wir und nehmen wir, und vergessen, dabei zu geben – Gott zu danken in Wort und Tat und voller Dankbarkeit von dem weiterzugeben, was wir empfangen haben. Propheten in der heutigen Zeit, die uns dies auf den Kopf zusagen, werden bestenfalls ignoriert oder auch verhöhnt und verleumdet – manchmal erleiden sie auch Schlimmeres. Wir verhalten uns so, als hätten wir das Recht, einfach alles zu nehmen und zu verbrauchen, als seien wir selbst Gott. Und dabei warten wir dann vergeblich auf die Errettung, die uns menschliches Streben und Fortschritt doch bringen sollen.

Wir wurden erst letzte Woche einmal wieder daran erinnert, wie Menschen Gott, den Schöpfer, den Geber und Liebhaber des Lebens, miβachten: 59 Menschen wurden getötet und über 500 verletzt, als ein Irrsinniger wahllos in eine Menschenmenge schoβ, die in Las Vegas ein Konzert besuchte. Dieser Mensch nahm, was ihm nicht zusteht zu nehmen – das Leben anderer. Er spielte sich als Gott in übelster Weise auf. Und seien wir auch einmal ehrlich: diejenigen, die Waffen verkaufen oder den Verkauf von Waffen unterstützen, die dazu konzipiert sind, soviele Menschen wie möglich in kürzester Zeit zu töten, haben da auch mitgespielt. Welch einen Gott versuchen wir da zu imitieren, wenn wir das Recht, jedwede Waffe zu besitzen und damit potentiell auch zu benutzen, über das Recht stellen, Menschen von der potentiellen Gefahr dieser Waffen zu schützen – und über das Recht auf Leben?

Das Gleichnis von den Pächtern im Weinberg ist nicht lediglich eine Geschichte der Vergangenheit, die lediglich eine bestimmte Gruppe von Menschen verurteilt; nein, wir erleben auch heute  noch, wie wir das, was Gott uns anvertraut hat – diese Welt, unsere Nächsten, unser Leben – einfach so behandeln, als gehörte es uns, und damit machen, was wir wollen. Die Geschichte von den Pächtern des Weinberges erinnert uns daran, daβ wir uns alle mitunter so verhalten, als gäbe es keinen Gott – und als gäbe es keine Konsequenzen für unser Verhalten.

Doch wenn wir unsere Augen und Ohren und Hirne und Herzen öffnen, dann erkennen wir ganz genau, daβ es da Konsequenzen für menschlichen Hochmut gibt, und daβ diese gravierend sind. Wir bringen eher Zerstörung und Tod als Leben, wenn wir Gott aus dem Spiel lassen und uns selbst als Gott aufspielen. Dies wird schon ganz zu Beginn der Menschheitsgeschichte deutlich, im 1. Buch Mose, Kapitel 3, als die ersten Menschen von der Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse essen, um so wie Gott zu sein. Der Tod ist eine Konsequenz dieser verhängnisvollen Tat. Die menschliche Ursünde ist, so sein zu wollen wie Gott.

Gott, tröste uns wieder und lass leuchten dein Antlitz, so genesen wir. Dies ist eine Zeile aus dem Psalm, den wir heute gebetet haben. Gott, tröste uns wieder. Mach und heil. Errette uns. Denn ganz offensichtlich können wir uns selbst und die Welt nicht erretten. Als Christinnen und Christen wissen wir, daβ wir nicht perfekt sind. Als Christinnen und Christen wissen und bekennen wir, daβ wir diese Ursünde in uns tragen, die unsere Gedanken, Worte und Werke beeinfluβt. Als Christinnen und Christen wissen und bekennen wir, daβ wir Sünder sind.

Doch das ist noch nicht alles. Als Christinnen und Christen wissen wir auch, daβ Gott vergibt. Nirgends sehen wir dies so deutlich wie am Kreuz, das das zentrale Symbol unseres Glaubens ist. Martin Luther sagt dann sogar, daβ nicht nur Sünder sind, sondern gleichzeitig auch Gerechte – gerechtfertigt durch Gottes Versprechen der Gnade in der Taufe. Und idealerweise bleibt dieses Versprechen nicht ohne Konsequenzen, sondern verwandelt uns, so daβ wir gute Frucht bringen und uns dessen bewuβt sind, daβ alles Gott gehört und wir darum also auch besser mit allem umgehen – Welt, Nächsten und Leben.

Und inmitten tiefster Dunkelheit scheint das Licht der Liebe, wenn wir unsere Früchte bringen. Als die Kugeln auf die ahnungslosen Konzertbesucher am vergangenen Sonntag niederprasselten und eine Panik ausbrach, da gab es jene, die ihr Leben für andere riskierten: Polizeibeamte und -beamtinnen, Feuerwehrleute, Ärzte und Pfleger – aber dann haben Sie vielleicht auch von all den ganz normalen Leuten gehört, die anderen halfen und sie retteten.

In den Gebieten, die in den letzten Wochen von Hurricanes heimgesucht wurden, und vor allem in Puerto Rico, werden wir dessen Zeugen, wie Hilforganisationen und auch Privatleute denen zu Hilfe kommen, die praktisch alles verloren haben. Und Organisationen wir Lutheran Disaster Response, könnten dies nicht ohne Ihre Hilfe und ohne Ihr Geld.

Nicht alles ist verloren, wo Menschen in sich ihrer Rechtfertigung erinnern und die Liebe weitergeben, die sie von Gott empfangen haben. Nicht alles ist verloren, wo wir diese gute Frucht sehen, von der Christus spricht, in anderen und auch in uns selbst. Nicht alles ist verloren, wo wir Gott Gott sein lassen und uns als Empfangende der Gnade und Vergebung Gottes verstehen und dazu bereit und willig sind, diese mit allem und allen, die Gott erschuf, zu teilen. Wir müssen nicht Gott sein – ist das nicht auch eine Erleichterung? – es ist genug, daβ wir Menschen sind, Gottes Kinder, erfüllt mit der Gnade Gottes, die ihr bestes tun, das Leben zu fördern und zu bewahren, das Gott für alle Kreatur bestimmt hat.